Prozess gegen Adolf Eichmann

Prozess gegen Adolf Eichmann

Als Eichmann-Prozess wird das Gerichtsverfahren gegen den wegen millionenfachen Mordes angeklagten ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann bezeichnet, das vor dem Jerusalemer Bezirksgericht zwischen dem 11. April und 15. Dezember 1961 stattfand. Das Urteil lautete auf Tod durch den Strang.

1961 fand der Prozess große internationale Aufmerksamkeit und er wird bis heute kontrovers diskutiert. Am bekanntesten sind vielleicht die in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangenen Äußerungen von Hannah Arendt geworden, die in ihrer Publikation zum Prozess Eichmann als Schreibtischtäter bezeichnete und von der Banalität des Bösen sprach.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Eichmanns Rolle im Nationalsozialismus

Adolf Eichmann trat schon 1932 in die österreichische NSDAP ein, die den Anschluss an das Deutsche Reich forderte, entschied sich also bewusst für die nationalsozialistische Politik. Nach dem misslungenen Putschversuch der österreichischen NSDAP floh er nach Deutschland, wo er 1936 in ein speziell für Juden zuständiges Referat versetzt und nach Gründung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) 1939 zum Leiter des „Umsiedlungsreferates“ wurde.

Ab 1941 trug dieses den Namen „Judenreferat“ mit der Bezeichnung IV B4. Von Eichmanns Büro aus wurden in den folgenden Jahren Befehle über die Deportation von Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager in ganz Europa gegeben. Eichmann selbst besuchte mehrfach diese Lager, zudem nahm er als Protokollführer an der Wannseekonferenz teil, in der über die „Endlösung“ der Judenfrage beraten wurde. Die Sprache seines Protokolls, das später der Staatsanwaltschaft in Jerusalem als Beweismittel diente, ist beispielhaft für seinen verharmlosend bürokratischen Stil.

Später gelang Eichmann nach Ende des Zweiten Weltkrieges entlang der so genannten Rattenlinie die Flucht nach Argentinien, wo er unter den Namen Otto Henninger und Ricardo Clement mit gefälschten Papieren lebte. Am 11. Mai 1960 wurde er in Buenos Aires von israelischen Agenten gefasst und nach Israel entführt, da es kein Auslieferungsabkommen zwischen Israel und Argentinien gab.

Der Prozess

Der Prozess gegen Adolf Eichmann vor dem Jerusalemer Bezirksgericht mit dem Aktenzeichen 40/61 begann am 11. April und endete am 15. Dezember 1961 mit dem Urteil: Tod durch den Strang. Da Eichmann und sein Anwalt Berufung einlegten, wurde das Urteil in zweiter Instanz am 29. Mai 1962 durch das Berufungsgericht bestätigt und schließlich am 1. Juni 1962 vollstreckt. Otto Adolf Eichmann war neben John Demjanjuk der einzige Nationalsozialist, der jemals in Israel vor Gericht gebracht wurde, und der einzige Mensch, der offiziell von der israelischen Justiz zum Tode verurteilt wurde. In der Regel sieht das Israelische Recht keine Todesstrafe vor. Eichmanns Körper wurde verbrannt und die Asche ins Mittelmeer gestreut, um zu verhindern, dass er in einem bestimmten Land beerdigt würde.

Die Anklage

Nach neunmonatigen Ermittlungen wurde die Anklage gegen Adolf Eichmann in 15 Punkten beim zuständigen Bezirksgericht in Jerusalem erhoben. Vorsitzende Richter waren Moshe Landau, Benjamin Halevi und Yitzhak Raveh. Hauptankläger war der Generalstaatsanwalt Gideon Hausner. Als Grundlage der Anklage dienten über 1500 Dokumente, es sagten 100 Zeugen aus, davon 90 Überlebende aus Konzentrationslagern.

