Rose Ausländer

Rose Ausländer
Rose Ausländer, 1914

Rose Ausländer (* 11. Mai 1901 in Czernowitz, Österreich-Ungarn; † 3. Januar 1988 in Düsseldorf; geborene Rosalie Beatrice Scherzer) war eine aus der Bukowina stammende deutsch- und englischsprachige Lyrikerin. Sie lebte in den USA, in Rumänien und Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Rose Ausländers Vater Sigmund Scherzer stammte aus der streng orthodoxen, von Chassidismus und Mystik des Ostjudentums geprägten Stadt Sadagora, bekannte sich aber zum Freidenkertum. Er war Prokurist in einer Import-Export-Firma in Czernowitz, wo er seine Frau Etie Rifke Binder kennenlernte. Rose Ausländer wuchs in einem weltoffenen, liberal-jüdischen, auch kaisertreuen Elternhaus auf, in dem die wichtigsten Regeln der jüdischen Tradition bewahrt wurden.

Rose Scherzer lebte in Czernowitz, bis ihre Familie 1916 vor der nahen österreichisch-russischen Front im Ersten Weltkrieg nach Budapest auswich. Von dort zog sie mit ihren Eltern weiter nach Wien, wo sie 1919 / 1920 die einjährige Germinal-Handelsschule der Wiener Kaufmannschaft absolvierte. Als sie 1920 in das nun rumänische Czernowitz / Cernăuţi zurückkehrte, trat sie eine Stelle in einer Rechtsanwaltskanzlei an und studierte nebenbei als Gasthörerin Literatur und Philosophie an der Czernowitzer Universität, brach das Studium aber im selben Jahr nach dem Tod des Vaters wieder ab. In Czernowitz nahm sie am "Ethischen Seminar" des Friedrich Kettner teil, eines praktisch-philosophisch orientierten Seminars in welchem v.a. Constantin Brunner, Spinoza, Platon und die Bibel rezipiert wurden.

Gemeinsam mit ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer verließ sie 1921 auf Anraten der Mutter die Bukowina und wanderte in die USA aus. Hier war sie unter anderem Buchhalterin beim Westlichen Herold und begann mit dem Schreiben. In dem von ihr bis 1927 redigierten Amerika-Herold-Kalender erschienen ihre ersten Gedichte. Am 19. Oktober 1923 heiratete sie Ausländer in New York, wo sie als Bankangestellte arbeitete, ließ sich aber bereits 1926 wieder scheiden. Im selben Jahr erhielt sie auch die Staatsbürgerschaft der USA.

1927 kehrte sie für acht Monate in die Bukowina zurück, um ihre erkrankte Mutter zu pflegen, und lernte den Kulturjournalisten und Graphologen Helios Hecht kennen. Das Paar ging 1928 nach New York; Rose Ausländer veröffentlichte in den nächsten Jahren erstmals eine Reihe von Gedichten und Feuilletons in deutschsprachigen Zeitungen der Vereinigten Staaten.

1931 kehrte das Paar nach Czernowitz zurück. Rose Ausländer veröffentlichte Gedichte und Aufsätze in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien, übersetzte aus dem Jiddischen und Englischen, gab Englischunterricht und arbeitete als Lebensberaterin für die Zeitung Der Tag. 1934 trennte sie sich von Hecht. Da sie mehr als drei Jahre nicht mehr in den USA gewesen war, wurde ihr 1937 die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt. Sie arbeitete als Fremdsprachenkorrespondentin für eine Chemiefabrik in Bukarest.

