- Waldheim Gaisburg
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Die Stuttgarter Waldheime sind von ursprünglich aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Vereinen getragene Erholungs- und Veranstaltungsorte mit Gaststättenbetrieb.
Inhaltsverzeichnis
Waldheime der Arbeiterbewegung
Eigenständige kulturelle Identität
Ein bedeutendes Datum der deutschen Arbeiterbewegung war der 30. September 1890, die Sozialistengesetze wurden aufgehoben. In der nachfolgenden Zeit war es den Arbeitern wieder möglich, sich politisch zu organisieren. Bereits am 2. November 1890 wurde in Württemberg die erste Landesorganisation der SPD gegründet, welche sich noch auf der gleichen Versammlung ein eigenes Parteistatut gab und somit zum Vorreiter für die Sozialdemokratie im Reich wurde. Neben der politischen Betätigung war es der Stuttgarter Arbeiterschaft ein großes Anliegen sich eine eigenständige kulturelle Identität zu geben, die den Besonderheiten der arbeitenden Bevölkerung Rechnung trug und sich insbesondere von den bürgerlichen Vereinen abgrenzte. In diesem Sinne entstanden in fast allen Stuttgarter Stadtteilen Arbeitervereine, Gesangvereine, Turnvereine und Initiativen zur Schaffung der Waldheime.
Waldheim Sillenbuch (Clara-Zetkin-Haus)
Gründung
Mit der Eintragung ins Stuttgarter Vereinsregister unter Nummer 240 wurde am 10. Mai 1909 der Stuttgarter Waldheimverein Sillenbuch gegründet. In einem feierlichen Akt am 27. Juni 1909 hatte der erste Vorsitzende Friedrich Westmeyer der Stuttgarter Arbeiterschaft das Waldheim Sillenbuch übergeben. Für die Gründer um Friedrich Westmeyer und Clara Zetkin galt der Grundgedanke, den arbeitenden Menschen einen Platz zu schaffen, an dem sie an ihren freien Tagen der damals herrschenden häuslichen Armut in der stickigen Stuttgarter Kessellage entfliehen und sich im Kreis der Familie mit Freunden und Bekannten treffen konnten, um sich zu erholen. Dabei war es besonders wichtig, dass es sich um einen eigenen Platz handelte, der nicht unter der Kontrolle eines nur kommerziell denkenden Gastronomiebetriebes oder unter der Aufsicht eines restriktiven Parkwächters stand. Sport und Spiel auf Wiesen und Plätzen sollte für die Arbeiterfamilien ermöglicht werden.
Das Waldheimgrundstück konnte damals mit Hilfe des in Sillenbuch (Sillenbuch gehörte erst ab 1937 zu Stuttgart) lebenden Ehepaars Clara Zetkin und Friedrich Zundel gefunden werden. In Freizeitarbeit wurde gemeinsam geschaffen was Jung und Alt erfreute: Schaukeln, Karussell, Kletterbaum, Kegelbahn und Schießstand, darüber hinaus gab es eine kleine Sommerbühne für Schwänke und Kasperletheater.
Eine Besonderheit stellte die Organisation des Wirtschaftsbetriebes im Waldheim dar. Für den Besuch des Waldheimes wurden an seine Mitglieder Familienjahreskarten zu 20 Pfennigen (Stand 1910) ausgegeben, Familienmitglieder über 18 Jahre und dem Waldheimverein angeschlossene andere Arbeitervereine kauften besondere Karten. Der Geschäftsbetrieb wurde durch eine Wirtschaftskommission geregelt, deren Leitung der Vereinsvorstand und ein gewählter Wirtschaftskassierer innehatte. Die Arbeit der Bewirtschaftung teilten sich die Waldheim-Mitglieder in einem „rotierenden System“ auf. War die Gästezahl unerwartet groß, so konnte der Wirtschaftsleiter unter den anwesenden Mitgliedern weitere Leute zur Mithilfe auffordern. Eine fundamentale Regelung des Waldheims war, dass für die Besucher keinerlei Verzehrszwang bestand, d. h. sie konnten auf dem Gelände ihr von zu Hause mitgebrachtes Essen verzehren.
Polarisierung und Spaltung der Waldheimbewegung
Der Ersten Weltkrieg setzte der Vorstellung einer einheitlich organisierten Arbeiterschaft ein jähes Ende. Durch die jetzt immer stärker zu Tage tretenden unterschiedlichen politischen Strömungen unter den Waldheim-Mitgliedern wurde auch das Leben in den Waldheimen immer mehr durch politische Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der jeweiligen Vereine und die Waldheimleitung bestimmt. Die Linken – deren wichtige Repräsentanten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren – nahmen eine grundsätzliche Haltung gegen eine Unterstützung des Krieges ein, während die Anhänger der Sozialdemokratischen Parteiführung eine Burgfriedenspolitik bejahten. Die damaligen Auseinandersetzungen beschreibt Jacob Walcher: „Je länger je mehr erwiesen sich die Waldheime als ideale Informations- und Beratungszentren. Für manchen Sieg in Parteiversammlungen über die Rechten sind im Sillenbucher Waldheim die organisatorischen Voraussetzungen in die Wege geleitet worden.“ Entsprechende politische Auseinandersetzungen gab es auch innerhalb der sozialdemokratischen Jugendbewegung. So entwickelte sich das Waldheim Sillenbuch zu einem bekannten Treffpunkt der Stuttgarter linkssozialdemokratischen Jugend. Für die Stuttgarter Freie sozialistische Jugend war mit dem Waldheim ein wichtiger Versammlungsort geschaffen.
