Hunnen

Hunnen

Hunnen ist ein Sammelbegriff für eine Gruppe zentralasiatischer Reitervölker mit nomadischer, später halbnomadischer Lebensweise. Ihre genaue Herkunft und Ethnizität ist nicht genau bekannt bzw. in der modernen Forschung umstritten. Ebenso ist unsicher, ob der Begriff Hunnen eine klar umrissene Gruppe von Stämmen bezeichnete. In der modernen Forschung wird vielmehr oft angenommen, dass der Name eher als prestigeträchtige Bezeichnung für eine heterogen zusammengesetzte Gruppe zu verstehen ist.[1] Fest steht nur, dass die in spätantiken Quellen als „Hunnen“ bezeichneten Stämme um die Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. im Raum zwischen den Flüssen Don und Wolga lebten und schließlich nach Westen vorstießen, wobei sie nicht unter einheitlicher Führung agierten.[2] Sie fielen ab 375/76 n. Chr. mit dort unbekannter Reiterkampftechnik in Europa ein (siehe Völkerwanderung) und spielten in der spätantiken Geschichte noch bis ins späte 5. Jahrhundert eine bedeutende Rolle. Allerdings zerstreuten sich die Hunnen nach dem Tod Attilas 453 und dem Zerfall seines Reichs wieder weitgehend. Hunnische Hilfstruppen in oströmischen Diensten sind jedoch noch im 6. Jahrhundert belegt.

Inhaltsverzeichnis

Namensherkunft und -verwendung

Das Wort Hunne wird in der Regel vom chinesischen Begriff für das Volk der Xiongnu abgeleitet. Die Bezeichnung Hunnen taucht in abgewandelter Form als Ounnoi (lat. Chunni bzw. Hunni) im 2. Jahrhundert n. Chr. in der Geographie des Griechen Ptolemaios auf; allerdings sind diese Hunnen kaum mit den um 375 nach Westen vordringenden Gruppen identisch.[3] Die moderne Forschung geht auch nicht mehr davon aus, dass Hunnen und Xiongnu in einer Beziehung zueinander stehen, wie zuerst im 18. Jahrhundert angenommen wurde. Letztendlich handelte es sich bei den zentralasiatischen Stämmen um Nomadengruppen, die sich je nach politischen Umständen in rudimentären Herrschaftsbereichen organisierten, trennten und neu organisierten, so dass einige Fragen zu ihrer jeweiligen Zusammensetzung immer offen bleiben werden (siehe auch: Ethnogenese). Der Name der Xiongnu bürgte wohl für ein gewisses Prestige, weshalb dies als ein möglicher Grund für die Namensübertragung angenommen wird, auch wenn die Hunnen des 4. Jahrhunderts nach Ansicht vieler Forscher nicht mit den Xiongnu verwandt waren.[4]

In der spätantiken Geschichtsschreibung bezeichnet der Begriff Hunne schließlich oft nur ein Volk, welches aus der gewaltigen Steppenregion Zentralasiens stammte, ohne dass damit eine Aussage über die ethnische Zugehörigkeit verbunden wäre. Von der Sprache der Hunnen sind nur einige spärliche Überreste erhalten. Einige Forscher vertreten dabei die Ansicht, dass die Hunnen des 4. und 5. Jahrhunderts kein altaisches Idiom (wie bisweilen angenommen), sondern eine inzwischen ausgestorbene Sprache gesprochen haben.[5]

