Signiertes Maß

Signiertes Maß

Signiertes Maß ist ein Begriff aus dem mathematischen Teilgebiet der Maßtheorie. Es ist wie das Maß eine auf einem Mengensystem, meist einer σ-Algebra, definierte Funktion und unterscheidet sich von diesem nur darin, dass auch negative Werte zugelassen sind. Das signierte Maß stellt somit eine Verallgemeinerung des Maßbegriffs dar.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Sei Ω eine nichtleere Menge und \mathcal{C} \subseteq 2^\Omega eine Teilmenge der Potenzmenge von Ω mit \emptyset \in \mathcal{C}.

Eine Mengenfunktion ν von \mathcal{C} nach [-\infty, +\infty) oder (-\infty, +\infty] heißt signiertes Maß, wenn

\nu(\emptyset) = 0

und für jede disjunkte Familie (A_i)_{i \in \mathbb{N}} mit A_i \in \mathcal{C} und \textstyle \bigcup_{i \in \mathbb{N}}A_i \in \mathcal{C}

\nu\left(\bigcup_{i \in\mathbb{N}}A_i\right) = \sum_{i \in \mathbb{N}} \nu(A_i)

gilt. Letztere Eigenschaft wird auch als σ-Additivität bezeichnet. Die Konvergenz der Reihe \textstyle \sum_{i \in \mathbb{N}} \nu(A_i) ist als unbedingte Konvergenz in \bar{\mathbb{R}} zu betrachteten, das heißt ihr Grenzwert ist \textstyle \nu\left(\bigcup_{i \in \mathbb{N}}A_i\right).

Ist das Mengensystem \mathcal{C} eine σ-Algebra, so wird es im folgenden mit \mathcal{A} bezeichnet. Insbesondere ist dann \textstyle \bigcup_{i \in \mathbb{N}}A_i immer in \mathcal{A} enthalten.

Eigenschaften

Jedes (Prä)Maß ist ein signiertes Maß.

Stetigkeit von oben

Ist \mathcal{C} ein Ring so ist ν stetig von oben, es gilt folglich, dass für jede monoton fallende Folge (A_i)_{i \in \mathbb{N}} mit A_i \in \mathcal{C}, \nu(A_1)<\infty und \textstyle \bigcap_{i \in \mathbb{N}}A_i \in \mathcal{C}

\lim_{i\rightarrow \infty} \nu(A_i)= \nu\left(\bigcap_{i \in \mathbb{N}}A_i\right)

gilt. Ist \mathcal{C} eine σ-Algebra, so ist die Eigenschaft immer erfüllt.

Absolute Stetigkeit

Sei μ ein Maß und ν ein signiertes Maß, die beide auf der gleichen σ-Algebra \mathcal{A} definiert sind, dann heißt ν absolut stetig bezüglich μ, symbolisch \nu \ll \mu, wenn für alle A\in\mathcal{A}

\mu(A) = 0 \Rightarrow |\nu|(A) = 0

gilt, wobei | ν | die Variation von ν ist (vgl. Jordansche Zerlegung).

Jordansche Zerlegung

Im jordanschen Zerlegungssatz wird gezeigt, dass sich ein signiertes Maß ν auf einer σ-Algebra \mathcal{A} definiert als Differenz von zwei (nichtsignierten) Maßen ν + und ν darstellen lässt, also

ν = ν + − ν .

wobei \nu^+:\mathcal{A}\rightarrow [0,\infty] und \nu^-:\mathcal{A}\rightarrow [0,\infty] durch

\nu^+(A):= \sup\{\nu(B) | B\subseteq A, B\in \mathcal{A}\} und \nu^-(A):=- \inf\{\nu(B) | B\subseteq A, B\in \mathcal{A}\}

gegeben sind. ν + wird auch als positive Variation oder Positivteil von ν bezeichnet, entsprechend ν als negative Variation oder Negativteil von ν.

Bei der Zerlegung ist mindestens eines der Maße ν + und ν endlich.

Weiterhin ist ν + singulär bezüglich ν , symbolisch \nu^+ \perp \nu^-. Da die Singularität von Maßen eine symmetrische Eigenschaft ist gilt folglich auch \nu^- \perp \nu^+.

Das durch | ν | : = ν + + ν definierte Maß heißt Variation (auch totale Variation) von ν. Es gilt max{ν + } = | ν | und min{ν + } = 0

Für ein festes Maß ν nennt man die Zahl \|\nu\|\colon=|\nu|(\Omega) Totalvariation des Maßes.

Die endlichen signierten Maße vervollständigen die Menge der endlichen Maße zu einem normierten Vektorraum, dessen Norm die Totalvariation ist. Dieser Raum ist sogar ein Banachraum.

Konstruktion von signierten Maßen

Konstruktion mittels Maße

Sind μ1 und μ2 zwei (Prä)Maße auf \mathcal{C} mit \mu_1(\Omega) < \infty, so sind μ1 − μ2 und μ2 − μ1 signierte Maße.

Integralinduzierte signierte Maße

Signierte Maße treten auch in der Integrationstheorie auf, sie werden von einem unbestimmten Integral induziert.

Sei (\Omega,\mathcal{A},\mu) ein Maßraum und f \colon \Omega \rightarrow \bar{\mathbb{R}} eine \mathcal{A}-\mathcal{B}(\bar{\mathbb{R}}) messbare Funktion. Ist f positiv (nimmt Werte in [0,\infty] an) oder quasiintegirierbar, so existiert das Integral \textstyle \int_\Omega f\chi_{A} d\mu mit χ als Indikatorfunktion und A\in \mathcal{A} immer. Die Abbildung \textstyle \int f d\mu \colon \mathcal{A}\rightarrow \bar{\mathbb{R}} mit

(\int f d\mu)(A):= \int_\Omega f\chi_A d\mu

definiert das unbestimmte μIntegral.

  • Ist f positiv, so ist \textstyle \int f d\mu ein Maß.
  • Ist f integrierbar, so ist \textstyle \int f d\mu ein endliches signiertes Maß, das heißt \textstyle (\int f d\mu)(A)\in\mathbb{R} für A\in\mathcal{A}.
  • Ist f quasiintegrierbar, so ist \textstyle \int f d\mu ein signiertes Maß.

Man verwendet für \textstyle (\int f d\mu)(A) üblicherweise die Kurzschreibweise \textstyle \int_A f d\mu.

Anwendungen

Mit signierten Maßen lassen sich zum Beispiel Verteilungen von positiven und negativen Ladungen in einem Stoff modellieren.

Literatur

  • Schmidt, Klaus D.: Maß und Wahrscheinlichkeit. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-89729-3.

Siehe auch


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