- Plattform für eine Welt ohne Rassismus
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Die Plattform für eine Welt ohne Rassismus ist eine antirassistische Aktionsplattform, die sich im Mai 1999 nach dem gewaltsamen Tod des Nigerianers Marcus Omofuma in Wien gründete und sich im Herbst 2003 auflöste. Die Plattform wurde von linken Organisationen und Parteien, Initiativen aus dem Menschenrechtsbereich sowie Gruppen aus der Wiener African Community getragen.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Der Tod Marcus Omofumas
Am 1. Mai 1999 wurde Marcus Omofuma bei einer Zwangsabschiebung von drei Beamten der österreichischen Fremdenpolizei getötet. Sie hatten Marcus Omofuma während des Abschiebefluges mit der bulgarischen Fluglinie Balkan Air gefesselt, geknebelt, verschnürt und schließlich ersticken lassen.
Noch am selben Abend kam es zu spontanen Protesten in Wien. Wenige Tage später gründete sich die "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" um dem Rassismus in der Gesellschaft, dem Abschiebekonsens und Übergriffen des Staates und seiner Institutionen auf Menschen, die keinen Platz in der Konstruktion des nationalen "Wir" haben, breiten Widerstand entgegenzusetzen.
Richard Ibekwe stirbt in Polizeigewahrsam
Als in der Nacht vom 3. auf 4. Mai 2000 der 26 jährige Richard Ibekwe im Gefängnis starb - einige Tage, nachdem er verhaftet wurde - versuchte die Plattform Aufklärung über die genauen Todesumstände zu erlangen. Laut Polizeiangaben starb er an Suchtgiftmissbrauch - nach vier Tagen in Haft.
Gruppen in der Plattform
Gegründet hat sich die Plattform als ein Bündnis antirassistischer Initiativen und Einzelpersonen. Die zu dieser Zeit bestehende Kampagne "kein mensch ist illegal" stellte der Plattform anfangs ihre Kontakte und Ressourcen zur Verfügung. Das Spektrum der beteiligten Gruppen in der Anfangszeit reichte von linken Gruppen über Initiativen aus dem Menschenrechtsbereich bis zu Gruppen aus der Wiener African Community - das Spektrum war anfangs weit gestreut. Unter dieser Beteiligung organisierte die Plattform die ersten beiden Demonstrationen nach der fahrlässigen Tötung an Marcus Omofuma. Bei diesen Aktionen am 8. und am 12. Mai 1999 wurde der Rücktritt des damaligen SPÖ-Innenministers Karl Schlögl, des damaligen Generaldirektors für die öffentliche Sicherheit Michael Sika und des Sektionschefs im Innenministerium Manfred Matzka als verantwortliche Politiker gefordert. Ein weiterer Slogan von der Demo am 12. Mai 1999 vor dem Abschiebegefängnis Roßauer Lände: "Appell an alle Schubhäfn: löst euch auf".
Operation Spring
Am 27. Mai 1999 kam es zur "Operation Spring", der größten Polizeiaktion in der zweiten Republik. Bei dieser Razzia wurden 104 Menschen, zum allergrößten Teil Afrikaner verhaftet. Auch der aus Nigeria stammende Literat und politische Aktivist Obiora C-Ik Ofoedu wurde im Zuge der "Operation Spring" verhaftet. Charles Ofoedu war Teil der "Plattform für eine Welt ohne Rassismus". Nach seiner Enthaftung, nachdem er drei Monate in U-Haft verbringen musste, arbeitete er weiter in der Plattform. Ofoedu wurde im Jahr 2000 rechtskräftig wegen Geldwäsche - er hatte für Landsleute Geld überwiesen, das aus Drogenhandel stammte - verurteilt und für drei Monate in Schubhaft genommen, nachdem die Fremdenpolizei ein 10-jähriges Aufenthaltsverbot verhängt hatte. Seine Erlebnisse mit der österreichischen Justiz verarbeitete er im Buch "Morgengrauen". Den Vorwurf, Ofoedu sei der Kopf eines international agierenden Drogenrings, musste die Justiz fallen lassen. Schon unmittelbar nach seiner Verhaftung herrschte in der Plattform die Meinung, dass Charles aus politischen Gründen zum Drogenboss konstruiert werden sollte. Ofoedu lebt auch sechs Jahre nach Rechtskraft eines Aufenthaltsverbotes für den gesamten Schengenraum in Österreich.
Aktionen
1999
Im Sommer 1999 wurde vor dem Innenministerium in Wien eine 100tägige Mahnwache zur Erinnerung an den Tod von Marcus Omofuma und zur Thematisierung der "Operation Spring" durchgeführt, die nach Ansicht der Wächter rassistisch motiviert war.
Auf politischer Ebene arbeitete die "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" in erster Linie gegen Schubhaft und Deportationen. Es wurde jedoch auch versucht, nicht nur gegen das, was die Plattform als "Staatsrassismus" bezeichnet, (Gesetzgebung, Entwicklung der Festung Europa etc.) vorzugehen, sondern auch den ihrer Meinung nach herrschenden rassistischen Konsens der österreichischen Gesellschaft anzugreifen. Im Herbst 1999 und Januar 2000 fanden im zweiten Wiener Gemeindebezirk Demonstrationen zur Abschaffung der Schubhaft statt.
