Seebad Mariendorf

Seebad Mariendorf
Seebad Mariendorf. Das Wohnhaus steht an der Ullsteinstraße, links neben ihm der Haupteingang. Der baumumstandene Karpfenteich liegt rechts vor dem Wohnhaus und ist verdeckt. Rechts vom Steg der Teil für Schwimmer; hinten Mitte der Sprungturm.
Die Reste der Steingrotte auf dem Gelände des Seniorenzentrums an der Ullsteinstraße, 2011
Der heutige Zierteich auf dem Gelände des Seniorenzentrums an der Ullsteinstraße, 2011

Von 1876 bis 1950 existierte das Seebad Mariendorf im heutigen Berliner Ortsteil Mariendorf. Es gehörte zur Zeit seiner Errichtung zum Kreis Teltow und wurde erst 1920 nach Groß-Berlin eingemeindet. 1953 wurden die Badeeinrichtungen zugunsten einer Wohnbebauung beseitigt. Es lag an der Südseite der Ullsteinstraße (Haupteingang) zwischen dem Mariendorfer Damm und der Rathausstraße, durchgehend bis zur Markgrafenstraße. Das Seebad wurde 1872 von Adolf Lewissohn gegründet, fast dreißig Jahre vor dem Bau des 1906 eröffneten Teltowkanals.

Entstehung

An dieser Stelle, wie auch an vielen Stellen des späteren Teltowkanals, befanden sich viele Tümpel und Teiche. Im Jahre 1871 kaufte Salomon Lewissohn, der Vater von Adolf Lewissohn, das Grundstück vom Rittergut Tempelhof. Das Grundstück am ehemaligen Grenzweg, ab 1907 Burggrafenstraße, ab 1927 Ullsteinstraße und während der Zeit des Nationalsozialismus Zastrowstraße (bis 1949), hatte eine Größe von 9,5 Morgen, dies entspricht etwa 2,4 Hektar (rund 24.000 m²).

Adolf Lewissohn (* 6. Juli 1852 in der Tempelhofer Dorfstraße, † 14. November 1927 in Mariendorf) ließ 1872 die von seinem Vater gekauften Wiesen- und Wasserflächen von Sumpfpflanzen reinigen und ausbaggern. Er hat erheblich zur Eröffnung der Anlage beigetragen.

Um 1872 wurde ein zweigeschossiges Wohnhaus neben dem Grundstück am Grenzweg errichtet und zu einem Restaurant ausgebaut. Im Sommer 1876 wurde dann die Badeanstalt eröffnet. Die dort befindlichen Teiche wurden in den Wintermonaten zur „Eisernte“ genutzt, das heißt, es wurde Natureis auf Vorrat gehalten. Während der „Eisernte“ waren die Lewissohnschen Eiswagen eine alltägliche Erscheinung im Berliner Straßenbild. Als Höchstleistung sollen an einem Tag 500 Fuhren nach Berlin gerollt sein. Adolf Lewissohn war auch kommunalpolitisch tätig. Mehrere Jahrzehnte war er die erste Hand des Tempelhofer Bürgermeisters Friedrich Mussehl (* 23. November 1855 in Lychen, † 24. Dezember 1912 in Tempelhof).

So gelang ihm zum Beispiel der Verkauf eines großen Areals zwischen dem nördlichen Mariendorf und Südende, das sich im Besitz verschiedenster Eigentümer befand, an die Imperial-Continental-Gas-Association, die 1901 darauf das Gaswerk Mariendorf errichtete. Dieses übernahm die Versorgung des südlichen Berliner Raumes und war außerdem damit der größte Steuerzahler Mariendorfs. Durch diese Einnahmen konnte unter anderem in der Kaiserstraße 1905 das Rathaus (zerstört im Zweiten Weltkrieg) und 1911 das Eckener-Gymnasium erbaut werden. Außerdem war Lewissohn behilflich beim Verkauf und der Erschließung des Geländes am Teltowkanal zur Industrieansiedlung.

Fast jedes Jahr wurden die Wasserbecken und die Parkanlagen erweitert oder umgestaltet. Es wurde eine Sportbahn angelegt, die eine Länge von 130 Meter hatte, wie es den damaligen Wettkampfbestimmungen entsprach. Ein „Riesen“-Wasserbecken wurde gebaut und mit Beton umgeben. Außerdem wurde ein 80 Meter tiefer Brunnen angelegt. Der Brunnen hatte eine elektrisch betriebene Pumpe, was zur damaligen Zeit sehr beachtlich war. Es konnte auch während des Badebetriebes Frischwasser zu- und verbrauchtes Wasser abgeführt werden. Damals hieß es in der Werbung, dies sei die größte und schönste Badeanstalt von Groß-Berlin mit ständigem Zu- und Abfluss.

