Indische Musik

Indische Musik
„Eine Dame lauscht der Musik“ (Punjab, ca. 1750)

Im Wesentlichen hört man in Indien drei Arten von Musik:

  • klassische Musik: kultivierter Musikstil, der im Westen besonders bekannt geworden ist, in Indien aber etwa den gleichen Stellenwert hat wie westliche Klassik in Europa.
  • volkstümliche Musik: regional sehr unterschiedliche Lieder, die meist religiösen Ursprungs sind und vor allem bei Festen und in den Tempeln gesungen und gespielt werden.
  • Popmusik: alltäglich gespielte Hits, die größtenteils aus neuen und alten Kinofilmen à la Bollywood stammen und oft auch Elemente klassischer und volkstümlicher Musik enthalten.

Inhaltsverzeichnis

Klassische indische Musik

Hauptartikel: Klassische indische Musik

Man unterscheidet zwischen zwei Richtungen:

  • südindisch klassische Musik (Karnatische Musik): ursprünglicherer, älterer Stil; sehr erdig mit vielen melodiösen und rhythmischen Variationen, eher durchkomponierte Arrangements.
  • nordindisch klassische Musik (Hindustanische Musik): stark vom persischen Kulturraum beeinflusste Musik und wird nicht nur in Indien, sondern auch in Nepal, Pakistan und Bangladesch praktiziert; ausgeprägt instrumental orientiert, einer spezifischen Ornamentik (Verzierungen) und wesentlich mehr Improvisation. Eine Darbietung mit nordindischer klassischer Musik wird auch als Mehfil bezeichnet.

Die klassische indische Musik ist modal und duldet im Grundsatz nur ein Melodieinstrument. Innerhalb eines von strengen überlieferten Regeln gesetzten Rahmens bietet sich ein breiter Raum für Interpretation. Im Solospiel arbeitet der Musiker einen musikalischen Gedanken auf dieser Grundlage aus und entwickelt diesen im zeitlichen Verlauf des Stückes aus dem Wechselverhältnis von Freiheit und Disziplin. Die Musik spricht mit einer Stimme. Der mehrstimmige Klang eines europäischen Orchesters würde in der indischen Musik als unverständliches Stimmengewirr verstanden. Einen Dialog gibt es nur zwischen Melodie- und Rhythmusinstrument. Die Struktur der Melodie ist der Raga, dessen Skala jeweils aufsteigend und absteigend festgelegt ist. Er drückt eine bestimmte musikalische Stimmung aus und wird in der Regel einer Tageszeit zugeordnet.

Schlaginstrumente in Nordindien sind die Tabla, das führende Perkussionsinstrument in der populären und klassischen Musik, oder die Pakhawaj. Ähnliche Instrumente finden sich in Südindien, wie das Mridangam oder der Ghatam (Tonklangkörper). Sie stehen gleichberechtigt neben dem Hauptinstrument und dürfen nicht als rhythmische Begleitung verstanden werden. Die Rhythmik der indischen Klassik ist der Melodieführung nicht untergeordnet, vielmehr gestaltet ein Perkussionist in dem System von rhythmischen Zirkeln (s.g. Talas) - in einem wechselseitigen Dialog - das Improvisationsspiel aktiv mit.

Die klassische indische Musik besteht in der Regel aus einem Hauptinstrument oder der Vokalstimme, ein bis zwei Perkussionisten, gegebenenfalls als Counterpart zum Hauptinstrument das Harmonium und Borduntönen, die von einer Tanpuras hervorgebracht werden. Das Duettspiel (Jugalbandi) hat sich in Indien in den letzten Jahren weit verbreitet und erfreut sich beim (internationalen) Publikum einer zunehmenden Beliebtheit.

So erlaubt eine Reihe von allgemeingültigen, sehr komplexen, über Jahrhunderte entwickelter Regeln den Musikern im (Kammer-)Ensemblespiel, die einander vorher noch nie gesehen haben, ein Konzert miteinander zu bestreiten: 80 bis 90 % eines Konzerts sind frei improvisiert und orientieren sich an diesen Grundprinzipien. Die wesentlichen Säulen einer Ragaperformance sind Ragaskalen und als mathematisches Zeitkorsett die Talas.

