Wahrheitstabelle

Wahrheitstabelle
Animation zur Erstellung einer Wahrheitstafel

Eine Wahrheitstabelle oder Wahrheitstafel (Wahrheitswert-Tabelle, Wahrheitsmatrix) ist eine tabellarische Aufstellung des Wahrheitswertsverlaufs einer logischen Aussage. Die Wahrheitstabelle zeigt für alle möglichen Zuordnungen von endlich vielen (häufig zwei) Wahrheitswerten zu den aussagenlogisch nicht weiter zerlegbaren Teilaussagen, aus denen die Gesamtaussage zusammengesetzt ist, welchen Wahrheitswert die Gesamtaussage unter der jeweiligen Zuordnung annimmt. Die Wahrheitstabelle wird genutzt, um Wahrheitswertefunktionen beziehungsweise boolesche Funktionen darzustellen oder zu definieren und um einfache aussagenlogische Nachweise zu führen. Beispielsweise werden Wahrheitstabellen verwendet, um die Bedeutung von Junktoren festzulegen.

Inhaltsverzeichnis

Darstellung boolescher Funktionen

Für den zweiwertigen Fall wird der Wahrheitswert „wahr“ im Folgenden als „w“ und „falsch“ als „f“ bezeichnet. Für mehrwertige Fälle werden oft numerische Werte im Bereich von 0 bis 1 verwendet (im dreiwertigen Fall z. B. die Werte 0, 1/2=0,5 und 1, im fünfwertigen Fall die Werte 0, 1/4=0,25, 1/2=0,5, 3/4=0,75 und 1). Im mehrwertigen Fall wird oft nicht von Wahrheitswerten, sondern von Quasiwahrheitswerten oder von Pseudowahrheitswerten gesprochen.

Allgemein gibt es für eine m-wertige Logik, d. h. für eine Logik mit endlich vielen Wahrheitswerten, deren Anzahl m ist, m^{m^{n}} n-stellige wahrheitsfunktionale Junktoren bzw. boolesche Funktionen. Für die zweiwertige Aussagenlogik gibt es also 2^{2^{1}}=4 einstellige Junktoren und 2^{2^{2}}=16 zweistellige Junktoren. Schon für die dreiwertige Aussagenlogik gibt es 3^{3^{1}}=27 einstellige und 3^{3^{2}}=19.683 zweistellige Junktoren.

Die einfachste Wahrheitstabelle zeigt als ein Beispiel für eine einstellige Wahrheitswertefunktion einer zweiwertigen Logik das Ergebnis der Negation einer Aussage in der klassischen Aussagenlogik:

a Negation
NOT
w f
f w

Die folgende Tabelle gibt für jeden Wahrheitswert der Aussagen a und b das Resultat einiger zweiwertiger Verknüpfungen an:

a b Konjunktion
AND
Disjunktion
OR
materiale Implikation
Konditional
Äquivalenz
XNOR
Bikonditional
w w w w w w
w f f w f f
f w f w w f
f f f f w w

Eine besondere Stellung (siehe hierzu Funktionale Vollständigkeit und Sheffer-Operatoren) haben folgende nach Henry Maurice Sheffer bzw. Charles Sanders Peirce benannte zweiwertige Funktionen:

a b Sheffer-Operation
(NAND)
Peirce-Operation
(NOR)
w w f f
w f w f
f w w f
f f w w

Die folgende Tabelle gibt zwei von 19.683 zweistelligen Verknüpfungen der dreiwertigen Logik an; es handelt sich um die Konjunktion aus der dreiwertigen Logik Ł3 von Jan Łukasiewicz (1920) und um die Konjunktion aus der dreiwertigen Logik B3 von Dmitrij Anatoljewitsch Botschwar (Dmitrij Anatol'evič Bočvar) (1938).

a b Konjunktion in Ł3 Konjunktion in B3
1 1 1 1
1 0,5 0,5 0,5
1 0 0 0
0,5 1 0,5 0,5
0,5 0,5 0,5 0,5
0,5 0 0 0,5
0 1 0 0
0 0,5 0 0,5
0 0 0 0

Die folgende Tabelle gibt einen von 4^{4^{2}}=4.294.967.296 möglichen zweistelligen Operatoren für die vierwertige Logik wieder, die Wahrheitstafel für das Konditional (die materiale Implikation) im logischen System G4 von Kurt Gödel (1932).

a b Konditional in G4
1 1 1
1 2/3 2/3
1 1/3 1/3
1 0 0
2/3 1 1
2/3 2/3 1
2/3 1/3 1/3
2/3 0 0
1/3 1 1
1/3 2/3 1
1/3 1/3 1
1/3 0 0
0 1 1
0 2/3 1
0 1/3 1
0 0 1

