- Visitation
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Visitation (lat. visitare „besuchen“) heißt in vielen Gerichts-, Kirchen- und Ordensverfassungen der Besuch eines Oberen mit Aufsichtsbefugnis zum Zweck der Bestandsaufnahme und Normenkontrolle.
Inhaltsverzeichnis
Römisch-katholische Kirche
In der römisch-katholischen Kirche gibt es zwei Arten von Visitatoren, nämlich ordentliche bzw. permanente und außerordentliche Visitatoren, römisch-katholische Pfarrgemeinden werden vom Bischof bzw. Weihbischof visitiert. Die meisten Ordensgemeinschaften haben Regional- und Generalobere mit Visitationsvollmacht.
Außerordentliche Visitatoren
Der Papst kann einen so genannten Apostolischen Visitator entsenden, um Vorfälle zu untersuchen, die sich gegen die kirchliche Ordnung richten könnten, was allerdings zur heutigen Zeit (Stand 2011) eher selten vorkommt. In neuerer Zeit wurden die Visitation der Legionäre Christi[1] und des Priesterseminars in St. Pölten bekannt.
Ordentliche oder permanente Visitatoren
Daneben gibt es permanente Apostolische und Kanonische Visitatoren, die einen bischofsähnlichen Rang einnehmen. Diese wurden bisher für die seelsorgliche Betreuung von Gläubigen in totalitären Staaten eingesetzt, in denen einem Bischof die Tätigkeit vor Ort versagt blieb. Außerdem wurden Apostolische Visitatoren in den ehemaligen Ostblockstaaten anstelle eines Ortsordinarius eingesetzt, weil die Katholische Kirche keine Konflikte mit der Orthodoxen Kirche riskieren wollte. Die orthodoxen Kirchen beanspruchen nämlich immer das gesamte Gebiet eines Staates als kanonisches Territorium.
Ähnliches gilt für die deutschen Apostolischen Visitatoren, deren Aufgabe die Koordinierung der Seelsorge an den Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ist. Sie waren bis 1998 Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz. So gibt es den Visitator Breslau, den Visitator Ermland, den Großdechanten und Visitator Grafschaft Glatz und den Visitator Schneidemühl.
Evangelische Kirchen
In den evangelischen Kirchen ist die Visitation als ein regelmäßiges Mittel der Kirchenleitung in Gebrauch. Erst durch die Trennung von Kirche und Staat 1919 wurde die Visitation in den evangelischen Landeskirchen in Deutschland eine innerkirchliche Angelegenheit – seit der Reformation hatten die Landesherren die Aufsicht über die Kirchen und damit auch die Visitation ausgeübt. Dabei haben konfessionell geprägte Modelle unterschiedlichen Einfluss gewonnen.
Während in lutherischen Kirchen mit der Visitation die Aufsicht des Bischofs ausgeübt wird, können reformierte Gemeinden entsprechend dem synodalen Prinzip auch von "nachbarschaftlichem Besuch" sprechen. Zahlreiche Zwischenformen existieren in den Kirchenordnungen der Landeskirchen und konfessionellen Bünde (VELKD, Arnoldshainer Konferenz). Gemeinsam ist allen, dass die Visitation entsprechend der verschiedenen kirchenleitenden Ebenen gestaffelt wird. Kirchengemeinden werden von den Verantwortlichen der nächsthöheren Ebene (Kirchenkreis, Kirchenbezirk, Dekanat u. ä.) visitiert – sei es durch Superintendent(in), Dekan(in) bzw. Propst/Pröpstin oder durch Visitationskommissionen aus Haupt- und Ehrenamtlichen unter Vorsitz der vorgenannten Amtsinhaber. Mit einem Rhythmus von 6–8 Jahren ist die Visitation im Leben der Gemeinden fest verankert.
In der Praxis ist die gottesdienstliche Versammlung der Gemeinde Höhepunkt einer Visitation, die in der Besuchsphase oft eine Woche dauert. Dazu finden üblicherweise Aussprachen, Besuche von Einrichtungen sowie eine Verwaltungsprüfung statt. Zum ursprünglichen Gedanken der Aufsicht ist inzwischen in den heutigen Visitationsordnungen auch der Kontakt zur Gemeinde und deren Beratung hinzugekommen. Über die ordnungsgemäße Verkündigung, Lebens- und Amtsführung von Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitern sowie ein intaktes Gemeindeleben hinaus wird nun auch nach Visionen und Zielen der Gemeindeglieder gefragt. Über Berichte, Protokolle und Statistiken hinaus werden Umfragen und gruppendynamische Methoden wie beispielsweise die Zukunftswerkstatt eingesetzt.
