- Spitzhörnchen
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Spitzhörnchen Spitzhörnchen (Tupaia spec.)
Systematik Überklasse: Kiefermäuler (Gnathostomata) Reihe: Landwirbeltiere (Tetrapoda) Klasse: Säugetiere (Mammalia) Unterklasse: Höhere Säugetiere (Eutheria) Überordnung: Euarchontoglires Ordnung: Spitzhörnchen Wissenschaftlicher Name Scandentia Wagner 1855 Gattungen - Eigentliche Spitzhörnchen (Tupaia)
- Indisches Spitzhörnchen (Anathana)
- Philippinen-Spitzhörnchen (Urogale)
- Bergtupajas (Dendrogale)
- Federschwanz-Spitzhörnchen (Ptilocercus)
Die Spitzhörnchen (Scandentia) sind ein höheres Taxon der Säugetiere (Mammalia) aus den Waldgebieten Südostasiens. Ihr alternativer Name Tupaias kommt vom malaiischen Wort „tupai“, das gleichermaßen Spitzhörnchen, Eichhörnchen und Baumhörnchen bedeutet. In der Tat sehen Spitzhörnchen den Hörnchen ähnlich, jedoch sind die beiden Gruppen nicht eng verwandt. Spitzhörnchen sind primär Bodenbewohner und klettern bis auf eine Art eher gelegentlich. Sie sind Allesfresser und haben eine für Höhere Säugetiere außergewöhnlich geringe Brutfürsorge.
Inhaltsverzeichnis
Vorkommen
Keine Art der Spitzhörnchen kommt im gesamten Verbreitungsgebiet der Ordnung vor. Borneo weist eine hohe Spitzhörnchendiversität auf, zehn Arten wurden dort bisher nachgewiesen. Gründe hierfür könnten Größe und Habitatvielfalt sein, oder, dass die Spitzhörnchen ihren phylogenetischen Ursprung auf Borneo haben und sich von dort aus verbreiteten. Der Rest des Verbreitungsgebietes umfasst Java, Sumatra, die malaiische Halbinsel, Indochina und Teile Nordindiens. Sie leben in Waldgebieten und gelegentlich als Kulturfolger auf Plantagen.
Morphologie
Merkmale
Spitzhörnchen haben einen schlanken Körper und langen Schwanz, letzterer ist außer beim Federschwanz-Spitzhörnchen (Ptilocercus lowii) dicht behaart. Charakteristisch ist eine lange Schnauze. Sie erreichen je nach Art 10 bis 23 Zentimeter Kopf-Rumpflänge und 9 bis 24 Zentimeter Schwanzlänge. Das Gewicht reicht von 45 bis 350 Gramm.
Die Fellfarbe der Spitzhörnchen variiert von olivgrau bis rostbraun und ist auf der Bauchseite heller. Das Fell ist dicht und weich. Die Deckhaare sind lang und gerade, die Wollhaare kurz und weich. Bis auf die Gattung Dendrogale und den Federschwanz haben Spitzhörnchen einen hellen Schulterstreifen. Wenige Arten tragen zusätzliche Zeichnungen im Gesicht oder einen dunklen Rückenstreifen.
Die Ohren sind klein und haben eine primatenähnliche knorpelige Ohrmuschel mit einem häutigen Ohrläppchen. Sie sind leicht behaart, bloß beim Federschwanz-Spitzhörnchen sind sie nackt und relativ groß.
Skelett, Schädel und Gebiss
Die Wirbelsäule der Spitzhörnchen setzt sich aus sieben Halswirbeln, zwölf bis 13 rippentragenden Brustwirbeln, sechs bis sieben Lendenwirbeln, drei Kreuzwirbeln und 24 Schwanzwirbeln zusammen. Das Schlüsselbein ist gut entwickelt. Die Knochen des Unterarmes sind nicht miteinander verschmolzen, ebenso nicht die des Unterschenkels. Mondbein und Kahnbein, zwei Handwurzelknochen, sind bei den Gattungen Tupaia, Anathana und Urogale vollständig miteinander verschmolzen, bei Ptilocercus und Dendrogale sind diese beiden Knochen weniger stark verschmolzen. Der Daumen kann abgespreizt werden, ist jedoch nicht opponierbar (also den anderen Fingern gegenüberstellbar), wodurch Spitzhörnchen keine echte Klammerhand haben; stattdessen verwenden sie zum Klettern ihre sichelförmigen Krallen.