1939 erschien durch die Vermittlung von Alfred Margul-Sperber ihr erster Gedichtband Der Regenbogen, der zwar von der Kritik gelobt wurde, aber beim Publikum durchfiel. Von Freunden in den USA gedrängt, wegen der bedrohlichen politischen Situation nach New York zurückzukehren, wanderte sie 1939 ein zweites Mal in die USA aus, kehrte jedoch überstürzt noch im selben Jahr nach Czernowitz zurück, um die schwer erkrankte Mutter zu pflegen. In der Folge des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 besetzten im Juni 1940 sowjetische Truppen Czernowitz und die nördliche Bukowina. Rose Ausländer wurde als angebliche US-Spionin vom sowjetischen Inlandsgeheimdienst NKWD verhaftet und nach viermonatiger Haft wieder aus dem Gefängnis entlassen. Sie arbeitete nun als Krankenschwester in einer Augenklinik. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion besetzten die mit Deutschland verbündeten rumänischen Truppen unter Marschall Ion Antonescu Anfang Juli 1941 Czernowitz. Auch Rumänen verfolgten und ermordeten nun Juden. Rose Ausländer wurde ins Ghetto der Stadt eingewiesen, wo sie Paul Celan kennenlernte, und durfte auch nach Auflösung des Ghettos die Stadt nicht verlassen. Sie überlebte Zwangsarbeit und Verfolgung in einem Kellerversteck.

Im Frühjahr des Jahres 1944 marschierte die Rote Armee in Czernowitz ein, das nun wieder sowjetisch wurde, und befreite die wenigen überlebenden Juden. Rose Ausländer ging über Rumänien neuerlich nach New York. Sie arbeitete wieder als Fremdsprachenkorrespondentin, ihre Gedichte schrieb sie bis 1956 ausschließlich auf Englisch. Paul Celan traf sie 1957 in Paris wieder; unter seinem Einfluss löste sie sich von ihrem klassisch-expressionistischen Ton und modernisierte ihren Stil, eine Entwicklung, die bereits in New York unter dem Eindruck der amerikanischen Moderne, vor allem Marianne Moores, begonnen hatte.

1964 zog Rose Ausländer nach Wien, 1965 nach Düsseldorf. Als Verfolgte des NS-Regimes erhielt sie eine Entschädigung und bezog Rente. Ihr zweiter Gedichtband Blinder Sommer (1965) war ihr Durchbruch und brachte ihr die erste literarische Auszeichnung, den Silbernen Heinetaler des Verlages Hoffmann und Campe. Bis 1971 unternahm Rose Ausländer ausgedehnte Reisen durch Europa, vor allem nach Italien und 1968/69 letztmalig in die USA.

1972 zog sie ins Nelly-Sachs-Haus, das Altenheim der Jüdischen Gemeinde Düsseldorfs. Noch lange nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland war Rose Ausländer kaum bekannt, erst der Verleger Helmut Braun, den sie 1975 kennenlernte, änderte das. Nach einem Oberschenkelhalsbruch, von dem sie sich nicht mehr erholte, beschloss Rose Ausländer 1977, ihr Zimmer nicht mehr zu verlassen und sich nur noch auf ihr Schreiben zu konzentrieren. Sie veröffentlichte bis zu ihrem Tod 1988 zahlreiche Gedichtbände, die hohe Auflagen erreichten.

Werke (Auswahl)

Lyrik

  • 1939: Der Regenbogen
  • 1956: Nachtzauber
  • 1965: Blinder Sommer
  • 1965: Schallendes Schweigen
  • 1967: 36 Gerechte
  • 1974: Ohne Visum
  • 1975: Andere Zeichen
  • 1976: Gesammelte Gedichte
  • 1976: Noch ist Raum
  • 1977: Doppelspiel
  • 1978: Aschensommer
  • 1978: Mutterland
  • 1978: Es bleibt noch viel zu sagen
  • 1979: Ein Stück weiter
  • 1980: Einverständnis
  • 1981: Mein Atem heißt jetzt
  • 1981: Im Atemhaus wohnen
  • 1981: Einen Drachen reiten
  • 1982: Mein Venedig versinkt nicht
  • 1982: Südlich wartet ein wärmeres Land
  • 1983: So sicher atmet nur Tod
  • seit 1984: Gesammelte Werke (bis 1990)
  • 1987: Ich spiele noch
  • 1987: Der Traum hat offene Augen

Briefwechsel u. ä.