Im Deutschen hat die Bedeutung von Hunne eine ähnliche Entwicklung wie in der Spätantike genommen. Das heißt, dass sich die Bedeutung vom Ursprung löste, so dass Hunne im 10. Jahrhundert sowohl Ungar wie auch Aware bedeuten konnte, wie zum Beispiel aus Kapitel 17 und 18 in Buch 1 der Sachsengeschichte von Widukind von Corvey hervorgeht.[6] Im Mittelhochdeutschen wurde Hunne dann darüber hinaus auch zu hiune, was Hüne oder Riese bedeutet und in Hünengrab enthalten ist.[7]
Im 19. Jahrhundert wurde über das Nibelungenlied als Nationalepos der Deutschen Hunne zu einem Begriff, der fortan alle vermeintlichen oder realen Bedrohungen aus dem asiatischen Raum kennzeichnen sollte und etwa von Hans Naumann 1933 im Vergleich mit dem Nibelungenlied über den Braunschweiger Löwen als Abwehrfigur bereits auf die Slawen als „wimmelndes, rattengraues Gezücht der leeren Steppe“ übertragen wird.[8]

Aufgrund der sogenannten Hunnenrede Kaiser Wilhelms II. wird der Begriff Hunne (engl. Hun) im englischen Sprachraum als Schimpfwort für Deutsche benutzt.

Herkunft und Abgrenzung zu den sogenannten „iranischen Hunnen“

Die Herkunft der heute im Allgemeinen als Hunnen bezeichneten Stämme hatte die ältere Forschung noch in Zusammenhang gesetzt mit dem Untergang des Xiongnu-Reiches. Das Xiongnu-Reich hatte sich um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in einen nördlichen und einen südlichen Teil gespalten. Der südliche Teil wurde zu einem chinesischen Protektorat, während das Nordreich gegen Ende des 1. Jahrhunderts unterging, die Reste der Bevölkerung ging im Volk der Xianbei auf.[9]

In der älteren Forschung wurde angenommen, dass es eine Verbindung zwischen den Xiongnu und den späteren Hunnen gegeben habe. Die neuere Forschung ist, wie bereits angesprochen, diesbezüglich weitaus skeptischer, wenn sie diese These nicht sogar ganz aufgegeben hat.[10]

Es ist faktisch nicht möglich, gesicherte Aussagen über die ethnische Herkunft der Hunnen, die Mitte des 4. Jahrhunderts zwischen Don und Wolga lebten, zu treffen; auch in der neueren Forschung können höchstens Hypothesen aufgestellt werden. Dies ist auch dadurch bedingt, dass der Begriff „Hunne“, wie schon erwähnt, in den spätantiken Quellen oft als bloße Bezeichnung für Völker benutzt wurde, die in den pontischen Steppen nördlich des Schwarzen Meeres und Mittelasiens auftraten (ähnlich wie der Begriff „Skythen“). Ebenso waren diese Gruppen kaum ethnisch homogen zusammengesetzt, zumal sich auch andere Gruppen ihnen anschlossen. Zudem ist auch umstritten, welche in den chinesischen Quellen als „Hunnen“ bezeichnete Völkerschaften wirklich als Hunnen gelten dürfen. Viele dieser Völkerschaften hatten wahrscheinlich keine Gemeinsamkeit, außer ihrer nomadischen Lebensweise.[11] Fest steht nur, dass westliche Quellen die Angreifer, die 375/76 im Gebiet der heutigen Ukraine auftauchten und die dann nach Westen vorstießen, als „Hunnen“ bezeichneten und dass ihr Wohnsitz in spätantiken Quellen nahe dem Asowschen Meer lokalisiert wurde.[12] Die Region nördlich des Kaukasus wurde auch von späteren Quellen noch als die Heimat der Hunnen bezeichnet.[13] Wer aber die Hunnen genau waren, entzog sich auch ihrer Kenntnis.

