- Stanzen des Raffael
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Die Stanzen des Raffael (von ital. stanza für Zimmer) sind Gemächer im Apostolischen Palast, die von Raffael und seiner Schule ausgemalt wurden.
Ursprünglich von Julius II. (1503–1513) ab 1508 für seine Gemächer im zweiten Stock des Vatikanspalast in Auftrag gegeben, wurden die Fresken von Raffael und seinen Mitarbeitern unter dem Patronat des Papst Leo X. (1513–1521) bis 1524 weitergeführt. Die vier Räume werden heute nach ihren Hauptthemen bezeichnet: die Sala di Costantino, die Stanza di Eliodoro, die Stanza della Segnatura und die Stanza dell”incendio di Borgo.
Der Glanz der vollendeten Fresken dauerte nicht lange. Schon 1527, beim Sacco di Roma, wurden sie von protestantischen Lanzknechten schwer beschädigt: Gesichter ausgekratzt, die die Söldner für die von Päpsten hielten, Inschriften in die bemalten Wände geritzt, so der Name Luthers oder "V K imper" (soll heißen: "Viva Karolus imperator" - es lebe der Kaiser Karl). Diese Details traten bei der letzten Restaurierung 1999-2001 zutage, die nicht nur Schmutz und Übermalungen beseitigte, sondern auch Schäden, die von alten Restaurierungen herrührten. Die Stanzen waren bald nach dem Sacco di Roma von Malern, die für die Päpste arbeiteten (darunter Sebastiano del Piombo), notdürftig restauriert worden. Weil sich Teile des Stucks von den Wänden zu lösen begannen, erfolgte 1754 eine größere Restaurierung, weitere in den Jahren ab 1856, und vor allem jene von 1937, die durch Anwendung ungeeigneter Substanzen wie Salzsäure Schäden an den Farbschichten verursachte. Die aktuelle Restaurierung durch Maurizio De Luca, Chefrestaurator der Vatikanischen Museen, unter kunsthistorischer Leitung durch Arnold Nesselrath, Direktor der byzantinischen, mittelalterlichen und modernen Abteilung der Vatikanischen Museen, hat auch die Zuschreibungen einzelner Bildteile verändert (siehe Stanza della Segnatura).
Inhaltsverzeichnis
Sala di Costantino
Der größte und für die offiziellen Empfänge gedachte Raum ist die Sala di Costantino, in der vier Szenen aus dem Leben des Kaisers Konstantin (306–337 n. Chr.) gemalt wurden: Bestimmende Themen sind hier wie auch in den anderen Räumen der Sieg der Christenheit über das Heidentum und der Triumph des „wahren” Glaubens, die in der Erscheinung des Kreuzes, der Schlacht an der Milvischen Brücke, der Taufe Konstantins und der Schenkung Roms dargestellt wurden. Papstfiguren und Tugend-Allegorien dekorieren den Raum und das Sockelgeschoss. Bei der Erscheinung des Kreuzes handelt es sich um die Erscheinung eines Vorzeichens in Form eines Kreuzes, das Kaiser Konstantin den Sieg gegen seinen Konkurrenten Maxentius voraussagte, wenn er den römischen Adler durch ein christliches Kreuz ersetzte. Damit war der Grundstein für die Anerkennung der christlichen Religion und dann der Erhebung zur Staatsreligion gesetzt; hierdurch war das Christentum zum ersten Mal als Grund und Legitimation eines Kreuzzuges aufgetreten.
In der Schlacht an der Milvischen Brücke hat Raffael die Kampfhandlung im Norden Roms (312) gemalt, in der der nun unter dem Zeichen des Kreuzes kämpfende Kaiser Konstantin seinem Widersacher Maxentius die entscheidende Niederlage beibringt und dieser im Tiber ertrinkt; ausgeführt wurde diese Arbeit wie auch die anderen in dem Raum von Raffaels Schülern, darunter Giulio Romano, dessen Handschrift hier identifiziert wurde. Das dritte Fresko zeigt die Taufe Konstantins, der nach dem erfüllten Versprechen nun selbst zum christlichen Glauben übertritt. Er empfängt das Taufsakrament durch Papst Silvester I., der hier die Züge von Papst Clemens VII. (1523–1534) trägt, unter dessen Pontifikat die Arbeiten an den Fresken wieder aufgenommen wurden; ausgeführt wurden diese Fresken wahrscheinlich von Raffaels Schüler Giovanni Francesco Penni.
