Pierre Corneille

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Pierre Corneille

Pierre Corneille (* 6. Juni 1606 in Rouen; † 1. Oktober 1684 in Paris) war ein französischer Autor, der vor allem als Dramatiker aktiv war. Im europäischen Maßstab gesehen gehört er mit seinem gesamten Schaffen dem Zeitalter des Barock an. Den Franzosen gilt er neben Molière und Jean Racine als einer der Großen des Theaters ihrer Klassik.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Schaffen

Pierre Corneille

Jugend und literarische Anfänge

Corneille wuchs auf als erstes von sechs Kindern eines wohlhabenden königlichen Jagd- und Fischereiaufsehers in Rouen, wo er auch das Jesuitenkolleg besuchte und anschließend Jura studierte. Mit 18 erhielt er die Zulassung als Anwalt im Praktikantenstatus am Parlement von Rouen, dem höchsten Gericht der Normandie. Als er 22 war (1628), kaufte ihm sein Vater zwei kleinere Richterämter, davon eines am Parlement.

Sein eigentlicher Ehrgeiz galt jedoch früh dem Verfassen von Gedichten (auch auf Lateinisch) und von Stücken. Als 1629 der bekannte Schauspieler Mondory mit seiner Wandertruppe in Rouen gastierte, bot Corneille ihm seine spätestens im Vorjahr, vielleicht schon 1625 verfasste Komödie Mélite an. Sie wurde im Winter 1629/30 mit Erfolg in Paris inszeniert und half Mondory, sich dort mit einem neuen Theater zu etablieren, dem Théâtre du Marais.

In den folgenden Jahren schrieb Corneille für das Marais zahlreiche weitere Stücke. Das erste hiervon war die Tragikomödie Clitandre, Ou l’innocence persécutée (C, oder die verfolgte Unschuld, 1631), worin er sich zum ersten Mal, wenngleich nur vage, auf aktuelle Zeitereignisse bezieht, nämlich den Prozess gegen den Anti-Richelieu-Verschwörer Marillac. Clitandre war auch das erste Stück, das er drucken ließ, wobei er unter dem Titel Mélanges poétiques eine Auswahl seiner bis dahin verfassten Gedichte anhängte. Es folgten die Komödien La Veuve (=Die Witwe, 1633), La Galerie du Palais (=Der große Saal des [Justiz-]Palastes, 1634), La Suivante (=Die Gesellschafterin, 1634) und La Place Royale (=Der Königsplatz [der heute Place des Vosges heißt], 1634). Diese frühen Stücke gelten heute als zwar weniger bedeutende Jugendwerke, wirkten damals aber neuartig, denn sie schienen trotz ihrer konventionellen Aufmachung die zeitgenössische Gesellschaft zu spiegeln und spielten meist auch explizit in Paris. Entsprechend hatten sie passablen bis guten, La Galerie sogar sehr guten Erfolg und verschafften Corneille früh den Status eines anerkannten Autors.

1633 betätigte er sich erstmals als Panegyriker, ein heute wenig bekannter Aspekt seines Schaffens: Im Auftrag des Bischofs von Rouen verfasste er ein Begrüßungs- und Lobgedicht anlässlich eines Besuchs von König Ludwig XIII. und Richelieus.

1634, nach dem großen Erfolg der Tragödie Sophonisbe von Jean Mairet, versuchte sich auch Corneille, vorerst wenig überzeugend, in dieser Gattung mit Médée (Medea, aufgeführt 1635), seinem ersten Stück mit einem Stoff aus der Antike.

Der Weg nach oben

Zwar lebte er nach wie vor in Rouen, wo er auch seine Ämter ausübte, doch hatte er bei seinen häufigen Paris-Besuchen Kontakt zu Literatenkreisen und Salons erhalten, u.a. dem der Marquise de Rambouillet. Als geistreicher Unterhalter galt er dort zwar nicht und auch effektvoll aus seinen Stücken vorzulesen lag ihm wenig, doch schätzte man die Gedichte, die er zu diesem oder jenem geselligen Anlass beisteuerte.