Geschichte

In den 1920er Jahren wurden an heißen Sommertagen täglich bis zu 4000 Badegäste gezählt. Die Restaurant- und Saalbauten mit entsprechenden Kücheneinrichtungen ermöglichten die Durchführung von Verbandsfesten bis zu 7000 Personen.

In den Teichen der Parkanlage waren neben riesigen Goldfischen auch bis zu 60 Jahre alte und 30 Pfund (15 kg) schwere Karpfen, einige tummelten sich auch in den Schwimmabteilungen. Auf dem Karpfenteich waren auch Enten zu Hause. Die daneben angelegte Grotte und das sogenannte „Freiwild-Aquarium“ waren eine besondere Sehenswürdigkeit im Seebad Mariendorf. Der Karpfenteich einschließlich Grotte war durch einen breiten Holzsteg von den Badebecken abgetrennt, die ihrerseits durch einen Holzsteg in Schwimmer und Nichtschwimmer unterteilt waren. Die Wände der Schwimmbecken bestanden aus Beton, der Boden aus Sand. Es gab einen hölzernen Sprungturm mit Drei-Meter-Brett und hölzerne Umkleidekabinen. Als Liegeflächen dienten Holzroste auf dem breiten Steg zum Karpfenbecken sowie eine viereckige Fläche mit strandartigem Sand.

Während des Ersten Weltkrieges wurden die Restaurant-Neubauten zu einem Kriegslazarett umgestaltet. Das Seebad diente nicht nur dem Freizeitvergnügen, es wurde auch von Schulen und Vereinen für Schwimmunterricht und Training, sowie Wettkampfveranstaltungen genutzt. Am 2. Juni 1912 fanden im Seebad Ausscheidungskämpfe für die Olympischen Spiele in Stockholm statt.

Zum 50-jährigen Bestehen des Seebades wurde am 7. Juli 1932 eine Festwoche durchgeführt. Es gab allabendlich unter anderem Rundfunkdarbietungen und Kinderfeste. Das Motto lautete „Seebad in Flammen“. Der Gründer des Seebades hat dies nicht mehr erlebt. Ihm zur Erinnerung war anlässlich seines ersten Todestages am 14. November 1928 im Privatpark der Familie ein Gedenkstein von seiner Tochter gewidmet worden. Der Verbleib des Steines ist heute unbekannt.

1933 wurde das Seebad „arisiert“. Es wurde von der NSDAP übernommen. Die Tochter des Gründers, Helene Lewissohn, „verkaufte“ im Juli 1934 an den Gastwirt Paul Hilgner, ein ca. 9300 m² großes Grundstück (den östlichen Teil) mit allen Baulichkeiten und Maschinen für 115.000 Mark. Nach Abzug aller Verbindlichkeiten, die aufgelaufen waren, erhielt Frau Lewissohn einen Betrag von lediglich 151,25 Mark. Das Restgrundstück ist vermutlich kostenfrei an die NSDAP übergegangen.

Neben dem Schwimmbad befand sich 1943 ein Zwangsarbeiterlager, das bei einem Luftangriff am 1. März beschädigt wurde. Der Bade- und Schwimmbetrieb ging trotz alledem bis ca. 1947 weiter. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der Schwimmunterricht für Anfänger dadurch erteilt, dass sie mit einem Korkgürtel um die Brust an einem drehbaren Holzgalgen aufgehängt im Schwimmerbecken paddelten.

Da das Rathaus Tempelhof Kriegsschäden aufwies, wurden im Gelände des Seebades viele Abteilungen untergebracht, sodass die Badeanstalt erst einmal schließen musste. Anfang 1947 wurde zwischen dem Bezirksamt und der Frau des inzwischen verstorbenen Besitzers, Margarete Hilgner, ein Pachtvertrag für die Dauer von fünf Jahren unterschrieben. Außerdem mietete der Orden Odd Fellows den ehemaligen Festsaal für anderthalb Jahre, auch Paul Hilgner war in der Loge Mitglied gewesen.