Indische Volksmusik

Neben der nord- und südindischen Klassik gibt es in der kulturellen und sprachlichen Vielfalt Indiens mit mehr als 25 offiziellen Landessprachen, unterschiedlichen Klimazonen und sozialen Schichtungen eine entsprechende Schattierung von Ausdrucksformen der volkstümlichen Musik. Während die indische Klassik in dem Charakter eines Kammerspielensembles präsentiert, wird die volkstümliche Spielweise vorzugsweise bei Hochzeiten und anderen Festen gewählt.

Die Dhol, eine indische Trommel, die besonders in den ländlichen Gebieten Nordindiens verwendet wird, stößt zwischenzeitlich im Ausland als Repräsentant der indischen Volksmusik auf ein großes Echo (Interpreten sind beispielsweise The Dhol Blasters).

Shrutis (mikrotonale Struktur)

Die Aufteilung des Tonumfangs einer Oktave - wie in der westlichen Musikkultur in Ganztöne/Halbtöne mit sieben Hauptnoten (C, D, E, F, G, A, H, C) ist in der indischen Klassik gänzlich unterschiedlich strukturiert. Der gleiche Tonumfang wird in 66 mikrotonale Abstufungen gleicher Frequenzabstände, die Shrutis unterteilt. Alternativ wird in Indien ein reduziertes System von 22 Mikrotönen verwendet. Der Tonumfang der westlichen Oktave wird in der indischen Musik durch die s.g. Sargam Syllables (Sa, Re, Gha, Ma, Pa, Dha, Ni, Sa') abgebildet. Hier hat man sich mit sieben (7) Tonstufen (Sa - Sa') - aus der geschichtlichen Entwicklung durch die englische Besatzung bis zur Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 - an das westliche Notationssystem angenähert. Der Begriff Grundton, wie er in den westlichen Musiksystemen in den Dur- und Moll-Tonarten verwandt wird, existiert in der indischen Klassik nicht. Das Syllabel "Sa" wird generell als Ausgangsstufe für die Entwicklung der Ragaskalen verwendet, unabhängig von der Tonhöhe. So kann Sa für eine bestimmte Ragainterpretation auf der Tonhöhe von "C" liegen, für andere Ragaskalen wird "Es" usw. als Ausgangslage verwendet.

Musikinstrumente

Indische Musik ist ursprünglich Vokalmusik. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Instrumente entwickelt, die teilweise versuchen, den Klang der menschlichen Stimme zu imitieren. Viele der unzähligen Instrumente sind nur in bestimmten Regionen bekannt, andere sind in ganz Indien und teilweise sogar im orientalischen Raum verbreitet.

Blas-, Saiten- und Tasteninstrumente

Sitar: Das im Westen wohl bekannteste nordindische Instrument mit einer Vielzahl von Saiten, von denen aber hauptsächlich eine dazu dient, um die Ragaskalen (im Improvisationsspiel) auszuarbeiten. Der Begriff Melodie würde in der Anlage der klassisch indischen Musik als "modales System" in die Irre führen. Die anderen Saiten sind teilweise Resonanzsaiten, die selbstständig mitschwingen, oder Saiten, die zum Erzeugen einer rhythmischen Grundstruktur gedacht sind. Die Bünde sind frei verschiebbar, um die gewünschten Töne erzielen zu können; viele Töne werden jedoch durch „Ziehen” der Saite erzeugt.

Sarod: In Indien sehr beliebtes Saiteninstrument, dessen Wurzeln im orientalischen Raum liegen. Der Korpus ist mit einem Fell bespannt, weshalb der Klang ein wenig an ein Banjo erinnert. Der Hals ist aus Metall und hat keine Bünde; die Tonhöhe bestimmt der Musiker durch Druck oder Gleiten mit dem Fingernagel.

Sarangi ist das verbreitetste Streichinstrument in Nordindien in der populären und klassischen Musik. Ihr Korpus ist mit Pergament bespannt.

Sarinda: nur in der Volksmusik Nordindiens gebräuchliches Streichinstrument in regional unterschiedlichen Varianten.

Die beiden Streichinstrumente Dilruba und Esraj werden im Westen bzw. Osten zur Liedbegleitung in der nordindischen Volksmusik verwendet.

