Pfarrkirche St. Lorenz (Kempten)

Pfarrkirche St. Lorenz (Kempten)
St. Lorenz, Kempten im Allgäu, Basilica minor

Die Basilika St. Lorenz ist eine ehemalige Benediktinerstiftskirche des ehemaligen Fürststiftes Kempten und heutige Pfarrkirche der Pfarrei St. Lorenz im bayerischen Kempten (Allgäu) in der Diözese Augsburg.

Inhaltsverzeichnis

Baugeschichte

Das Christentum hatte im spätrömischen Cambodonum (Kempten im Allgäu) wohl schon im 4. Jahrhundert Fuß gefasst und eine kleine Kirche unterhalb der Burghalde erbaut. 725 kamen der Heilige Magnus und sein Begleiter Theodor nach Kempten; letzterer blieb. 752 wurde die ehemalige gefürstete Benediktinerreichsabtei Kempten vom seligen Audogar von St. Gallen, der zum ersten Abt erwählt wurde, gegründet.

Die als "Selige" verehrte Hildegard aus schwäbischem Herzogsgeschlecht schenkte dem königlichen Eigenkloster als Gemahlin Karls des Großen 774 die vielverehrten Leiber der heiligen Martyrer Epimachus und Gordian und stattete das Kloster mit reichen Gütern aus. Sie wurde deshalb als die Klosterstifterin angesehen; das Stiftswappen zeigt ihr Bild. Nach den Ungarneinfällen wurde die Klosterkirche (wahrscheinlich im 10. Jahrhundert) neu erbaut.

Wo das Kloster ursprünglich stand, kann nicht bestimmt angegeben werden; wohl aber ist sicher, dass es im 13. Jahrhundert bereits an der Stelle erbaut war, wo heute die Residenz liegt, und dass an der Ostfront des Klosters die Kirche angefügt war. Die zum Kloster gehörende Pfarrkirche "St. Lorenz uf'm Berg" stand außerhalb der Klostermauern. Die Klosterkirche, eine dreischiffige romanische Basilika mit Apsis und Querschiff in der Nähe des jetzigen Ostflügels der Residenz (wohl 11. Jahrhundert) zeigte, wie das Klosterleben, Hirsauer Einflüsse. Das Ostturmpaar (vgl. Augsburger Dom) gilt als schwäbischer Einschlag. Als 1225 das Kloster fast neu aufgeführt wurde, hören wir 1227 von Baunachrichten an einem der beiden Türme, 1382 erhielten die Türme nach dem Brand von 1361 gotischen Abschluss.

1632 wurde das Kloster mit der Kirche beim Einfall der Schweden, 1634 die Pfarrkirche niedergebrannt. Trotz der Kriegswirren erfahren wir aus dem Tagebuch des Abtes von St. Gallen, dass ihm der Fürstabt von Kempten, Roman Giel von Gielsberg (1639-1673), 1644 seinen Sekretär zur Besprechung des Kirchenbaus und zur religiösen Wiederbelebung gesandt hat. Derselbe Fürstabt bestellte im gleichen Jahre bei H. und Cl. Rossier 7 Glocken. Klosterkirche und Pfarrkirche sollten seltenerweise vereinigt werden. Die Grundsteinlegung auf dem erhöhten Platz der alten St. Lorenzkirche erfolgte jedoch erst am 13. April 1652. Als das Langhaus der Kirche stand, schied der Baumeister Michael Beer aus. Am 24. März 1654 wird mit seinem Nachfolger Johann Serro der erste Vertrag geschlossen. 1656 schon dürfte die Kirche im wesentlichen vollendet gewesen sein. Nach einer Pause von 3 Jahren erhöhte Serro das Langhaus um ca. 1,70 m, veränderte die Form der Emporen und zog das Gewölbe steiler ein. Der Druck der Mittelschiffwände wurde auf die verbreiterten Seitenschiffe abgelenkt. 1666-1673 wird noch an dem unvollendeten Turmpaar gearbeitet, das wie in Passau (S. J.) flache Walmdächer abschlossen. Der weitere Ausbau unterblieb.

