Ruth Keller

Ruth Keller
Büste Ingeborg Bachmann

Ingeborg Bachmann (* 25. Juni 1926 in Klagenfurt; † 17. Oktober 1973 in Rom; manchmal Pseudonym Ruth Keller) war eine österreichische Schriftstellerin. Sie gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Elternhaus in Klagenfurt

Ingeborg Bachmann war das erste Kind von Olga Haas und des Schuldirektors Mathias Bachmann. Sie verbrachte Kindheit und Jugend in Kärnten. Von 1945 bis 1950 studierte sie Philosophie, Psychologie, Germanistik und Rechtswissenschaften an den Universitäten Innsbruck, Graz und Wien. Ihre Doktorarbeit [1] setzt sich kritisch mit Martin Heidegger auseinander, ihr Doktorvater war der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Victor Kraft, der letzte in Wien lehrende Philosoph des mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren aus Wien vertriebenen Wiener Kreises. Ein im Jahr 2005 veröffentlichter Brief von 1981 aus dem Nachlass von Jacob Taubes zeigt, dass dieser ein längeres Liebesverhältnis mit Bachmann hatte. [2]

Die Fähre war 1946 Ingeborg Bachmanns erste Veröffentlichung (in der Kärntner Illustrierten). Während ihrer Studienjahre lernte Ingeborg Bachmann Paul Celan, Ilse Aichinger und Klaus Demus kennen. Mit Celan verband sie Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre ein Liebesverhältnis. In ihrer Zeit als Hörfunkredakteurin beim Wiener Sender Rot-Weiß-Rot schrieb sie 1952 ihr erstes Hörspiel Ein Geschäft mit Träumen. Im selben Jahr las sie zum ersten Mal auf der Tagung der Gruppe 47 und reiste zum ersten Mal nach Italien.

Ingeborg Bachmann erhielt 1953 den Literaturpreis der Gruppe 47 für den Gedichtband Die gestundete Zeit. Ab dem Spätsommer dieses Jahres lebte sie in Italien (Ischia, Neapel, schließlich Rom). Im August 1954 wurde ihr eine Titelgeschichte im deutschen Wochenmagazin Der Spiegel gewidmet, die sie einem breiteren Publikum bekannt machte.[3] Diese Titelgeschichte verhalf ihr jedoch nicht zu weiteren Honoraraufträgen. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Hans Werner Henze entstanden ab 1955 das Hörspiel Die Zikaden, die Textfassung für die Ballettpantomime Der Idiot und die Opernlibretti Der Prinz von Homburg und Der junge Lord.

1956 veröffentlichte Ingeborg Bachmann ihren zweiten Gedichtband Anrufung des Großen Bären, im Jahr darauf erhielt sie den Bremer Literaturpreis und wurde Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen, weshalb sie nach München übersiedeln musste. Sie engagierte sich gegen die Atomrüstung. 1958 begegnete sie Max Frisch, für den sie nach Zürich umzog. Die Beziehung hielt bis 1962. Ebenfalls 1958 entstand das Hörspiel Der gute Gott von Manhattan, das 1959 mit dem bedeutenden Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet wurde.

Ingeborg Bachmann hielt 1959 die Dankesrede für den Hörspielpreis der Kriegsblinden mit dem sprichwörtlich gewordenen Titel Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar und begann im Herbst mit einsemestrigen Poetik-Vorlesungen an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main zu Problemen zeitgenössischer Lyrik. Ab 1960 lebte sie mit Frisch in einer gemeinsamen Wohnung in Rom. Ihr erster Erzählband Das dreißigste Jahr erschien 1961 und erhielt den Deutschen Kritikerpreis. Sie wurde Mitglied der Akademie der Künste (Berlin). Die zwei aus einer explizit weiblichen Perspektive erzählten Geschichten Ein Schritt nach Gomorrha und Undine geht gehören zu den frühesten feministischen Äußerungen der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit.[4]