Im 4. Jahrhundert begannen Angriffe verschiedener zentralasiatischer Stämme gegen das neupersische Sassanidenreich. In den Quellen werden diese Angreifer teils als „Hunnen“ bezeichnet, doch ist ihre genaue Herkunft unklar. Diese in der Forschung auch als iranische Hunnen bezeichneten Gruppen waren aber nicht mit den „Hunnen“ verwandt, die um 375 aus der südrussischen Steppe nach Westen vorstießen.[14] Im Jahr 350 begannen Angriffe einer als Chioniten bezeichneten Gruppe gegen das Sassanidenreich. Die Chioniten eroberten Baktrien, doch konnte der Sassanidenkönig Schapur II. sie schließlich schlagen. Die Chioniten stellten den Persern Hilfstruppen, die 359 im römisch-persischen Krieg dienten und an der Belagerung der Festung Amida teilnahmen. Den Chioniten folgten die Kidariten (deren Reichsbildung wohl um 390 erfolgte und die um 470 den Hephthaliten und Persern unterlagen) und schließlich die Hephthaliten (sogenannte „Weiße Hunnen“, siehe auch das Geschichtswerk des Prokopios von Caesarea; sie waren aber nicht verwandt mit den „europäischen Hunnen“). Die Hephthaliten hatten wesentlichen Anteil am Niedergang des indischen Großreichs der Gupta und führten auch mehrere Auseinandersetzungen mit Persien (484 Tod des Sassaniden Peroz I., 498/99 Einmischung in die sassanidischen Thronstreitigkeiten). Um 560 wurde ihr Reich jedoch von Persern und Türken vernichtet.[15]

Die Hunnen in Europa

Der Einfall der Hunnen in Europa

Der Beginn der Völkerwanderung

Zur Zeitenwende beherrschten indogermanische Stämme aus der Gruppe der mit den Skythen verwandten Sarmaten die Steppe Osteuropas (Iazygen, Roxolanen, Alanen), im 3. Jahrhundert kamen die Goten dazu.

Das änderte sich, als ein Teil der in den spätantiken Quellen als Hunnen bezeichnete Gruppen in den 70er Jahren des 4. Jahrhunderts die große Völkerwanderung auslöste, wobei die Gründe für den Hunneneinfall unklar sind; vielleicht spielte nur Beutelust eine Rolle, in Frage kommen aber auch andere Gründe (z. B. Nahrungsmittelknappheit). Über die genauen Hintergründe sowie über die genaue Herkunft dieser Hunnen sind jedoch nur Spekulationen möglich. Unter ihrem Führer Balamir (oder Balamber, dessen Historizität aber zweifelhaft ist) überschritten die Hunnen die Wolga. Dort zerschlugen sie ca. 374 das Reich der Alanen im Gebiet der Wolga und des Kaukasus und schlossen ein Bündnis mit ihnen. In der heutigen Ukraine zerstörten sie 375 das Reich der Greutungen Ermanarichs (vgl. vor allem Ammianus Marcellinus, 31, 2f.). Teile der Greutungen flohen jedoch vor dem Zugriff der Hunnen nach Westen.[16]

In der Folgezeit erreichten die Hunnen die Grenzen des oströmischen Reiches, so dass der Großteil der Terwingen sich gezwungen sah, über die Donau ins Römische Reich zu fliehen. Die Hunnen sollen einen geradezu dämonischen Eindruck auf ihre Feinde gemacht haben: Bei ihnen war es, nach Angaben des Geschichtsschreibers Jordanes, Sitte, den männlichen Kleinkindern die Gesichter zu zerschneiden, um den Bartwuchs zu verhindern. Die Krieger schmierten sich Schwarzerde in die Kampfwunden, damit sich dort dickhäutige Narben bildeten. Auch praktizierten sie die Sitte der Schädeldeformation, weshalb viele Hunnen hohe Turmschädel aufwiesen. Derartig deformierte Schädel wurden sowohl in Thüringen als auch am Talas (Kirgisistan) gefunden. Der Oberkopf wurde als äußeres Zeichen ihrer Unterwerfung kahlgeschoren.