Violine: Vor allem im Süden gebräuchliches Instrument, das auf unbekannten Wegen aus dem Westen seinen Platz in der indischen Musik gefunden hat. Die Haltung der Violine ist allerdings unterschiedlich (senkrecht, mit dem Kopf nach unten).

Vina: Traditionsreiches Saiteninstrument, das auf den ersten Blick mit der Sitar verwandt scheint, sich in Bau und Spielart allerdings grundsätzlich unterscheidet. - Verwendung in der südindischen Musik.

Santur: Ursprünglich aus Persien stammendes Hackbrett, das mit zwei Klöppeln geschlagen wird.

Bansuri: Flöte aus einem Bambusrohr ohne besonderes Mundstück; wird als Querflöte gespielt, wobei der Klang durch Blasen über ein einfaches Loch entsteht.

Shehnai: Oboenartiges nordindisches Blasinstrument mit scharfem Klang.

Nadaswaram: Oboenartiges Blasinstrument in der südindischen Tempelmusik, größer als die Shehnai.

Harmonium: Verwandt mit der westlichen Ziehharmonika, steht allerdings fest auf dem Boden. An der Hinterwand ist ein Blasbalg befestigt, der ständig mit der linken Hand betrieben wird, während die Rechte die Melodielinien, gelegentlich auch Akkorde spielt. Einsatz hauptsächlich in volkstümlicher und devotionaler Musik.

Tanpura: einfaches Saiteninstrument, das in fast jedem Konzert eingesetzt wird, um als Drone konstant den Grundton sowie dessen Quint und Oktav zu erzeugen. Heute z.T. durch elektronische Instrumente (Shrutibox) mit gleicher Funktion ersetzt.

Schlaginstrumente

„Hügelanführer“ und Trommelspieler (Punjab, ca. 1720)

Pakhawaj: Klassische nordindische Quertrommel mit einem nahezu zylindrischen Holzkorpus, der an beiden Enden mit kompliziert aufgebauten Fellen bespannt ist.

Tabla: Weiterentwicklung der Pakhawaj. Der legendäre Musiker Amir Khusro soll der Überlieferung nach eine der damals verbreiteten Quertrommeln auseinander geschnitten haben, um mehr Möglichkeiten beim Spiel zu eröffnen. Die bauchige Basstrommel besteht meist aus Metall, die kleinere - melodiösere - aus Holz. Die Tabla gehört zwar zur nordindischen Klassik, ist wegen ihres Klangs aber bei jeder Art von Musik und bei jeder Gelegenheit beliebt.

Dholak: Volkstümliche Quertrommel mit einfacheren Fellen. Beim Spielen wird oft zusätzlich mit einem Metallring am rechten Daumen auf den Korpus geklopft.

Mridangam: In der südindischen Musik verbreitete Trommel. Ähnelt der Pakhawaj, unterscheidet sich aber in Klang und Spielweise.

Kanjira: einfache südindische Rahmentrommel, die nur mit der rechten Hand geschlagen wird und dennoch eine bemerkenswerte Klangvielfalt bietet.

Ghatam: Tontopf, der ebenfalls in Südindien gebräuchlich ist und erstaunliche Klänge hervorbringen kann.

Siehe auch

Literatur

  • Janaki Bakhle: Two Men and Music: Nationalism in the Making of an Indian Classical Tradition, Oxford University Press 2005, ISBN 0-19-516610-8
  • Vishnu Narayan Bhatkhande: A Short Historical Survey of the Music of Upper India. (1916) Indian Musicological Society, Vadodara 1985
  • Alain Danielou: Einführung in die indische Musik. Noetzel, 4. Aufl. 2004, ISBN 3-7959-0183-9
  • Raghava R. Menon: Abenteuer Raga. Vom Zauber der indischen Musik. Kristkeitz, Heidelberg 1988, ISBN 978-3-921508-22-0
  • Raghava R. Menon: The Penguin Book of Indian Classical Music, Penguin Books 2003, ISBN 0-14-051324-8
  • Markus Schmidt: Ästhetik und Emotion in der nordindischen Kunstmusik. Osnabrück 2006, ISBN 978-3-923486-77-9

Weblinks


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