1635 wurde er mit der jährlichen „Pension“ von 1500 Francs (von der eine bescheidene Person samt einem Domestiken hätte leben können) Mitglied einer Gruppe von fünf Autoren im Dienst des allmächtigen Kardinal-Ministers Richelieu, der das Theater für seine politischen Zwecke einzuspannen versuchte. Nach zwei im Team verfassten Stücken stellte Corneille seine Mitarbeit ein, bezog die Pension aber weiter bis zu Richelieus Tod (1642).

Ebenfalls ab 1635 befasste er sich offenbar mit spanischer Literatur. Ein Grund war sicher, dass sein Konkurrent und Kollege Jean Rotrou kurz zuvor begonnen hatte, spanische Stücke für das französische Theater umzuschreiben. Ein anderes Motiv war vielleicht, dass Spanien auch politisch aktuell war, nachdem Frankreich sich soeben in den Dreißigjährigen Krieg eingeschaltet hatte und es mit spanischen Truppen zu tun bekam, die von den spanischen Niederlanden her eindrangen.

Im Winter 35/36 brachte Corneille, erneut sehr erfolgreich, L'Illusion comique heraus, eine Komödie, in der er das beliebte barocke Motiv des Theaters im Theater verarbeitet und zugleich, ganz im Sinne seines Dienstherrn Richelieu, für die Aufwertung des Schauspielerberufes wirbt. Innerhalb einer eher märchenhaften Rahmenhandlung spielen in L’Illusion weitere, erst am Ende als bloßes Theater erkennbare Handlungen (worin u.a. der prahlerische, aber feige spanische Haudegen Matamoro die von ihm umworbene Frau an einen Clindor verliert, der sich en passant als Franzose erweist). L’Illusion ist das letzte Stück, in dem Corneille die Lehre von den drei Einheiten (des Ortes, der Zeit und der Handlung) ignoriert, die in Pariser Literatenkreisen gerade lebhaft diskutiert wurde.

Der Durchbruch mit Le Cid

Nachdem im Sommer 1636 die Spanier, vom jetzigen Belgien kommend, die Grenz- und Festungsstadt Corbie erobert, aber nach langem Ringen wieder verloren hatten, stellte Corneille im Spätherbst eine Tragikomödie fertig, die Bezüge auf diesen Kampf zu enthalten scheint: Le Cid. Die Aufführung des Stücks gegen Ende des Jahres war sein eigentlicher Durchbruch und zugleich der Beginn der hohen Zeit des Theaters der Klassik. Die Handlung des Cid spielt im 11. Jahrhundert in Spanien und beruht auf der des Stücks Las Mocedades del Cid (=die jugendlichen Heldentaten des Cid [d.h. des mittelalterlichen spanischen Nationalhelden]) von Guillen de Castro (1618). Sie zeigt die Konflikte des verlobten adeligen Paares Rodrigue und Chimène: Rodrigue muss, den Geboten der Familienehre gehorchend, den Vater seiner Verlobten zum Duell fordern, weil der seinen eigenen schon ältlichen Vater beleidigt hat; Chimène dagegen muss, nachdem Rodrigue ihren Vater in dem Duell tödlich verletzt hat, beim König die Todesstrafe gegen ihn fordern. Rodrigue wird jedoch nach einigem Hin und Her vom König im Sinne der Staatsräson begnadigt und aufs Neue mit Chimène verlobt, weil er sich inzwischen um das Vaterland verdient gemacht hat, indem er als Feldherr das Heer der Mauren vor Sevilla geschlagen hat. Die Entscheidung des Königs wird allerdings auch als menschlich richtig bestätigt, dadurch dass Chimène sich zu ihrer Liebe bekennt, als sie einen Augenblick lang irrtümlich annimmt, ein von ihr akzeptierter Fürkämpfer, der seinerseits Rodrigue zum Duell gefordert hat, habe ihn besiegt und getötet.