Die für Spitzhörnchen charakteristische, lange Schnauzenregion wird vom Nasenbein gebildet. Die Schläfenbeine sind sehr klein und werden im Verlaufe der Individualentwicklung des Schädels immer mehr vom Scheitelbein verdrängt. Der Hinteraugenbogen (Postorbitalbogen) wird vom Stirnbein und dem Jochbein gebildet. Überaugenfenster (Foramen supraorbitale) und Unteraugenfenster (Foramen infraorbitale) sind vorhanden.
2 · 1 · 3 · 3 = 38 3 · 1 · 3 · 3 Die Zahnformel der Spitzhörnchen lautet I 2/3, C 1/1, P 3/3, M 3/3. Die Schneidezähne des Oberkiefers ähneln Eckzähnen und werden auch eckzahnähnlich eingesetzt: Die oberen Schneidezähne werden eher zum Halten und Greifen als zum Abbeißen verwendet. Zwischen den Schneidezähnen ist aufgrund der langen Schnauzenregion oft ein großes Diastema vorhanden. Die unteren Schneidezähne bilden mit ihren verlängerten Kronen einen Zahnkamm, der auch bei Riesengleitern und Feuchtnasenaffen vorhanden ist. Die Funktion dieser Zahnkämme ist nicht bekannt; eventuell spielen sie bei der Nahrungsaufnahme oder dem Putzen des Fells eine Rolle. Anders als bei Lemuren sind bei Spitzhörnchen die Eckzähne nicht an der Bildung des Zahnkammes beteiligt. Die oberen Eckzähne ähneln den Prämolaren. In der Struktur der Prämolaren weichen das Federschwanz-Spitzhörnchen und die Bergtupajas von den anderen Spitzhörnchen ab: Ihre Eckzähne sind besonders klein und haben zwei Wurzeln. Die unteren Eckzähne sind generell größer als die oberen. Ein Prämolar, der P4, besitzt einen Protocon genannten Höcker mit eigener Wurzel. Die oberen Molaren haben drei Wurzeln und sind durch weitere, zwischen den verschiedenen Zahnspitzen platzierte Höcker (Mesostyl) gekennzeichnet. Die unteren Molaren sind säugertypisch und weichen vom gewöhnlichen Muster kaum ab.
Weichteilanatomie
Kennzeichnend für Spitzhörnchen ist eine Unterzunge. Dies ist ein blattartiges, muskelfreies Gewebe an der Unterseite des beweglichen Teiles des Zunge, die eine gefranste Spitze aufweist. Sie dient der Reinigung des Zahnkamms. Bis auf ein paar Vertreter der Gattung Tupaia, die früher als Lyonogale abgegrenzt wurden, verfügen Spitzhörnchen beim Übergang vom Dünndarm zum Dickdarm über einen Blinddarm, der die pflanzliche Zellulose zersetzt und damit die Verdauung unterstützt.
Spitzhörnchen haben ein gut entwickeltes, ursprünglich gebautes Jacobson-Organ, dass in einem Teil der Nasenhöhle liegt und über einen speziellen Gang, den Ductus incisivus, mit der restlichen Nasenhöhle und der Mundhöhle offen verbunden ist. Gehör und Gesichtssinn sind die primären Sinne der Spitzhörnchen und dominieren über den Geruchssinn. Die Netzhaut besteht hauptsächlich aus Zapfen; bis auf das nachtaktive Federschwanz-Spitzhörnchen, dem diese Fähigkeit keine besonderen Vorteile einräumen würde, können alle Spitzhörnchen Farben gut unterscheiden.
Die Hoden liegen je nach Art permanent oder während der Fortpflanzungszeit im Hodensack neben dem Penis. Die Eichel ist verlängert und ein Penisknochen fehlt. Die Gebärmutter der Weibchen ist zweihörnig.