Die 15 Anklagepunkte lassen sich in 4 Kategorien unterteilen:

  • Kategorie 1: Verbrechen gegen das jüdische Volk:
    • 1. Anklagepunkt: Verursachung des Todes von Millionen Juden durch Vernichtungslager, Einsatzgruppen, Arbeitslager, Konzentrierung und Massendeportation.
    • 2. Anklagepunkt: Schaffung von Lebensbedingungen für Millionen von Juden, durch die diese physisch vernichtet werden sollten.
    • 3. Anklagepunkt: Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden für Millionen von Juden in Europa.
    • 4. Anklagepunkt: Vorbereitung von Maßnahmen für die Sterilisation der Juden, um Geburten von Juden zu verhindern.
  • Kategorie 2: Verbrechen gegen die Menschlichkeit:
    • 5. Anklagepunkt: Verursachung der Ermordung, Vernichtung, Versklavung und Deportation der jüdischen Bevölkerung.
    • 6. Anklagepunkt: Verfolgung von Juden aus nationalen, rassischen, religiösen und politischen Motiven.
    • 7. Anklagepunkt: Durchführung der Ausplünderung von Juden durch unmenschliche Maßnahmen, einschließlich Raub, Zwang, Terror und Quälerei.
    • 9. Anklagepunkt: Deportation einer halbe Millionen Angehöriger der polnischen Zivilbevölkerung von ihren Wohnorten mit der Absicht, an ihrer Stelle Deutsche anzusiedeln.
    • 10. Anklagepunkt: Deportation von 14.000 Angehörigen der slowenischen Zivilbevölkerung von ihren Wohnorten mit der Absicht, an ihrer Stelle Deutsche anzusiedeln.
    • 11. Anklagepunkt: Deportation von Zehntausenden Sinti und Roma, sowie ihre Zusammentreibung, Transportierung und Ermordung in den Vernichtungslagern.
    • 12. Anklagepunkt: Deportation von ungefähr 100 Kindern aus der Zivilbevölkerung des Dorfes Lidice in der Tschechoslowakei und ihr Transport nach Polen zum Zwecke der Vernichtung.
  • Kategorie 3: Kriegsverbrechen:
    • 8. Anklagepunkt: Misshandlung, Deportation und Ermordung von Juden.

Die Verteidigung

Der deutsche Anwalt Robert Servatius, der bereits Angeklagte im Nürnberger Prozess verteidigt hatte, übernahm Eichmanns Verteidigung. Anlässlich des Prozesses wurde ein Gesetz erlassen, das ausländischen Anwälten den Zugang zu einem israelischen Gericht gewährte, da kein israelischer Anwalt bereit war, Eichmann zu verteidigen.

Eichmann selbst verteidigte sich während des gesamten Prozesses immer wieder mit der Begründung, er habe nur auf Befehle hin nach dem so genannten Führerprinzip gehandelt und sich somit nicht im juristischen Sinne schuldig gemacht. Auch sei er nie direkt an der Ermordung oder Deportation von Menschen beteiligt gewesen, sondern habe lediglich als „Rädchen im System“ Befehle weitergegeben.

Er fühlte sich unschuldig im Sinne der Anklage und erhob schließlich auch Widerspruch gegen das in erster Instanz gefällte Urteil. Zum anderen zweifelte er die Rechtsgrundlage des Prozesses und die Zuständigkeit des israelischen Gerichtes an (siehe Legitimation des Prozesses). Eichmann wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden.

Die Legitimation des Prozesses

Zu Beginn des Prozesses brachte Eichmanns Anwalt einige prozesshindernde Einwendungen vor. Unter anderem zweifelte er die Zuständigkeit des Gerichtes an, eine Frage, die, unabhängig von Eichmanns Schuld, bis heute in der öffentlichen Diskussion umstritten ist. Kritiker des Prozesses warfen der israelischen Justiz vor, sie sei als Vertreterin des jüdischen Volkes zu befangen, um einen objektiven Prozess zu gewährleisten. Folglich zweifeln sie bis heute an der Rechtsgrundlage des Eichmann-Prozesses.

Das Gericht hingegen berief sich auf das so genannte Weltrechtsprinzip als Grundlage für den Eichmann-Prozess. Nach diesem können Rechtsgrundverletzungen wie Völkermord auch von einem Gericht außerhalb des eigentlichen Tatbereichs geahndet werden – in diesem Fall dem Staat Israel.