Le Cid war eines der größten Ereignisse der französischen Theatergeschichte. Der Erfolg war so spektakulär, dass Ludwig XIII. den Vater von Corneille umgehend in den Adelsstand erhob, womit der Sohn als schon adelig geboren galt. Mehrere Nachahmer beeilten sich, die Handlung mit eigenen Stücken fortzusetzen (z.B. Le Mariage du Cid oder La Mort du Cid). Allerdings traten rasch auch Neider und Mäkler auf den Plan, darunter z.B. die Dramatiker-Rivalen Georges Scudéry und Jean Mairet, die Corneille vordergründig mit dem Argument attackierten, er habe die Regeln der „bienséance“ (Anstand, Sittsamkeit) verletzt, sein Vorbild schamlos plagiiert und zudem die drei Einheiten – vor allem die des Ortes und der Zeit – nicht korrekt beachtet, die inzwischen als obligatorisch galten. Als Corneille Anfang 1637 selbstbewusst mit einer ironischen kleinen Schrift, der Excuse à Ariste (=Entschuldigung gegenüber A.), reagierte, löste er eine heftige Kontroverse aus, die „querelle du Cid“, in die sich weitere Literaten pro und contra mit Pamphleten einmischten (von denen ca. 35 erhalten sind). Der monatelange Streit endete mit dem Eingreifen Richelieus, den zwar die positive Darstellung des wiederholt von ihm verbotenen Duells unter Adeligen verärgert hatte, dem jedoch das Lob der Staatsräson gefallen musste. Er beauftragte die junge Académie Française, ein offizielles Urteil abzugeben, das überwiegend von Jean Chapelain verfasst wurde und zwar negativ, aber versöhnlich ausfiel.

Während das Publikum weiter den Cid beklatschte, der auch auf Dauer das meistgespielte Stück Corneilles blieb, zog sich dieser verunsichert nach Rouen zurück. Hier versuchte er 1638 vergeblich, eine Doppelbesetzung seiner Ämter zu verhindern, die eine Halbierung seiner Einkünfte aus ihnen bedeutete und damit auch ihren Wiederverkaufswert verminderte.

Die großen Tragödien

Erst 1640, inmitten aufstandsähnlicher Wirren in Rouen, die von kriegsbedingten Steuererhöhungen ausgelöst worden waren und schließlich von Truppen niedergeschlagen wurden, schrieb er ein nächstes Stück: die im frühen Rom spielende Tragödie Horace (Horatius). Sie zeigt, dass zwar zwischenmenschliche Bindungen, etwa unter Gatten und Geschwistern, ein hoher Wert sind, dass jedoch der Nutzen und der Ruhm des Vaterlandes Vorrang haben und ein Herrscher deshalb einen um den Staat verdienten Gesetzesbrecher, hier einen Schwestermörder im Affekt, amnestieren darf. Corneille beachtete diesmal (wie auch in Zukunft) die drei Einheiten peinlich genau und widmete die Druckfassung des Werkes Richelieu, der es nach einer Privataufführung für gut befunden hatte.

Anfang 1641 schloss er Cinna, ou la clémence [Milde, Nachsicht] d’Auguste ab, ein Stück um eine Verschwörung republikanischer römischer Patrizier gegen Kaiser Augustus und dessen großmütige, aber auch politisch kluge Vergebung, als er das Komplott entdeckt. Die Handlung spiegelt sichtlich die zeitgenössischen Intrigen hochstehender Adeliger, insbesondere die der Herzogin de Chevreuse, gegen Richelieu und dessen Politik des zentralistischen Absolutismus.

Horace und Cinna waren sehr erfolgreich, und das letztere Stück, das als das formal gelungenste des Autors gilt, wurde nach dem Cid auch sein meistgespieltes. Dennoch stockte hiernach seine Produktion. 1641 heiratete er die elf Jahre jüngere Richterstochter Marie de Lampérière, mit der er vier Söhne und zwei Töchter haben sollte. 1642 übernahm er beim Tod seines Vaters dessen Haus und die Vormundschaft für zwei noch unmündige Geschwister, u.a. den 19 Jahre jüngeren Bruder Thomas, den späteren Dramatiker.