Lebensweise
Aktivität
Anders als viele andere kleinere Säugetiere sind Spitzhörnchen tagaktiv. Federschwanz-Spitzhörnchen (Ptilocerus lowii) sind jedoch nachtaktiv und mit großen Augen, einer reflektierende Schicht hinter der Netzhaut, sehr großen Ohren, langen Tasthaaren und einer grau-schwarzen Tarnfärbung gut an diese Lebensweise angepasst. Die Bergtupajas der Gattung Dendrogale sind vermutlich dämmerungsaktiv, über ihre Lebensweise ist jedoch nicht viel bekannt. Bei den tagaktiven Arten liegen die Aktivitätshöhepunkte am frühen Vormittag und am späten Nachmittag. Als Schlafplätze werden primär Baum- und Erdhöhlen genutzt, jedoch auch Felsspalten, hohle Bambusstämme und Mulden unter großen Wurzeln und umgefallenen Bäumen. Während des Schlafes liegen Spitzhörnchen zusammengerollt, bei kurzen Ruhepausen liegen sie einfach auf Ästen. Die hohe Aktivitätskörpertemperatur von 40 °C wird bei nächtlichen Schlafphasen auf 36 °C gesenkt. Allgemein sind Spitzhörnchen gegen Temperaturschwankungen recht unempfindlich und vertragen Temperaturen zwischen 5 und 40 °C problemlos.
Ernährung
Die Spitzhörnchen ernähren sich von kleinen Gliedertieren, jedoch auch von anderen Wirbellosen sowie Pflanzenteilen, speziell Früchten und Samen, oder kratzen mit ihrem Zahnkamm Harze und Pflanzensäfte von Bäumen. Sehr große Spitzhörnchen wie der Tana fressen gelegentlich kleine Wirbeltiere wie Eidechsen und Kleinsäuger und brechen Vogeleier auf. In Gefangenschaft wurde beobachtet, wie große Spitzhörnchen Mäuse und Jungratten fingen und diese mit einem Nackenbiss töteten. Spitzhörnchen gehen für die Nahrungssuche fast immer auf den Boden und suchen ihre Nahrung, indem sie mit Schnauze und Pfoten durch die Laubstreu wühlen. Eine Ausnahme hiervon bilden nur die ausschließlich baumlebenden Spitzhörnchen wie der Federschwanz. Die Beute wird mit der Schnauze gepackt; nur, wenn die Beute nicht mit der Schnauze erreicht werden kann, setzen Spitzhörnchen ihre Pfoten ein. Fliegende Insekten werden in einer schnellen Bewegung mit einer oder beiden Pfoten gefasst. Charakteristisch für Spitzhörnchen ist, dass alle Arten beim Fressen die Nahrung mit den Vorderpfoten halten.
Sozialverhalten
Für gewöhnlich leben Spitzhörnchen allein oder paarweise in je nach Lokalität 500 (Plantage) bis 10.000 Quadratmeter (natürlicher Wald) großen Revieren, die heftig gegen gleichgeschlechtliche Artgenossen verteidigt werden. Die Reviere der Weibchen überlappen sich wenig bis gar nicht; zwei bis drei Weibchenreviere werden vom Revier eines Männchens überdeckt. Es bilden sich oft lang anhaltende, harmonische Paarbeziehungen, die vor allem am regelmäßigen Begrüßungslecken und gemeinsamen Ruhen erkennbar sind. Unharmonische Paare gebären zwar Jungtiere, fressen diese aber wie normale Beute.
Spitzhörnchen reagieren sehr aggressiv auf Artgenossen, die in ihr Revier eindringen: Sie kämpfen heftig, teilweise mit Bisswunden und Kratzern als Folge. Der Eindringling ist meist innerhalb von Sekunden oder Minuten vertrieben. In Gehegen kann der Unterlegene dem dominanten Spitzhörnchen nicht ausweichen, und trotz guter Nahrungsaufnahme verliert der Schwächere stark an Gewicht, fällt nach ein paar Tagen ins Koma und stirbt schließlich.