Ende 1962 endete die Beziehung mit Frisch; Ingeborg Bachmann verkraftete die Trennung nur schwer und musste sich mehrfach in Krankenhäuser einweisen lassen. 1963 zog sie nach Berlin, wo sie bis 1965 blieb. Sie begann die Arbeit an der unvollendet gebliebenen Romantrilogie Todesarten, von der sie 1971 den ersten Band Malina veröffentlichte. Das Spätwerk Bachmanns wird in der Frauenforschung als Paradigma weiblichen Schreibens angesehen.[5]

1964 wurde Ingeborg Bachmann der Büchner-Preis zuerkannt. Sie zog 1965 zurück nach Rom, veröffentlichte nur noch sporadisch Gedichte und litt unter Tabletten- und Alkoholabhängigkeit. 1967 verließ sie aus Protest den Piper Verlag, weil dieser den ehemaligen HJ-Führer Hans Baumann mit einer Übersetzung von Anna Achmatowas Requiem beauftragt hatte, und wechselte zum Suhrkamp Verlag. Ihr Erzählband Simultan erschien 1972 und wurde mit dem Anton-Wildgans-Preis ausgezeichnet. Marcel Reich-Ranicki kritisierte ihn dagegen als preziös-anachronistische Prosa (Berliner Allgemeine Zeitung vom 16. März 1973).

Rom, Via Giulia 66 - Ingeborg Bachmanns letzte Wohnung

In der Nacht vom 25. auf den 26. September 1973 erlitt sie in ihrer römischen Wohnung durch einen Brand schwere Verletzungen, an deren Folgen sie am 17. Oktober 1973 im Krankenhaus Sant'Eugenio starb. Sie wurde am 25. Oktober 1973 auf dem Friedhof Klagenfurt-Annabichl beigesetzt. Ermittlungen wegen Mordverdachts wurden von den italienischen Behörden am 15. Juli 1974 eingestellt, ihr Tod wurde als durch eine brennende Zigarette ausgelöster Unfall eingestuft. Neuere Betrachtungen gehen davon aus, dass ihr früher Tod letztendlich nicht hätte verhindert werden können, da ihre Tablettenabhängigkeit wohl mit ein Auslöser des Unfalls gewesen war. Diese Krankheit Ingeborg Bachmanns war jedoch nicht erkannt und behandelt worden.

Heinrich Böll bezeichnete sie in einem Nachruf in „Der Spiegel“ (Nr. 43 vom 22. Oktober 1973, S. 206) als brillante Intellektuelle, die in ihrer Poesie weder Sinnlichkeit einbüßte noch Abstraktion vernachlässigte.

Ihr 6.000 Blätter umfassender Nachlass befindet sich seit 1979 in der Österreichischen Nationalbibliothek.

Seit 1977 wird der Ingeborg-Bachmann-Preis jährlich auf dem Klagenfurter Literaturwettbewerb verliehen; er gilt als einer der bedeutendsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum.

Nach ihr wurde ein Gymnasium in Klagenfurt benannt.

Zitate

  • Ich habe aufgehört, Gedichte zu schreiben, als mir der Verdacht kam, ich "könne" jetzt Gedichte schreiben, auch wenn der Zwang, welche zu schreiben, ausbliebe. Und es wird eben keine Gedichte mehr geben, eh' ich mich nicht überzeuge, daß es wieder Gedichte sein müssen und nur Gedichte, so neu, daß sie allem seither Erfahrenen wirklich entsprechen.[6]
  • Meine Existenz ist eine andere, ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe. (...) Es ist eine seltsame, absonderliche Art zu existieren, asozial, einsam, verdammt, es ist etwas verdammt daran.[7]
  • So kann es auch nicht die Aufgabe des Schriftstellers sein, den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen. Er muß ihn - im Gegenteil - wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen. Denn wir wollen alle sehend werden. Und jener geheime Schmerz macht uns erst für die Erfahrung empfindlich und insbesondere für die der Wahrheit. Wir sagen sehr einfach und richtig, wenn wir in diesen Zustand kommen, den hellen Wehen, in denen der Schmerz fruchtbar wird: „Mir sind die Augen aufgegangen“. Wir sagen das nicht, weil wir eine Sache oder einen Vorfall äußerlich wahrgenommen haben, sondern weil wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Und das sollte die Kunst zuwegebringen: daß uns in diesem Sinn die Augen aufgehen.[8]
  • Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Rede anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden.

