Turmbau zu Babel

Turmbau zu Babel
Die Sprachverwirrung, Bibelillustration von Gustave Doré (1865)

Der Turmbau zu Babel (Gen 11,1–9 EU) ist zusammen mit der babylonischen Sprachverwirrung trotz ihres geringen Umfangs von nur neun Versen eine der bekanntesten biblischen Erzählungen des Alten Testaments.

Dort wird das Turmbau-Vorhaben als Versuch der Menschheit gewertet, Gott gleichzukommen. Wegen dieser Selbstüberhebung straft Gott die Völker, die zuvor eine gemeinsame Sprache hatten, mit Sprachverwirrung und zerstreut sie über die ganze Erde.

Inhaltsverzeichnis

Die biblische Erzählung

Meister der Weltenchronik
Wittenberg-Bibel 1586

Die Bibel erzählt von einem Volk aus dem Osten, das eine Sprache spricht und sich in der Ebene in einem Land namens Schinar ansiedelt. Dort will es eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel bauen. Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Nun befürchtet er, dass ihnen nichts mehr unerreichbar sein [wird], was sie sich auch vornehmen, das heißt, dass das Volk übermütig werden könnte und vor nichts zurückschreckt, was ihm in den Sinn kommt. Gott verwirrt ihre Sprache und vertreibt sie über die ganze Erde. Die Weiterarbeit am Turm endet gezwungenermaßen.

Die Stadtbezeichnung „Babel“ ist in der hebräischen Fassung ein Wortspiel, das „Geplapper“ oder „Gebrabbel“ bedeutet. Hierbei handelt es sich möglicherweise um eine Volksetymologie, denn die griechische Form des Namens, Babylon, leitet sich vom Akkadischen bāb-ilāni > (mit westsemitischer Abdumpfung des ā zu ō, was zeigt, woher die Griechen den Namen übernommen hatten) bāb-ilōni" > (mit Ausfall des kurzen unbetonten Endvokals) „bāb-ilōn“ ab, was „Tor der Götter“ bedeutet. Dies allerdings könnte auch ebenfalls eine Umdeutung und daher Volksetymologie der nichtsemitischen Urform des Stadtnamens sein.

Im Neuen Testament wird das Thema der Sprachverwirrung nochmals in der Pfingstgeschichte aufgenommen (Apg 2,6 EU). Der Heilige Geist bewirkt dieser Erzählung zufolge durch eine von Jesus Christus ermöglichte Gottverbundenheit ein neues Reden und Verstehen über alle Sprachgrenzen hinweg.

Theologische Deutung

Der Turmbau zu Babel nach Lucas van Valckenborch

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel steht im Alten Testament zeitlich nach der Sintflut und vor der Reise Abrams (dem späteren Abraham) nach Haran. Sie beschließt eine Reihe von Verfehlungsgeschichten (Gen 3–11 EU).

Unter Verwendung vor- und außerisraelitischen Materials stellt der Redaktor die Menschheitsgeschichte seit dem Sündenfall als eine Abfolge von negativen Ereignissen dar: Verlust des paradiesischen Urzustandes, Brudermord, Sintflut, Entzweiung und Zerstreuung. Als Ursache dieses Unheils erscheint das Übertreten der Vorschrift Gottes (Gen 3,5 EU).

Tatsächlich weisen die Erzählungen über die Bosheit der Menschen vor der Flut strukturelle Ähnlichkeiten mit der Turmbauerzählung auf:

  • Nach der Ermordung Abels zieht Kain, zusammen mit seinem Sohn Henoch, in das Land Nod, wo er eine gleichnamige Stadt gründet (Gen 4,16 EU). Die Riesen und Helden der Vorzeit gehen auf die widergöttliche Vereinigung der Menschentöchter mit den Gottessöhnen (Engel) zurück (Gen 6,1–8 EU).
  • Nach der Flut ziehen die Menschen in das Land Schinar, wo sie sich niederlassen. Um sich nicht weiter über die Erde zu zerstreuen, beschließen sie, einen weithin sichtbaren Turm zu bauen (Gen 11,4 EU). Dies ist jedoch eine erneute Übertretung der Anordnungen Gottes, nämlich der, die ganze Erde zu besiedeln (Gen 9,1 EU und Gen 9,7 EU).

Auch diesmal bleibt eine Konsequenz nicht aus, jedoch erfolgt sie nicht in Form einer erneuten Ausrottung, sondern als Sprachverwirrung. Gott wahrt damit die Treue zu dem Bund, den er mit Noach geschlossen hat: Ich will die Erde wegen des Menschen nicht noch einmal verfluchen; denn das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an. Ich will künftig nicht mehr alles Lebendige vernichten, wie ich es getan habe. (Gen 8,21 EU) Dadurch gehen die Menschen ihrer gemeinsamen Grundlage der Kommunikation und aller daraus entstehenden Vorteile verlustig; der nun einzig gangbare Weg ist, dass sich Gruppen mit gleicher Sprache zusammenschließen und eigenständige Gemeinschaften aufbauen.

