Virial

Virial

Der Virialsatz (lat. vis „Kraft“) ist eine Beziehung zwischen dem zeitlichen Mittel der kinetischen Energie  \overline{T} und dem zeitlichen Mittel der potentiellen Energie  \overline{ U } eines abgeschlossenen physikalischen Systems.

Inhaltsverzeichnis

Formulierung

Das Virial V eines Systems aus N Teilchen ist die Summe der Skalarprodukte aus den Impulsen und Orten dieser Teilchen, d.h.  V=\sum_{i=1}^N \vec p_i \cdot \vec r_i. Der Vektor  \vec r_i beschreibt den Ort, der Vektor  \vec p_i den Impuls des i-ten Teilchens. Ist das Virial beschränkt, so gilt die Beziehung:

\overline T = -\frac 12 \sum_{i=1}^N \overline{\vec F_i \cdot \vec r_i}.

Dabei ist \vec F_i die Resultierende der auf das i-te Teilchen einwirkenden Kräfte, die von anderen Teilchen des Systems ausgeübt werden. Da ein abgeschlossenes System betrachtet wird, existieren keine äußeren Kräfte.

Ist die Kraft konservativ und besitzt ein Potential U, das homogen vom Grad k ist, d.h. für α > 0 gilt U(\alpha \vec r_i)=\alpha^k U(\vec r_i), so vereinfacht sich die obige Form auf

 \overline T = \frac k2\, \overline U.

Befindet sich ein Vielteilchensystem im Gleichgewicht, so kann das System als ergodisch betrachtet werden, d.h. das Zeitmittel ist gleich dem Scharmittel für alle Beobachtungsgrößen. Da dies insbesondere für die kinetische und die potentielle Energie gilt und das Scharmittel der Energien einfach aus der Summe der Einzelenergien geteilt durch die Anzahl der Objekte N gebildet wird, lässt sich das Scharmittel durch die Gesamtenergien ausdrücken. Wir erhalten daher für Gleichgewichtssysteme:

 T = \frac k2\,U

ohne Mittelung über die Zeit, denn die Werte sind zeitlich konstant.

Anwendungsbeispiel

Anwendung findet der Virialsatz beispielsweise in der Astrophysik und der Himmelsmechanik. Dort benutzt man das Newton'sche Gravitationspotential, das homogen vom Grad -1 ist. Es gilt dann

2T = − U.

Der Virialsatz erlaubt es, recht gute Abschätzungen für die Gesamtmassen dynamisch gebundener Systeme wie Sternhaufen oder Galaxienhaufen zu finden. Die Gesamtmasse eines solchen Haufens kann dann vollständig durch Beobachtungsgrößen wie Radialgeschwindigkeiten, Winkelabstände und scheinbare Helligkeiten der Einzelobjekte ausgedrückt werden. Die einzige Voraussetzung für die Anwendung des Virialsatzes ist die Kenntnis des Abstandes des Haufens. Wir wollen das Vorgehen bei einer Massenbestimmung eines solchen Haufens hier skizzieren:

Die kinetische Gesamtenergie eines Stern- oder Galaxienhaufens ist durch
 T=\frac{1}{2}\sum_i m_i \| \vec{v}_i\|^2
gegeben. Weder die Einzelmassen mi noch die Geschwindigkeitsbeträge |vi| sind jedoch Beobachtungsgrößen. Die Einführung der Gesamtmasse  M=\sum m_i erlaubt die einfache Umformung
 T=\frac{M}{2}\sum_i \frac{m_i}{M} \|\vec{v}_i\|^2.
Macht man nun die zwei Annahmen:
a) Die Einzelmassen mi sind proportional zu den Einzelleuchtkräften li und daher gilt
 T=\frac{M}{2}\sum_i \frac{l_i}{L} \|\vec{v}_i\|^2=\frac{M}{2}\langle \| \vec{v}\|^2 \rangle_L,
wobei der letzte Term das Leuchtkraft-gewichtete Mittel über die Geschwindigkeiten bezeichnet.
b) Das System ist sphärisch symmetrisch und befindet sich im Gleichgewicht (man sagt auch es ist virialisiert). Daher sind die Geschwindigkeiten über die Raumrichtungen gleichverteilt (Gleichverteilungssatz). Es gilt dann
\langle \| \vec{v}\|^2 \rangle_L=3 \langle v_{R}^2 \rangle_L,
wobei vR die radialen Pekuliargeschwindigkeiten bezeichnet, d.h. die Abweichungen der Radialgeschwindigkeit vom Haufenmittelwert. Damit erhält man:
 T=\frac{3 M}{2}\langle v_{R}^2 \rangle_L.
Für die potentielle Gesamtenergie gilt unter der Bedingung der sphärischen Symmetrie
U= - \frac{G M^2}{\alpha R},
wobei R der Gesamtradius des System ist und der morphologische Faktor α von der radialen Verteilungsfunktion, also der Geometrie des Haufens abhängt. Für eine (allerdings unrealistische) Gleichverteilung innerhalb des Radius R ist beispielsweise α=5/3. Im Allgemeinen ist der Faktor aus den Winkelabständen der Einzelsysteme zum Haufenzentrum zu bestimmen.
Für die Gesamtmasse des Haufens erhalten wir somit die Formel
M=\frac{3 \alpha R}{G}\langle v_{R}^2 \rangle_L.

