Hochschulrat

Hochschulrat

Ein Hochschulrat ist in Deutschland und Österreich ein Gremium an einer Hochschule. Je nach Bundesland wird dieser auch als Universitätsrat, Kuratorium, Stiftungsrat oder Aufsichtsrat bezeichnet. Hochschulräte sind ein vergleichsweise neuartiges Element in der Hochschuleverwaltung und werden in der Regel mehrheitlich mit Hochschulexternen besetzt. Als Begründung für die Einführung der Hochschulräte wird als Zielideal angegeben, strategische Kompetenzen und Aufgaben bei dem Hochschulrat, operative bei der Hochschulleitung und legislative bei dem (hochschulinternen) Senat anzusiedeln. Da Hochschulräte meist in der Mehrheit mit Personen besetzt sind, die nicht aus dem direkten Universitätsumfeld kommen, bemängeln Kritiker, Hochschulräte befänden sich faktisch nicht mehr in Einklang mit der Hochschulautonomie, wie sie die akademische Selbstverwaltung in Deutschland kennzeichne, und litten unter mangelnder demokratischer Legitimierung.

Inhaltsverzeichnis

Entstehungsgeschichte

Das Konzept – im Falle des Aufsichtsrates auch der Begriff selbst – stammt aus dem Bereich der Privatwirtschaft und lehnt sich in Teilen an Unternehmensstrukturen an. Die Idee, den Hochschulen ein am Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften orientiertes Kontrollgremium zur Seite zu stellen, steht im Kontext von neuesten Strömungen auf dem Gebiet der Governance, dabei insbesondere dem New Public Management.[1] Die Einrichtung von Hochschulräten wurde von Vertretern der privaten Wirtschaft gefordert, besonders deutlich vom Centrum für Hochschulentwicklung der Bertelsmann-Stiftung[2] sowie vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft[3].

Die Idee eines hochschulratsähnlichen Organs wurde in Deutschland erstmals 1945-1948 und später erneut in den 70er Jahren diskutiert. Erste Einrichtungen der Hochschulräte (die über die Funktion der Beratung deutlich hinaus gingen) wurden die durch das Sächsische Hochschulgesetz von 1993 ermöglicht. In der Breite, also fast alle Bundesländer übergreifend, wurden Hochschulräte nach der Vierten Novelle des Hochschulrahmengesetzes von 1998 eingeführt.[4] Als Erfahrungsbeispiel und -vorbild für Hochschulräte werden von Befürwortern des Hochschulrates oftmals die governing boards bzw. boards of trustees US-amerikanischer Hochschulen genannt (deren Machtfülle jedoch aufgrund der abweichenden Rolle des Staates im tertiären Sektor nicht übernommen wurde).[5]

Merkmale und Kompetenzen

Die Einbeziehung eines Hochschulrates in die Gremienstruktur lässt die bisherige Aufteilung der Kompetenzen zwischen akademischem Senat als der Legislative einerseits und Rektorat bzw. Präsidium als der Exekutive andererseits meist recht weit hinter sich. Zum einen gehören den Hochschulräten oft überwiegend hochschulexterne Personen an, welche aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur und (hochschulexterne) Wissenschaft kommen – der Hochschulrat ist dadurch nicht mehr als Teil der unmittelbaren Selbstverwaltung (im Sinne von Verwaltung einer Einrichtung durch Angehörige dieser Einrichtung) zu betrachten, zum anderen gehen heute schon teilweise Aufgaben, die traditionell zu den Kernkompetenzen des akademischen Senats gehören, auf den Hochschulrat über, so zum Beispiel die Wahl des Rektors oder die Einrichtung und Schließung von Studiengängen. Außerdem wirken die Räte teils am Fundraising mit.[6]

Grundsätzlich kommt den Hochschulräten eine beratende Funktion zu. Hochschulräte dürfen Vorschläge einbringen zu strategischer Ausrichtung, Strukturveränderungen, Prioritäten bei der Mittelverteilung, Desideraten in Studium und Forschung u. ä. Dabei sollen außeruniversitäre Perspektiven zum Tragen kommen, um den Hochschulen mehr Relevanz in Forschung und Lehre zu verschaffen. Inwiefern erbrachte Vorschläge verbindlich sind, hängt von den Regelungen des Bundeslandes ab. Eine Rechenschaftspflicht besteht für den Hochschulrat nicht.[6]

Als problematisch an der aktuellen Praxis der Einrichtung von Hochschulräten wird vielfach die Vergabe von staatlichen Letztaufsichts-Kompetenzen (etwa die endgültige Entscheidung über die Aufhebung oder Einrichtung eines Studienganges) an die Hochschulräte angesehen. Was die Ausgestaltung der Hochschulräte angeht, können Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern als beispielhafte Pole betrachtet werden. Während in Baden-Württemberg der Hochschulrat laut Landeshochschulgesetz fast schon maximale Befugnisse hat (Wahl der Hochschulleitung, Beschließung von Struktur- und Entwicklungsplänen, Haushaltsaufstellung, Mittelverteilung u. v. m.), stellt er an den Hochschulen Mecklenburg-Vorpommerns nur ein beratendes Organ dar.