Auszeichnungen

Werke

Lyrik

  • 1953: Die gestundete Zeit
  • 1956: Anrufung des großen Bären, darin:
  • 1998: Letzte, unveröffentlichte Gedichte
  • 2000: Ich weiß keine bessere Welt

Prosa

Hörspiele

  • 1952: Ein Geschäft mit Träumen
  • 1955: Die Zikaden
  • 1958: Der gute Gott von Manhattan

Libretti

Essayistik

  • 1960: Probleme zeitgenössischer Dichtung
  • 1965: Ein Ort für Zufälle
  • 1998: Römische Reportagen – Eine Wiederentdeckung
  • 2005: Kritische Schriften

Übersetzungen

Briefwechsel

Vertonungen

  • Frieder W. Bergner: Schwarzer Walzer
  • Hans Werner Henze: Lieder von einer Insel
  • Hans Werner Henze: Nachtstücke und Arien
  • Hans Werner Henze: Paraphrasen über Dostojewski
  • Annette Schlünz: Rosen

Literatur

  • Monika Albrecht (Hrsg.): Bachmann-Handbuch. Leben, Werk, Wirkung. Metzler, Stuttgart 2002. ISBN 3-476-01810-5
  • Christine Kanz: Angst und Geschlechterdifferenzen. Ingeborg Bachmanns 'Todesarten'-Projekt in Kontexten der Gegenwartsliteratur. Metzler, Stuttgart 1999. ISBN 3-476-01674-9
  • Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Ingeborg Bachmann. Edition Text + Kritik, München 1984. ISBN 3-88377-189-9
  • Kurt Bartsch: Ingeborg Bachmann. Metzler, Stuttgart 1988. ISBN 3-476-10242-4
  • Peter Beicken: Ingeborg Bachmann. Beck, München 1988. ISBN 3-406-32277-8
  • Andreas Hapkemeyer: Ingeborg Bachmann. Entwicklungslinien in Werk und Leben. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1990. ISBN 3-7001-1759-0
  • Joachim Hoell: Ingeborg Bachmann. 2. Auflage, München, dtv 2004, ISBN 3-423-31051-0
  • Hans Höller: Ingeborg Bachmann. Reinbek, Rowohlt 1999, ISBN 3-499-50545-2
  • Doris Hildesheim: Ingeborg Bachmann: Todesbilder, Todessehnsucht und Sprachverlust in „Malina“ und „Antigone“. Berlin, 2000, Weißensee Verlag, 191 Seiten, ISBN 978-3-934479-34-0
  • Holger Pausch: Ingeborg Bachmann. 2. Auflage. Colloquium-Verlag, Berlin 1987. ISBN 3-7678-0685-1
  • Oliver Simons und Elisabeth Wagner (Hrsg.): Bachmanns Medien. Vorwerk 8, Berlin 2008, ISBN 978-3-930916-98-6

Einzelnachweise

  1. Katalogzettel Universitätsbibliothek Wien
  2. http://www.ingeborg-bachmann-forum.de/ibpresse-050420.htm
  3. Titelseite; Artikel
  4. Biographie bei Fembio.org
  5. Artikel Ingeborg Bachmann im Österreich-Lexikon von aeiou
  6. http://www.ingeborg-bachmann-forum.de/iblyrik-1.htm
  7. http://www.ingeborg-bachmann-forum.de/ibpreis.htm
  8. http://www.horn-netz.de/studium/celan/video-bachmann.html

Weblinks


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