Paradiesgärtlein

Paradiesgärtlein
 
Paradiesgärtlein
Meister des Frankfurter Paradiesgärtleins, um 1410
Mischtechnik auf Holz, 26,3 cm × 33,4 cm
Städel

Das Paradiesgärtlein ist der Titel eines Gemäldes, das um 1410 entstand und heute im Frankfurter Städel ausgestellt ist. Der Maler ist unbekannt und wird deshalb als Meister des Paradiesgärtleins oder Oberrheinischer Meister bezeichnet. Das Gemälde ist in Mischtechnik auf Eichenholz ausgeführt und misst 26,3 mal 33,4 Zentimeter. Das Bild zählt zu den bedeutendsten Darstellungen des Themas Hortus conclusus (latein., "Der verschlossene Garten"), zu dem auch der Bildtypus Maria im Rosenhag gehört.

Inhaltsverzeichnis

Einordnung

Der Hortus conclusus bzw. "Der verschlossene Garten" ist ein Symbol der Jungfräulichkeit und Unzugänglichkeit Marias. Ihn kennzeichnet die Mauer, die hier perspektivisch und zinnenbewehrt den Garten und damit Maria und ihr Gefolge schützend umschließt. Da sich die Vorstellung des Hortus conclusus nicht nur aus dem klösterlichen Garten, sondern auch aus dem ummauerten und dadurch abgeschirmten höfischen, großbürgerlichen Liebes- und Lustgarten entwickelt hat, kann hier durchaus an eine Hofhaltung Marias gedacht werden. Die Mauer, die den Bildraum oben und teilweise links außen festlegt, stellt innerhalb der Einfriedung Räumlichkeit her, begrenzt ihn zugleich. Auch der Brunnen links unten ist ein Merkmal des Hortus conclusus; er symbolisiert mit seinem Wasser Jesus Christus als Quell des Lebens.

Der Bildtypus Der verschlossene Garten ist hier jedoch vom Maler in eigenartiger Weise abgewandelt. Im Gegensatz zu den in dieser Zeit üblichen Darstellungen befindet sich Maria nicht als Madonna im Mittelpunkt des Gemäldes, sondern in der oberen linken Bildhälfte neben der Mittelachse (ebenso das Jesuskind), mit leicht geneigtem Kopf und gesenktem Blick in ein Buch vertieft. Nur ihre Körperhaltung zeigt die gewohnte Frontalität auf, nicht aber ihre in Seitenansicht wiedergegebene Kopfhaltung und ihr Blick. Das Jesuskind sitzt auch nicht auf ihrem Arm oder Schoß, sondern spielt zu ihren Füßen. Brunnen, Rasenbank und Steintisch sind im Mittelalter auch Merkmale eines Erholungsgarten.[1]

Die Bezeichnung des Bildes als Paradiesgärtlein – und nicht als Hortus conclusus – ergibt sich nicht nur aus der Versammlung und den Funktionen der Heiligen um Maria, die auch das Thema Sacra Conversazione berühren, der genauen Wiedergabe einer üppigen Natur mit ihren Früchten, Blumen, Büschen, Bäumen, Vögeln und (wenigen) Insekten sowie der aus dem Bildzentrum gerückten Figur Marias, der Himmelskönigin als Madonna dell' Umilià. Das Bild stellt eine Mischung aus den Themenbereichen dar sowie dem Thema Paradies. Es ist eine Verbindung von versinnlichender Meditation, von neuer Naturnähe und Wirklichkeitssinn, die in allem Transzendentes sieht. Dies eröffnet auch ein Blick auf seine Komposition und auf die dem Bild in vielfältiger Weise – ganz mittelalterlicher Tradition entsprechend – innewohnende Symbolik der Geometrie, der Zahlen sowie der Farben und ihrer Verteilung.

Bildbeschreibung

Maria ist in Bedeutungsperspektive (Perspektive) dargestellt, das heißt, sie übertrifft die anderen Figuren an Größe und ist zugleich über ihnen positioniert. Sie erscheint als bekrönte Himmelskönigin und ebenso als zurückhaltende Madonna dell' Umilitá (ital.; "Madonna der Demut") auf einem Sitzkissen statt stehend oder auf einem Thron - ein Gedanke und Bildthema, das der Sieneser Simone Martini mit seiner auf der Erde sitzenden Madonna (Madonna dell' Umilità, 1340) in die Kunst einbrachte. Da der Oberrheinische Meister seine Gesellenjahre in Siena verbrachte, lernte er offenbar diese Bildidee kennen.