Struktur und Arbeitsweise

Da in Deutschland die (Hochschul-) Bildung Ländersache ist, sind die Hochschulräte der einzelnen Hochschulen recht divergent ausgestaltet.

Die Mehrheit der Mitglieder eines Hochschulrates rekrutiert sich zumeist aus externen Personen. Diese externen Hochschulratsmitglieder stammen primär aus den Bereichen Wissenschaft und Wirtschaft.[7] Für gewöhnlich sind bei Hochschulräten nicht-öffentliche Sitzungen vorgesehen. Den Vorsitz hat häufig ein hochschulfremdes Mitglied inne.

Das Rektorat bzw. Präsidium hat Rede- und Antragsrecht in Sitzungen des Hochschulrates. Die Amtsdauer der Mitglieder der Hochschulräte variiert je nach Bundesland. Hochschulräte üben ihre Funktion ehrenamtlich aus und erhalten unter Umständen Aufwandsentschädigungen.

Rezeption

Kritiker vom System der Hochschulräte sehen in dem neuen Steuerungsinstrument "Hochschulrat" eine neoliberale Umgestaltung von Hochschulen. Hochschulräte tragen demnach zu einer Entdemokratisierung der Hochschulen bei. Es bestehen berechtigte Zweifel an der demokratischen Legitimation und sie stehen nicht in der Tradition eines gruppenparitätisch besetzen Hochschulsystems.[7] So schreibe das nordrhein-westfälische Hochschulfreiheitsgesetz zwar vor, dass die Hälfte der Mitglieder externe Experten sein sollen, den Studierenden oder dem sogenannten „Mittelbau“ werde aber keine explizite Rolle zugeschrieben. Dies sei - so die Kritiker - ein Indiz dafür, dass die angeblich angestrebte Verbindung zwischen Hochschule und Gesellschaft vielmehr eine Kooperation von Wirtschaft und Hochschule sei. Es bestehe die Gefahr, dass demokratisch gewählte Gremien wie der Senat auf Dauer Kompetenzen an externe Gremien wie den Hochschulrat abtreten müssen. In den Politikwissenschaften wird dieser Vorgang mit der „Zerfaserung des Staatlichen“ bezeichnet. Dies meint die schleichende Infiltration von Leitungsgremien staatlicher Einrichtungen durch externe/privatwirtschaftliche Interessengruppen. Diese „Privatisierung der Organisationsverantwortung“ bedrohe auf Dauer die universitäre Selbstverwaltung.

Jörg Bogumil et al. kommen zu diesen Vorwürfen in ihrer Studie von Ende 2007 zu dem Schluss, dass sich die Zusammensetzung der Hochschulräte je nach Hochschulart signifikant unterscheidet. Wirtschaftsvertreter haben laut der Studie eine einflussreiche, allerdings auch keine dominierende, Rolle in den Hochschulräten inne. „An Universitäten spielen neben diesen vor allem Personen aus dem Bereich Wissenschaft eine signifikante Rolle. Fachhochschulen und Technische Universitäten sind in ihrer Besetzungspolitik dagegen eindeutig wirtschaftsnäher. Gewerkschaftliche Mitglieder sind in den bundesdeutschen Hochschulräten mit 3% dagegen nur marginal vertreten und damit ihrem gesellschaftspolitischen Stellenwert entsprechend deutlich unterrepräsentiert.“[8]

Die Befürworter von Hochschulräten vom Centrum für Hochschulentwicklung der Bertelsmann-Stiftung widersprechen den Vorwürfen und entgegnen der Kritik, dass es Fehler gebe, aber der Erfolg, der neben einer komplementären Aufgabenzuweisung an die Hochschulgremien vor allem von einer konstruktiven Umsetzungspraxis abhänge, bereits sichtbar sei: „die Hochschulräte in Deutschland funktionieren vielleicht noch nicht überall perfekt, aber sind auf dem Weg, ein Erfolg zu werden“.[9]