Erst Anfang 1643 kam er mit einem neuen Stück heraus, Polyeucte martyr (=P. der Märtyrer), einer um 250 in Armenien spielenden „christlichen Tragödie“. Sie wurde ein Erfolg beim Publikum, vor allem dank der eingebauten Liebesgeschichte, der Klerus allerdings tadelte die Profanierung eines religiösen Stoffs durch die Darstellung auf der Bühne.

Ebenfalls 1643 schaffte es Corneille mit einem Lobgedicht, die Gunst von Kardinal Mazarin, dem Nachfolger Richelieus, zu erlangen und von ihm eine jährliche Pension von 1000 Francs zu erhalten.

Nach dem Polyeucte ließ Corneille eine ganze Serie von Stücken folgen, in denen er den mit Le Cid, Horace und Cinna eingeschlagenen Weg weiterverfolgte und sich ein bestimmtes Image erwarb. Denn die Handlungen, die sämtlich auf historischen Stoffen beruhen, weisen in der Regel einen verdeckten Bezug zur aktuellen politischen Realität auf und kreisen um hochgestellte Personen, die den Konflikt zwischen Neigung oder Leidenschaft und Pflicht zugunsten der Letzteren lösen, insbesondere im Sinne der Staatsräson, aber auch der Ethik von René Descartes. Die wichtigsten Titel bis 1648 sind La Mort de Pompée (=Der Tod des Pompeius, 1643), Rodogune, princesse des Parthes (=R., die Parther-Fürstin, 1644), Héraclius (1647). Die einzigen Komödien in der Serie sind Le Menteur (Der Lügner, 1643) und La Suite [Fortsetzung] du Menteur (1644). Die erfolgreiche erstere gilt als die erste Charakter-Komödie vor Molière und wichtiges Vorbild für diesen. Die Tragödie Andromède, die Corneille 1647 auf Bestellung Mazarins verfasste, die jedoch wegen widriger Umstände erst 1650 zur Aufführung kam, war sein erstes Stück mit Gesangseinlagen und dem Einsatz von Maschinen.

1647 wurde Corneille in die Académie Française aufgenommen. Nachdem er schon 1644 einen ersten Sammelband seiner Stücke veröffentlicht hatte, brachte er 1648 einen zweiten heraus. Er schien nun bestens etabliert.

Die Zeit der Fronde

Hiernach jedoch wurde auch er erfasst von den Wirren der antiabsolutistischen Aufstände der sog. Fronde (1648-52) gegen Königin Anna, die für ihren noch unmündigen Sohn Ludwig XIV. die Regentschaft ausübte, und vor allem gegen Mazarin, der die absolutistische Politik seines Vorgängers Richelieu fortsetzte. So geriet 1649 der vom Publikum zunächst gut aufgenommene Dom Sanche d’Aragon letztlich zum Misserfolg, weil der Fürst Condé, der ranghöchste Mitanführer der Frondeure, die gerade Paris beherrschten, das Stück als Huldigung an Mazarin verstand und den Daumen senkte.

Im Gegenzug sah sich Corneille Anfang 1650 von Mazarin nach dessen vorläufigem Sieg belohnt, dadurch dass er das hochrangige Amt des Anwaltes der Ständeversammlung der Normandie am Parlement von Rouen erhielt, dessen Inhaber, ein Frondeur, abgesetzt worden war. Hiernach konnte er seine beiden bisherigen, kleineren Ämter verkaufen.

Dennoch scheint er sich innerlich bald von Mazarin gelöst zu haben, denn sichtlich huldigte er noch 1650 mit Nicomède dem Fürsten Condé, der gefangen genommen worden und zu einer Art antiabsolutistischen Lichtgestalt mutiert war. Er musste jedoch erleben, dass Condé nach seiner Freilassung 1651 endgültig unterlag und dass daraufhin Pertharite, ein Stück um einen vom Thron verdrängten König, in Paris durchfiel, weil das Thema obsolet geworden war nach der siegreichen Rückkehr des jungen Ludwig XIV. und der Königinmutter in die Hauptstadt.