Die Kommunikation über Laute ist bei Spitzhörnchen eher schwach ausgeprägt; es werden acht Laute in den Funktionsbereichen Kontaktaufnahme, Aufmerksamkeit, Alarm und Aggression unterschieden. Die Laute werden vom Schwanz als Ausdrucksorgan unterstützt; er schlägt zum Beispiel bei Aufregung auf und ab. Wenn Spitzhörnchen im Nest überrascht oder von anderen Spitzhörnchen angegriffen werden, stoßen sie mit weit offenem Maul ein knurrendes, raues Zischen aus. Dieses Verhalten tritt auch bei Jungtieren auf, die im Nest gestört werden. Bei Kämpfen quietschen und kreischen Spitzhörnchen. Aufgeregte Vertreter der Gattung Tupaia schnattern laut, oft wird dies als Sammelruf interpretiert, der ausgestoßen wird, wenn potenzielle Feinde gesichtet wurden.
Während die anderen Kommunikationsmuster nur mäßig ausgeprägt sind, ist die Kommunikation über Gerüche stark ausgeprägt. Spitzhörnchen setzen umfangreiche Duftmarken, die aus den Sekreten bestimmter Drüsen sowie seltener aus Urin und Kot bestehen. Die Duftsekrete entstammen Drüsenfeldern des Bauches. Sie sind von öliger Konsistenz und bestehen zu mehr als 99 % aus Fett. Dies gewährleistet unter den dortigen klimatischen Bedingungen eine lange Haltbarkeit des Duftes. Tupaia belangeri besitzt Drüsen an Brust und Unterleib. Die Brustdrüsen werden aktiviert, indem das Tier steifbeinig steht und die Drüse an dem zu markierenden Objekt reibt. Die Unterleibsdrüse wird eingesetzt, wenn das Spitzhörnchen von einem Ast rutscht und die Drüsen gegen diesen Ast drückt. Der Urin wird in Tröpfchen während des Laufens abgesetzt. Tanas zelebrieren eine Art Tanz, bei dem sie ihre Pfoten mit zuvor auf einer glatten Fläche abgesetzten Urin befeuchten; dadurch wird mit jedem Schritt der Geruch verbreitet. Gefangene Spitzhörnchen setzen Kot an bestimmten Stellen im Käfig ab; wahrscheinlich dient der Kot wie die anderen Duftstoffe hauptsächlich dazu, das Revier zu markieren, jedoch geht der Informationsgehalt wahrscheinlich über Reviermarkierung hinaus.
Fortpflanzung und Entwicklung
Spitzhörnchen können sich das ganze Jahr über fortpflanzen, je nach Art gibt es jedoch besonders geburtenstarke Phasen. Der Östrus dauert acht bis 39 Tage und ist postpartum, das heißt in diesem Fall, dass direkt nach der Geburt eine Kopulation stattfinden kann, die dann einen Eisprung auslöst. Nachdem die Paarung beendet ist, zeigen Männchen keine weitere Fürsorge für die Fortpflanzung.
Nach einer Tragzeit von 40 bis 52 Tagen werden die Jungtiere in einem vom Muttertier gebauten Nest geboren, das von den Ruhe- und Schlafplätzen der Elterntiere getrennt ist. Das Nest wird vom Muttertier ein paar Tage bis wenige Stunden vor der Geburt mit Laub und anderem Pflanzenmaterial gepolstert. Die Wurfgröße beträgt ein bis drei Tiere; nach der durchschnittlichen Wurfgröße richtet sich auch die Anzahl der Zitzenpaare, die je nach Art ein bis drei beträgt.