Als Grundlage der Anklage und letztendlich der Verurteilung Eichmanns diente ein von Israel 1960 erlassenes “Nazi and Nazi Collaborators (Punishment) Law“ (NNCL). Dieses orientierte sich am Londoner Statut von 1945, das zur Durchführung der Nürnberger Prozesse eingerichtet worden war, und am „Criminal Code Ordiance“ (CCO) von 1936.

Die Anwendung und Legitimation eines solchen Weltrechtsprinzipes sollte sich in den nächsten Jahrzehnten mit der Stärkung des Internationalen Gerichtshofes durchsetzen.

Bis heute wird kritisiert, dass die Jüdische Gemeinschaft sich durch den Prozess gegen Adolf Eichmann eine exemplarische Sühne für den an 6 Millionen Juden begangenen Massenmord erhoffte. Nachdem die Nürnberger Prozesse von den Alliierten durchgeführt worden waren, war nun Israel selbst eines der Hauptverbrecher des Nationalsozialismus habhaft geworden. Doch die Hoffnung, mit dem Eichmann-Prozess zugleich einen Prozess gegen das NS-Regime führen zu können, trog.

Eichmann stellte sich weniger als überzeugter NS-Ideologe denn als unauffälliger Schreibtischtäter dar (siehe Hannah Arendt). Wenn auch seine schwere Schuld unumstritten war, so eignete sich der unscheinbare Adolf Eichmann wenig, um den Mord an 6 Millionen Juden zu erklären.

In einem Kasten aus Panzerglas vor Angriffen geschützt, zeigte er keinerlei Reue oder Schuldeingeständnis. Er gestand letztlich ein, dass es sich bei dem Judenmord um eines der schwersten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte handle, für das er selbst jedoch in keiner Weise verantwortlich sei. Er betonte immer wieder, nur auf Befehle anderer hin gehandelt zu haben. Hätte man ihn aufgefordert, selbst Morde zu begehen, wäre er auch diesem Befehl gefolgt.

Die Folgen des Prozesses

Rezeption im In- und Ausland

Der Prozess gegen Eichmann erregte internationales Aufsehen und wurde weltweit mit großem Interesse von den Medien verfolgt, insbesondere aber in Deutschland und Israel, da er die Schrecken der NS-Vergangenheit erneut ins Gedächtnis rief. Bis zu 38 Länder und 80% der damals möglichen Zuschauer verfolgten laut verantwortlichem Filmproduzent Milton Fruchtman den Prozess.

Zu Meinungsverschiedenheiten führte in der internationalen wie der israelischen Presse der Umstand, dass der Schauplatz des Prozesses ein umgebautes Theaterhaus war (Beit Ha´am, bedeutet soviel wie Gemeinschaftshaus) und seine mediale Inszenierung ungewöhnlich. Kritik provozierten zum Beispiel die Unterbringung Eichmanns in einem Glaskasten und die hinter Tüchern versteckten Kameras, die - im Gegensatz zu bis dahin üblicher Praxis - das Publikum das Geschehen im Saal live mitverfolgen ließen. Auch erfolgte die redaktionelle Auswahl der international ausgestrahlten Szenen durch eine einzige US-amerikanische Filmfirma (Capital Cities Broadcasting Corporation).

Die Bilder und Tonaufnahmen des Eichmann-Prozesses wurden zu Ikonen des Holocaust, viele Dokumentationen griffen in den folgenden Jahren auf die vom damaligen Filmteam ausgewählten Zooms, Ausschnitte und Perspektiven zurück. Der Eichmann-Prozess, seine Zitate und Bilder läuteten eine Wende in der deutschen Vergangenheitsbetrachtung ein, führte zu neuem Interesse und zum Ende der bis dahin vorherrschenden deutschen Vergessenheit in Bezug auf die Judenvernichtung.

Hannah Arendt

In ihrem Buch Eichmann in Jerusalem geht die jüdische Politologin Hannah Arendt auf den Prozess gegen Eichmann ein. Sie kritisiert das Vorgehen der israelischen Justiz, da sie ein internationales Tribunal bevorzugt hätte.