Nachdem Raffael die Taufe des Kaisers und damit die Unterwerfung der weltlichen Macht unter Gott gemalt hatte, wandte er sich auf dem vierten Fresko dem nächsten Schritt für die Festigung der päpstlichen Autorität (im Hochmittelalter und der Neuzeit), der Konstantinischen Schenkung zu, welche die (gefälschte, siehe auch Pippinische Schenkungen) Grundlage für das Patrimonium Petri und die Unabhängigkeit der Päpste gegenüber weltlichen Herrschern bilden sollte. Auch hier trägt der Papst Silvester die Gesichtszüge von Clemens VII., dem Neffen seines Vorvorgängers Leo X., der sich ebenfalls in den Figuren seiner namensgebenden Vorgänger in den anderen Räumen darstellen ließ. Die Holzdecke Leos X. wurde unter Gregor XII. durch ein freskiertes (Tommaso Laureti, Triumph der christlichen Religion) Gewölbe ersetzt.
Stanza di Eliodoro
Der zweite Raum, der unter Julius II. als Saal für Privataudienzen gedient hatte, wird mit Stanza di Eliodoro bezeichnet. Die Fresken haben ebenfalls eine politische Ausrichtung und zielen auf den gottgegebenen Reichtum und die Unabhängigkeit des Papsttums ab, die vor dem Hintergrund der Italienfeldzüge Frankreichs in Gefahr waren. Sie sind Ausdruck des Willens Julius II., nach dem Großen Abendländischen Schisma und der „Babylonischen Gefangenschaft” der Päpste in Avignon im 14. und 15. Jahrhundert und dem politischen und moralischen Verfall des Papsttums diesem eine neue Führungsrolle in der abendländischen Christenheit politisch und moralisch zu geben. Ausgemalt wurden die vier Wände des Raums und das Deckengewölbe, nachdem Raffael die Stanza della Segnature beendet hatte. Teile der Deckenfresken gehen auf Raffaels Vorgänger in der Dekoration der Stanzen Luca Signorelli, Bramantino, Lorenzo Lotto und Cesare da Sesto zurück, deren Arbeiten im Auftrag Julius II. durch die Malereien Raffaels ersetzt wurden.
Dargestellt wird die Verjagung des syrischen Feldherrn Heliodor aus dem jüdischen Tempel, der im Auftrag des syrischen Königs die Schätze des Tempels von Jerusalem plündern sollte, und von einem gottgesandten Reiter mit zwei Jünglingen in die Flucht geschlagen wurde. Papst Julius II. ist als Augenzeuge auf der Sedia gestatoria sitzend gemalt, die von den beiden Künstlern Raffael und Marcantonio Raimondi getragen wird.
Die Messe von Bolsena stellt ein Ereignis aus dem Jahr 1263 dar, bei dem während einer Messe das Blut Christi aus der Hostie tropfte und das Korporale befleckte. Infolge dieses Wunders wurde das Fronleichnamsfest begründet und mit dem Bau der Kathedrale von Orvieto begonnen. Mögliche Zweifel an der theologischen Lehrmeinung über die Transsubstantiation, die Verwandlung des Weines und Brotes in das Blut und den Leib Christi und der diesbezügliche theologische Disput Martin Luthers über den Glauben an die Realpräsenz der Eucharistie bzw. den Abendmahlsstreit, sollten in diesem Bild beseitigt werden. Die Gläubigen sollten in ihrem Glauben in der Kommunion gestärkt werden. Julius II. ist mit seinen Verwandten, den Kardinälen Leonardo Grosso della Rovere, Raffaello Riario, Tommaso Riario und Agostino Spinola, kniend zur Rechten dargestellt.
Die Befreiung des Apostels Petrus aus dem Gefängnis zeigt die der Apostelgeschichte (12, 5–12) entnommene Schilderung der "wundersamen" Befreiung des ersten Bischofs von Rom durch einen Engel; es nimmt in der Themenwahl Bezug auf die Besetzung des Kirchenstaats durch die Franzosen und seine Befreiung durch Julius II., der Kardinal von San Pietro in Vincoli war.
Nach dem Tod Julius II. wurde das letzte Fresko dieses Raumes fertiggestellt, das in der Begegnung Leos des Großen mit Attila (452 n. Chr.) die Verteidigung des Kirchenstaates durch Leo I. gegen den Einfall der Hunnen zeigt. Dem namensgebenden Vorgänger des Papstes Leo X., der zweimal als Kardinal und als Papst Leo I. hier gezeichnet wurde, erschienen in den Verhandlungen mit Attila die schwerterschwingenden Apostel Petrus und Paulus, die dem Papst als Apostelfürsten der ecclesia militans den Rücken stärkten und den Hunnen von einer Abkehr von Italien bewegt haben sollen. Auch hier ist ein deutliches Signal sowohl an die Franzosen als auch an die Habsburger zu erkennen, die schließlich 1527 im Sacco di Roma barbarisch die Stadt Rom verwüsteten.
