Veena

Veena
Göttin Saraswati mit einer Vina. Ihre rechte Hand zeigt die Symbolgeste der Erklärung und Übermittlung der Lehre

Vina (Hindi: वीणा, vīṇā) bezeichnet eine Gruppe aus altindischer Zeit stammender Saiteninstrumente, von denen heute vor allem zwei Arten in Indien bekannt sind: die Rudra Vina im Norden und die Saraswati Vina im Süden.

Inhaltsverzeichnis

Einteilung

Die Vinas sind heute Lauteninstrumente der klassischen indischen Musik. Die Saraswati Vina gilt als das edelste indische Instrument. Sie hat Bünde und wird von allen Vinas am meisten gespielt. Ihr Name rührt von der hinduistischen Göttin Saraswati. Sie ist die Göttin der Gelehrsamkeit, der Musik und allgemein der Künste. Dargestellt wird sie mit ihrem Attribut, einer Vina. Zu den in Südindien gespielten weiteren Vina-Arten gehören die bundlose Gottuvadyam Vina, die auch Chitra Vina genannt wird und im Norden die noch seltener als die Rudra Vina gespielte, bundlose Vichitra Vina. Die Mohana Vina hat mit einer Vina nichts zu tun. Es ist eine von Vishwa Mohan Bhatt umgebaute und mit Resonanzsaiten ausgestattete akustische Gitarre, deren Klang an eine Sitar erinnert.

Eine Vina hat – mit Ausnahme der Gottuvadhyam – im Unterschied zur Sitar keine Resonanzsaiten. Die Sitar hat als Bünde Metallbügel, die mit Abstand über dem Griffbrett liegen, um im Zwischenraum Platz für die Resonanzsaiten zu bieten. Vinas sind entweder bundlos, oder haben direkt aufgeklebte Bünde. Die Bünde der Sitar sind verschiebbar, die der Vinas sind fest. Vinas haben einen volleren und länger anhaltenden Ton als die etwas klirrende Sitar, ihr Spiel ist dafür erheblich schwieriger zu erlernen. Ein gelungener Versuch, den langen Ton der Vina auf einer Art Sitar zu erzielen, führte vermutlich um 1825 zur Entwicklung der Surbahar, einer tiefer gestimmten und größeren Sitar.

Herkunft

Hazrat Inayat Khan mit einer Rudra Vina. Aufnahme um 1910

Vina war der allgemeine Begriff für indische Saiteninstrumente in den Veden. Älteste Darstellungen von Saiteninstrumenten zeigen Bogenharfen, die zunächst im buddhistischen Umfeld vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 7. Jahrhundert n. Chr in Steinreliefs an indischen Kultstätten auftauchen. Harfenspieler innerhalb von Orchestern fanden sich in Reliefs, die frühbuddhistische Tanzszenen darstellen, auf den Steinzäunen der Stupas von Bharhut (2. Jahrhundert v. Chr.), Sanchi (1. Jahrhundert n. Chr.) und Amaravati (2. Jahrhundert n. Chr.). In der Biografie Ashvaghoshas über Buddha Buddhacarita aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts wird neben einer Vina genannten Bogenharfe mit sieben Saiten eine Bambusflöte Venu und eine von Frauen gespielte Trommel Pushkara erwähnt.[1] Eine Goldmünze aus dem 4. Jahrhundert zeigt König Samudragupta beim Harfenspiel.[2] Die Musiktextsammlung Sangita Ratnakara von Sarangadeva aus dem 13. Jahrhundert erwähnt als Hauptinstrument eine große Harfe mit 21 Saiten.[3] Von allen Bogenharfen Indiens und Asiens insgesamt hat nur die Saung gauk als Nationalinstrument von Myanmar überlebt.

Ab dem 6. Jahrhundert werden einfache Stabzithern mit einem Bambusstab als Saitenträger und die ersten Lauten mit einem Resonanzkörper, dessen Decke parallel zu den Saiten verläuft, abgebildet. Die älteste Lauten-Vina hieß nach einem Sanskrit-Text aus dem 11. Jahrhundert (Narada: Sangita Makaranda) Kinnara Vina. Mitte des 12. Jahrhunderts wird in Gujarat als anderer Name für dasselbe Instrument Saranga Vina angegeben. Kinnari sind weibliche Vogelmischwesen und gehören zu den niederen indischen Gottheiten. Der Name stammt aus dem Altgriechischen kinyra, Altarabisch kinnare.[4] Der zusammengesetzte Begriff bedeutet „Saiteninstrument der Kentauren“. Kinnari ist das älteste, namentlich genannte, vermutlich gezupfte Saiteninstrument. Aus der zweiten Bezeichnung Saranga leitet sich die spätere Gruppe der gestrichenen Saiteninstrumente Sarangi her.