Historische Bezüge

Die Existenz eines Turms zu Babylon ist seit 1913 archäologisch nachgewiesen. Es handelt sich um eine Tempelanlage (Zikkurat) in Babylon, deren Fundamente der deutsche Architekt und Archäologe Robert Koldewey freigelegt hat.

Sargon von Akkad ließ Babylon um 2300 v. Chr. zerstören, Hammurapi machte es etwa 600 Jahre später zur Hauptstadt des Babylonischen Reiches. Er erhob den Stadtgott Marduk (Altes Testament: Merodach) zur höchsten Gottheit des babylonischen Reichs.

Erstmals wird die Zikkurat unter dem Namen Etemenanki (sumerisch: Haus des Himmelsfundaments auf der Erde) in der Tempelanlage Esaĝila (sumerisch: Tempel des erhobenen Hauptes) in den Annalen des assyrischen Königs Sanherib (Sennacherib) urkundlich erwähnt, der 689 v. Chr. die Stadt und den Tempel zerstörte.

Seine Nachfolger Assurhaddon (680–669 v. Chr.) und Assurbanipal (668–631 v. Chr.) begannen mit dem Wiederaufbau, wie Inschriften im Fundament belegen. Nach der Befreiung von der assyrischen Herrschaft setzte der neubabylonische Herrscher Nabopolassar den Ausbau der Anlage fort, sein Sohn Nebukadnezar II. (604–562 v. Chr.) vollendete ihn.

In der Folgezeit verfiel das Bauwerk, möglicherweise auch durch Zerstörungen durch den Perserkönig Xerxes I. (486–465 v. Chr.).[1] Den Griechen galt der Etemenanki als Grab des Belus (Babylon). Bei seinem Einzug in Babylon im Frühjahr 323 v. Chr. ließ Alexander der Große die Reste bis auf das Fundament abtragen, um den Turm neu zu errichten. Dies beschäftigte 10.000 Mann für zwei Monate.[1] Dabei blieb es, da Alexander wenige Monate später verstarb. Seine Nachfolger verlegten die Residenz nach Ktesiphon, und Babylon verfiel zusehends.

Der Turm hatte eine Grundfläche von 91,48 m × 91,66 m und eine Höhe von etwa 91 m, wahrscheinlich abgestuft in sieben, nach dem Geschichtsschreiber Herodot[2] in acht Plateaus. Den Abschluss bildete ein Tempel, dessen Räume nur von Priesterinnen betreten werden durften. Wahrscheinlich nutzten Priester das Dach des Gebäudes, um dort astronomische Beobachtungen durchzuführen. Als Baumaterial verwendeten die Babylonier Backsteine, die Außenziegel waren mit farbiger Glasur verziert. Strabon beschreibt den Bau als vierseitige Pyramide mit einem Stadion Seitenlänge und einer Höhe von einem Stadion.

Turmbau-Sagen in anderen Kulturen

Fred Hartmann hat 60 Turmbausagen aus verschiedenen Kulturen zusammengetragen und analysiert. Die Sagen entstammen teilweise vorderasiatischen Kulturen, sind aber auch aus Indien, China, Afrika, Amerika und dem pazifischen Raum überliefert.[3]

Rezeption

Schon in alttestamentlicher Zeit versuchte man, die (später so genannte) „Adamitische Sprache“ zu rekonstruieren, die vor der Sprachverwirrung gesprochen worden sein soll. In der heutigen Sprachforschung ist es allerdings stark umstritten, ob es je eine gemeinsame Ursprache, die so genannte Proto-Welt-Sprache, gegeben hat oder nicht.

Flavius Josephus (Jüdische Altertümer, I,4) fügte im ersten nachchristlichen Jahrhundert der Turmbauerzählung einige Details hinzu, die im biblischen Bericht nicht explizit erwähnt werden: Hier ist es Nimrod persönlich, der den Befehl zum Turmbau gibt und als der erste Tyrann der Geschichte gezeichnet wird. Das Motiv für den Bau war, laut Josephus, nicht nur allgemeiner Hochmut, sondern auch der Versuch, sich einen sicheren Zufluchtsort zu schaffen, für den Fall, dass Gott eine weitere Sintflut schicken sollte. Zuletzt zitiert er aus dem 3. Buch der Sibyllinischen Orakel, nach dem der Turm nicht einfach zerfiel, weil er von seinen Erbauern verlassen wurde, sondern dass er durch einen großen Sturmwind zerstört wurde. Diese Darstellung des Josephus war besonders im europäischen Mittelalter sehr einflussreich.

1679 stellte der Jesuit Athanasius Kircher eine Theorie auf, die gegen die Existenz des Turmes sprach. Seiner Meinung nach betrug die Entfernung Erde und Himmel 265.380 km. Hierfür hätten ca. 4.500.000 Arbeiter etwa 3400 Jahre ununterbrochen arbeiten müssen. Das Gewicht des Turmes hätte das Gewicht der Erde übertroffen und so die Erde aus dem Mittelpunkt des Universums herausgeschoben.

