Staatsreligion

Staatsreligion

Staatsreligion (auch offizielle Religion) ist eine von einem Staat gegenüber anderen Religionen bevorzugte Religion. In Europa galt nach Beginn der Reformation Anfang des 16. Jahrhunderts und Kriegen zwischen Protestanten und Katholiken im Augsburger Religionsfrieden das Prinzip Cuius regio, eius religio.

Inhaltsverzeichnis

Typen der Staatsreligionen

Staatsreligionen (bzw. in Europa auch als Staatskirchen bezeichnet) sind in unterschiedlich starkem Ausmaß mit dem Staat verbunden oder von ihm abhängig. Der Staat identifiziert sich mit einer Religion und erkennt diese als „seine“ Religion an.

Die schwächste Ausprägung einer Staatsreligion ist die Nennung der religiösen Zugehörigkeit der Bevölkerung, wie etwa die französische Verfassung von 1830 mit ihrer Feststellung der überwiegend römisch-katholischen Glaubenszugehörigkeit der Franzosen. In Ländern mit christlich-orthodoxen Nationalkirchen besteht eine hohe, historisch gewachsene Identifikation der Gesellschaft mit den einheimischen Kirchen. Daraus ergeben sich faktisch mitunter enge Beziehungen und auch Unterstützung durch den Staat, ohne dass die Nationalkirchen eigens in den Verfassungen als Staatskirchen bezeichnet würden.

Eine geringe Ausprägung ist gegeben, wenn der Staat zwar eine Religion institutionell bevorzugt, gleichzeitig aber die individuelle Religionsfreiheit uneingeschränkt gewährleistet. Beispiele hierfür sind aktuell insbesondere England, Dänemark und Norwegen sowie bis 2000 auch Schweden. In diesen Staaten ist/war die anglikanische bzw. lutherische Kirche Teil des Staates und wurde auch vom Staat kontrolliert. Die Königin von Großbritannien ist zugleich Oberhaupt der anglikanischen Church of England („Fidei Defensor“), ebenso sind die Königin von Dänemark und der König von Norwegen zugleich Oberhaupt der lutherischen Kirche von Dänemark bzw. Norwegen. Innerkirchliche Entscheidungen ergehen in Form von staatlichen Gesetzen, die Kirchen sind als Teil des Staates zur Gewährung z. B. von Glaubensfreiheit verpflichtet. Aus diesen Beispielen lässt sich erkennen, dass mit einer Staatsreligion nicht zwangsläufig eine fehlende individuelle Religions- oder Weltanschauungsfreiheit verbunden ist. Mit der Stellung als Staatsreligion geht zumeist auch eine finanzielle Bevorzugung der entsprechenden Religionsgemeinschaft einher.

In einigen islamischen Ländern ist die Verbindung zwischen Staatswesen und Religion umfangreicher, indem Grundlage des Gemeinwesens die religiösen Regeln einer Strömung des Islam sind. Die inhaltliche Identifikation mit einer Religion geht einher mit der Verfolgung Andersgläubiger und insbesondere den von der Staatsreligion Abgefallenen. Beispiele hierfür sind der Jemen und insbesondere Saudi-Arabien. Der Staat hat hier auch die Aufgabe, die „wahre“ Religion zu beschützen und zu bewahren, und sichert so den Zusammenhalt der Gesellschaft und die innenpolitische Stabilität.

Als Pendant zu den Staatsreligionen besaßen die sozialistischen Staaten des 20. Jahrhunderts eine staatlich geförderte Weltanschauung. Abweichende Weltanschauungen oder Religionen wurden mehr oder minder diskriminiert und sollten letztlich „absterben“. Es wurde anstelle einer Staatsreligion eine Staatsweltanschauung gepflegt und mit dieser identifizierte sich der Staat. Religionsgemeinschaften werden z. B. in China nur toleriert, wenn sie dem Staat offen gegenüber stehen und ihre Botschaft der aktuellen staatlichen Doktrin anpassen.