Maria ist umgeben von Heiligen: Die hl. Dorothea pflückt links neben ihr Kirschen; die hl. Barbara schöpft Wasser aus einem Brunnen; die hl. Katharina von Alexandrien, für welche die Krone der Weisheit, eines ihrer vier Attribute, spricht – möglich ist hier auch, an die hl. Cäcilia von Rom, Schutzherrin der Kirchenmusik, zu denken –, hält das Psalterium, auf dem das Jesuskind die Saiten zupft. Zu Füßen des Sankt Georg liegt ein kleiner toter Drachen und unterhalb des Erzengel Michael als Bezwinger des Teufels sitzt als Attribut in Form eines gefesselten Affen ein kleiner schwarz-brauner Teufel; Michael ist jedoch zugleich Hüter des Tores zum Paradies, Schutzpatron der Heiligen des Heiligen Römischen Reiches und der mit einer Krone gekennzeichnete Fürst der Engel. Hinter beiden beugt sich der hl. Oswald zu ihnen herab und umfasst dabei den Stamm des Baumes, unter dem beide ruhend sitzen, gleichsam als handle es sich um den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.

"Neuzeitlich" ist der leuchtend blaue Himmel anstelle des traditionellen Goldgrunds. Darüber hinaus besitzt das Bild eine subtile Quantifizierung der Buntfarben, deren Gewichtung und Anordnung den Eindruck des "Kunterbunten" vermeidet. Ein Beispiel sind die unterschiedlichen Größen und die Verteilung der roten Farbflächen. Den größten Anteil besitzt das rote Kleid der Frau, die sich links im Vordergrund mit dem Jesuskind niedergelassen hat, der hl. Cäcilia bzw. der hl. Katharina. Etwas kleinflächiger ist der rote Umhang der hl. Dorothea. Bei Maria beschränkt sich das Rot auf den Bucheinband und das Sitzpolster. Nach rechts wird der Blick durch die roten Ärmel des hl. Georgs gelenkt. Schließlich leuchtet aus dem Gras das Rot von Blüten und Walderdbeeren auf. Die belebende Wechselwirkung zwischen Rot und Grün ergibt sich aus der komplementären Beziehung dieser beiden Farben. Mit den Farben der Kleidung Marias, dem Blau und dem Weiß, dagegen korreskondiert die Gewandung der hl. Barbara. Die Figuren werden also durch Wiederholung von Farben in Verbindung gesetzt, wobei zugleich die symbolische Bedeutung der Farben Rot, Blau und Weiß einfließt. Ist das Rot hier das Symbol der Liebe und das Blau das Symbol des Göttlichen, so ist die Farbe Weiß die des Lichtes und Symbol der Reinheit, Unschuld und Vollkommenheit. Somit steht das Weiß in Zusammenhang mit himmlischen Erscheinungen und kennzeichnet die Seligen im Paradies. Weiß ist zudem die Mauer und der Tisch.

Der Maler bringt nun über die kompositorische Anlage des Bildes auch die Symbolik der Geometrie und der Zahlen ein. Der Anordnung von Maria und den Heiligen liegt nicht eine Mittelachse oder ein Achsenkreuz zugrunde, sondern ein Kreis, um und auf dessen Linie Maria und die Heiligen versammelt sind. Der Kreis aber ist Symbol des Einzigartigen und der Vollkommenheit. Auffallend in dieser Kreisanordnung ist der hexagonale Tisch. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Beistelltisch Marias für Essen und Trinken. Seine Bedeutsamkeit wird jedoch durch seine Platzierung auf einer von links unten nach rechts oben ansteigenden Bilddiagonale hervorgehoben. Er befindet sich zudem auf gleicher Höhe mit Maria und tritt leuchtend weiß in Form und Symbolik des gleichseitigen Sechsecks (Hexagon) sowie seiner Farbe aus der Kreisordnung hervor, quasi statt einer Figur und wie Maria in bedeutungsperspektivischer Größe. Tatsächlich kommt ihm eine besondere Rolle beim Verständnis des Bildes zu, das durch seine Position, Funktion und Farbsymbolik in der Bildkomposition erhellt wird.