Die Entwicklung von Stabzithern, Langhals- und Kurzhalslauten vollzog sich parallel. An einem Säulenrelief in Kanchipuram aus dem 7. Jahrhundert spielt die Göttin Saraswati eine liegende Vina, ein Relief am Nataraja-Tempel von Chidambaram zeigt eine stehende Frau mit einer Langhalslaute. Die frühesten Vinas hatten nur einen Resonanzkörper. Der Musikgelehrte Abu'l Fazl beschrieb im 16. Jahrhundert eine Kinnara mit drei Kalebassen.

In der Mogulzeit wurde die Bezeichnung Rudra Vina oder Bin für eine ganze Gruppe von Saiteninstrumenten üblich. Die Musiker wurden folglich Binkars oder Binakaras genannt. Von den in dieser Zeit aus Persien eingeführten Instrumenten war die Langhalslaute Tar für die Entwicklung der indischen Saiteninstrumente von besonderer Bedeutung. Gemäß dem arabischen Gelehrten al-Farabi (um 870–950) hatte die Tar einige Bünde. Im 13. Jahrhundert wurde ein System von 17 Tönen in pythagoreischer Stimmung für die Tar entwickelt, was die Stimmung der Rudra Vina beeinflusste.

Spätestens im 18. Jahrhundert hatten sich zwei unterschiedliche Stile in der klassischen nordindischen Musik und damit zwei Gruppen von Musikern herausgebildet: Einmal die strenge, männliche Tradition des Dhrupad, das waren Sänger und Vina-Spieler (Binakars), die von der Trommel Pakhawaj begleitet wurden. Auf der anderen Seite stand der weibliche Khyal-Stil, der Mitte des 18. Jahrhunderts in die Hofmusik von Delhi eingeführt wurde, bei dem die Sänger – meist Sängerinnen – von Sarangi und Tabla begleitet wurden. Die Vina stand für die hochangesehene Musikkultur, die Sarangi für Unterhaltungs- und Tanzmusik.[5] Die beiden Gruppen hatten sich in ihrer sozialen Stellung bis um 1900 einander angenähert.

Bauform und Spielweise

Die nordindische Rudra Vina besteht traditionell aus einer Bambusröhre, die selbst als Resonanzkörper dient und an der zur Schallverstärkung zwei kugelförmige Kürbiskalebassen befestigt sind. Auf dem Rohr bilden 22 oder 24, unverschieblich in einem dicken Wachsbett liegende Bünde das Griffbrett. Anstelle des Bambusrohres wird meist Teakholz verwendet, die Wachsmischung wird durch Kunstharz ersetzt.

Über erhöhte Stege an beiden Enden laufen sieben Metallsaiten über das Griffbrett. Vier davon sind Melodiesaiten, die d – A – g – cis gestimmt sind (je zwei Stahl- und zwei Kupfersaiten). Eine äußere und gegenüber zwei außen liegende Saiten aus Stahl geben Borduntöne (chikaris). Sie sind auf A und in den beiden Oktaven gestimmt. Bis auf die vier Wirbel an einem Ende des Rohres ist die Rudra Vina symmetrisch. Die Saiten werden mit drei Stahlplektren am Zeige-, Mittel- und Ringfinger der rechten Hand gezupft. Das Instrument ruht mit einem Resonanzkörper auf dem rechten Unterschenkel, der andere liegt über der linken Schulter.

Die Rudra Vina wird praktisch nicht mehr gebaut und nur noch äußerst selten gespielt. Sie ist dem alten klassischen Dhrupad-Stil vorbehalten. Ihr Spiel wird noch innerhalb der Dagar-Familie weitergegeben. Die Dagar Gharana aus Delhi gilt als die älteste Dhrupad-Schule.[6] Der bedeutendste Rudra-Vina-Spieler im 20. Jahrhundert war Zia Mohiuddin Dagar (1929–1990). Einer der wenigen Musiker, die regelmäßig Konzerte auf der Rudra Vina geben und der die Tradition maßgeblich am Leben erhält, ist Asad Ali Khan (* 1934).[7]

Im Wachsbett liegende Messingbünde (frettu) der Saraswati Vina. Die beiden Stahl- und Kupfersaiten sind erkennbar

Die südindische Saraswati Vina hat Bünde und entspricht wie die Sitar einer Langhalslaute, nur ist das ganze Instrument aus einem Stück Holz gefertigt. Der bauchige Korpus (kudarn) ist an der Decke abgeflacht. Ein zweiter, kleiner Resonator (soraikkai) aus Kürbis befindet sich unter dem Wirbelkasten. Diese Vina liegt beim Spielen quer vor dem Musiker. Der Korpus ruht dabei auf dem Boden, der Hals wird durch die beiden Knie des Spielers waagrecht gehalten. Der Hals endet oberhalb des Wirbelkastens als Yali Mukha mit dem Kopf eines Fabelwesens.