„Die Hunnen im Kampf mit den Alanen“: Darstellung (1873) von Johann Nepomuk Geiger (1805–1880)

Bezüglich der Kampftechnik zu Pferde waren die Hunnen den Europäern weit überlegen: Wie alle zentralasiatischen Reiterhirten waren auch sie außerordentliche Reiter und Bogenschützen und beherrschten die Technik des Parthischen Manövers, bei der in vollem Galopp nach hinten geschossen wurde. Die besten Bogenschützen trugen bunte Bänder in ihren langen Zöpfen. Obwohl die Hunnen über Sättel verfügten, die ihnen einen außerordentlich guten Halt boten, kannten sie nicht den Steigbügel, den erst die Awaren um 600 n. Chr. nach Europa brachten und der sich erst im 8. Jahrhundert durchzusetzen begann.[17]

Den verschiedenen europäischen Kampfverbänden der damaligen Zeit war ein derart flexibler Einsatz von Reiterei und berittenen Bogenschützen hingegen noch weitgehend unbekannt. Bei den germanischen Stämmen etwa war es üblich, den Gegner in loser Keilformation frontal anzugreifen. Und auch die professionell gedrillte römische Armee bestand Ende des 4. Jahrhunderts vor allem aus Infanterieeinheiten (wenngleich die Rolle der Reiterei auch im spätrömischen Heer stetig zunahm), deren disziplinierte und flexible Formationen zwar frontal angreifenden Gegnern in der Regel weit überlegen waren, die aber gegenüber dem hohen Tempo der sich immer wieder zurückziehenden hunnischen Reiterei ebenfalls empfindliche Nachteile aufwiesen.

Hunnische Führungsprobleme

Die Hunnen hatten zunächst keine umfassend anerkannte Führungsspitze. So stellten sie keine besondere Gefahr dar und konnten sogar gruppenweise an diversen Orten in römischen Sold genommen werden.

Bekannt wurden die Anführer Basich und Kursisch, die 395 über den Kaukasus kamen und römisches wie persisches Gebiet zwischen Antiochia und Ktesiphon plünderten, bis sie von den Persern geschlagen wurden. Der Grund für den Raubzug war eine Hungersnot auf ihrem Gebiet – sie trieben unzählige Rinder ab. Später suchten sie in Rom um ein Bündnis nach. Im gleichen Zeitraum spielte sich Uldin als Anführer der Hunnen gegenüber den Römern in den Vordergrund, bis er aufgrund von Misserfolgen um 408/09 von der Bühne der Geschichte verschwand. Der nächste Anführer scheint Charaton gewesen zu sein. Er ist für 412/13 belegt.

Greifbarer werden die nächsten Anführer, die Brüder Mundschuk, Oktar und Rua (der jedoch vielleicht nicht mitregierte). Nach Oktars Tod 430 (angeblich durch Völlerei), regierte Rua über den Großteil der europäischen Hunnen. Rua war der erste, der eine einheitliche Führung der Hunnen gewährleisten konnte, was sich in einer energischeren Außenpolitik niederschlug. Die Römer einigten sich mit ihm auf einen Waffenstillstand und mussten mäßige Tributzahlungen leisten. Dafür versprach der Hunne, Rom im Bedarfsfalle Truppen zu stellen, was z.B. im Falle des Burgundenkriegs 436 auch geschah (Nibelungensage).

Attila

Nach dem plötzlichen Tode Ruas (angeblich Frühjahr 434) wurde das Reich zwischen seinen Neffen bzw. Mundschuks Söhnen Bleda und Attila geteilt. Im Auftrag des weströmischen Feldherren Aëtius zerschlugen hunnische Hilfstruppen 436 das Reich der Burgunden, das sich seit 400 am mittleren Rhein befand. Dadurch wurde der Hunnen-König Attila, der daran aber nicht beteiligt war, ein wichtiger Bestandteil der deutschen Heldensage des Mittelalters: Er ist der König Etzel des Nibelungenliedes.