Auszeichnungen

Vertonungen

  • Nikolaus Brass: Rose-Ausländer-Lieder (1987) für 4 Frauenstimmen. Texte aus Im Atemhaus wohnen: Das Schönste; Mein Haus; Hinter den Wänden. Dauer: ~8’. UA 4. November 1987 Stuttgart (Planetarium; Ensemble <belcanto>, Leitung: Dietburg Spohr). CD (Koch-Schwann / Aulos 3-1386-2)
  • David Philip Hefti: Rosenblätter (2007). Liederzyklus für mittlere Stimme und Klavier. UA 30. November 2009 Zürich (Tonhalle; Judith Schmid [Mezzosopran], Sarah Tysman [Klavier])
1. Träumende Heimat („Ich küsse dich Nacht…“) – 2. Das Unersättliche („Wir Ungleichen…“) – 3. Dennoch („Die Schönheit der Blumen…“) – 4. Tränen („Sie löschen das Feuer…“) – 5. Wirrwarr („Sich selber betrügen…“) – 6. Der Garten („Der Garten / öffnet seine Rosen…“) – 7. Nachtstück („Messing des Mondes…“) – 8. Wabe („Eine Wabe Zeit…“) – 9. Abschied („Trauert / um deine Augen…“) – 10. Himmel („Es wird dafür gesorgt…“) – 11. Das Schönste („Ich flüchte…“) – 12. Den Weg finden („Nachts schwimme ich / im Strom der Sterne…“) – 13. Mit leeren Händen („Ich komme zu mir…“) – 14. Melancholie – 15. Das Ziel („Das Ziel ist an mir / vorübergegangen…“)
Notenausgabe: Edition Kunzelmann GmbH. CD: telos music records (TLS 103)
  • Friedrich Scholz: Himmelsspiel („Himmel, Märchenfreund, wie spielen wir in deinen Ätherräumen!“) für Singstimme und Klavier (= Nr. 4 aus Acht Liedvertonungen nach Gedichten von Rose Ausländer, Mascha Kaléko und Hermann Hesse)

Literatur

  • Maria Behre: "Eva, wo bist du?" Wirkungsmacht des Weiblichen im Werk Rose Ausländers. Aphorisma, Berlin 2005, Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung, Bd. 16, Hrsg. Helmut Braun, ISBN 3-86575-271-3
  • Jens Birkmeyer (Hrsg.): „Blumenworte welkten“. Identität und Fremdheit in Rose Ausländers Lyrik. Aisthesis, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-89528-603-2
  • Helmut Braun: Ich bin fünftausend Jahre jung. Rose Ausländer. Zu ihrer Biographie. Radius, Stuttgart 1999
  • Jean Firges: Rose Ausländer. "Ich, Mosestochter." Gedichtinterpretationen. Sonnenberg, Annweiler 2001, ISBN 3-933264-07-3, (Exemplarische Reihe Literatur und Philosophie, Bd. 4)
  • Martin A. Hainz: Ein Résumé. Zu Rose Ausländers unrundem Geburtstag. In: Stundenwechsel. Neue Lektüren zu Rose Ausländer, Paul Celan, Alfred Margul-Sperber und Immanuel Weißglas Hg. Andrei Corbea-Hoisie, George Gutu u. Martin A. Hainz. Iaşi, Konstanz, Bukarest: Editura Universitatii »Al. I. Cuza«, & Hartung-Gorre Verlag, Editura Paideia 2002 (=Jassyer Beiträge zur Germanistik IX • GGR-Beiträge zur Germanistik, Bd IX) S.461–467 ISBN 3896497960
    • ders.: Entgöttertes Leid. Zur Lyrik Rose Ausländers unter Berücksichtigung der Poetologien von Theodor W. Adorno, Peter Szondi und Jacques Derrida Niemeyer, Tübingen 2008 ISBN 978-3-48465-165-4
  • Maria Kłańska: Zur Identitätsproblematik im Schaffen Rose Ausländers In: Nationale Identität aus germanistischer Perspektive Hg. Maria Katarzyna Lasatowicz & Jürgen Joachimsthaler. Wydawnictwo Uniwersytetu Opolskiego 1998 ISBN 8387635138 S. 143–160 (zum Thema: welche sonstigen Möglichkeiten der Selbst-Identifizierung bei R. A. gibt es, da die "nationale" bei ihr ins Leere läuft?)
  • Jacques Lajarrige & Marie-Hélène Quéval (Hgg): Rose Ausländer. Gedichte, Lectures d’une œuvre. Temps Nouv., Paris 2005 (frz.)
  • Edith Silbermann: Erinnerungen an Rose Ausländer. Zum 100. Geburtstag der Dichterin am 11. Mai 2001. In: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands. Theodor Kramer Gesellschaft 18. Jg., Nr. 2, Wien 2001; S. 6 – 10, ISSN 1606-4321
  • Poems of Rose Auslander. An Ark of Stars. Translated by Ingeborg Wald, Drawings by Ed Colker, Haybarn Press 1989
  • Rose Auslander: Twelve Poems, Twelve Paintings. Translated by Ingeborg Wald, Paintings Adrienne Yarme, Ithaca, NY 1991