Der Turmbau zu Babel in der Bildenden Kunst

Der Turmbau zu Babel ist in der Bildenden Kunst ein Symbol menschlicher Hybris. Im Laufe der Kunstgeschichte ist er mehrfach dargestellt worden. Oft stellte man den Turm von Babel als spiralförmigen Turm, wie die Minarett von Samarra, oder als Stufenturm dar. Meist betonen die Darstellungen die Ausmaße des Bauwerkes. Daneben zeigen sie häufig die daran arbeitenden Menschen und die zeitgenössischen Fortschritte der Bautechnik.

Bekannte Darstellungen stammen unter anderem von:

„Babylonische Verwirrung“ als „Geflügeltes Wort“

Die „Babylonische Sprachverwirrung“ hat als Redewendung – als Sinnbild für das Aufeinandertreffen mehrerer Sprachen – Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden, so hat beispielsweise Georg Büchmann sie in seine Zitatensammlung Geflügelte Worte aufgenommen.

So wird mitunter bei der Berichterstattung über die Verwaltung der Europäischen Union in Brüssel auf die „Babylonische Sprachverwirrung“ Bezug genommen, wo sich auf Grund der sprachlichen Vielfalt Mehrarbeiten und Kosten ergeben.[4]

Die Redewendung wird auch im positiven Sinn verwendet, so gibt es beispielsweise eine Science-Fiction-Serie, in der die (titelgebende) Raumstation Babylon 5 Treffpunkt für unterschiedliche Völker ist, eine literarische Figur namens Babelfisch und Übersetzungsprogramme mit dem Namensbezug, wie „Babel Fish“ oder „Babylon Translator“.

Siehe auch

Literatur

  • Die fünf Bücher der Weisung. Thoraübersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig, ISBN 3-438-01491-2.

Sekundärliteratur

  • Fritz Krischen: Weltwunder der Baukunst in Babylonien und Jonien. E. Wasmuth, Tübingen 1956
  • Der babylonische Turm in der historischen Überlieferung, der Archäologie und der Kunst. Milano 2003 (Der Turmbau zu Babel, 1).
  • Joachim Ganzert (Hrsg.), Stephan Albrecht: Der Turmbau zu Babel. Maßstab oder Anmaßung?. Biberacher Verlagsdruckerei, Biberach 1997, ISBN 3-924489-86-6 (Ausstellungskatalog).
  • Roger Liebi: Herkunft und Entwicklung der Sprachen. Hänssler, Holzgerlingen 2003, ISBN 3-7751-4030-1.
  • Helmut Minkowski: Vermutungen über den Turm zu Babel. Luca, Freren 1991, ISBN 3-923641-36-2.
  • Christoph Uehlinger: Weltreich und „eine Rede“. Eine neue Deutung der sogenannten Turmbauerzählung (Gen 11, 1–9). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1990, ISBN 3-525-53733-6 (teilweise zugleich Dissertation, Freiburg (Schweiz) 1989).
  • Ulrike B. Wegener: Die Faszination des Masslosen. Der Turmbau zu Babel von Pieter Bruegel bis Athanasius Kircher. Olms, Hildesheim u. a. 1995, ISBN 3-487-09965-9 (Studien zur Kunstgeschichte, Band 93; zugleich Dissertation, Hamburg 1990/91).

Babylonische Sprachverwirrung

  • Friedrich Braun: Die Urbevölkerung Europas und die Herkunft der Germanen. W. Kohlhammer, Berlin, Stuttgart, Leipzig 1922; Japhetitische Studien, Bd. 1
  • Nikolaj Jakovlevic Marrn: Der japhetitische Kaukasus und das dritte ethnische Element im Bildungsprozess der mittelländischen Kultur. W. Kohlhammer, Berlin, Stuttgart, Leipzig 1923; Japhetitische Studien zur Sprache und Kultur Eurasiens, Bd. 2
  • Tasso Borbé (Hg.): Kritik der marxistischen Sprachtheorie N. Ja. Marr’s. Scriptor-Verlag, Kronberg (Ts.) 1974; ISBN 3-589-20021-9; (Enthält u. a.: Nikolaj Ja. Marr. Die japhetitische Theorie)
  • Arno Borst: Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker. 4 Bände; Hiersemann, Stuttgart 1957-1963 ; dtv, München 1995; ISBN 3-423-59028-9

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Sprachverwirrung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Commons: Turmbau zu Babel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Strabon: Geographica 16,1,5
  2. Vgl. Hans Heinrich Schmid, Die Steine und das Wort, Zürich 1975, S. 97.
  3. Fred Hartmann: Der Turmbau zu Babel – Mythos oder Wirklichkeit?. Scm Hänssler, 1999, ISBN 3-7751-3432-8
  4. Dieter E. Zimmer: Warum Deutsch als Wissenschaftssprache ausstirbt. DIE ZEIT Nr. 30, 1996
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