Thomas Nipperdey

Thomas Nipperdey

Thomas Nipperdey (* 27. Oktober 1927 in Köln; † 14. Juni 1992 in München) war ein deutscher Historiker. Sein dreibändiges Werk Deutsche Geschichte 1800–1918 gilt als Standardwerk der neueren Geschichte.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Vater von Thomas Nipperdey war der Arbeitsrechtler und erste Präsident des Bundesarbeitsgerichts Hans Carl Nipperdey, seine Schwester die Theologin Dorothee Sölle. Seine Witwe Vigdis Nipperdey (* 1944) war von 2001 bis 2006 Vorsitzende des Hochschulrats der Technischen Universität München.

Nachdem er das Abitur 1946 am Gymnasium Kreuzgasse bestanden hatte, studierte Nipperdey Philosophie und Geschichtswissenschaft an den Universitäten Köln, Göttingen und Cambridge. 1953 promovierte er über Positivität und Christentum in Hegels Jugendschriften, ein Jahr später legte er das Staatsexamen ab. Anschließend war er Stipendiat der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien und Assistent am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen, wo er sich 1961 mit der Arbeit Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918 habilitierte.[1]

1962 vertrat er den Lehrstuhl für Neuere Geschichte in Gießen, 1963 folgte er einem Ruf an die Technische Hochschule Karlsruhe und war zusätzlich Lehrbeauftragter der Universität Heidelberg. 1967 wechselte er an die Freie Universität Berlin, 1971 an die Ludwig-Maximilians-Universität München. In seiner Münchener Zeit hatte Nipperdey Gastprofessuren der Universitäten Oxford, Stanford und Princeton inne.

Für sein Werk erhielt Nipperdey unter anderem 1984 den Historikerpreis der Stadt Münster, 1989 das Bundesverdienstkreuz, 1992 den Bayerischen Verdienstorden und 1992 den Deutschen Historikerpreis.

Trotz seiner eher konservativen Ausrichtung[2] war er Mitglied der SPD.

1990 wurde Nipperdey zum ordentlichen Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften berufen.

Schriften

  • Positivität und Christentum in Hegels Jugendschriften. Diss., Köln 1953.
  • Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918. Habil., Düsseldorf 1961.
  • Reformation, Revolution, Utopie: Studien zum 16. Jahrhundert. Göttingen 1975.
  • Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. Göttingen 1976.
  • Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays. München 1986.
  • Deutsche Geschichte 1800–1918. München 1998. Zuvor getrennt erschienen als:
    • Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1983.
    • Deutsche Geschichte 1866–1918. Arbeitswelt und Bürgergeist. München 1990.
    • Deutsche Geschichte 1866–1918. Machtstaat vor der Demokratie. München 1992.
  • Wie das Bürgertum die Moderne fand. Stuttgart 1998.

Ansichten

Thomas Nipperdey hat sich vor allem für eine Neubewertung der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Insbesondere lehnte er es ab, das Kaiserreich als eine Vorgeschichte des Dritten Reiches zu betrachten. Kontinuitätslinien bestanden seiner Ansicht nach nicht nur von 1871 nach 1933, sondern ebenso nach 1949. Diese Forderung nach einer inhaltlichen Neuausrichtung wurde begleitet von einem methodischen Ansatz, der sich grundlegend von den Arbeiten beispielsweise Hans-Ulrich Wehlers unterschied. Nipperdey versuchte, das 19. Jahrhundert nicht nach den Maßstäben des späten 20. Jahrhunderts zu porträtieren, sondern die Erfahrungswelten und Innensichten der Zeitgenossen darzustellen. Die Geschichte des 19. Jahrhunderts sollte so nicht als eine Vor- oder Nachgeschichte beschrieben werden, sondern als eine Epoche eigenen Rechts.

„Zwei Dinge gelten für alle: Alle glaubten sich in der Defensive, und alle waren kriegsbereit. Alle überschätzten die eigene existenzielle Bedrohung, alle unterschätzten den kommenden Krieg […]. Der Krieg kam, weil alle oder einige am Frieden zweifelten, nicht weil alle oder einige zum Krieg unter allen Umständen entschlossen waren.“

Thomas Nipperdey

„Die Grundfarben der Geschichte sind nicht Schwarz und Weiß, ihr Grundmuster nicht der Kontrast eines Schachbretts; die Grundfarbe der Geschichte ist grau, in unendlichen Schattierungen.“

Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1918. München 1998, Bd. 2, S. 905.

Literatur

  • Roger Dufraisse: Thomas Nipperdey (27.10.1927 – 14.6.1992). In: Francia. Bd. 20, 3, 1993, S. 329–337.
  • Hermann Holzbauer (Hrsg.): Thomas Nipperdey, Bibliographie seiner Veröffentlichungen. 1953–1992. Beck, München 1993, ISBN 3-406-37772-6 (Schriften der Universitätsbibliothek Eichstätt 20).
  • Horst Möller: Zum historiographischen Werk Thomas Nipperdeys. In: Horst Möller: Aufklärung und Demokratie. Historische Studien zur politischen Vernunft. Herausgegeben von Andreas Wirsching. Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-56707-1, S. 390–406.
  • Paul Nolte: Darstellungsweisen deutscher Geschichte. Erzählstrukturen und „master narratives“ bei Nipperdey und Wehler. In: Christoph Conrad, Sebastian Conrad (Hrsg.): Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-36260-9, S. 236–268.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Wolfgang J. Mommsen: Rezension zu: Thomas Nipperdey: Die Organisation der deutschen Parteien bis 1918. In: HZ Bd. 199, 1964, S. 627–632, rezensierte die Habilitationsschrift sehr positiv: „Der souveränen Auswertung eines aus weit verstreuten Bereichen zusammengetragenen großen Quellenmaterials und der methodischen Leistung N.[ipperdey]s gebührt höchstes Lob.“ (Ebenda, S. 632).
  2. Horst Möller: Aufklärung und Demokratie. Historische Studien zur politischen Vernunft. München 2003, S. 396.

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