- Paul Julius Möbius
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Paul Julius Möbius (* 24. Januar 1853 in Leipzig; † 8. Januar 1907 ebenda) war ein deutscher Neurologe, Psychiater und Wissenschaftspublizist.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Möbius war ein Enkel des Mathematikers August Ferdinand Möbius. Nach dem Besuch der Thomasschule in Leipzig studierte er ab 1870 Theologie und Philosophie und ab 1873 auch Medizin in Leipzig, Jena und Marburg. Er promovierte zum Dr. phil. (1873) und Dr. med. (1877).
1878 ließ er sich zunächst als Nervenarzt und Elektrotherapeut in Leipzig privat nieder. Parallel war er ab 1882 zunächst als Volontär- und ab 1883 als etatmäßiger Assistent an der Nervenabteilung der Medizinischen Poliklinik der Universität Leipzig unter Wilhelm Erb und Adolf von Strümpell tätig.
1883 habilitierte er und erwarb damit die Lehrberechtigung an der Leipziger Universität. Nachdem Möbius mehrfach bei der Ernennung von Professoren und dem Direktorat der Medizinischen Poliklinik übergangen worden war, gab er unter lautstarkem Protest 1893 seine Habilitation zurück und beschränkte sich auf seine Privatpraxis.
Ab 1886 gab er die „Schmidtschen Jahrbücher für die gesammte Medicin“ heraus und stieg auf zu einem der einflussreichsten Kritiker der medizinischen Fachpresse.
Werk
Noch heute bedeutend und von wissenschaftshistorischem Wert sind seine Arbeiten zur Psychogenese psychiatrischer und Nervenkrankheiten, so unter anderem zur Hysterie. Er postulierte darin erstmalig für den deutschen Sprachraum psychologische Ursachen einer Krankheit. Deswegen und weil er überzeugend die suggestive Heilwirkung der Elektrotherapie herausstellte, bezeichne Sigmund Freud Möbius als einen der Väter der Psychotherapie.
Ein weiterer bleibender Verdienst besteht darin, seinem Freund, dem Psychiater Emil Kraepelin, wichtige Anregungen zur Differenzierung und Systematisierung von psychischen Krankheiten gegeben zu haben. Möbius hatte eine, einzig auf die Ursachen der Krankheiten basierende Einteilung der Nervenkrankheiten und psychischen Krankheiten vorgenommen. Seine Unterteilung in endogene und exogene Störungen blieb lange erhalten und wirkte wegweisend für die Psychiatrie und Neurologie des 20. Jahrhunderts. Endogene Störungen, also im Nervensystem selbst begründete, reduzierte er aber auf Auswirkungen der degenerativen Entartung. Langfristig gesehen bahnte auch Möbius damit den Weg zur negativen Eugenik und den Verbrechen an psychisch und Nervenkranken im deutschen Nationalsozialismus. Außerdem trägt das Moebius-Syndrom seinen Namen, das er als erster 1888 beschrieb und er wies den richtigen Weg zur Erkennung der endokrinologischen Ursache des Morbus Basedow.
Einen noch heute zweifelhaften Ruhm erwarb sich Möbius durch sein Pamphlet „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ (Halle: Marhold 1900). Die Kernaussage des Werkes postuliert diesen „Schwachsinn des Weibes“ nicht nur, sondern versucht auch, diesen mit schon damals zweifelhaften Methoden zu belegen. Darüber hinaus behauptet er, dass der Schwachsinn eine der Arterhaltung des Menschen dienende positive Eigenschaft sei und sich deshalb zwangsläufig aus der Evolution des Menschen ergebe. Möbius erhielt viel Beifall, provozierte mit dieser Schrift aber auch Gegenschriften, wie Die Antifeministen (1902) von Hedwig Dohm. Als weitere Antwort auf Möbius erschien 1902 das Werk Das Weib und der Intellectualismus von Oda Olberg und 1903 die Schrift Feminismus und Wissenschaft von Johanna Elberskirchen. Elberskirchen urteilte: „Tatsache ist, daß die Gelehrten gegenüber dem Weibe in ihrem Urteil zu sehr Mann und zu wenig oder gar nicht wissenschaftlich urteilender Mensch sind.“[1] In weiteren Schriften (wie Geschlecht und Kopfgröße) versuchte Möbius seine Thesen zu untermauern – und belegte damit gleichzeitig in Anmerkungen sein hirnanatomisches und hirnphysiologisches Unverständnis. „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ erlebte zu seinen Lebzeiten acht Auflagen; in die späteren Auflagen nahm Möbius Briefe mit auf, die er für und gegen das Buch von Frauen und Männern erhalten hatte. Diese Briefe machten am Ende fast die Hälfte des Buches aus.
In Joshua Sobols Theaterstück Weiningers Nacht tritt Moebius als Verfolger des Philosophen Otto Weininger auf, den er des Plagiats bezichtigt.
Werke
- Über den Begriff der Hysterie und andere Vorwürfe vorwiegend psychologischer Art. In: Neurologische Beiträge A. Abel (Arthur Meiner), Leipzig 1894 – Möbius, Paul Julius (1894) in der Wikiversity
- Ueber das Pathologische bei Goethe. J. A. Barth, Leipzig 1898 – Möbius, Paul Julius (1898) in der Wikiversity
- Ueber Schopenhauer. Mit 12 Bildnissen. Barth, Leipzig 1899 – Möbius, Paul Julius (1899) in der Wikiversity
- Über Entartung. Bergmann, Wiesbaden, 1900.
- Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. Erstdruck 1900, 9. Auflage 1908 (Titelblatt)
- Goethe und die Geschlechter. Nachdruck, Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 1999, ISBN 978-3-928640-42-8
- Das Pathologische in Goethe. Nachdruck, Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 1999, ISBN 978-3-928640-48-0
- J.J. Rousseaus Jugend. Nachdruck, Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 1999, ISBN 978-3-928640-46-6
- Nietzsche. Krankheit und Philosophie. Nachdruck, Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 2000, ISBN 978-3-928640-67-1
Literatur
- Holger Steinberg (Hrsg.): „Als ob ich zu einer steinernen Wand spräche.“ Der Nervenarzt Paul Julius Möbius. Eine Werkbiografie. Huber, Bern u. a. 2005, ISBN 3-456-84175-2 (Zugleich: Leipzig, Univ., Habil.-Schr., 2005).
- Holger Steinberg: Zum 150. Geburtstag des Leipziger Neurologen, Psychiaters und Medizinschriftstellers Paul Julius Möbius. In: Der Nervenarzt 75, 2004, ISSN 0028-2804, S. 97–100, PDF.
- Heinz-Jürgen Voß: Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive. Transcript Verlag, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-8376-1329-2 (Zugleich: Bremen, Univ., Diss., 2009).
Weblinks
Wikisource: Paul Julius Möbius – Quellen und Volltexte- Übersicht der Lehrveranstaltungen von Paul Julius Möbius an der Universität Leipzig (Sommersemester 1883 bis Sommersemester 1893)
Einzelnachweise
- ↑ Johanna Elberskirchen: Feminismus und Wissenschaft, 1903, S. 4
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