Jungtiere der Spitzhörnchen sind Platzhocker, bei der Geburt sind sie unbehaart, und die Gehörgänge sind ebenso wie die Augenlider verschlossen. Spitzhörnchen haben eine stark reduzierte mütterliche Fürsorge, was sich darin äußert, dass die Mutter eines Wurfes nur alle zwei Tage für fünf bis zehn Minuten die Jungtiere säugt und ansonsten keinen Kontakt mit den Jungtieren hat. Während der wenigen Minuten werden auch weder das Nest noch die Jungtiere gesäubert. Ein Erklärungsversuch deutet dieses Verhalten als Schutz vor Fressfeinden, da ein säugendes Weibchen sehr viel auffallender ist als einzelne Jungtiere. Um das lange Säugeintervall auszugleichen, nehmen die Jungtiere sehr viel Milch auf (je nach Art zwei bis 15 Gramm); dadurch werden die nur etwa zehn Gramm schweren Jungtiere regelrecht aufgebläht. Überdies ist die Milch mit einem Fettgehalt von 26 % und einem Proteingehalt von 10 % äußerst nahrhaft. Durch diese Milch können sie ohne die Mutter eine Körpertemperatur von 37° C aufrechterhalten und wachsen sehr schnell heran. Während der Säugezeit erkennt die Mutter ihre Jungen am Geruch, den sie beim Säugen auf sie überträgt; als dieser Geruch in Versuchen neutralisiert wurde, fraß die Mutter ihre eigenen Jungen.
Das Gehör ist nach zehn Tagen entwickelt, die Augenlider öffnen sich nach drei Wochen. Das Nest verlassen sie in der Regel nach etwa einem Monat; dann sehen sie bis auf die Körpergröße wie die Adulti aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hat das Muttertier bloß eineinhalb Stunden bei den Jungtieren verbracht. Nachdem das Nest verlassen wurde, wachsen die Jungtiere weiterhin schnell heran und sind im Alter von drei bis vier Monaten ausgewachsen und geschlechtsreif; dann vertreibt das Muttertier die Jungen aus seinem Revier. Über die Lebensspanne in der Wildnis ist wenig bekannt; in Gefangenschaft beträgt sie in der Regel neun bis zehn Jahre.
Stammesgeschichte und Systematik
Geschichtliche und aktuelle Darstellung
Die erste Darstellung eines Spitzhörnchens erfolgte von William Ellis, der James Cook bei seiner Reise im malaiischen Archipel um 1780 begleitete. Im Tagebuch fand sich ein Eintrag, dass in der Nähe von Saigon ein seltsames Tier erlegt worden sei. Wegen Merkmalen des Gebisses wurde es zu den Insektenfressern gestellt und irreführend „tree shrew“ genannt, dies heißt im deutschen „Baumspitzmaus“. 1866 brachte Ernst Haeckel Rüsselspringer und Spitzhörnchen in das den Insektenfressern untergeordnete Taxon Menotyphla ein und stellte sie damit den restlichen Insektenfresser im Taxon Lipotyphla entgegen. Wesentliche Unterscheidung zwischen den beiden Taxa war der Blinddarm bei Menotyphla.
Gerüttelt wurde an der Insektenfresserthese erstmals um 1910, als W. K. Gregory Hinweise gab, dass die Spitzhörnchen den Primaten näher stehen. 1920 behauptete der Anatom Wilfrid Le Gros Clark, dass die Spitzhörnchen die erste Seitenlinie der Primaten seien, und bestätigte insofern Gregory. Dies schloss er aus Strukturvergleichen von Schädel, Gehirn, Muskulatur und Fortpflanzungsorganen. 1945 übernahm George Gaylord Simpson in seinem bedeutenden Werk über die Klassifikation der Säugetiere, Principles of Classification and a Classification of Mammals (Prinzipien der Klassifikation und eine Klassifikation der Säugetiere), diese These und bezeichnete Spitzhörnchen als Primaten aus der Gruppe der Lemuren. Hierauf folgte eine Phase intensiver Forschung, da gehofft wurde, so die Evolution des Menschen aufzuklären. Danach kam man zu dem Schluss, dass die Spitzhörnchen überlebende Abbilder unserer Primatenvorfahren seien und als Halbaffen zu bezeichnen sind.
1969 schließlich trennte Erich Thenius die Spitzhörnchen als eigene Ordnung Tupaioidea ab, wurde jedoch hinsichtlich des Namens um 1972 von P. M. Butler korrigiert, der darauf hinwies, dass der bereits 1855 verwendete Name Scandentia von Johannes Andreas Wagner höhere Priorität hat.