Kuppel St. Lorenz

Nach Zuschreibung von H. Schnell fügte J.J. Herkommer, Füssen, 1704/05 die Rundkapellen an, denen 1748 die beiden flachen Erkerkapellen folgten. Erst am 12. Mai 1748 erlebte die Kirche ihre feierliche Weihe. Der jetzige stattliche, aber zu hohe Turmabschluss, der im Modell mit Hauben vorgesehen war, wurde 1900 von Baurat Hugo von Höfl entworfen. Das adelige Stift, das mit seinen fast 1.000 km² Besitz über 42.000 Einwohner zählte, die Neustadt Kempten, Marktflecken, 85 Dörfer, Weiler und Schlösser umfasste, war die reichste und bedeutendste Fürstabtei der vier reichsunmittelbaren Abteien des Allgäus.

1802 fiel es der Säkularisation zum Opfer. Das Kloster besaß in Abständen hervorragende Äbte, leuchtend im Rat der Könige, kunstsinnige Mäzene, Förderer des sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Abgesehen von den tüchtigen Äbten bis zum Jahr 1000 sei an die Fürstäbte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Aufhebung des Klosters erinnert: an Fürstabt Wolfgang von Grünenstein (gest. 1557), an Johann von Wolffurt (gest. 1639), an den kunstsinnigen Roman Giel von Gielsberg (gest. 1673), an den tatkräftigen Rupert von Bodmann (gest. 1728), an den Freund des Volkes Honorius Roth von Schreckenstein (gest. 1785). Äbte und Mönche zeichneten sich im allgemeinen aus durch Treue zum angestammten Glauben. Dass dem Allgäu der katholische Glaube erhalten blieb, ist hauptsächlich ein Verdienst des Stiftes Kempten und seiner Fürstäbte. Die Wirksamkeit des Stiftes beschränkte sich nicht auf Kempten allein; zahlreiche Kirchen wurden durch das Stift erbaut. Die größte Leistung auf kulturellem Gebiet blieb jedoch der bahnbrechende Bau der Abtei, Residenz genannt, der einer der bedeutendsten im 17. Jahrhundert war und im Rokoko prachtvolle Räume erhielt, sowie die Errichtung der Kirche, an der viele ihre besten Kräfte einsetzten.

Baumeister und Künstler

Michael Beer aus Au im Bregenzerwald in Vorarlberg ist 1651 -1653 in Kempten urkundlich nachweisbar beschäftigt, erbaute die Stiftskirche in Kreuzlingen, Schweiz, 1650/53, in Bludesch die Pfarrkirche, 1651 in Kempten den später veränderten nordwestlichen Flügel des Klosters, 1652/53 das Langhaus der Kirche, das Erdgeschoss der Türme und das Achteck im Chor. Spätestens im Frühjahr 1654 verlässt Beer aus unbekannten Gründen Kempten. Der Abt war ein sehr eigenwilliger, am Bauplan mitarbeitender Bauherr. 1657 erweitert Beer die Kirche in Rankweil, gibt Ratschläge für den Klosterbau in Schussenried, 1662 führt er den Haupttrakt des Schlosses Haigerloch in Hohenzollern auf, beginnt u. a. den Kirchenbau der Zisterzienserinnen in Rottenmünster bei Rottweil und den Bau der Kollegiengebäude der Jesuiten in Landsberg am Lech und in Ebersberg. Als er am 30. Mai 1666 heim reitet, reißt ihn die Ach in den Tod. Johann Serro, sein Nachfolger, aus Roveredo in Graubünden, erbaute die Peterskirche in Neuburg an der Donau (1641/45), arbeitete am dortigen Rathaus und Hl.-Geist-Spital, baute die Kirchtürme in Blindheim bei Höchstädt an der Donau und in Neuburg das Spital und St. Wolfgang. In Kempten 1654-1670 vollendet er die Kirche, erbaute die Residenz (ab 1654/56) fast ganz und 5 Häuser um den Kemptener-Stiftsplatz (ab 1663). Wie Michael Beer beschäftigte er Verwandte und Bekannte (Martin Barbieri, Johann Zuccalli, der die Kirche stukkierte, Ulrich Riggaia). Die Künstler der Ausstattung sind im folgenden genannt (mit Ausnahme der Brüder Abraham, David und Gg. Zürn, die 1663/70 genannt werden und wohl am Chorgestühl arbeiteten). Erwähnt werden Serros Stellvertreter August Duso (Duss), 1657 Stukkator Hans Gg. Khrazer, 1667 Maler Hans Ludwig Erdinger, ab 1682 der Wessobrunner Stuckator Anton Bader in Kempten, und im 18. Jh. Johann und Franz Jos. Bader und Anton Rauch.