Die Zahl 6 symbolisiert die Allmacht Gottes und zugleich das Gleichgewicht und die Harmonie des Göttlichen und Weltlichen, letztlich den paradiesischen Zustand. Der hexagonale Tisch, dessen Fläche nahezu perspektivisch wiedergegeben ist, steht zwischen Maria als Madonna und dem Erzengel Michael. Er ist gleichwertig mit Maria Anfang und Ende der Kreiskomposition aus Heiligen und bildet mit ihr optisch den Mittelpunkt des Bildes; sie sind zusammen zu sehen und zu verstehen. Zugleich ist der Tisch Teil einer Dreieckskomposition mit Maria und dem Jesuskind als Sohn Marias und als Sohn Gottes, wobei die Zahl 3 den physischen Himmel symbolisiert. In ihrer Farbe und Farbsymbolik korrespondiert die Tischfläche mit jener der Kleidung des Jesuskindes, das zudem einen Stärke und Fähigkeit symbolisierenden Gürtel trägt und dessen Psalterium auch ein Dreieck zugrunde liegt. Ebenfalls ein Dreieck bilden die Figuren mit goldenem Kopfschmuck: die bekrönte Maria, die hl. Katharina mit der Weisheitskrone und der Erzengel Michael als Engelsfürst.

Die Reihe der Symbolhaltigkeit der Gegenstände, Personen, Pflanzen und Tiere sowie Kompositionsteile lässt sich weiter fortsetzen. Nichts scheint der Maler ohne genaue vorherige Überlegung eingebracht zu haben. Im "Paradiesgärtlein" fallen die naturgetreue und detailgenaue Wiedergabe von Pflanzen und Tieren auf. Sie sind alle eindeutig identifizierbar. Bei den meisten Pflanzen handelt es sich um Marienattribute, d. h. es sind Pflanzen, die Maria nicht nur als heilig geweiht sind, sondern auch symbolisch bestimmte Inhalte vermitteln. Vor allem auf der Mauer, aber auch beim Brunnen sowie auf Pflanzen und Bäumen kann man verschiedene Vögel erkennen. Liegt bei jedem Einzelnen zum Teil bereits Sinnbildlichkeit vor, so lässt sich bei der Gesamtheit von zwölf Vögeln und Vogelarten annehmen, dass der Maler bewusst die heilige Zahl 12 gewählt hat, denn sie symbolisiert die Zwölf Stämme Israels, die 12 Jünger Jesu und die 12 Apostel sowie die 12 Tore des himmlischen Jerusalems (Neues Jerusalem), das ebenso eine hohe Mauer umschließt.

Blumen des Paradiesgärtleins

Die Vegetation des Paradiesgärtleins basiert nicht auf Musterbuchformeln sondern auf genauen Naturstudien.[2] Die Pflanzen sind so naturgetreu dargestellt, dass sie sich eindeutig bestimmen lassen. Auf der Wiese und dem parallel zur Mauer verlaufendem Hochbeet lassen sich 25 verschiedene Gewächse bestimmen. Dargestellt sind Akelei, Bachehrenpreis, Erdbeere, Frauenmantel, Gänseblümchen, Goldlack, Immergrün, Kirsche, Klee, Lilie, Märzbecher, Maiglöckchen, Malve, Margerite, Samtnelke, Pfingstrose, Rose, Schlüsselblume, Schwertlilie, Senf, Rote Taubnessel, Veilchen, Wegerich, Chrysantheme, Astern, Johanniskraut und Levkoje.

Vögel des Paradiesgärtleins

Eisvogel, Kohlmeise, Dompfaff, Pirol, Buchfink, Rotkehlchen, Buntspecht, Seidenschwanz, Distelfink, Schwanzmeise, Blaumeise, Wiedehopf.

Insekten des Paradiesgärtleins

Libellen, Weißlinge.

Belege

Literatur

  • Bodo Brinkmann und Stephan Kemperdick (Hrsg): Das Paradiesgärtlein in: Deutsche Gemälde im Städel: 1300 - 1500, Kataloge der Gemälde im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt am Main, Mainz 2002, S. 93 - 120
  • Esther Gallwitz: Kleiner Kräutergarten: Kräuter und Blumen bei den Alten Meistern im Staedel. Frankfurt/M. 1992. Insel Taschenbuch.
  • Sabine Schulze (Hrsg): Gärten: Ordnung – Inspiration – Glück, Städel Museum, Frankfurt am Main & Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006, ISBN 978-3-7757-1870-7

Einzelbelege

  1. Schulze, S. 24
  2. Brinkmann et al., S. 113

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