Bekannt wurde ihre Veröffentlichung von 1963 aber vor allen Dingen durch ihre Beurteilungen Eichmanns selbst, den sie, wenn auch als „größten Verbrecher seiner Zeit“, so dennoch als „Hanswurst“ beschreibt. Hier prägt sie den Begriff von der „Banalität des Bösen“, den ihr Buch zugleich als Untertitel trägt. Eichmann habe tatsächlich nur seine Karriere vorantreiben wollen und habe nach Befehlen gehandelt, ohne dabei besondere Zeichen von Antisemitismus zu zeigen. Er sei wie die meisten Nationalsozialisten ein völlig normaler Mensch gewesen, woraus viele Leser den Schluss zogen, jeder Mensch sei in entsprechenden Situationen zu solchen Gräueltaten bereit, was Arendt verneinte.

Sie stieß mit ihren Veröffentlichungen nicht nur in der jüdische Welt weitestgehend auf Ablehnung. Ihr Buch und ihre 1965 gehaltene Vorlesungsreihe Über das Böse sind bis heute Teil der internationalen Diskussion über den Prozess.

Literatur

  • Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen München 2006 ISBN 3-492-24822-5
  • Christina Große: Der Eichmann-Prozeß zwischen Recht und Politik Frankfurt 1995 ISBN 3631466730
  • Wolfgang Benz (u. a., Hrsg.) Enzyklopädie des Nationalsozialismus München 1998
  • Gideon Hausner: Gerechtigkeit in Jerusalem München 1967
  • Karl Jaspers zum Eichmann-Prozess. Ein Gespräch mit Luc Bondy, in: Der Monat Jg. 13. 1961, Heft 152, S. 15–19.
  • Peter Krause: Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse Frankfurt 2002 ISBN 3593370018 (siehe Weblinks)
  • F.A. Krummacher (Red.): Die Kontroverse. Hannah Arendt, Eichmann und die Juden München 1964
  • Hans Lamm: Der Eichmann-Prozeß in der deutschen öffentlichen Meinung. Eine Dokumentensammlung Frankfurt 1961
  • Jochen von Lang (Hg.): Das Eichmann-Protokoll. Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre Wien 1991
  • Avner W. Less (Hrsg.): Schuldig. Das Urteil gegen Adolf Eichmann Frankfurt 1987 ISBN 3-6100-8432-4
  • Harry Mulisch: Strafsache 40/61. Eine Reportage über den Eichmann-Prozess Berlin 1987 ISBN 3-7466-8016-6
  • Bernd Nellessen: Der Prozeß von Jerusalem. Ein Dokument Düsseldorf & Wien 1964
  • Moshe Pearlman: Die Festnahme des Adolf Eichmann (aus dem Englischen von Margaret Carroux & Lis Leonard The Capture of A. E.) Frankfurt 1961 (249 Seiten; zitiert in Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem, Penguin, 1994, p. 235)
  • Dov B.Schmorak (Hg.): Sieben sagen aus. Zeugen im Eichmann-Prozeß Einleitung Peter Schier-Gribowoski, Berlin 1962
  • dsb. (Hg.): Der Eichmann-Prozeß. Dargestellt an Hand der in Nürnberg und in Jerusalem vorgelegten Dokumente und Gerichtsprotokolle Wien u. a. 1964
  • State of Israel, Ministry of Justice (Hg.): The trial of Adolf Eichmann. Record of proceedings in the District Court of Jerusalem mehrbändiges Werk, Jerusalem 1992–1995
  • Heinrich Senfft: Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ im Licht der Goldhagen-Debatte Bern u.a. 1997
  • Barry Sharpe: Modesty and arrogance in judgement. Hannah Arendt's Eichmann in Jerusalem Westport, Conn. 1999 ISBN 0-275-96403-5
  • Gary Smith (Hg.): Hannah Arendt revisited. „Eichmann in Jerusalem“ und die Folgen Frankfurt am Main 2000 ISBN 3-518-12135-9
  • Christian Volk: Urteilen in dunklen Zeiten. Eine neue Lesart von H. Arendts „Banalität des Bösen“ Berlin 2005 ISBN 3-936872-54-6

Weblinks

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