Mit den Bordunsaiten kann bei der Saraswati Vina und der Rudra Vina (wie auch bei der Sitar) die rhythmische Struktur (tala) gleichzeitig mit den Tönen (svaras) des Raga wiedergegeben werden. Die Möglichkeit, damit das Gesamtkonzept der indischen Musik darstellen zu können, macht die Wertschätzung dieser Instrumente aus.

Form und Spielhaltung sind bei der bundlosen Gottuvadyam (auch: Mahanataka Vina) entsprechend. Diese südindische Vina wurde Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt und hat insgesamt 21 Saiten, davon sind 6 Melodiesaiten, 3 Bordunsaiten und 12 darunter verlaufende Resonanzsaiten (tarab). Die Gottuvadyam ist das einzige südindische Instrument mit Resonanzsaiten. Eine große Resonanzkalebasse befindet sich unter dem Wirbelkasten, sodass die Gottuvadyam waggrecht am Boden liegen kann. Sie wird mit den drei Plektrums der rechten Hand und einem Hartholzstab (auch Elfenbein) in den linken Hand, der über die Saiten gleitet, gespielt. Der bekannteste Gottuvadyam-Spieler ist N. Ravikiran (* 1967).

Die Vichitra Vina ist das nordindische Gegenstück zur Gottuvadyam. Ebenfalls bundlos und mit einem breiten Hals verfügt sie über 4 Melodiesaiten, 5 Bordunsaiten und 13 Resonanzsaiten. Früher war sie ein Begleitinstrument für den Dhrupad-Gesang, wird aber kaum noch verwendet. Indem bei beiden Instrumenten die Tonhöhe mit einem Holzstab gegriffen wird, entsteht auch hier ein klanglicher Effekt, der einer Slide-Gitarre ähnelt.

Nur noch im Museum anzutreffen ist die Kinnari Vina mit einer halben Straußeneischale als Resonanzkörper. Dieses Lauteninstrument sollte nicht mit der alten Stabzither Kinnari (oder ebenfalls Kinnari Vina) verwechselt werden. Letztere hatte 12 bis 14 Bünde für die eine Saite und drei unterschiedlich großen Kalebassen, die im mittleren Bereich unter der Bambusstange hingen. Die älteste chinesische Zither heißt Qin oder Khin.

Ein altes, bereits in den Veden erwähntes Volksinstrument ist, oder eher war, die wesentlich größere Kacchapi Vina in Bengalen, mit einer besonders flachen Kalebasse als Resonator. Der Name Kacchapa (sanskrit) heisst „Schildkröte“, er kann auch für die Holzart Cedrela tuna (pali: kacchaco) stehen. Von Indien aus wurde die bundlose Kurzhalslaute unter diesem Namen weit in Südostasien verbreitet.[8]

Einzelnachweise

  1. Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Sachteil 4, 1996, Sp. 660
  2. Abgebildet in: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Sachteil 4, 1996, Sp. 666
  3. Ludwig Finscher (Hrsg.), Sachteil 4, S. 663
  4. Jaap Kunst: The origin of the kemanak. In: Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde. 116, Nr. 2, Leiden 1960, S. 264
  5. Wim van der Meer: Hindustani Music in the 20th Century. Martinus Nijhoff Publishers, Den Haag/Boston/London 1980, S. 57
  6. Ira Landgarten: Master of the Rudra Vina. Über Zia Mohiuddin Dagar
  7. Ustad Asad Ali Khan, Indian Classical Instrumentalist. Indianet zone
  8. Curt Sachs: Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens. Vereinigung Wiss. Verlag de Gruyter, Berlin und Leipzig 1915, S. 123f

Literatur

  • Alain Danielou: Einführung in die indische Musik. Heinrichshofen’s Verlag, Wilhelmshaven 1982, S. 93–96
  • B. C. Deva: Musical Instruments. National Book Trust, India, Neu Delhi 1977, S. 96–100

Weblinks


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