Reformarchitektur

Reformarchitektur
Entwurf für ein Schulgebäude in Arnsdorf bei Dresden im Stil der Reformarchitektur, 1911

Die Reformarchitektur, auch Reformbaukunst, wandte sich Anfang des 20. Jahrhunderts gegen den historistischen Eklektizismus, indem sie versuchte, sachliche und schlichte Formen in die Architektur einzuführen. Die Reformarchitektur wurde nach dessen Gründung wesentlich vom Deutschen Werkbund vorangetragen.

Inhaltsverzeichnis

Ursprünge

Die Reformbewegung ging von England aus, wo der Kunsthistoriker und Schriftsteller John Ruskin (1819-1900) als erster die Reformvorstellungen formulierte. Für die Architektur forderte er die Wiederbelebung des „geliebten und bewunderten Mittelalters“.[1] Seine Ideale waren „Einfachheit und Natürlichkeit im Bilden und Empfinden, Aufrichtigkeit in der tektonischen Gestaltung, für die im Zweck, im Material und in der Konstruktion die Bedingungen zu suchen sind, Betonung des Werkmäßigen, Charakteristischen, Bodenwüchsigen, Zusammenfassen von Kunstschaffen und Naturbeobachtung.“[1] Ruskins Theorien fanden ihre erstmalige praktische Ausführung bei William Morris, der 1861 die Kunstgewerbe-Firma Morris, Marshall & Falkner, den Ausgangspunkt der gesamten Reformbewegung, gegründet hatte.[2]

Morris formulierte einen Großteil der Ziele, die später in der Satzung des Deutschen Werkbundes Aufnahme fanden:

„Dieses Ziel ist die Demokratie der Kunst, die Veredlung der täglichen und gemeinsamen Arbeit, durch die eines Tages Hoffnung und Freude an die Stelle von Furcht und Pein treten werden. Hoffnung und Freude werden es sein, die die Welt in Gang halten“.[3]

Und:

„Irgendwann wird dies unsere unsere Vision so antreiben, dass sie den langsamen Lauf der Zeit überholt. Dann wird jener siegreiche Tag hereinbrechen, an dem Millionen derer, die heute in Dunkelheit sitzen, erleuchtet sein werden von einer Kunst, hergestellt durch das Volk und für das Volk, zur Freude derer, die sie machen, und derer, die sie benutzen.“[3]

Merkmale

Merkmale der Reformbaukunst ist die gesteigerte und schlichte Monumentalität. Man wollte keinen direkten Stilverweis wie im Historismus, sondern eine unbestimmte Assoziation mit dem zitierenden Stil. Die klassischen Ordnungen des Historismus wurden abgelehnt. Bevorzugt wurde eine frei gegliederte Baumasse. Reduzierte Formen und rustizierte Oberflächen waren weitere Kennzeichen. Die Reformbaukunst wurde auch von der Heimatschutzarchitektur beeinflusst, um sich vom Internationalismus des Historismus abzugrenzen. So war die solide handwerkliche Ausarbeitung des Heimatstils und seine funktionale Gestaltungsweise auch für die Reformbaukunst wichtig. Dabei spielte in der Reformbaukunst ebenso wie im Heimatschutzstil die lokale Bautradition eine wichtige Rolle. Im Wohnhausbau wollte man eine Vereinfachung und Versachlichung. Stile innerhalb der Reformbaukunst sind:[4]

Bauwerke

Eingangsgebäude zum Alten Elbtunnel in Hamburg

In Dresden gelten als Beispiele der Reformarchitektur:

Ein Beispiel in Senftenberg ist die Gartenstadt Marga.

In Hamburg zählen speziell Verkehrsbauwerke wie die St. Pauli-Landungsbrücken (1907 bis 1909) und Anlagen der Hamburger Hochbahn als Beispiele der Reformarchitektur.

In Essen wurde das ab 1908 neu angelegte Moltkeviertel durchgängig im Stil der Reformarchitektur bebaut.

Bauwerke wie das Mannesmann-Haus in Düsseldorf (1911 bis 1912 erbaut) oder das Ernemann-Werk in Dresden nehmen Merkmale der späteren Neuen Sachlichkeit vorweg.

Rezeption

Ein Gebäude der Reformbaukunst wird exemplarisch wie folgt beschrieben.

Das ehemalige Landgerichtsgebäude am Münchner Platz (in Dresden) aus den Jahren 1902–1907 von Oskar Kramer ist kein Bau des Jugendstils, eher des Materialstils, wie der Monumentalkunst. Der Bau gehörte der „neuen Bauauffassung“ an, historisierende Motive frei assoziierend, aber anders als die streng historisierende Architektur. […]

Helas/Peltz[5]

Bekannte Architekten

Bekannte Vertreter der Reformarchitektur waren

Einzelnachweise

  1. a b Hermann Muthesius: Das Englische Haus, Band 1; Berlin 1904
  2. Nils Aschenbeck: Heinz Stoffregen 1897-1929 - Architekt zwischen Tradition und Avantgarde; Vieweg 1990, ISBN 3-528-08746-3
  3. a b William Morris: Wie wir leben und wie wir leben könnten - Vier Essays; Hg: Hans Christian Kirsch, Köln, 1983
  4. Hübner et al., S. 8
  5. Helas/Peltz, S. 26 Bildnr. 22

Literatur

  • Julius Posener: Die Architektur der Reform (1900–1924). (= Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur, Teil II.) in: arch+ 1980, Heft 5 (September 1980).
  • Vittorio Magnago Lampugnani, Romana Schneider (Hrsg.): Moderne Architektur in Deutschland. Reform und Tradition. Hatje, Stuttgart 1992, ISBN 3-7757-0363-2.
  • Ulrich Hübner et al.: Symbol und Wahrhaftigkeit. Reformbaukunst in Dresden. Verlag der Kunst Dresden, Husum 2005, ISBN 978-3-86530-068-3.
  • Volker Helas, Gudrun Peltz: Jugendstilarchitektur in Dresden. KNOP Verlag für Architektur – Fotografie – Kunst, Dresden 1999, ISBN 3-934363-00-8.

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