Zu einem nicht ganz geklärten Zeitpunkt Ende 444/Anfang 445 wurde Bleda von Attila ermordet. Unter dem Alleinherrscher Attila erreichte die Macht der Hunnen ihren Höhepunkt, wenngleich Attila nie über alle Hunnen herrschte und seine Kontrolle wohl eher indirekter Natur war, indem er die wichtigsten Anführer der unterworfenen Völker an seinen Hof band. Mitte des 5. Jahrhunderts begannen die „europäischen Hunnen“ sesshaft zu werden: Das Hauptsiedlungsgebiet des Volkes lag zwischenzeitlich in der Theißebene, wo Attila seit 444 seinen Heersitz hatte. Attila bekam einen Palast aus Holz, von Pfählen umzäunt, auch wenn die Hunnen immer noch im Zelt lebten. Ein Minister badete sogar in seinem eigenen Bad, die Ausnahme schlechthin. Einen eindrucksvollen Bericht über Attilas Herrschaftssitz liegt von dem oströmischen Gesandten Priskos vor. Es gab eine frühfeudale Rangordnung am Hofe. Verdiente Leute wurden dank römischen Goldes mit Pensionen versorgt, hatten Güter oder Vorrechte – so z.B. durfte der einflussreiche Minister Onegesius seine Gefangenen behalten. Aber der römische Dienst war eben doch attraktiver – Attila forderte Hunnen als entlaufene Vasallen vom oströmischen Kaiser zurück.

Attila war auf Beutegewinne bzw. Tributzahlungen angewiesen, um seine Machtstellung zu behaupten. In den Jahren zwischen 441 und 447 verwüstete Attila den gesamten Balkanraum und legte die Städte Singidunum, Serdica und Ratiaria in Schutt und Asche. Er zwang den damaligen oströmischen Kaiser Theodosius II. zu hohen Tributzahlungen. Kaiser Markian jedoch stellte die Tributzahlungen ein; Attila musste sich nach einer neuen Quelle umsehen, zumal die europäischen Provinzen Ostroms bereits verwüstet waren.

Dieses Diagramm zeigt die Wege, die von den Hunnen wahrscheinlich bei ihrer Invasion Galliens 451 benutzt wurden, und die Schicksale der Städte auf ihrem Weg.

Attila zog schließlich gegen Westrom: Er marschierte quer durch „Germanien“ und traf in Gallien 451 auf seinen einstigen Verbündeten Flavius Aëtius, den Statthalter Westroms: Dieser war zwischenzeitlich mit den Stammeskönigen der Franken, Burgunden und Westgoten verbündet und schlug Attila und dessen ostgotische, gepidische u.a. Vasallen in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern zurück. Die Schlacht endete ohne Sieger. Beide Seiten hatten schwere Verluste erlitten, aber die Moral der Hunnen war erschüttert, zumal Attila den Rückzug antreten musste.

Attila zog dann nach Italien und verwüstete mehrere Städte (u.a. Aquileia), musste sich dann aber in die Ungarische Tiefebene zurückziehen; die angebliche Begegnung mit Papst Leo dem Großen, der Attila davon abgehalten haben soll, Rom zu plündern, ist wohl nicht historisch. Aber im Grunde stellte Attila bereits seit seinem Rückzug aus Gallien keine ernsthafte Gefahr mehr dar. (Wobei das wieder eine Frage der Sichtweise ist, denn immerhin hat sich Attila für das Risiko eines Raubzuges in Gallien, weit entfernt von seinem natürlichen Stammland, gut gehalten.) Auch Ostrom lehnte weitere Tributzahlungen ab; gleichzeitig griffen oströmische Truppen hunnisches Gebiet an.[18]

Verfall und Untergang

Im Jahre 453 heiratete Attila die Gotin Hildico und starb bereits in der Hochzeitsnacht, laut Überlieferung an einem Blutsturz. Nun begann der rasche Verfall des Hunnenreichs Attilas. Durch innere Auseinandersetzungen (Abfall der Gepiden, Ostgoten und anderen) um 454/55 stark zerrissen, verloren sie endgültig ihre Schlagkraft. Ellac (Ellak, İleks) fiel 454 in der Schlacht am Nedao, Dengizich 469 im Krieg gegen Ostrom. Hunnen dienten später noch als Söldner, etwa für Ostrom (während der Kriege Justinians wurden sie unter anderem von Belisar eingesetzt).