Eine Schwierigkeit bei der Rekonstruktion der Verwandtschaftsverhältnisse war auch der eher schlechte Fossilbeleg. In den indischen Siwalik-Bergen wurden jedoch zehn Millionen Jahre alte Fossilien von Spitzhörnchen gefunden. Die Art wurde Palaeotupaia sivalensis genannt. Dies war wohl wie die meisten heutigen Spitzhörnchen ein gelegentlich kletternder Bodenbewohner, womit eine Abstammung von Primaten und den bodenbewohnenden Insektenfressern unwahrscheinlich ist. Noch ältere Fossilien von Anagale gobiensis aus dem Oligozän weisen die gleichen Merkmale auf. Diese fossile Art war vielleicht ein Vorfahr der Spitzhörnchen, in diese Gruppe wird er jedoch wegen Merkmalen in der Ohrregion nicht gerechnet.
Die primatenartigen Züge, sprich kürzere Schnauze, Vorwärtsdrehung der Augenhöhle und ein besser entwickeltes Zentralnervensystem, treffen hauptsächlich auf die wenigen baumbewohnenden Spitzhörnchen wie das Zwergtupaja (Tupaia minor) zu. Ein enormer Unterschied ist das Fortpflanzungsverhalten: Während Spitzhörnchen wenig entwickelte Jungtiere zur Welt bringen und nur eine geringe Mutterfürsorge aufweisen, gebären Primaten gut entwickelte Jungen, die sie sorgfältig pflegen. So gesehen mag die außerordentliche Ähnlichkeit mit den Primaten teilweise auf Konvergenz beruhen. Dennoch legen Protein- und DNA-Sequenzen sowie immunbiologische Untersuchungen die Vermutung nahe, dass die Primatomorpha (Primaten und Riesengleiter) den Spitzhörnchen näher stehen als den meisten anderen Säugetieren.
Neuste genetische Untersuchungen[1] ergeben folgendes Bild:
- Vor 87,9 Mill. Jahren bildete sich die Gruppe der Euarchonta, welche Spitzhörnchen, Riesengleiter und Primaten umfasst.
- Als erste Ordnung trennten sich 86,2 Mill. Jahren die Spitzhörnchen ab.
- Vor 79,6 Mill. Jahren erfolgte dann die Trennung in Riesengleiter und Primaten.
Euarchontoglires Euarchonta Spitzhörnchen (Scandentia)
Primatomorpha Riesengleiter (Dermoptera)
Primaten (Primates)
Glires Hasenartige (Lagomorpha)
Nagetiere (Rodentia)
Subtaxa
Die hier dargestellte Liste folgt Wilson & Reeder (2005).
- Die Gattung der Eigentlichen Spitzhörnchen (Tupaia) ist die größte Gattung der Spitzhörnchen und zugleich die am generalistischsten gebaute. Das Gewicht reicht von 45 bis 160 Gramm. Die Vertreter dieser Gattung leben auf der malaiischen Halbinsel, Indonesien, den Philippinen und Indochina. Kennzeichnend sind gut ausgebildete Eckzähne und kleine Ohrläppchen. 15 Arten, von denen zwei (T. tana und T. dorsalis) manchmal in einer eigenen Gattung, Lyonogale, geführt werden.
- Nördliches Spitzhörnchen (T. belangeri)
- Mentawai-Spitzhörnchen (T. chrysogaster)
- Streifen-Spitzhörnchen (T. dorsalis)
- Gewöhnliches Spitzhörnchen (Tupaia glis)
- Schlank-Spitzhörnchen (T. gracilis)
- Java-Spitzhörnchen (T. javanica)
- Langfuß-Spitzhörnchen (T. longipes)
- Zwergspitzhörnchen (T. minor)
- Hochland-Spitzhörnchen (T. montana)
- Tupaia moellendorffi
- Nikobaren-Spitzhörnchen (T. nicobarica)
- Palawan-Spitzhörnchen (T. palawanensis)
- Tiefland-Spitzhörnchen (T. picta)
- Rotschwanz-Spitzhörnchen' (T. splendidula)
- Tana (T. tana)
- Das Indische Spitzhörnchen (Anathana ellioti) ist mit 160 Gramm Gewicht mittelgroß und durch eine kurze Schnauze, schlecht entwickelte Eckzähne, gut entwickelte Ohrläppchen und zwei bis drei Zitzenpaaren bei Weibchen gekennzeichnet. Das Verbreitungsgebiet des Indischen Spitzhörnchens liegt in Indien südlich des Ganges.