Weblinks

 Commons: Rose Ausländer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Notizen

  1. Ausstellungskatalog. Der Titel stammt von einem Brief Kolniks an Ausländer. Weitere Autoren Ausländer, Alfred Margul-Sperber, Alfred Kittner, Edith Silbermann, Helios Hecht und andere. Weitere ISBNs: ISBN 3932670051 ISBN 3931826074

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Rose Auslander — Rose Ausländer Rose Ausländer, en 1914 Rose Ausländer , née Rosalie Beatrice Ruth Scherzer, est une poétesse d origine juive allemande née le11 mai 1901 à Czernowitz (Autriche Hongrie ; actuelle Ukraine) et décédée le… …   Wikipédia en Français

  • Rose Ausländer — Rose Ausländer, en 1914 Rose Ausländer , née Rosalie Beatrice Ruth Scherzer, est une poétesse d origine juive allemande née le 11 mai 1901 à Czernowitz (Autriche Hongrie ; actuelle Ukraine) et décédée le 3 janvier 1988 à …   Wikipédia en Français

  • Rose Ausländer — (May 11, 1901 January 3, 1988), maiden name Rosalie Beatrice Scherzer, was a German writer.She was born in Czernowitz, which at that time was part of the Austro Hungarian Empire. Between 1907 and 1919, she received her primary and secondary… …   Wikipedia

  • Ausländer (Begriffsklärung) — Ausländer bezeichnet eine Person mit sich von anderen Einwohnern des Landes unterscheidender Staatsangehörigkeit, siehe Ausländer. Ausländer ist der Familienname folgender Personen: Fritz Ausländer (1885–1943), deutscher Politiker (SPD, KPD) Rose …   Deutsch Wikipedia

  • Ausländer — Kanake (abwertend) (derb); Fremdstämmiger; Mensch mit Migrationshintergrund * * * Aus|län|der [ au̮slɛndɐ], der; s, , Aus|län|de|rin [ au̮slɛndərɪn], die; , nen: Person, die einem ausländischen Staat angehört: sie half einem Ausländer, eine… …   Universal-Lexikon

  • AUSLAENDER, ROSE — (Rosalie Scherzer; 1901–1988), German poet. Born and raised in Czernowitz, Auslaender emigrated in 1921 and settled with her husband Ignaz Auslaender in New York, where she worked mainly as an editor of several German language journals and also… …   Encyclopedia of Judaism

  • Famille rose — Vasen im Famille Rose Stil, Qing Dynastie Chinesisches Porzellan stellt einen zentralen Bestandteil der Kunst und Kultur Chinas dar. Es wurde zum Vorbild der Porzellanerzeugung auch im Westen. Inhaltsverzeichnis 1 Material un …   Deutsch Wikipedia

  • Orden der Rose — Der Orden der Rose oder auch Rosenorden, war ein brasilianischer Zivil und Militärverdienstorden, der am 17. Oktober 1829 von Kaiser Pedro I. von Brasilien aus Anlass seiner Vermählung mit der Prinzessin Amalia von Leuchtenberg gestiftet wurde …   Deutsch Wikipedia

  • Rosalie Beatrice Ruth Scherzer — Rose Ausländer (* 11. Mai 1901 in Czernowitz, Österreich Ungarn; † 3. Januar 1988 in Düsseldorf; geborene Rosalie Beatrice Scherzer) war eine aus der Bukowina stammende deutschsprachige Lyrikerin. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Werke (Auswahl) 2 …   Deutsch Wikipedia

  • Роза Ауслендер — Rose Ausländer Роза Аусленд …   Википедия

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”