Corneille, der überdies sein neues Amt an den inzwischen amnestierten und wieder eingesetzten Vorgänger hatte zurückgeben müssen, zog sich enttäuscht ins Private zurück. In dieser Zeit der Frustration arbeitete er vor allem an einer Versübertragung der Imitatio Christi des Thomas a Kempis. Sie erschien von 1652 bis 1654 in drei Bänden unter dem Titel L’Imitation de Jesu-Christ (Die Nachahmung von J. Chr.), brachte ihm viel Anerkennung ein und wurde mehrfach neu aufgelegt. Auch dieser Aspekt, dass Corneille sich des Öfteren als religiöser Autor betätigte, ist wenig bekannt.

Ein neuer Anfang in Paris

Erst 1658 beendete er seine innere Emigration. Ein Faktor war zweifellos, dass im Sommerhalbjahr die Wandertruppe von Molière längere Zeit in Rouen gastierte und dort einige Stücke auch Corneilles spielte. Hierdurch kam dieser mit der Truppe in Kontakt und verliebte sich in die junge Schauspielerin Marquise du Parc . Als die Truppe im Herbst nach Paris weiterzog, hatte er einen zusätzlichen Grund, dem schon längeren Zureden seines Bruders Thomas zu folgen, der 1656 eine eigene Dramatiker-Karriere in der Hauptstadt gestartet hatte. Auch lockte ihn die Gunst des als Groß-Mäzen agierenden Finanzministers Nicolas Fouquet, der ihm eine Pension von 2000 Francs aussetzte. Er reiste nun wieder häufig nach Paris und bewegte sich, von dem gesellschaftlich geschickteren Thomas lanciert und flankiert, als anerkannter Autor und galanter Lyriker in dem Kreis um Fouquet sowie in anderen Salons. Auch versuchte er sich bald wieder als Dramatiker, indem er auf einen Vorschlag Fouquets die Tragödie Œdipe (Ödipus) verfasste. Die Aufführung Anfang 1659 durch die Truppe Molières und mit der Du Parc als Jocaste wurde zwar ein mondänes Ereignis, doch schien es manchen, als habe Corneille nachgelassen.

Das nächste Stück folgte 1660: die Tragödie La Toison d’or (=Das Goldene Vlies), die im Auftrag eines reichen Adeligen entstand und mit aufwendigen Maschinen im Sommer auf dessen normannischem Schloss und im Winter in Paris aufgeführt wurde. Im selben Jahr brachte Corneille eine neue Gesamtausgabe seiner Stücke heraus, nun in schon drei Bänden. Hierbei eröffnete er jeden Band mit einem Discours [=Abhandlung] sur la poésie dramatique und ließ die beflissen-pompösen Widmungsadressen fort, die er den früheren Einzelausgaben der Stücke jeweils vorangestellt hatte, nun aber offenbar für unter seiner Würde hielt.

Den Sturz Fouquets, der 1661 verhaftet und wegen Bereicherung im Amt verurteilt wurde, überlebte er unbeschadet. Er fand rasch einen neuen Gönner in Herzog Henri de Guise, von dem er und Thomas (der eine Schwester seiner Frau geheiratet hatte) 1662 sogar samt ihren Familien im Guise’schen Stadtpalast aufgenommen wurden. Nach der Übersiedelung von Rouen nach Paris lebten die Brüder Corneille übrigens für immer hier, meistens, wie schon in der Heimatstadt, im selben Haus.

Der langsame Niedergang ohne Abstieg

Als 1663 der neue Minister Colbert eine Liste von Autoren zusammenstellte, die von ihm selbst und seinem jungen König als einer Pension würdig erachtetet wurden und von denen man im Gegenzug regimefreundliche und panegyrische Texte erwartete, kam auch Corneille darauf mit erfreulichen 2000 Francs. Er entsprach den in ihn gesetzten Erwartungen sogleich mit einem Remerciement [=Dank] présenté au Roi en 1663 und tat es auch in der Folgezeit recht häufig. So bat er z.B. schon 1664 den König mit einem Sonett um die Neuausstellung seines Adelsbriefes, der zusammen mit Hunderten anderer durch einen Erlass Colberts kassiert worden war. Später ersuchte er ihn poetisch um Förderung der Karrieren seiner älteren Söhne (eines Geistlichen und zweier Offiziere).