- Das Philippinen-Spitzhörnchen (Urogale everetti) ist mit einem Gewicht von 350 Gramm das größte Spitzhörnchen. Bei Everetts Spitzhörnchen ist das zweite Paar der oberen Schneidezähne stark vergrößert, das dritte Paar der unteren Schneidezähne ist hingegen verkümmert. Die Weibchen haben zwei Zitzenpaare. Diese Spitzhörnchen leben auf Mindanao, Dinigat und Siargao.
- Die Vertreter der Gattung der Bergtupajas (Dendrogale) sind baumlebend und mit 50 Gramm Gewicht recht klein. Sie sind durch eine kurze Schnauze und große Ohrläppchen sowie einen langen, mit feinem Haar bedeckten Schwanz erkennbar. Die Weibchen haben ein Zitzenpaar. Vertreter von Dendrogale leben auf Nordborneo, Ostthailand, Vietnam und Kambodscha.
- Borneo-Bergtupaja (Dendrogale melanura)
- Nördliches Bergtupaja (Dendrogale murina)
- Das Federschwanz-Spitzhörnchen (Ptilocercus lowii) ist der einzige Vertreter der monotypischen Unterfamilie Ptilocercinae, die im Süden der malaiischen Halbinsel, Nordwestborneo, Nordsumatra und den umliegenden Inseln beheimatet ist. Es ist klein (50 Gramm Gewicht), nachtaktiv, kann binokular sehen und ist vor allem durch eine Quaste am Ende des ansonsten unbehaarten Schwanzes gekennzeichnet. Die oberen Schneidezähne sind groß und die Ohrläppchen groß, häutig und beweglich. Weibchen haben zwei Zitzenpaare.
Spitzhörnchen und Menschen
Die wechselseitigen Beeinflussungen von Spitzhörnchen und Menschen sind gering. Manche Populationen sind Kulturfolger, trotzdem spielen sie weder in Wirtschaft, noch in Mythologie eine besondere Rolle. Einige Arten sind jedoch wegen Lebensraumverlust selten geworden. Mitunter werden Obstplantagen durch Spitzhörnchen geschädigt.
Literatur
- Louise H. Emmons: Tupai: A field study on bornean tree shrews. University of California Press, erschienen 2000. ISBN 0-520-22291-1
- Robert D. Martin: Spitzhörnchen. In: David MacDonald (Hrsg.): Die große Enzyklopädie der Säugetiere. Könemann in der Tandem Verlag GmbH, Königswinter 2004 (Übersetzung der englischen Originalausgabe von 2001); S. 426–431. ISBN 3-8331-1006-6.
- Nadja Schilling: Scandentia (Tupaiiformes), Spitzhörnchen, Tupaias. In: W. Westheide und R. Rieger: Spezielle Zoologie. Teil 2: Wirbel- oder Schädeltiere. Spektrum Akademischer Verlag, München 2004; S. 549–553. ISBN 3-8274-0900-4.
- Ronald M. Nowak: Walker’s mammals of the world. 6. Auflage. Johns Hopkins University Press, Baltimore 1999, ISBN 0-8018-5789-9.
- K. Kolar u. a.: Spitzhörnchen und Halbaffen. In: Bernhard Grzimek (Hrsg.): Grzimeks Tierleben Säugetiere 1. Bechtermünz Verlag, Augsburg 2000 (Nachdruck der dtv-Ausgabe von 1979/80); S. 243–296. ISBN 3-8289-1603-1.
- D. E. Wilson, D. M. Reeder (Hrsg.): Mammal Species of the World. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2005. ISBN 0-8018-8221-4
Quellen
- ↑ Was Affen mit Riesengleitern zu tun haben – Auf: wissenschaft.de
Weblinks
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