Stanza della Segnatura
Die Stanza della Segnatura, der erste 1508–1511 von Raffael ausgemalte Saal der vier Räume, beherbergt die berühmtesten Fresken Raffaels, die einen Markstein in der Malerei der Hochrenaissance darstellen. Der Name des ursprünglich als Studierzimmer genutzten Raumes rührt von seiner Funktion unter Julius II., der dort die höchste päpstliche Gerichtsbarkeit, die Segnatura Gratiae et Iustitiae, unter seinem Vorsitz versammelte.
Die bestimmenden Themen des Raumes sind die „drei höchsten Prinzipien des menschlichen Geistes”: das Wahre, das Gute und das Schöne. Diese sind dargestellt in den vier Wand- und den Gewölbe-Fresken, die die Disputa, die Schule von Athen, die Kardinals- und Gottestugenden und das Gesetz sowie den Parnaß zum Bildthema haben. Die theologische Wahrheit findet ihren Ausdruck in der Disputa des allerheiligsten Sakraments, die sich ebenso wie das Fresko in der Stanza di Constantin auf den Triumph der christlichen Religion bezieht: Der ganze katholische Glaubenskosmos bestehend aus der Heiligen Dreifaltigkeit samt der Mutter Gottes, den Heiligen, den Patriarchen, den Propheten, den Aposteln, den Kirchenvätern etc. – einige der Personen tragen Gesichtszüge historischer Figuren –, wie er beim fünften Laterankonzil 1512–1517 erneut definiert wurde. In der Schule von Athen hat Raffael die natürliche Wahrheit, die philosophische Vernunft, in Form von antiken Philosophen – Platon, Aristoteles, Pythagoras, Diogenes, Heraklit, Euklid, Zarathustra, Ptolemäus, z. T. wieder mit Gesichtszügen historischer Personen (u. a. Michelangelo und Raffael selbst) – vor einer Renaissance-Architektur (Bramantes Entwurf für Neu-St. Peter) gemalt. Das Gute zeigt Raffael in den Kardinal- und Gottestugenden und das Gesetz als Allegorien auf die Kardinaltugenden Tapferkeit, Klugheit und Mäßigung und die christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, die in den Lünetten der Wand gemalt wurden; Kaiser Justinian („der Gerechte“) übergibt die Pandekten (röm. Rechtsdekrete) dem Papst Gregor IX. als Zeichen der Kontinuität des römischen Imperiums (gemalt von Lorenzo Lotto). Der Papst trägt die Züge des Auftraggebers Julius II. Die Kardinäle zu seiner Seite sind Giovanni de Medici und Alessandro Farnese, die zukünftigen Päpste Leo X. und Paul III. (1534–1549). Im Parnaß ergänzen die Apoll untergebenen Musen, und die antiken und moderne Dichter – Homer, Vergil, Dante und Sappho – den Geisteskosmos dieses Raums. Das Gewölbe zeigt zusammenfassend in allegorischer Form die Fähigkeiten des Menschen zur Philosophie, Theologie, Poesie und Gerechtigkeit.
Die jüngste Restaurierung der Stanzen, geleitet von Arnold Nesselrath, hat bei den vorausgegangenen Untersuchungen der Fresken und mit Hilfe eines Stilvergleichs der Fresken Lorenzo Lottos in Trescore bei Bergamo ergeben, daß der erhaltene Anteil Lottos viel größer ist als bisher angenommen.
Stanza dell'incendio di Borgo
1514–1517 malte Raffael seinen zweiten Raum aus, die Stanza dell'incendio di Borgo, die unter Julius II. ebenfalls als Gerichtsraum und unter Leo X. als Speisezimmer diente. Peruginos Ausmalung des Deckengewölbes von 1508 nimmt Bezug auf die Gerichtsfunktion des Saals. Raffael verdeutlicht in seinen Fresken den politischen Willen zur kirchlichen Vorherrschaft Leos X., wie er es in der Stanza di Eliodoro bereits für Julius II. umgesetzt hatte. Die Suprematie des Papstes gegenüber den weltlichen Mächten, die Einheit der Christenheit und der Kampf gegen die Ungläubigen sind die bestimmenden Bildaussagen.
