- Philanthropinum Dessau
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51.83814112.245621Koordinaten: 51° 50′ 17″ N, 12° 14′ 44″ O
Philanthropinum (auch Philanthropin) (von griechisch φιλος (Freund) und ανθροπος (Mensch)) ist der Name einer Schule des 18. Jahrhunderts sowie eines heutigen Gymnasiums in Dessau.
Inhaltsverzeichnis
Das historische Philanthropinum
Das Philanthropinum in Dessau bestand von 1774 bis 1793 und war die wichtigste Anstalt der pädagogischen Richtung des Philanthropismus.
Es wurde von Johann Bernhard Basedow (1724-1790) zusammen mit Christian Heinrich Wolke (1741-1825) gegründet und am 27. Dezember 1774 im Rautenstockschen Haus[1] am Neumarkt eröffnet.[2][3] Ursprünglich war die Schule als Ausbildungsstätte für Pädagogen gedacht, wurde jedoch ein Erziehungs- und Bildungsinstitut für Söhne des Adels und wohlhabender Bürger, an welchem mit neuen Lehrmethoden gearbeitet wurde, die in ganz Europa Beachtung fanden.[2]
Das Philanthropinum wurde, neben Basedow und Wolke, geprägt von pädagogischen Reformern wie Ernst Christian Trapp (1745-1818), dem ersten Professor der Pädagogik, und Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811). Von 1779 bis 1787 wirkte August Friedrich Wilhelm Crome (1753-1833) an der Schule. Der Philologe und Künstler Carl Wilhelm Kolbe der Ältere (1759-1835) war von 1780 bis 1782 Lehrer für Französisch und von 1784 bis 1793 für Französisch und Kunst am Philanthropinum.[4] Basedow und Wolke versuchten, Johann Peter Hundeiker (1751-1836) an das Philanthropinum zu engagieren, dieser übernahm jedoch 1775 zunächst das Kaufmannsgeschäft seines verstorbenen Vaters. Im Jahr 1804 gründete Hundeiker eine eigene Schule nach dem Dessauer Vorbild, das Philanthropin in Vechelde bei Braunschweig.
Basedow konnte den bedeutendsten deutschen Grafiker der damaligen Zeit, Daniel Chodowiecki (1726-1801) gewinnen, um ein Schulbuch anzufertigen, wobei Basedow und Wolke Themen und teilweise auch Motive vorgaben. Chodowiecki erstellt eine große Zahl an Bildtafeln selbst und überwachte die Arbeit weiterer Kupferstecher. Das entstandene Elementarwerk wurde Vorbild für illustrierte pädagogische Literatur.[2][5]
1776 trat Basedow als Leiter der Einrichtung zurück, da er seine Ziele nicht verwirklicht sah. Darüber hinaus war er offenbar nicht in der Lage, das Lehrerkollegium zusammenzuhalten und adäquat zu leiten. Nachfolger Basedows wurde Joachim Heinrich Campe (1746-1818), der jedoch nach Streitigkeiten bereits 1777 Dessau wieder verließ.[3] Nach Campe wurde die Schule von einem Direktorium geleitet.
1777 wurden der Schule von Fürst Franz Teile des Palais Dietrich zur Verfügung gestellt. Von 1780 bis 1793 nutzte die Schule das gesamte Palais.[3]
Der Zugang zum Philanthropinum war weder an eine Konfession noch an einen Stand gebunden. Adelstitel wurden nicht verwendet. Aufgenommen wurden jedoch ausschließlich Jungen. Die Gleichheit der Schüler wurde nach außen durch einheitliche Kleidung und Kurzhaarfrisur sichtbar.[2]
Zu den ersten drei Schülern gehörte Erbprinz Friedrich von Anhalt-Dessau (1769-1814). Den höchsten Stand an Schülern hatte das Philanthropinum mit 53 Kindern 1782/83, üblicherweise aus Familien mit aufgeklärten Eltern, wovon einige sogar aus West-, Nord- und Osteuropa kamen. Der bürgerliche Schüleranteil machte dabei während des Bestehens der Einrichtung etwa zwei Drittel der Belegschaft aus. Nach 1785 war die Schule jedoch fast eine reine Adelsschule.[2]
Der Unterricht am Philanthropinum war lebenspraktisch orientiert und beinhaltete moderne Sprachen und Naturwissenschaften, sowie Fächer, die körperliche Tätigkeiten umfassten, wie Sport (Gymnastik) und handwerkliche Arbeiten, welche erstmalig in der deutschen Bildungsgeschichte als Unterrichtsfächer eine tragende Rolle spielten.[2]
Obwohl die Schulgründung damals in ganz Europa großes Aufsehen erregte, fand eine Reform der Schulen in Anhalt-Dessau nicht statt. Dabei waren die Reaktionen durchaus kontrovers, überwiegend jedoch anerkennend. Für Immanuel Kant ging vom Philanthropin eine Revolution des Erziehungswesens und sogar eine „Reform des bürgerlichen Wesens“ aus. Johann Gottfried Herder dagegen meinte, dass er „Basedow keine Kälber zu erziehen geben würde, geschweige den Menschen“.[2] Erst mit der Rückkehr des Theologen Carl Gottfried Neuendorf, welcher bereits früher am Philanthropinum gelehrt hatte, fanden grundlegende Änderungen und Neuerungen gegen viele Widerstände statt. Es wurde die Schulpflicht und ein Schulgelderlass eingeführt, sowie eine Trennung von Schule und Kirche werden durchgesetzt.[6]
1793 wurde das Philanthropinum geschlossen, nachdem die Zahl der Schüler stark abgenommen, die Spannungen im Kollegium zum Weggang vieler Lehrer geführt sowie finanzielle und organisatorische Probleme sich verschärft hatten. Das Konzept der Schule wurde jedoch zum Vorbild einer Vielzahl ähnlicher Einrichtungen. Allein in Deutschland wurden über 60 Schulen der „Menschenfreunde” gegründet. Weitere derartige Einrichtungen gab es in Frankreich, der Schweiz, Russland und Nordamerika.[2]
Der Nachlass des Philanthropinums wird in der Anhaltischen Landesbücherei Dessau verwahrt.