Der Innenraum

Das fünfjochige Langhaus mit Westturmpaar (40,5 m lang) besitzt basilikalen Charakter, d. h. das eigens belichtete Mittelschiff ist höher (16,3 m) als die beiden niederen (6,8 m), interessant gestalteten Seitenschiffe mit Emporen. Der achteckige, ungefähr gleichbreite Chor weist eine kuppelartige Bekrönung auf. Der Raum ist von bezwingender Monumentalität. Der Ernst nach dem Dreißigjährigen Krieg führte hier einen Bau auf, der erfüllt von Ideen und kraftvoller Form ist. Der Liturge, der Reformator, der Mönch, der Pfarrherr, der in Italien geschulte Abt, der bewusst moderne, aber stammlich gebundene Baumeister, der schweizerische Bauberater: sie alle sprachen mit.

Das Mittelalter erbaute jeweils neben der Klosterkirche eine Pfarrkirche. Die einschiffige, romanische Kemptner Pfarrkirche St. Lorenz, die 1478 erweitert, 1634 aber zerstört worden war, wurde hier - wie in nur wenigen Fällen - mit der Stiftskirche vereint. Man erstrebte vor allem in den Pfarrkirchen einen Einheitsraum mit freiem Blick zum Hochaltar, der auch den Tabernakel trägt. Andererseits forderte das reformierte Mönchtum einen abgesonderten Raum für das Chorgebet. Diesen beiden Wünschen wird die Kemptner Lorenzkirche gerecht. Das Volk erhielt einen majestätischen Einheitsraum, dessen Seitenschiffe (die in St. Michael (München) fehlen) die beliebten Prozessionen ermöglichten.

Im achteckigen, in sich geschlossenen Chor, der zwei Seitenaltäre birgt, wurde das Chorgestühl für die Patres aufgestellt. Beide Parteien sehen in direkter Linie zum gleichen Altar, der beide Teile eint. Die Nebenaltäre für die Privatmessen der Stiftsherren sind mit Recht in den Abseiten errichtet. Jeder Teil, Mönchtum wie Volk, erblickte außer dem Hochaltar (am Choreingang bzw. im Chor) nur 2 Seitenaltäre, da der Barock jeweils die Dreizahl gleichgestalteter Altäre anstrebte.

So sehr durch den Tabernakelhochaltar Christus, der Weg, betont wurde, Zentralgeheimnis ist die damals viel verehrte Hl. Dreifaltigkeit, die auch hier am Hochaltar und in dem Gemälde der "Turmkuppel" dargestellt ist. Drei Treppenläufe und drei Portale (mit drei darüberliegenden Fenstern) führen in die Kirche, drei Stufen zum Hochaltar. Das Gotteshaus will bewusst nicht nur an den Opfertod Christi, sondern auch an den Himmel erinnern. Es ist für das in der katholischen Restauration führende Land Bayern charakteristisch, dass es in den Bauten seiner einheimischen Meister die Kuppel öfters nicht vor dem Chor anbrachte, um die liturgisch wichtigste Stelle zu betonen (Linie Hl. Kreuzkapelle bei St. Michael, München, Weilheim, Kempten).