1948 wurde auf Antrag der ehemaligen Besitzerin Helene Lewissohn von der Treuhandstelle für jüdisches und polnisches Vermögen in Groß-Berlin eine Verwalterin für das Grundstück der Hilgners eingesetzt zur Abwicklung der laufenden Geschäfte. Das Grundstück fiel unter das Gesetz Nr. 52 der Alliierten Kommandantur über Vermögen, das unter Zwang oder Drohung übertragen oder dem Besitzer rechtswidrig entzogen wurde. Der Einspruch der Hilgnerschen Rechtsanwälte dagegen scheiterte, die Alliierten verwiesen auf das noch zu erwartende Wiedergutmachungsverfahren.

Im Juni 1950 wurde das gesäuberte Bad durch Bürgermeister Otto Burgemeister feierlich wiedereröffnet, endete aber mit dem Abbaden des in Tempelhof beheimateten Schwimmvereins BSV Friesen 1895 e. V. im September 1950. Versuche, es wieder zu eröffnen, scheiterten. Auch der Antrag, die Gebäude zur Nutzung durch die Jugendförderung zu erhalten, hatten keinen Erfolg.

Anfang 1952 endete ein Wiedergutmachensverfahren, das seit 1950 zur Rückerstattung der Grundstücke und Bebauung geführt wurde, mit einem Vergleich über 1.000 Mark, bevor es zu einem förmlichen Gerichtsverfahren kam. Die inzwischen mittellose Frau Lewissohn beantragte zuvor zweimal erfolglos für die Tätigkeit eines Anwalts das Armenrecht. Das Kammergericht befand die Erfolgsaussichten des Rückerstattungsantrages vor Urteilsfindung des Landgerichts als nicht hinreichend beurteilt.

Auch die anderen Verfahren um die Grundstücke Ullsteinstraße 154/156 und 160–164 wurden 1953 durch Zurückziehung des Erstattungsanspruchs oder Gerichtsurteil ohne Entschädigung beendet. Im selben Jahr wurden dann noch erfolglos die Prozessgebühren über 166,10 Mark für das Widerspruchsverfahren gegen das Kammergericht durch eine Zwangsvollstreckung bei Frau Lewissohn eingefordert, sie hatte aber mittlerweile den Offenbarungseid geleistet.

1953 wurden die Schwimmbecken und der Karpfenteich zugeschüttet und die Bauwerke der Badeanstalt abgerissen. Das Restaurationsgebäude blieb noch erhalten und wurde als Margaretenheim für alte und kranke Menschen genutzt. Später wurde es abgerissen und das Gelände des Seebades als Grünfläche ausgewiesen, da es zur Bebauung als zu sumpfig angesehen wurde.

Ab 1954 wurde das Gelände – obwohl es noch genug Trümmergrundstücke in Berlin gab, die unbebaut waren – mit einer Wohnanlage und dem Krankenheim Tempelhof (Eröffnung 1983) in der Ullsteinstraße 159 bebaut.

Am 7. Mai 1957 verstarb Helene Lewissohn, die zuletzt ab vermutlich 1952 in einer Wohnung in der Prühßstraße 79 lebte. Beerdigt wurde sie im Urnengrab ihrer Eltern auf dem Friedhof Mariendorf II in der Friedenstraße. Das Grab wurde 30 Jahre nach Ihrer Bestattung eingeebnet, einen Hinweis auf die Familie Lewissohn sucht man dort heute vergeblich.

Ein übriggebliebener Rest der Grotte und ein kleiner Zierteich sind noch auf dem Gelände des heutigen Seniorenzentrums an der Ullsteinstraße vorhanden.

Literatur und Quellen

  • Rudolf Szagun: Das Seebad Mariendorf. 1989.
  • Matthias Heisig: Tempelhofer Einblicke. Metropol, Berlin 2002, ISBN 3-932482-97-2.
  • Berliner Abendblatt: Krankenheim Tempelhof. Ausgabe vom 11. Juni 2003.
  • Archiv des BSV Friesen 1895 e.V.
  • Bebauungsplan VIII-49/5. aus dem Jahr 1960 (PDF-Datei).
  • Bebauungsplan VIII-111. aus dem Jahr 1965 (PDF-Datei).
  • Vom Margaretenheim zum Seniorenzentrum an der Ullsteinstraße in Mariendorf. (25-jähriges Jubiläum im Jahr 2008 auf Seite 10)
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