Beweis- und Entscheidungsverfahren

Wahrheitstabellen eignen sich dazu, einfache aussagenlogische Beweise auf der semantischen Modellebene zu führen, insbesondere für die Gültigkeit von grundlegenden Gesetzen, auf denen logische Beweisverfahren aufbauen. Zum Beispiel zeigt die logische Äquivalenz der 3. und 4. Spalte in den folgenden Wahrheitstabellen die Gültigkeit der De Morganschen Gesetze:

nicht (a und b) = (nicht a) oder (nicht b)
a b nicht (a und b) nicht (a) oder nicht (b)
w w f f
w f w w
f w w w
f f w w
nicht (a oder b) = (nicht a) und (nicht b)
a b nicht (a oder b) nicht (a) und nicht (b)
w w f f
w f f f
f w f f
f f w w

In der Praxis eignet sich diese Art der Beweisführung allerdings nur für Aussagen mit einer kleinen Anzahl von Aussagenvariablen, da die Größe exponentiell in der Anzahl der Variablen wächst.

Für die Aussagenlogik mit endlich vielen Wahrheitswerten und klassischem Folgerungsbegriff (siehe Klassische Logik) sind Wahrheitstafeln ein Entscheidungsverfahren für viele wichtige Fragestellungen, das heißt ein Verfahren, mit dem sich die jeweilige Fragestellung für jede Aussage in endlicher Zeit mechanisch entscheiden lässt. So lässt sich mit Hilfe von Wahrheitstafeln die Frage entscheiden, ob eine gegebene Aussage erfüllbar, unerfüllbar oder tautologisch ist (siehe Erfüllbarkeitsproblem der Aussagenlogik); ebenso lässt sich entscheiden, ob ein Argument gültig oder ungültig ist.

Umformung in andere Darstellungsformen

Der Inhalt einer Wahrheitstabelle kann zur weiteren Verarbeitung oder Vereinfachung in andere, äquivalente Darstellungen überführt werden, beispielsweise in ein Karnaugh-Veitch-Diagramm.

Zur Geschichte

Wenn man unter einer Wahrheitstabelle die homomorphe Zuordnung von Wahrheitswerten zu den in einer Aussage vorkommenden Atomaussagen versteht, dann geht die Wahrheitstabelle auf Philon von Megara zurück, der auf diese Weise im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Wahrheitsfunktion für die materiale Implikation definierte.[1] Auch in der von Chrysipp geprägten stoischen Logik wurden Wahrheitstabellen in diesem Sinn umfassend verwendet.[2]

In der modernen Logik benutzte Boole 1847 Wahrheitstafeln unter dem Namen „Module einer Funktion“ zur semantischen Entscheidbarkeit von logischen Termen (Funktionen).[3] Später benützten auch Frege und Peirce dieses Entscheidungsverfahren, wobei Peirce den Zweck der Ermittlung von Tautologien deutlicher betonte. Wahrheitstabellen im wörtlichen Sinn als Tabellen wurden allerdings erst 1921 von Post[4] und Wittgenstein[5] eingeführt; durch ihren Einfluss wurden Wahrheitstabellen als Verfahren zur Entscheidung für Tautologien Allgemeingut.

Literatur

  • Martha Kneale, William Kneale: The Development of Logic. Clarendon Press, 1962, ISBN 0-19-824773-7 (in englischer Sprache). (zur Geschichte)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. “The device of tabulation was not introduced until recently, but the idea of truth-functional dependence was obviously quite clear to Philo.” (Martha Kneale, William Kneale: The Development of Logic. Clarendon Press, 1962, ISBN 0-19-824773-7 (in englischer Sprache).: Seite 130); in diesem Sinne auch Bocheński »in Anlehnung an die Antike« (Bocheński: Formale Logik. 2 Auflage. 1962.: S. 384 ff.)
  2. “The Stoics gave truth-functional definitions of all the more important propositional connectives [...]” (Benson Mates: Stoic Logic. University of California Press, Berkeley 1953 (University of California Publications in Philosophy, 26), ISBN 0-520-02368-4 (ISBN des Nachdrucks von 1973, in englischer Sprache).: Seite 42)
  3. Boole: The Mathematical Analysis of Logic. 1847, S. 60 ff..
  4. Emil Leon Post: Introduction to a General Theory of Elementary Propositions. In: American Journal of Mathematics. 43, 1921, S. 163–185.
  5. Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus. 1921 (Abschnitt 4.31).

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