Besonderheiten

  • Seit dem Ersten Vatikanischen Konzil in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es explizite katholische Lehre, dass der römisch-katholische Glaube als einzig wahre Religion in katholisch dominierten Staaten auch in den Rang einer Staatsreligion zu erheben sei. Diese Konzeption wurde auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil aufgegeben, indem in der Erklärung Dignitatis humanae die Religionsfreiheit einschließlich der öffentlichen nichtkatholischen Religionsausübung und des Diskriminierungsverbotes positiv bewertet wurden. In mehreren südeuropäischen Staaten mit vorwiegend katholischer Bevölkerung wurden in der Folge entsprechende Verfassungsregelungen gestrichen, zuletzt in Italien 1984. In anderen Staaten, wie zum Beispiel auf Malta, ist der Katholizismus weiterhin Staatsreligion.
  • Die Evangelisch-lutherische Kirche legt auch heute noch wert auf eine gute Beziehung zum Staat. In fast allen Staaten, in denen die lutherische Kirche mit Abstand die meisten Anhänger hat, ist sie immer noch Staatskirche. Ausnahme sind Schweden, wo sie erst 2000 vom Staat gelöst wurde, jedoch weiterhin besondere Vorrechte besitzt und z. B. rechtsgültige Ehen schließen kann, und die baltischen Staaten Estland und Lettland. In diesen Staaten wurde die Staatskirche 1940 mit der Machtübernahme der Kommunisten abgeschafft. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in 1991 hat sie zumindest in Estland wieder staatlichen Einfluss gewonnen (z.B. Gottesdienste bei Parlamentseröffnungen).
  • In Deutschland wurde mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung in Art. 137 Abs. 1 jegliche Staatskirche verboten. Dieses Verbot hatte zuvorderst Auswirkungen auf die evangelischen Landeskirchen, die sich zwar bereits im 19. Jahrhundert weitgehend von der staatlichen Verwaltung gelöst hatten, jedoch weiterhin dem jeweiligen Landesherrn als ihrem „obersten Bischof“ unterstanden (sog. landesherrliches Kirchenregiment). Durch das Staatskirchenverbot wurde dieser staatlichen Leitung der Kirche die Grundlage entzogen. Der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts wurde jedoch nach Art. 137 Abs. 5 WRV beibehalten und für andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften explizit geöffnet.
  • In der Schweiz gibt es weder auf Bundes- noch auf kantonaler Ebene eigentliche Staatsreligion(en). Die Zuständigkeit im Staatskirchenrecht ist auf der kantonalen Ebene angesiedelt, und entsprechend kann jeder Kanton verschiedene Konfessionen und Religionen (evangelisch-reformiert, römisch-katholisch, christkatholisch, jüdisch) öffentlich-rechtlich anerkennen (Landeskirchen). Die Verhältnisse entsprechen damit mehr oder weniger denjenigen in Deutschland, indem gewissen Religionsgemeinschaften eine formal herausgehobene Stellung zugesprochen werden kann, ohne dass damit andere eingeschränkt und folglich diskriminiert würden. Eine «strikte» Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften wurde in den Kantonen Genf und Neuenburg durchgeführt, wo nach dem Vorbild Frankreichs alle Religionsgemeinschaften dem Privatrecht unterstellt sind.
  • Die Russisch-Orthodoxe Kirche genießt seit dem Ende der Sowjetunion 1991 besonderes Ansehen in Russland. Ihren bis zur Revolution 1917 innegehabten Status einer Staatsreligion hat sie nicht wieder erlangt.
  • Im Osmanischen Reich war die sunnitisch-islamische Rechtsschule der Hanafiten Staatsrechtsschule.
  • In den Vereinigten Staaten von Amerika bwz. in deren Vorläufern, den einstigen Kolonien, wurde bereits im 17. Jahrhundert die Trennung von Kirche und Staat garantiert. Jedoch hat das Christentum in der gesamten Geschichte der USA bis heute eine erhebliche Rolle gespielt. Menschen, die keiner christlichen Religionsgemeinschaft angehörten, hatten nicht die gleichen Rechte wie Christen. Heute kommt es allerdings nur noch selten zu Benachteiligungen. Die evangelikalen Freikirchen haben teilweise einen erheblichen Einfluss auf die Politik.
  • In Bolivien wurde die katholische Kirche 2009 vom Staat gelöst.
  • In Äthiopien wurden Kirche und Staat 1994 getrennt. Vor 1974 hatte die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche einen stark bevorzugten Status. Besonders die muslimische Minderheit war starker Verfolgung ausgesetzt.
  • In Liechtenstein ist die Römisch-Katholische Kirche eine Landeskirche und genießt als hervorgehobene Religion den vollen Schutz des Staates. Im Juni 2011 wurde allerdings ein Gesetzesentwurf vorgestellt, der die Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften und das Ende der Staatsreligion vorsieht[1].
  • Auf Malta ist die Römisch-Katholische Kirche Staatsreligion. Neben einem bevorzugten Status sind z.B. auch Abtreibungen und „oben ohne“ zu Baden streng verboten und strafbar. Am 29. Mai 2011 stimmten die Malteser in einer Volksbefragung für das Scheidungsrecht.

Liste der Staaten mit Staatsreligion

Christentum

Katholisch
Andorra
Argentinien (de facto)
Costa Rica
Dominikanische Republik
El Salvador
Haiti
Liechtenstein
Malta
Monaco
San Marino
Vatikanstadt
Orthodox
Finnland
Georgien (de facto)
Griechenland
Evangelisch-lutherisch
Dänemark
Färöer
Grönland
Finnland
Island
Norwegen
Reformiert (Calvinistisch)
Tuvalu
Anglikanisch
England

Buddhismus

Theravada
Kambodscha
Thailand
Tibetisch
Bhutan

Islam

Sunnitisch
Irak
Afghanistan
Ägypten
Algerien
Bahrain
Bangladesch
Brunei
Dschibuti
Jemen
Jordanien
Katar
Komoren
Kuwait
Libyen
Malaysia
Malediven
Marokko
Mauretanien
Pakistan
Saudi-Arabien
Somalia
Sudan
Tunesien
Vereinigte Arabische Emirate
Schiitisch
Iran
Ibaditisch
Oman

Judentum

Israel (de facto[2])

Einzelnachweis

  1. Gesetzesentwurf in Liechtenstein
  2. Bundeszentrale für politische Bildung: Die Bedeutung der Religion im Staat Israel

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  • Aurelius Augustinus — Älteste bekannte Darstellung von Augustinus in der Tradition des Autorbildes (Lateranbasilika, 6. Jahrhundert) Augustinus von Hippo, auch: Augustinus von Thagaste, Augustin oder Aurelius Augustinus (* 13. November 354 in Tagaste (auch: Thagaste)… …   Deutsch Wikipedia

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