Die Hunnen gingen nun in anderen Völkern auf. Ein Teil von ihnen (unter Ernak) wurde unter römischer Oberherrschaft in der späteren Dobrudscha angesiedelt. Diese Volksteile sollten einen der Grundstöcke für die späteren Gagausen bilden. Andere ließen sich an der heutigen serbisch-bulgarischen Grenze nieder und gingen in den slawischen Vorfahren der heutigen Mazedonier auf. Eine dritte Gruppe verblieb im heutigen Ungarn (der Name „Ungarn“ wird teils fälschlicherweise auf die Hunnen zurückgeführt) und zog in der Folgezeit auch nach Siebenbürgen weiter: Aus ihnen wurde angeblich im 9. Jahrhundert der magyarische Volksstamm der Szekler, dies ist jedoch sehr zweifelhaft, da andere Erklärungen für die Herkunft der Szekler weit glaubhafter sind.

An den Läufen der unteren Wolga siedelten ebenfalls noch Reste der Hunno-Bulgaren. Vereinzelte hunnische Volkssplitter wurden noch in den Jahren zwischen 539 und 540 von oströmischen Geschichtsschreibern erwähnt, als diese bis nach Korinth und Konstantinopel vorstießen. Die Oströmer/Byzantiner hetzten schließlich ihre Fürsten Sandilch (Utiguren) und Zabergan (Kutriguren) 558/59 aufeinander, dazu griffen die Awaren an. Auch die Sabiren, die im 6. Jahrhundert nördlich des Kaukasus saßen, und die kaum bekannten Zalen wurden von den Awaren unterworfen. So sollten auch jene Reste in anderen Turkvölkern aufgehen: Als wichtigste Nachfolgestämme seien hier nur die Wolgabulgaren, Chasaren, Petschenegen und Kumanen genannt.

Materielle Kultur der europäischen Hunnen

Als typisches Kennzeichen der Hunnen Europas gelten runde bronzene Metallspiegel, die die Hunnen allgemein von den Chinesen übernommen hatten und den Toten als Grabbeigabe mitgegeben wurden. Genauso wie eigentümliche große Kupferkessel (bis 50 kg schwer, am Rand mit Schuppen verziert), die ebenfalls aus China stammten und wahrscheinlich als Opfergefäße verwendet wurden. Diese Bronzekessel fanden sich in Ungarn ebenso wie in Rumänien, Kasachstan, Russland samt Permgebiet und in Minussinsk. Charakteristische hunnische Ziermotive sind der Lebensbaum und Raubvögelköpfe, vor allem der Adler erfreute sich bei den Hunnen großer Beliebtheit, wie bei den iranischen Steppenvölkern (Sarmaten, Alanen), von denen auch die Goten und andere Germanenstämme das Adlermotiv übernommen hatten.

Die Hunnen kämpften meist beritten mit dem enorm durchschlagskräftigen Kompositbogen, für den Nahkampf zu Pferde verwendeten sie ein sehr langes zweischneidiges Schwert, das auch als sarmatisches Langschwert oder sassanidisches Langschwert bezeichnet wird. Für den Kampf zu Fuß führten alle Hunnen ein einschneidiges, säbelartiges Kurzschwert mit. Die Hunnen waren selten schwer berüstet, neben der Leder- und Fellkleidung wurden Fellmützen oder Spangenhelme getragen.

Hunnische Gräber sind in der Regel Einzelgräber, oft in der Nähe von Flüssen angelegt. Oftmals wurden den hunnischen Kriegern Reitsattel, Lasso, Reitpeitsche und Zaumzeug ihrer Pferde, manchmal sogar die Tiere selbst mit ins Grab gegeben. Typisch für hunnische Frauen waren große Ohrringe, die Vornehmen unter ihnen trugen Stirnbänder aus Gold, verziert mit rotem Almandin und Perlmutteinlagen.