In der Geschichte der Kirchen war die Visitation das wichtigste und effektivste Werkzeug zur Durchführung der Reformation im 16. Jahrhundert. Nur so konnte jeder einzelne Ortspfarrer darauf überprüft werden, ob er der neuen "evangelischen" Lehre entsprach und den gewandelten Anforderungen an das Pfarramt gewachsen war. Philipp Melanchthon verfasste 1527/28 – von Martin Luther gestützt – seinen Vorschlag für eine Visitationsordnung, also noch bevor eine offiziell anerkannte Bekenntnisschrift vorhanden war. Entsprechend ihrer damaligen Bedeutung war die Visitation in den Preußischen Artikeln von 1540 sogar im jährlichen Turnus vorgesehen.
Anglikanische Kirche
Wie in der römisch-katholischen Kirche sind die Bischöfe auch bei der anglikanischen Kirche für Visitation zuständig.
Deutsche Rentenversicherung Bund
Bei einer Visitation besuchen zwei Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung Bund, ein Arzt und ein Mitarbeiter der Verwaltung, eine Rehabilitationseinrichtung, um sich vor Ort über die Qualität des Rehabilitationsangebotes dieser Einrichtung zu informieren. Sie besichtigen die Einrichtung und führen Gespräche mit den leitenden Mitarbeitern, mit therapeutischen Mitarbeitern und mit den Patienten. Ziel einer Visitation ist, sich durch unmittelbare persönliche Anschauung einen unmittelbaren Eindruck von der Qualität der medizinischen Rehabilitation zu verschaffen und die Rehabilitationseinrichtungen bei der qualitativen Weiterentwicklung zu beraten und zu unterstützen. Das Ergebnis einer Visitation wird in einem standardisierten Dokumentationsbogen festgehalten.
Rechtswesen
Die letzte große Visitation am Reichskammergericht in Wetzlar fand zwischen 1767 bis 1776 statt.
Schulwesen
Solange das Schulwesen unter der Aufsicht geistlicher Instanzen stand, gehörte zur Visitation auch der gesamte Schulbereich. Bei einer staatlichen Schulaufsicht wird eine dienstaufsichtliche Begutachtung einer Schule auch als Visitation bezeichnet.
Literatur
- Alexander Denzler: Die Visitation des Reichskammergerichts von 1767 bis 1776. Ein mediales Großereignis und seine Bedeutung für die Kommunikations- und Rechtsgemeinschaft des Alten Reiches. VDM-Verlag Müller, Saarbrücken 2008, ISBN 978-3-639-05221-3.
- Peter Thaddäus Lang: Die Erforschung der frühneuzeitlichen Kirchenvisitationen. Neuere Veröffentlichungen in Deutschland. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 16. Thorbecke, Ostfildern 1997, ISBN 3-7995-6366-0, S. 185-194.
- Peter Thaddäus Lang: Visitationsakten. In: Christian Keitel, Regina Keyler (Hrsg.): Serielle Quellen in südwestdeutschen Archiven., Stuttgart 2005, ISBN 3-17-018758-9, S. 127-135.
- Christian Peters, Friedrich Krause: Visitation I. Kirchengeschichtlich II. Praktisch-theologisch. In: Theologische Realenzyklopädie. 35, Berlin 2003, ISBN 3-11-017781-1, S. 151-166 (v.a. historischer Überblick mit weiterer Lit.).
- Friedrich Krause: Visitation als Chance für den Gemeindeaufbau. Göttingen 1991, ISBN 3-525-60375-4.
- Friedrich Krause: Begegnungsfeld Visitation. Leipzig 2006, ISBN 3-374-02094-1.
Weblinks
- Visitation bei historicum.net
- Apostolische Visitatoren und Administratoren des byzantinischen Ritus
- Visitationsverfahren. auf der Webseite der Deutschen Rentenversicherung Bund
Apostolische bzw. Kanonische Visitatoren der Katholischen Kirche
- Internetpräsenz des Apostolischen Visitators Breslau
- Internetpräsenz des Apostolischen Visitators Ermland
- Internetpräsenz des Kanonischen Visitators Grafschaft Glatz
- Apostolische Visitatoren von Weißrussland
Einzelnachweise
- ↑ Die geheime Akte der Legionäre Christi. In: Zeit Online. 30. April 2010.
Kategorien:- Kanonisches Recht
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