Diese finden in der Krönung Karls des Großen durch den Papst Leo III. ihre erste Formulierung eines erwünschten und angestrebten Verhältnisses von Papsttum und Kaisertum. Konkret Bezug genommen wird auf Leo X. und den französischen König Franz I., dessen Eroberungen in Norditalien im Konkordat von Bologna durch den Papst anerkannt worden war. Die Gründung des Heiligen Römischen Reiches als Fortführung des fünften, römischen Weltimperiums, und die translatio imperii waren die ideologischen Grundlage für die Autorität des Papstes in der westlichen Welt.
Im folgenden Fresko der Rechtfertigung Leos III. zeigt Raffael die Episode nach der Krönung des Frankenkönigs, in der der Papst gegenüber den Nepoten seines Vorgängers Hadrian VI. Rechtfertigungen mit dem Hinweis zurückweist, Gott allein für sein Handeln verantwortlich zu sein. Auch wird der politische Anspruch des Papstes an seine weltlichen und kirchlichen Gegner deutlich, allein Gott zu unterstehen und keinem weltlichen Herrscher.
Das Bild des Borgobrandes zeigt Papst Leo IV. (847–855), der durch seinen Segen den Brand im Nachbarviertel des Vatikan, dem Borgo, löscht und damit Stadt und Kirche rettet. Anspielungen auf die seit Jahrzehnten in Südosteuropa tobenden und nach dem Fall von Konstantinopel nun in Ungarn wütenden Türkenkrieg sind hier nicht zu übersehen. Das Thema des Kreuzzugs bzw. des Kampfes gegen die Ungläubigen und des Schutzes der Gläubigen steht auch im Mittelpunkt des Bildes der Seeschlacht von Ostia, in der die Truppen Leos IV. die feindlichen Sarazenen vernichtend schlagen. Alle in diesem Raum gezeigten Szenen nehmen Bezug auf die wichtigsten Taten der Namensvorgänger Leos X., der sich mit seinen Gesichtszügen in ihren Figuren darstellen lässt und damit eine ideelle Vereinigung seiner Vorgänger mit seinem Pontifikat verbildlicht.
Insgesamt sind die Fresken Raffaels als Ausdruck des Glaubens an den Triumph des Christentums und als ein Willensbekenntnis des politischen Anspruchs auf die Suprematie des Papsttums gegenüber weltlicher Herrschaft zu lesen.
Literatur (Auswahl)
Monografien
- Guido Cornini: Raffaello nell'appartamento di Giulio II e Leone X. Monumenti, musei, gallerie pontificie. Electa u. a., Mailand 1993, ISBN 88-435-4673-2 (Luce per l'arte).
- Joachim W. Jacoby: Den Päpsten zu Diensten. Raffaels Herrscherzyklus in der Stanza dell' Incendio im vatikanischen Palast. Olms, Hildesheim u. a. 1987, ISBN 3-487-07846-5 (Studien zur Kunstgeschichte. 22), (Zugleich: Diss. Univ. Hamburg 1984).
- Christiane L. Joost-Gaugier: Raphael's Stanza della Segnatura. Meaning and invention. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2002, ISBN 0-521-80923-1.
- Glenn W. Most: Raffael. Die Schule von Athen. Über das Lesen der Bilder. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN (Fischer 13385 Kunststück).
- Arnold Nesselrath: Raphael's School of Athens. Ed. Musei Vaticani, Vatikan 1997, ISBN 88-86921-05-2 (formal falsche ISBN) (Recent restorations of the Vatican Museums. 1).
- Konrad Oberhuber: Raffael. Das malerische Werk. Prestel, München u. a. 1999, ISBN 3-7913-2237-0.
Aufsätze
- Arnold Nesselrath: Lorenzo Lotto in the Stanza della Segnatura, in: The Burlington Magazine CXLII, 2000, pp. 4-12
- Michael Rohlmann: Leoninische Siegverheissung und clementinische Heilserfüllung in der Sala di Costantino. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte. Bd. 57, Heft 2, 1994, ISSN 0044-2992, S. 153–169.
- John Shearman: The Vatican Stanze. Functions and Decorations. Read 24 november 1971. In: Proceedings of the British Academy. Bd. 57, 1972, ISSN 0068-1202, S. 4–58 (Auch Sonderdruck: Oxford University Press, London 1972, ISBN 0-19-725677-5).
Weblinks
- Jacob Burckhardts Cicerone von 1855 online beim Gutenberg Projekt, gehostet von Spiegel; zu den Stanzen siehe besonders [1]
- Die Vatikanischen Museen – Die Stanzen Raffaels
- Stanza della Segnatura: Parnaß
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