Mit dem passabel erfolgreichen Œdipe und dem vielbestaunten Maschinenstück La Toison d’or (Das Goldene Vlies) hatte Corneille seine Arbeit als Dramatiker voll wieder aufgenommen. Wie vorher schrieb er vor allem Tragödien mit Stoffen aus der älteren, meist römischen Geschichte (Sertorius, 1661/62; Sophonisbe, 1662; Othon, 1664; Agésilas, 1665/66; Attila, 1666/67). Insgesamt jedoch bevorzugte er nun, seinen inzwischen sehr erfolgreichen Bruder Thomas imitierend, eher romaneske Handlungen. Hiermit versuchte er, dem Publikumsgeschmack entgegenzukommen, der sich stark verändert hatte nach dem Sieg Mazarins und des Absolutismus, aber auch aufgrund der Aufbruchstimmung, die das politikmüde Frankreich erfasste nach dem Ende des Krieges mit Spanien (1659) und dem Beginn der Alleinherrschaft des jungen Ludwigs XIV. (1661) sowie der erfolgreichen Wirtschaftspolitik Colberts. Die Stücke wurden sämtlich aufgeführt (zum Teil von der Truppe Molières, die seit 1659 ständig in der Hauptstadt spielte) und sie hatten stets auch einen gewissen Erfolg, doch trafen sie nicht mehr den Nerv der Zeit. Sichtlich fehlte ihnen weitgehend jener Bezug zur politischen Realität, der die Stücke ausgezeichnet hatte, die in den bewegten Zeiten vor und während der Fronde entstanden waren. Darüber hinaus litten sie bald auch unter dem Vergleich mit denen des jüngeren Rivalen Jean Racine, der ab 1665 die Pariser Bühne zu beherrschen und den Geschmack zu bestimmen begann.

1667 betätigte sich Corneille wiederum als Panegyriker, indem er den im August siegreich aus dem Devolutionskrieg heimkehrenden Ludwig XIV. mit dem Lobgedicht Au Roi sur son retour de Flandre begrüßte und ihm etwas später mit dem Langgedicht Les victoires du Roi en 1667 huldigte.

Als Ende 1667 Racine mit der Tragödie Andromaque sich endgültig durchsetzte, war Corneille so frustriert, dass er an einen gänzlichen Rückzug vom Theater dachte. In dieser Situation schrieb er 1669 erneut ein langes frommes Werk, das Office de la Vierge traduit en français, tant en vers qu’en prose, par P. Corneille, avec les sept psaumes pénitentiaux, les vêpres et complies du dimanche et tous les hymnes du breviaire romain. Es kam Anfang 70 im Druck heraus mit einer Widmung an die Königin Marie-Thérèse. Anders als die Imitation von 1652-1654 fand das Office jedoch kaum Beachtung und erlebte keine Neuauflage.

Die letzten Jahre

Ende 1670 versuchte Corneille, gedrängt von alten Freunden und Bewunderern sowie auch von Feinden und Neidern Racines, ein neuerliches Comeback mit der „comédie héroïque“ Tite et Bérénice. Allerdings brachte der inzwischen selbstbewusste Racine zur selben Zeit das themengleiche Stück Bérénice heraus, das vom Publikum als das deutlich bessere bewertet wurde.

Corneille schrieb dennoch drei weitere Stücke, die aber, ohne völlig erfolglos zu sein, keinen größeren Anklang mehr fanden: Psyché (1670/71), Pulchérie (1671/72) und Suréna, général des Parthes (1674). Eine Sonderstellung hierbei nimmt die „Ballett-Tragödie“ Psyché ein, deren Plan und erster Akt von Molière stammten, während die letzten drei Viertel von Corneille verfasst wurden. Als bestes Werk seiner gesamten Spätzeit gilt heute das letzte, die Tragödie Suréna

Seinen hohen Status in der Literatenszene und in der Pariser Gesellschaft konnte Corneille bis zum Ende seines Lebens wahren, u.a. dank dem Geschick und dem Einfluss seines immer loyalen Bruders und dank dem Kollegen Jean Donneau de Visé, der in seiner 1672 gegründeten Zeitschrift Le Mercure Galant treu zu ihm stand. Darüber hinaus erhielt er häufig Lob von Feinden und Neidern Racines, die diesen so zu kränken versuchten.