Zur Religion

Der Großteil der Hunnen hatte zu Zeiten Attilas unverändert eine naturverbundene Religion, wie zu jener Zeit, als sie aus Asien kamen.[19] Man übte Wahrsagung und Schamanismus aus, wobei die Schamanen am Namenskürzel „-kam“ (Atakam, Eskam) zu erkennen waren. Eingeweideschau und Schulterblattschau als Mittel der Vorhersage sind überliefert, wobei Jordanes nicht angab, ob die Schulterblätter dabei wie in Asien im Feuer erhitzt wurden. Die Naturkräfte waren göttlich. So wuschen die Hunnen sich und ihre Kleider bis auf wenige Ausnahmen (Attila selbst) nicht. Möglicherweise galt auch das fließende Wasser (wie etwa bei den Mongolen) als lebendig und musste entsprechend rein gehalten werden.

Für die Hunnen war der Herrscher gottähnlich, denn er sah sich von Gott zum Herrscher und König ernannt und wurde mit der Sonne verglichen. Jedenfalls vertrat man gegenüber einem römischen Vermittler die Gottähnlichkeit Attilas, der aber zumindest gegenüber seinen Hunnen ein bescheidenes Äußeres pflegte.

Es gibt auch Hinweise auf erfolgreiche christliche Missionierungsversuche bei den Hunnen. Allerdings zeugen die unverändert anhaltenden Plünderungen – und die damit verbundenen Gewalttaten in Kirchen – davon, dass es sich hierbei bloß um römische Wunschträume handelte. Es gab zwar nach wie vor eine sesshafte christliche Bevölkerung im hunnisch besetzten Pannonien, aber die Hunnen übernahmen offensichtlich nicht den Glauben der Besiegten.

An Kultgegenständen gab es Idole aus Gold und Elektron wie bei den Sarmaten und Alanen, des weiteren Amulette und schamanistisch geprägte Masken. Einige Idole wurden vom Hunnenführer Grod um 528 eingeschmolzen, um Münzen herzustellen, was seine Hinrichtung durch seinen Bruder zur Folge hatte.

Literatur

  • Franz Altheim: Geschichte der Hunnen. 5 Bde. Berlin 1959ff.
    (Älteres und teils überholtes Standardwerk)
  • Bodo Anke: Studien zur reiternomadischen Kultur des 4. bis 5. Jahrhunderts. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas. Bd 8. Wilkau-Haßlau 1998. ISBN 3-930036-11-8
  • Attila und die Hunnen. Begleitbuch zur Ausstellung. Hrsg. vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Stuttgart 2007.
  • Istvan Bóna: Das Hunnenreich. Theiss, Stuttgart 1991. ISBN 963-13-3356-6
    (Vor allem aufgrund der Einbeziehung archäologischer Erkenntnisse lesenswert)
  • Gerhard Doerfer: Zur Sprache der Hunnen. In: Central Asiatic Journal 17 (1973), S. 1–50.
  • Peter J. Heather: The Huns and the end of the Roman Empire in Western Europe. In: English Historical Review. 110 (1995), S. 4–41. ISSN 0013-8266
  • Otto J. Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Deutsche Übersetzung von Robert Göbl. Wiesbaden 1997.
    (Deutsche Erstaufl. 1978. Standardwerk, teils lückenhaft, dt. Fass. auf neuerem Stand)
  • Wilfried Menghin (Hrsg.): Germanen, Hunnen und Awaren. Schätze der Völkerwanderungszeit. Die Archäologie des 5. und 6. Jahrhunderts an der mittleren Donau und der östlich-merowingische Reihengräberkreis. Ausstellungskataloge des Germanischen Nationalmuseums. Nürnberg 1987. ISBN 3-9801529-4-4
  • Timo Stickler: Die Hunnen. München 2007. ISBN 978-3-406-53633-5
    (Kompakte Einführung in die Geschichte der Hunnen in der Reihe C.H.Beck Wissen; Besprechung bei H-Soz-u-Kult)
  • Edward A. Thompson: The Huns. Oxford 1999, 2000. ISBN 0-631-21443-7
    (Werk aus den 40er Jahren, mit einem Nachwort von Peter Heather)
  • Gerhard Wirth: Attila. Das Hunnenreich und Europa. Stuttgart-Berlin-Köln 1999.