Das heutige Gymnasium Philanthropinum
1945 wurde das Dessauer Hauptmann-Loeper-Gymnasium in Goethe-Oberschule III umbenannt. Gymnasien gab es nicht mehr. Die Schule zog im Juli 1945 in das alte Palais Dietrich, welches bereits das historische Philanthropinum beherbergt hatte. Erster Direktor der Schule wurde Dr. Karl Schulze-Wollgast. Unter seiner Leitung begann dort am 1. Oktober 1945 für 142 Schüler und acht Lehrer der Unterricht. Ab 10. April 1947 durfte die Schule den Namen Philanthropinum tragen, mit dem an progressive Traditionen der Basedowschen Anstalt angeknüpft werden sollte.[7]
Aufgrund steigender Schülerzahlen zog das Philanthropinum zuerst 1950 in einen Teil der Oberschule VII in der Mauerstraße und, seit 1959 Erweiterte Oberschule “Philanthropinum”, 1961 in das Gebäude der ehemaligen Städtischen Handels-Realschule in der Friedrich-Naumann-Straße um. Dort wurde der Unterricht gemeinsam mit den Schülern der EOS “Rosa Luxemburg” durchgeführt bis letztlich 1968 beide Schulen unter dem Namen Erweiterte Oberschule “Philanthropinum” zusammengeschlossen wurden.[7] Im Gebäude war viele Jahre auch die Volkshochschule Dessau untergebracht.
Nach der politischen Wende wurde das Philanthropinum wieder zum Gymnasium und das Gebäude umfassend saniert. Nach Fusionen mit anderen Gymnasien werden heute mehr als 1000 Schüler von über 100 Lehrern und Gastlehrern unterrichtet.[7]
Literatur
- Daniel Schmidt: Der pädagogische Staat: die Geburt der staatlichen Schule aus dem Geist der Aufklärung. Nomos, Baden-Baden 2000, ISBN 3-7890-6774-1.
- R. Küster, G. Glock: Palais Dietrich in Dessau. Bausanierung, 1997. (online)
- Christa Tietz: Carl Gottfried Neuendorf (1750-1798) Schulreformer im fürstlichen Auftrag – Zeit, Leben, Wirken. Dessauer Kalender 2009, ISSN 0420-1264
- Erhard Hirsch: Das meiste neue pädagogische Licht ist von Dessau ausgegangen. Zum 275. Geburtstag Basedows und 225. Gründungstag des Dessauer Philanthropins. In: Jörn Garber (Hrsg.): „Die Stammutter aller guten Schulen“ Das Dessauer Philanthropinum und der deutsche Philanthropismus 1774-1793. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-484-81035-8. (Teilansicht)
- Simone Hornung: Johann Bernhard Basedow und sein Philanthropin in Dessau. Grin Verlag, 2007, ISBN 978-3-638-79515-9.
- Michael Niedermeier: Das Gartenreich Dessau-Wörlitz als kulturelles und literarisches Zentrum um 1780. In: Dessau-Wörlitz-Beiträge. Zwischen Wörlitz und Mosigkau. Schriftenreihe zur Geschichte der Stadt Dessau und Umgebung. 44, Dessau 1995.
Weblinks
Commons: Philanthropinum (Dessau) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Philanthropinum Dessau (Homepage des heutigen Dessauer Gymnasiums)
Einzelnachweise
- ↑ im Zweiten Weltkrieg 1945 zerstört
- ↑ a b c d e f g h Das Philanthropin und andere pädagogische Aktivitäten in Anhalt-Dessau. Zeitstrahl, Bildungsserver Sachsen-Anhalt (online)
- ↑ a b c Philanthropinum Dessau. Nachlass und Drucke. 3125 Blatt Nachlass und 160 Bände Druckschriften mit 56.000 Seiten auf 498 Mikrofiches in Kassette. 1999, ISBN 3-89131-358-6, Informationen online
- ↑ Michael Niedermeier: Philanthrop und Patriot: Kolbe als politischer (Sprach-)Lehrer. In: Norbert Michels (Hrsg.): Carl Wilhelm Kolbe. Künstler, Philologe, Patriot. Katalog zur Ausstellung. Dessau/Zürich/Paderborn. Dessau/Petersberg (Imhoff) 2009, ISBN 978-3-86568-517-9, S. 133-149.
- ↑ Christoph Danelzik-Brüggemann: Mit Bildern lernen. Die Dessauer Philanthropen und die Entstehung des illustrierten Schulbuches. In: mittendrin - Sachsen-Anhalt in der Geschichte. Katalog zur Ausstellung. Dessau 1998.
- ↑ Vater Franz, der Erschaffer der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft
- ↑ a b c 60 Jahre Philanthropinum Dessau
Kategorien:- Bauwerk in Dessau-Roßlau
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