In Pariser Adelskreisen und am Hof behielt er ebenfalls seine Bewunderer, und gewogen blieb ihm auch König Ludwig, dem er 1672 das lange Lobgedicht Les victoires du Roi sur les États de Hollande en l'année 1672 (=Die Siege des Königs über die holländischen Staaten im Jahr 1672) widmete. 1675 und 76 hatte er die Genugtuung, dass Ludwig am Hof vier bzw. sechs ältere Stücke von ihm aufführen ließ.

Die gelegentlich zu findende Angabe, Corneille sei im Alter verarmt, trifft nicht zu.

Nach seinem Tod wurde sein Sessel in der Académie Française, deren Sitzungen er stets gewissenhaft besucht hatte, an seinen Bruder Thomas vergeben. Ex-Rivale Jean Racine hielt eine Laudatio auf ihn.

Nachwirkung

Corneille hat mit seinen rund 35 Stücken praktisch alle Dramatiker neben und direkt nach ihm beeinflusst, insbesondere Racine; aber auch für die nachfolgenden Autorengenerationen blieb er ein wichtiges Vorbild, z. B. für Voltaire. Entsprechend galt und gilt er bis heute als einer der größten französischen Dramatiker und als größter Tragöde neben Racine (der trotz seines deutlich schmaleren Gesamtwerks gern als der etwas Größere erachtet wird). Aufgrund seines Erfolgs in Frankreich selbst wurden Stücke Corneilles schon zu seinen Lebzeiten in Übertragungen auch von deutschen Theatertruppen gespielt. Sein Bruder Thomas, der zeitweise sogar erfolgreicher war als er, ist dagegen seit langem in der Versenkung verschwunden.

Werke

(Die Benennungen der Stücke als „tragédie“, „comédie“ oder „tragi-comédie“ sind die Corneilles selbst. Sie entsprechen nicht immer der heutigen Definition der Begriffe. Die Jahreszahlen sind die der Entstehungszeit.)

  • Mélite (comédie), 1625 ?, Auff. 1629
  • Clitandre (tragi-comédie, später in tragédie umbenannt), 1630/31
  • La Veuve, Ou le Traitre trahi (comédie), 1631/32
  • La Galerie du Palais (comédie), 1632/33
  • La Place Royale (comédie), 1634
  • Médée (tragédie), 1635[1]
  • L'Illusion comique (comédie), 1636
  • Le Cid (tragi-comédie, später in tragédie umbenannt), 1636/1637 [2]
  • Horace (tragédie), 1640
  • Cinna ou la clémence d´Auguste (tragédie), 1641[2]
  • Polyeucte (tragédie), 1643
  • La Mort de Pompée (tragédie), 1641/42
  • Le Menteur (comédie), 1643
  • La Suite du Menteur (comédie), 1643
  • Rodogune (tragédie), 1644 Neuauflage: Rodogune. Gallimard-Jeunesse, ISBN 978-2070419463. E-Book: Rodogune, Princesse des Parthes. Phonereader, ISBN 2-84854-580-6 (formal falsche ISBN) (phonereader.eu). Deutsch: Rodogune. Rowohlt Theaterverlag (übersetzt von Christian Ruzicska, Albert Lang) (rowohlt-theaterverlag.de). – Tragödie über die Partherprinzessin Rhodogune und ihren Kampf mit der syrischen Königin Kleopatra Thea Euergetes um deren Söhne Seleukos Philometor und Antiochos Grypos.[3] Spielt auf die Regentschaft Annas von Österreich 1643–1651 an und auf die politischen Kontrahenten dieser Zeit, den Fürsten Condé und Prinz Gaston d’Orléans.[4]
  • Théodore (=Theodora, tragédie chrétienne), 1645
  • Héraclius (tragédie), 1646
  • Andromède (tragédie), 1647, Auff. 1650
  • Don Sanche d’Aragon (comédie héroïque), 1649
  • Nicomède (tragédie), 1650
  • Pertharite (tragédie), 1651
  • Œdipe (tragédie), 1658/59
  • Trois Discours sur la poésie dramatique, 1660
  • La Toison d'or (tragédie), 1660 (mit aufwendigen Maschinerien inszeniert)
  • Sertorius (tragédie), 1662
  • Othon (tragédie), 1664
  • Agésilas (tragédie), 1666
  • Attila (tragédie), 1667
  • Tite et Bérénice (comédie héroïque), 1670
  • Psyché, 1671 (Plan und Anfang dieser "Ballett-Tagödie" sind von Molière.)
  • Pulchérie (comédie heroïque), 1672
  • Les victoires du Roi sur les États de Hollande en l'année 1672, 1672
  • Suréna (tragédie), 1674