Weblinks

 Commons: Hunnen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Vgl. etwa Stickler, Die Hunnen, S. 24ff.
  2. Siehe allgemein die fachwissenschaftlichen Beiträge in dem Ausstellungskatalog Attila und die Hunnen.
  3. Ptolemaios 3,5,10, siehe dazu auch Martin Schottky: Huns. In: Encyclopedia Iranica; Stickler, Die Hunnen, S. 24ff.
  4. Vgl. Stickler, Die Hunnen, S. 20–26.
  5. Gerhard Doerfer: Zur Sprache der Hunnen. In: Central Asiatic Journal 17 (1973), S. 1–50.
  6. Rerum gestarum Saxonicarum libri tres, Buch 1, Kap. 17-18. – Vgl. ebenfalls Hunnen-Legende in Ungarn
  7. Siehe dazu Elmar Neuß: Hûn- in zweigliedrigen germanischen Personennamen und das Ethnonym Hunne(n), S. 41, in: Uwe Ludwig und Thomas Schilp (Hg.): Nomen et Fraternitas: Festschrift für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag. (Ergaenzungsbaende zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde), De Gruyter, Berlin 2008, S. 39-52. (online).
  8. Hans Naumann: Der Braunschweiger Löwe, S. 93, in: Wandlung und Erfüllung. Reden und Aufsätze zur germanisch-deutschen Geistesgeschichte, Stuttgart 1933, S. 93-94.
  9. David Andrew Graff: Medieval Chinese warfare. Cambridge 2002, S. 39f. ISBN 0-415-23954-0
  10. Vgl. etwa Denis Crispin Twitchett, Michael Loewe (Hrsg.): The Cambridge History of China. Bd 1. Cambridge 1986, S. 383ff. ISBN 0-521-24333-5
  11. Vgl. Hunnen. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Bd 15. de Gruyter, Berlin 2000, S. 246ff. ISBN 3-11-016649-6
  12. Ammianus Marcellinus 31,2,1.
  13. Priskos, Fragment 1; Prokopios von Caesarea, Bella 4,5; Agathias 5,11.
  14. Martin Schottky: Huns. In: Encyclopedia Iranica; vgl. auch Stickler, Die Hunnen, S. 29ff.
  15. Vgl. zur Verquickung der Geschichte der Hephthaliten und Sassaniden etwa Klaus Schippmann: Grundzüge der Geschichte des sasanidischen Reiches. Darmstadt 1990, S. 32ff. ISBN 3-534-07826-8
  16. Vgl. zur folgenden Geschichte die einschlägigen Handbücher zur Spätantike sowie Maenchen-Helfen: Welt der Hunnen. Wiesbaden 1997. ISBN 3-928127-43-8; Allgemein und recht aktuell etwa Peter J. Heather: The Fall of the Roman Empire. London 2005, S. 145ff. ISBN 0-330-49136-9
  17. Vgl. Peter Arens: Sturm über Europa. Die Völkerwanderung. 3.Auflage. Ullstein Verlag, München 2002, S. 147 – 167.
  18. Vgl. Heather: Fall of the Roman Empire, S. 333ff.
  19. Zur Religion der Hunnen vgl. Maenchen-Helfen, Die Welt der Hunnen, S. 189ff.

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