Situation in den Ländern

  • Baden-Württemberg: Hochschulräte werden in Form eines mit der Wirtschaft vergleichbaren Aufsichtsrats geführt, siehe § 20 LHG BaWü.
  • Bayern: Hochschulräte bestehen aus den Mitgliedern des Senats und "acht Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur und insbesondere aus Wirtschaft und beruflicher Praxis" (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG), sind also paritätisch aus hochschulinternen und -externen Mitgliedern besetzt.
  • Berlin: das Gesetz sieht ein Kuratorium vor, das aus 8 internen sowie 14 externen Mitgliedern besteht, allerdings nutzen alle Berliner Hochschulen die Erprobungsklausel zur Umsetzung alternativer Modelle.
  • Brandenburg: hochschulübergreifender Landeshochschulrat.
  • Bremen: gesetzl. keine Hochschulräte vorgesehen.
  • Hamburg: Das Gesetz sieht einen Hochschulrat aus 9 (UHH und HAW Hamburg) bzw. 5 (an den übrigen Hochschulen) Mitgliedern vor.
  • Hessen: Vorgesehen ist ein rein extern besetzter Hochschulrat mit bis zu 10 Mitgliedern.
  • Mecklenburg-Vorpommern: das Land schreibt einen rein extern besetzten Hochschulrat vor, der eine beratende Funktion hat.
  • Niedersachsen: Die Hochschulen des Landes verfügen über einen mehrheitlich extern besetzten Hochschulrat mit je 7 Mitgliedern. Die Stiftungshochschulraten des Landes verfügen über einen analog besetzten Stiftungsrat.
  • Nordrhein-Westfalen: Das Land sieht vor, dass der Hochschulrat 6, 8 oder 10 Mitglieder umfasst und mindestens hälftig extern besetzt ist.
  • Rheinland-Pfalz: der Hochschulrat umfasst 10 Mitglieder und ist hälftig extern bzw. intern besetzt.
  • Saarland: der Universitätsrat umfasst sieben externe Mitglieder.
  • Sachsen: Mit dem neuen Sächsischen Hochschulgesetz, welches seit 2009 gilt, werden auch in Sachsen Hochschulräte eingeführt. Dem Gesetz nach bestehen die Hochschulräte aus 5, 7, 9 oder 11 Personen, wobei bis auf Zwei alle Hochschulexterne sein müssen. Das führt dazu, dass die Hochschulräte in Sachsen vor allem mit wissenschaftsfernen Personen besetzt sind. Die näheren Aufgaben des Gremiums regelt § 86 SächsHG.
  • Sachsen-Anhalt: Das Kuratorium umfasst fünf externe Mitglieder.
  • Schleswig-Holstein: Der Universitätsrat ist ein gemeinsamer Hochschulrat der Universitäten Flensburg, Kiel und Lübeck. Die übrigen Hochschulen des Landes haben jeweils einen Hochschulrat. All diese Gremien sind rein extern besetzt.
  • Thüringen: Hochschulräte müssen gemäß § 32 Abs 3 ThürHG entweder zu zwei Dritteln oder vollständig (jeweils bezogen auf die stimmberechtigten Mitglieder) aus hochschulexternen Mitgliedern bestehen.

Siehe auch

Quellen

  1. Jörg Bogumil, Rolf G. Heinze, Stephan Grohs, Sascha Gerber: Hochschulräte als neues Steuerungsinstrument? Eine empirische Analyse der Mitglieder und Aufgabenbereiche, Abschlussbericht der Kurzstudie Dezember 2007, S. 14
  2. [1] Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz in NRW (2005)
  3. [2] Best Law - Worst Law: Hochschulgesetze der Länder auf dem Prüfstand (2002)
  4. Britta Behm, Ulrich Müller: Erfolgsfaktoren für Hochschulräte, in: Volker Meyer-Guckel, Mathias Winde und Frank Ziegele (Hrsg.): Handbuch Hochschulräte - Denkanstöße und Erfolgsfaktoren für die Praxis, Essen, 2010, S. 26f. Abgerufen am 25. Februar 2011.
  5. Ralph P. Müller-Eiselt, Hochschulräte im internationalen Vergleich, in: Volker Meyer-Guckel, Mathias Winde und Frank Ziegele (Hrsg.): Handbuch Hochschulräte - Denkanstöße und Erfolgsfaktoren für die Praxis, Essen, 2010, S. 106-129. Abgerufen am 25. Februar 2011.
  6. a b Handelsblatt: Die unkontrollierte Macht der Manager an den Unis, 10. September 2010
  7. a b Jörg Bogumil, Rolf G. Heinze, Stephan Grohs, Sascha Gerber: Hochschulräte als neues Steuerungsinstrument? Eine empirische Analyse der Mitglieder und Aufgabenbereiche, Abschlussbericht der Kurzstudie Dezember 2007
  8. Jörg Bogumil, Rolf G. Heinze, Stephan Grohs, Sascha Gerber: Hochschulräte als neues Steuerungsinstrument? Eine empirische Analyse der Mitglieder und Aufgabenbereiche, Abschlussbericht der Kurzstudie Dezember 2007, S. 55
  9. Ulrich Müller in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom 9. September 2010. Abgerufen am 25. Februar 2011.

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