2000
Dann kam der Schwarz/Blaue Regierungswechsel im Februar 2000. Es kam zu groß angelegten Demonstrationen gegen diese Koalition. Am 6. April 2000 organisierte die Plattform auf dem Flughafen Wien Schwechat, einem neuralgischen Punkt des europäischen Grenzregimes und der Zwangsdeportationen, eine Aktion. Flugpersonal und Passagiere wurden per Flugblatt aufgefordert, nicht tatenlos zuzusehen, wenn Menschen zwangsdeportiert werden, sondern aktiv einzugreifen und sich gegen diese von einem Teil der Österreicher, als rassistisch eingestufte Maßnahmen zu stellen. Es wurden Beispiele und Hilfestellungen gegeben, mit welchen Mitteln einzugreifen wäre. Weiters wurden in einem Flugblatt einige Todesfälle bei Abschiebungen aus EU-Staaten in den letzten Jahren dokumentiert.
Am 1. Mai 2000 wurde beim Maiaufmarsch der SPÖ ein 10 x 10 Meter großes Bild mit dem Kopf von Marcus Omofuma enthüllt. Auf dem Transparent stand über dem Bild von Omofuma zu lesen: SPÖ prepared the ground; darunter: Racism kills - Stop Deportations. Mit dieser Aktion wollte die Plattform ihre Kritik an der Sozialdemokratie zum Ausdruck bringen, deren Spitzenfunktionäre und Anhänger sich zur gleichen Zeit genau gegenüber am Wiener Rathausplatz zur traditionellen Feier des 1. Mai versammelt hatten.
2001
Auch am 1. Mai 2001 gab es eine Protestaktion während des Maiaufmarsch der SPÖ in Wien. Zudem wurde die die "Kampagne zur Errichtung eines Denkmals" für Marcus Omofuma ins Leben gerufen.
2002
2002 wurden Aktionen zum Maiaufmarsch der von den Wiener Behörden untersagt. Eine Aktion vor dem Burgtheater fand allerdings trotzdem statt. Ein "Denkmal für die von der Polizei getöteten" wurde enthüllt. Eine wichtige Aufgabe der „Plattform für eine Welt ohne Rassismus“ war die Beobachtung von Prozessen. So wurde der Prozess zum Tod von Imre B., die Verhandlung gegen die drei Fremdenpolizisten, die Marcus Omofuma töteten und die UVS-Verhandlung zum Tod von Seibane Wague beobachtet. Im Zuge der Prozessbeobachtung kames auch zu Protesten und Straßentheater-Aktionen vor den Gerichten.
Projekte
GEMMI
Aus einer Arbeitsgruppe der "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" zur Betreuung der Gefangenen der "Operation Spring" bildete sich bald die GEMMI (Gesellschaft für die Menschenrechte von Marginalisierten und MigrantInnen), mit der Aktionen zur Operation Spring stets gemeinsam durchgeführt wurden.
widerst@ndMUND
In der ersten Zeit der Demonstrationen gegen die FPÖ-ÖVP-Regierung entwickelte sich die Homepage der Plattform no-racism.net (oder illegalisiert.at) zu einem wichtigen Kommunikationsmedium. Auch der Medienunabhängige Nachrichtendienst (widerst@nd-MUND) wurde in dieser Periode entwickelt. Im März 2004 werden täglich 10-20 Nachrichtenmeldungen über den MUND verbreitet.
Noborder-Netzwerk
Seit Herbst 2000 beteiligte sich die "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" am internationalen Noborder-Netzwerk. Das noborder-Netzwerk wurde im Oktober 1999 im Rahmen des EU-Gipfels in Tampere (Finnland) gegründet. Ziel des Netzwerks ist die Koordinierung antirassistischer Aktivitäten in Europa und darüber hinaus. Viele antirassistische Grenzcamps der letzten Jahre wurde im Rahmen des Noborder-Netzwerks organisiert. Mittlerweile fanden derartige Camps zur Thematisierung von Grenzregime und Migrationspolitik in Spanien, Mexico, Deutschland, Rumänien, Polen, Frankreich, Italien, und Slowenien statt. Im Sommer 2002 fand das bisher größte dieser Camps in Strasbourg/Frankreich statt. Bis zu 3.000 Teilnehmer fanden sich dort ein um vor allem darauf aufmerksam zu machen, dass Strasbourg Sitz des Schengen Informationssystems, das von den Kritikern als ein Mittel zur Abschottung der EU nach außen gesehen wird, ist.
Hintergrund
Das österreichische System der Abschiebungen
In Österreich werden Abschiebungen grundsätzlich vom Innenministerium vorgenommen. Rein rechtlich müssen Fluggesellschaften Abschiebehäftlinge annehmen und sie auch transportieren. Sie haben kein Recht den Transport zu verweigern, lediglich das Recht den Passagier abzulehnen, wenn sein Verhalten die Sicherheit der Besatzung und Crew beeinträchtigt. Austrian, Lauda Air und Tyrolean befördern abzuschiebende Personen nur unter der Voraussetzung, dass sie von Exekutivbeamten bewacht werden.