Bedeutung

Der frühbarocke Kirchenbau des ältesten Klosters im Allgäu ist in verschiedener Hinsicht eine Leistung hohen Ranges. Noch inmitten der Bedrängnisse des Dreißigjährigen Krieges begann der 29-jährige Abt Giel von Gielsberg die Vorbereitungen zum Kirchenbau. Den neuen Salzburger Dom (mit Westturmpaar und Kuppel) entwarf 1606 der Italiener Scamozzi. Zum ersten großen Kirchenbau nach dem Dreißigjährigen Kriege wurde von Kempten der Deutsche Michael Beer gerufen. Eigene Kraft schuf ein so selbständiges Werk, dass es Serro, der seine Veränderungen zum Teil nach St. Michael in München (Seitenkapellen, Tonne) ausrichtete, im Kern nicht antasten konnte. Weingartens und Ottobeurens großartige Kirchen zehren von ihr, auch die Auer Zunft, deren Stammvater Michael Beer viele Gesellen ausbildete. Er brachte als Erster über den Seitenschiffen Emporen mit Deckenfresken an und brach bei einem großen Bau mit der (in Italien üblichen) ganz durchlaufenden Gebälklinie, die er nur, wie später seine Schule, akzentweise benutzte. Wie verbunden er der Zeit, dem Deutschtum und seiner Heimat war, zeigt die ähnliche Emporenanlage in Weihenlinden/Obb., die ab 1653 ein Dientzenhofer schuf. Johann Dientzenhofer empfing nicht nur in Italien, sondern auch in Kempten Anregungen für die Gestaltung der Seitenschiffe seines Domes in Fulda (sog. Travee-System; der Abt von Fulda, Kardinal Bernhard Gustav von Baden-Durlach, war auch Abt in Kempten von 1673-1677). Ein ähnlicher achteckiger Turmschacht entstand 1659 in der Portiunkulakirche in Miesbach/Obb. (vgl. auch Burgkapelle in Kissing/Obb., 1681). Das Prinzip des Achtecks und der Zentralisierung wirkt aber vor allem bei dem Vorarlberger Kaspar Moosbrugger nach. Die stilgeschichtliche Bedeutung der Stiftskirche wurde in zunehmendem Maße erkannt. In stammlicher Hinsicht ist bemerkenswert, dass beim Aufbruch deutscher Kunst das bayerische Schwaben die nahen alemannischen Vorarlberger rief, die auch in der verwandtschaftlichen Schweiz wirkten. Die Führung in der Kunst lag damals bei der katholischen Kirche. Abt Roman Giel von Gielsberg, Ihrer Majestät der Römischen Kaiserin Erzmarschall, forderte von seinen Untertanen Einsatz. Aber diese Opfer schufen das Große, von dem viele leben. Er war ein eigenwilliger Reformator, auch ein großer Kunstförderer. Diese Aufgeschlossenheit wirkt sich in seinem Bau aus, dessen Bedeutung auf nationalem, kunstgeschichtlichem und vor allem aber auch liturgiegeschichtlichem Gebiet liegt. Pfarr- und Klosterkirche wurden hier ideenstark vereint. Die Kanzel sollte, um ein Beispiel herauszugreifen, in jeder Klosterkirche ausnahmsweise gegenüber dem Abt auf der Epistelseite angebracht werden. In der Pfarrkirche steht sie wie immer auf der Evangelienseite. Außerhalb Österreichs wurde hier erstmals auch ein klares theologisches Programm - bis zu den Inschriften im Langhaus - beispielgebend vorgelegt.

Trotz der Erforschung des Barocks in unserer Zeit wurde angenommen, die Vorarlberger Bauschule beginne erst um 1680. Aber ihr erstes bedeutendes Werk ist Kempten St. Lorenz. Nicht Hans Georg Asams Fresken in Benediktbeuern (ab 1683) sind die ersten großen Deckengemälde nach dem 30-jährigen Krieg: ca. 30 Jahre vorher wurde St. Lorenz so reich ausgemalt, dass der Stuck vor allem im Langhaus zurückweichen muss. Bei dieser Fülle bedeutender Leistungen seien Einzelwerke wie das Astkreuz (um 1350), der kreuztragende Christus von Jörg Lederer, die seltenen Scagliolaarbeiten im Chor, das fein gemalte Schutzengelbild von A. Wolf, die monumentalen, prächtigen Gemälde im Chorraum und die flüssigen Rokokoarbeiten von J. F. Oblher und Verhelst besonders hervorgehoben. 1969 verlieh Papst Paul VI. der Kemptener Pfarrkirche den Ehrentitel Basilica minor.

Patrozinium

Fest des heiligen Lorenz, 10. August.

Nebenpatrone:

Weblinks

47.72833333333310.3116666666677Koordinaten: 47° 43′ 42″ N, 10° 18′ 42″ O


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