Verallgemeinerung

Im Rahmen der Kontinuumsmechanik wird der tensorielle Virialsatz aus der stoßfreien Boltzmann-Gleichung und dem daraus abgleiteten Jeans-Kriterium bewiesen. Wenn als Wechselwirkung wiederum die Gravitation angenommen wird, hat der Satz die Form:

 \frac{1}{2}\frac{d^2}{dt^2} I_{ij}=2 T_{ij}+\Pi_{ij}+U_{ij},

wobei Iij der Trägheitstensor, Tij der kinetische Energietensor, Πij der Spannungstensor und Uij der potentielle Energietensor ist. Im statischen Fall fällt die Zeitableitung auf der linken Seite der Gleichung weg und die Spur der Gleichung ergibt wieder den skalaren Virialsatz, da der Spannungstensor spurfrei ist.

Vorzeichen von Energiegrößen im Virialsatz

Zum Virialsatz: Energieerwartungswerte als Funktion des Grades s der homogenen Potentialfunktion oder die Vorzeichen der kinetischen, potentiellen und Gesamtenergie, bei auf 1 normierter Gesamtenergie

Der Virialsatz in der allgemeinen Form für eine homogene Potentialfunktion vom Grad s

 \langle E_\mathrm{kin} \rangle= \frac {s} {2}\;\langle U_\mathrm{pot}\rangle  = \frac {s} {s+2}\; E [1]

gibt eindeutige Auskunft über die richtigen Vorzeichen der beteiligten Energiegrößen.

Für den bekanntesten Fall s = − 1 (Gravitation, Coulombsches Kraftgesetz) ergibt sich beispielsweise:

 \langle E_\mathrm{kin}\rangle = -\;\frac {1} {2} \;\langle U_\mathrm{pot}\rangle  = -\;  E

Die Vorzeichen im einzelnen sind (s. Abb.):

\langle E_\mathrm{kin}\rangle ist positiv definit.
\langle U_\mathrm{pot}\rangle<\; 0\;  für  s \;<\; 0\ und
\langle U_\mathrm{pot}\rangle>\; 0\;  für  s \;>\; 0\ .
Und
E > 0 für s < − 2 oder 0 < s.
E < 0 für − 2 < s < 0.

[2]

Literatur

  • Rudolf Clausius: Ueber einen auf die Wärme anwendbaren mechanischen Satz, Annalen der Physik (Zeitschrift), 1870, Vol. 217, Issue 9, Seiten 124–130, Text
  • Lew Dawidowitsch Landau, Jewgeni Michailowitsch Lifschitz: Mechanik (Lehrbuch der theoretischen Physik; Bd. 1). Deutsch, Frankfurt/M. 2004, ISBN 3-8171-1326-9
Gibt eine einfache Herleitung des skalaren Virialsatzes.
  • James Binney, Scott Tremaine: Galactic Dynamics Princeton Series in Astrophysics. Princeton University Press, Princeton, N.J. 1988, ISBN 0-691-08445-9
Hier findet man die tensorielle Verallgemeinerung und Anwendungen.

Einzelnachweise und Bemerkungen

  1. Die spitzen Klammern stehen bekannterweise für gemittelte Werte, für ein stationäres System von Punktteilchen, welche sich in dynamischem Gleichgewicht bewegen.
  2. Heinrich Wulff, Physik unter Verwendung des Virialsatzes, Grafik & Typographie, 1998 ISBN 3-9804816-0-3

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Virial — (von vis, Kraft), Begriff der Mechanik und Wärmetheorie. Ein beliebiges System von materiellen Punkten (s. Materielles System, Bd. 6, S. 333) befinde sich in stationärer Bewegung hinsichtlich eines beliebigen rechtwinkligen Koordinatensystems,… …   Lexikon der gesamten Technik

  • Virial —   [v ; zu lateinisch vires »Kräfte«] das, s/ e, in einem stabilen mechanischen System von N Punktmassen mit den Ortsvektoren ri (i = 1, 2,. .., N ), auf die die Kräfte F …   Universal-Lexikon

  • Virial — Vir i*al, n. [L. vis, viris, force.] (Physics) A certain function relating to a system of forces and their points of application, first used by Clausius in the investigation of problems in molecular physics. [1913 Webster] …   The Collaborative International Dictionary of English

  • Virĭal — (v. lat. vis, Kraft), nach Clausius ein Ausdruck, den man erhält, wenn man bei einem Körper, dessen Teilchen sich in stationärer Bewegung befinden, die auf jedes Teilchen wirkende Kraft multipliziert mit dem Abstand des Teilchens von einem… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • virial — virial, teorema del …   Enciclopedia Universal

  • virial — noun Half of the product of the stress of attraction or repulsion with the distance between two particles. The quantity 1/2 Rr, or half the product of the attraction into the distance across which the attraction is exerted, is defined by Clausis… …   Wiktionary

  • Virial — virialas statusas T sritis fizika atitikmenys: angl. virial vok. Virial, n rus. вириал, m pranc. viriel, m …   Fizikos terminų žodynas

  • virial — virialas statusas T sritis fizika atitikmenys: angl. virial vok. Virial, n rus. вириал, m pranc. viriel, m …   Fizikos terminų žodynas

  • Virial coefficient — Virial coefficients B i appear as coefficients in the virial expansion of the pressure of a many particle system in powers of the density. They are characteristic of the interaction potential between the particles and in general depend on the… …   Wikipedia

  • Virial stress — is a measure of mechanical stress on an atomic scale. It is given by: au {ij} = frac{1}{Omega} sum {k in Omega} left( m^{(k)} (u i^{(k)} ar{u} i) (u j^{(k)} ar{u} j) + frac{1}{2} sum {ell in Omega} ( x i^{(ell)} x i^{(k)}) f j^{(kell)}… …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”