Das Innenministerium hat mit dem Reisebüro Touropa Austria 1994 eine Vereinbarung über die zentrale Beschaffung von Flugtickets für abzuschiebende Personen getroffen. Touropa Austria bucht möglichst rasch einen Flug zum günstigsten Tarif.
Nach dem Tod von Marcus Omofuma am 1. Mai 1999 traten am 1. Juni 1999 neue "Richtlinien für die Organisation und Durchführung von Abschiebungen auf dem Luftweg" in Kraft. Nach diesen Richtlinien sollen so genannte "Problemabschiebungen" nur mehr mit Chartermaschinen durchgeführt werden. Europaweit gibt es Bestrebungen, gemeinsame Charterabschiebungen zu organisieren. In Österreich werden Charterabschiebungen mit Lear-Jets des Internationalen Flugrettungsdiensts Austria (IFRA) durchgeführt.
Das Innenministerium arbeitet nicht bevorzugt mit dem "national carrier" (den österreichischen Fluglinien) zusammen. Laut Angaben eines Sprechers des Innenministeriums funktioniert die Zusammenarbeit mit den österreichischen Fluglinien besonders gut, aber diese fliegen nicht genügend relevante Ziele an. Deshalb werden "möglichst direkte, kostengünstige Flüge" auf dem freien Markt gebucht.
IOM und ICMPD
Gemeinsam mit anderen internationalen Gruppen aus dem Noborder-Netzwerk versuchte die Plattform nicht nur die jeweils nationalen rassistischen Maßnahmen zu thematisieren, sondern auf internationale Organisationen hinzuweisen, deren Ziel ein weltweites Migrationsmanagement ist. So beispielsweise die International Organization for Migration. Die IOM wurde 1951 gegründet. Mit dieser Organisation sollte eine Gegeninstitution zum Hohen Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen (UNHCR) geschaffen werden. Die IOM begründet ihre Tätigkeit offiziell, anders als der UNHCR, nicht mit humanitären sondern wirtschaftsorientierten Prinzipien. Ihre grundlegende Politik richtet sich nicht nach dem Wohlergehen von Menschen, sondern nach Profitinteressen der Wirtschaft. Ihre Ideologie basiert auf Prinzipien von homogenen ethnischen Staaten und Konzepten von "Heimat".
Eine weitere Organisation, die sich der Regulierung von Migrationsströmen verschrieben hat ist das in Wien ansässige ICMPD (International Centre for Migration Policy Development). Das ICMPD wurde am 1. Juni 1993 zwischen der Schweiz, vertreten durch das Bundesamt für Flüchtlinge, und Österreich, vertreten durch das Innenministerium, gegründet. Das ICMPD ist eine multifunktionale Forschungsstelle deren Ausläufer bis in die Fakultäten von osteuropäischen Universitäten und in die internationalen Migrationswissenschaften reichen. Das Zentrum versuchte in den letzten Jahren die Migrationskontrolle mit "strategischen Beratungen" vor allem auf dem Balkan zu entwickeln.
Die oben genannten Organisationen ICMPD und IOM haben die Aufgabe Migrationsbewegungen in geregelte Bahnen zu lenken, zu kontrollieren und schließlich zu verhindern. Migrations-Management bedeutet Flüchtlingsströme und Fluchtrouten zu erfassen, auszuwerten und zu zerschlagen, Ausbildung von Grenzbeamten, technische Verstärkung des Grenz"schutzes", "Rückführung" von Flüchtlingen, Bereitstellung von Know-How für EU-Beitrittsländer in bezug auf Grenzüberwachung etc.
Aktuelle Entwicklungen
Zur Zeit (Stand März 2004) hält die "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" keine regelmäßigen Treffen ab. Bis zum Herbst 2003 fanden immer am Dienstag 17 Uhr in der Bürogemeinschaft Schottengasse die Plattform-Treffen statt. Einige Aktivisten der Plattform arbeiten an der Website no-racism.net weiter. Andere Plattformen wie die "Plattform Gerechtigkeit für Seibane Wague" haben sich gebildet. Die Zusammenarbeit mit dem Noborder-Netzwerk wird über die inhaltliche Auseinandersetzung auf no-racism.net und die Aktionen der Volxtheaterkarawane weitergeführt.
Literatur
- Obiora C-Ik Ofoedu: "Morgengrauen." Mandelbaum Verlag, ISBN 3-85476-033-7
- Verein für antirassistische Öffentlichkeitsarbeit/Gesellschaft für Menschenrechte von Marginalisierten und MigrantInnen: 1000 Jahre Haft - Operation Spring und institutioneller Rassismus. Resümee einer antirassistischen Gruppe. 2005 ISBN 3-200-00374-X - [1]
Links
- www.no-racism.net Für eine Welt ohne Rassismus
- Widerst@ndMUND
- http://www.noborder.org/
- Verein GEMMI
Wikimedia Foundation.