- Urämischer Pruritus
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Klassifikation nach ICD-10 L29 Pruritus N18 Chronische Niereninsuffizienz ICD-10 online (WHO-Version 2011) Der urämische Pruritus (Pruritus uraemicus) ist ein chronischer Juckreiz, der bei 50–90 % aller Dialysepatienten auftritt und zu erheblichen Beeinträchtigungen von Schlaf und Arbeit führen kann. Der urämische Pruritus tritt bei Hämodialysepatienten häufiger auf als bei Peritonealdialysepatienten, ist häufiger bei Männern und bei höheren Harnstoffwerten.
Inhaltsverzeichnis
Allgemeine Hautveränderungen bei chronischem Nierenversagen
Fast 100 % aller Dialysepatienten leiden mindestens an einer Hauterkrankung. Viele Patienten mit chronischem Nierenversagen sind ebenfalls von Hautkrankheiten betroffen. Diese können zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität und unter Umständen zu schweren Erkrankungen führen.
Veränderungen der Hautfarbe reichen von Blässe infolge von Blutarmut (Anämie) bis hin zu vermehrter Pigmentierung (Hyperpigmentierung). Auch die Nägel können verfärbt sein. Eine Verminderung von Talg- und Schweißdrüsen führt zu trockener Haut (Xerosis cutis). Häufig kommt es zu einer beschleunigten Alterung der Haut. Die feingewebliche Untersuchung von Gewebeproben zeigt eine Verdickung der Basalmembran der Hautgefäße, eine Aktivierung der Endothelzellen sowie Zeichen einer chronischen Entzündung.
Pathogenese
Direkte Folgen der Nierenerkrankung wie trockene Haut (Xerosis cutis), Blutarmut (Anämie), erhöhtes Parathormon (sekundärer Hyperparathyreoidismus), sowie erhöhte Serumspiegel von Aluminium und Magnesium können zu Juckreiz führen. Der Juckreiz kann aber auch Folge von Begleiterkrankungen sein wie Diabetes mellitus, Hepatitis, Schilddrüsenunterfunktion oder Arzneimittelunverträglichkeiten.
Bei chronischer Niereninsuffizienz ist in der Haut die Anzahl der Mastzellen erhöht. Diese setzen Histamin frei, das Nervenendigungen stimuliert, was vom Zentralnervensystem als Juckreiz wahrgenommen wird. Es besteht allerdings keine Beziehung zwischen Zahl der Mastzellen und Stärke des subjektiven Juckreizes.
Das Neuropeptid Substanz P ist bei chronischer Niereninsuffizienz erhöht. Substanz P stimuliert Opioidrezeptoren. Diese Stimulation kann als Juckreiz wahrgenommen werden.
Diagnose
Der Juckreiz tritt meist während der Dialyse auf, kann aber auch zwischen den Dialysebehandlungen auftreten. Voraussetzung für die Diagnose sind regelmäßiges Auftreten oder mindestens drei Episoden innerhalb von zwei Wochen, die mehrere Minuten anhalten. Die körperliche Untersuchung zeigt Kratzspuren (Exkoriationen). Die Entnahme einer Hautprobe ist in der Regel nicht erforderlich.
Differentialdiagnose
Bei chronischem Nierenversagen treten eine Vielzahl weiter Hauterkrankungen auf:
- Erworbene perforierende Dermatose,
- Porphyria cutanea tarda,
- Urämisch-kalzifizierende Arteriolopathie (Calciphylaxie) und
- Nephrogene systemische Fibrose.
Erkrankungen, die zu chronischem Nierenversagen und zu Hautveränderungen führen können, sind
- Purpura Schönlein-Henoch,
- Kryoglobulinämie,
- Systemischer Lupus erythematodes und
- Cholesterinembolie-Syndrom.
Therapie
Eine definitive Heilung ist nur durch Nierentransplantation möglich. Durch Steigerung der Effektivität der Dialysebehandlung (Kt/V) kann eine Linderung erreicht werden.
Topische Behandlung
Die topische Behandlung erfolgt durch Reinigung mit milden Seifen, Hautcremes mit hohem Feuchtigkeitsgehalt und ggf. Capsaicin-haltigen Arzneimittelzubereitungen.
Physikalische Therapie
Phototherapie mit UV-B-Strahlung führt zu einer Linderung. Wirkmechanismus und Tumorisiko bei Langzeitanwendung sind bislang nicht geklärt. Wegen des erhöhten Risikos, nach einer Nierentransplantation an Hautkrebs zu erkranken, sollte die Ultraviolett-Bestrahlung bei Dialysepatienten, die zur Nierentransplantation gemeldet sind, vorsichtig und sparsam eingesetzt werden.
Operative Therapie
Bei Patienten mit Nebenschilddrüsenüberfunktion (sekundärem renalem Hyperparathyreoidismus) kann eine Entfernung der Nebenschilddrüsenkörperchen zu einer Besserung führen, wenn diese renale Folgekrankheit medikamentös nicht zu beherrschen ist.
Systemische Behandlung
Zur systemischen Behandlung wurde eine Vielzahl von Arzneimitteln mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt.
- Antihistaminika sind nur eingeschränkt wirksam und können als Nebenwirkung zu Sedierung führen.
- Aktivkohle soll Juckreiz auslösende Substanzen im Darm binden, muss allerdings in hoher Dosis angewendet werden und wird schlecht vertragen.
- Der κ-Opioidrezeptor-Agonist Nalfurafin scheint etwas wirksamer als Placebo zu sein. Die Substanz ist in Deutschland bislang aber nicht zugelassen.
- Die Wirksamkeit des Antidementivums Nicergolin bei urämischem Pruritus ist bislang nicht abschließend geklärt.
- Thalidomid führte in einer randomisierten Studie bei 55 % der Patienten zu einer Besserung. Eine Anwendung bei Frauen im gebährfähigen Alter ist kontraindiziert. Zudem ist das Risiko einer Thrombose vermehrt.
- Gamma-Linolensäure hemmt die Proliferation von Lymphozyten und die Produktion von Lymphokinen und scheint bei urämischem Pruritus wirksam zu sein.
- Die Wirksamkeit von Colestyramin ist ungewiss.
- Der Opioidantagonist Naltrexon zeigte in kleinen Studien eine gewisse Wirksamkeit, die in einer Doppelblindstudie aber nicht erhärtet werden konnte.
Quellen
- Brewster U. C. et al.: Dermatological Disease in Patients With CKD. In: American Journal of Kidney Diseases. Nr. 51, 2008, S. 331-344 (Artikel).
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