Literatur

  • Georges Couton: Corneille et la tragédie politique. Paris 1985 (Reihe „Que sais-je?“)
  • Georges Forestier: Essai de génétique théâtrale: Corneille à l'oeuvre. Klincksieck, Paris 1996, ISBN 2-252-03059-3
  • Angela S. Goulet: L'univers théâtral de Corneille: paradoxe et subtilité héroïques. Cambridge, Mass. 1978, ISBN 0-674-92928-4
  • Astrid Grewe: „Vertu“ im Sprachgebrauch Corneilles und seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geistes- und Sozialgeschichte des französischen 17. Jahrhunderts. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1999, ISBN 3-8253-0885-5
  • Klaus Heitmann: Das französische Theater des 16. und 17. Jh., in: Klaus von See (Hrsg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bde. 9/10. Frankfurt 1972; zu Corneille vgl. S. 278-289
  • Erich Köhler, Vorlesungen zur Geschichte der französischen Literatur. Vorklassik. Stuttgart: Kohlhammer, 1983 (S. 117-189) (Eine vorzügliche Darstellung Corneilles!)
  • Wolfgang Mittag: Individuum und Staat im dramatischen Werk Pierre Corneilles. Diss. Münster 1976
  • Ralf Nestmeyer: Französische Dichter und ihre Häuser. Insel Verlag, Frankfurt 2005. ISBN 3-458-34793-3
  • A. Ritter: Bibliographie zu Corneille. 1958-1983, Erftstadt 1983
  • Franziska Sick: Theater – Illusion – Publikum. Aspekte des Barock in Frankreich. In: Maler, Miguel, Schwaderer (Hrsg.): Theater und Publikum im europäischen Barock (2002). S. 77–94. ISBN 3-631-38846-2.
  • Horst Turk: Theater und Drama - theoretische Konzepte von Corneille bis Dürrenmatt, Narr, Tübingen 1992, ISBN 3-87808-388-2

Weblinks

 Commons: Pierre Corneille – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Pierre Corneille „Medea“, Deutsche Erstaufführung 1992, Berlin (Regie und Übersetzung: Christian Bertram)
  2. a b Henning Krauß, Till R. Kuhnle, Hanspeter Plocher (Hrsg.): 17. Jahrhundert. Theater. Stauffenburg, Tübingen 2003, ISBN 3-86057-902-9 (Einzelbeiträge zu Le Cid, Cinna und Tite et Bérénice)
  3. Gervais E. Reed: Visual Imagery and Christian Humanism in Rodogune. In: The Frech Review. 63, Nr. 3, Februar 1990, S. 464 (Webfacsimile, jstor.org).
  4. Michael Wenzel: Heldinnengalerie – Schönheitengalerie. Studien zu Genese und Funktion weiblicher Bildnisgalerien 1470–1715. Dissertation Philosophischhistorische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg, Anmerkung 259, S. 86 (Webdokument. Abgerufen am 6. Januar 2009 (ps).).

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