Die Sillenbucher Waldheim-Mitglieder waren politisch überwiegend durch Anhänger und Vertreter der Parteilinken (später von Spartakus und KPD) repräsentiert. Vergleichsweise hierzu hatte im Waldheim Stuttgart-Heslach 1916 die Übernahme des Waldheimvereins durch regierungstreue Mehrheitssozialisten stattgefunden, was den Ausschluss der linken Anhänger um Friedrich Westmeyer zu Folge hatte. In den 20er Jahren gab es in den Waldheimen Sillenbuch und Gaisburg heftige Auseinandersetzungen um die Frage der „Bolschewisierung“[1], bzw. um den Kurs der „Stalinisierung“ (RGO-Politik und Sozialfaschismusthese) der KPD. So konnten sich Mitglieder, die dem damaligen KPD-Kurs folgten, im Waldheim Sillenbuch durchsetzten, weshalb Mitgliedern der KPO kurzerhand Hausverbot erteilt wurde.
Nazizeit – Auflösung und Verbot der Waldheimvereine
Am 14. September 1933 kam das politische Aus für das Waldheim Sillenbuch. Das Waldheimgelände wurde beschlagnahmt, die Vorstände und führenden Vereinsmitglieder, darunter befanden sich Heinrich Baumann und Karl Scheck, wurden verhaftet. Tags zuvor, schon vor der „Legalisierung“ des Gesetzes, war das Vereinsvermögen beschlagnahmt worden. Am 16. November 1933 wurde der Waldheimverein aus dem Vereinsregister gestrichen. Viele der inhaftierten Waldheimaktivisten überlebten die Konzentrationslager nicht. Insgesamt wurden 54 Mitglieder des Vereins, darunter 9 Frauen, verfolgt und inhaftiert.
Ihre Haftorte waren die KZ, Lager und Strafanstalten Heuberg, Kuhberg, Welzheim, Dachau, Buchenwald, Neuengamme, Ludwigsburg, die der Frauen Gotteszell, Moringen, Lichtenburg, und Ravensbrück. Der letzte Vorsitzende vor der Auflösung des Sillenbucher Waldheimvereins, KPD-Stadtrat Heinrich Baumann, kam am 23. Februar 1945 im KZ Dachau um. Im Stuttgarter Osten ist nach ihm eine Straße benannt.
Nachkriegszeit – Politisches Zentrum der Stuttgarter Linken
1945 hatten überlebende Mitglieder des Waldheimvereins Sillenbuch eine Neugründung vorgenommen, die Eintragung erfolgte erst 1947. Ab 1948 wurde begonnen, das Gelände und Haus wieder herzurichten. Das Waldheim – dies gilt für das Haus Sillenbuch und Gaisburg gleichermaßen – wurde rasch wieder zu einem geistigen und organisatorischen Zentrum der Stuttgarter Linken. Zu nennen sind die Bewegungen gegen KPD-Verbot, Wiederbewaffnung, Notstandsgesetz, Berufsverbot. Waldheime waren Treffpunkte der Stuttgarter Friedensbewegung. Zwischen KPD-Verbot (1956) und Gründung der DKP (1968) waren die Waldheime Sillenbuch und Gaisburg Stätten, an denen die „illegalen“ Kommunisten Formen der politischen und organisatorischen Arbeit, trotz Repression, erörterten und koordinierten.
In den beiden Waldheimen trafen sich in den 60er und 70er Jahren Vertreter der Stuttgarter linken Studenten mit Kommunisten und Gewerkschaftern zu Diskussionen und Seminaren. Für die Stuttgarter Hochschulgruppen von DKP und MSB Spartakus, sowie für die SDAJ waren diese Häuser (70er und 80er Jahre) wichtige Tagungs- und Begegnungsorte, das galt auch für die Stadtteil- und Betriebsgruppen DKP.
1972, anlässlich des 115. Geburtstags von Clara Zetkin beschloss die Jahreshauptversammlung dem Waldheim den Namen „Clara-Zetkin-Haus“ zu geben. Das Clara-Zetkin-Haus wurde in den Folgejahren zu einem Ort an dem unterschiedliche Vereine und Organisationen wirkten. Zu nennen sind heute neben Naturfreunde, Sozialdemokraten, Kommunisten, Grüne, Volkshochschule, Gewerkschaften auch vielerlei Initiativen und Vereine. So gibt es Kultur auf allen gesellschaftlichen Ebenen für Jung und Alt; gut besucht sind politische wie auch musikalische Veranstaltungen, Lesungen und Ausstellungen. Die Satzung erfuhr entsprechend der Änderung der Rahmenbedingungen mehrfach eine Veränderung. Geblieben ist ein Ort der Begegnung den viele Menschen schätzen und lieben; ein bedeutendes Forum für Kritik und Solidarität.
Waldheim Gaisburg
1911 entstand das Waldheim Gaisburg. Ebenfalls als Selbsthilfeorganisation der Arbeiterfamilien und der Arbeiterbewegung im Stuttgarter Osten. Wie das Sillenbucher Waldheim, so ist auch das Waldheim Gaisburg seit seiner Gründung eng mit der Gewerkschafts- Arbeiter- und Friedensbewegung verbunden. Schon lange gehörte es für viele aktive Gewerkschafter zur Tradition, im Anschluss an die Kundgebung zum ersten Mai, diesen Tag im Waldheim zu begehen. Wie schon 1911 wird das Waldheim getragen vom Verein Waldheim Gaisburg e. V. Sein Ziel ist die Erhaltung des Waldheims als Treffpunkt für Kultur, Freizeit und Politik. Die Vereinsmitglieder erhalten Haus, Garten und Spielplatz und erarbeiten Angebote für Kultur-, Diskussions- und Freizeitveranstaltungen. Lange Zeit wurde die Bewirtschaftung von den Mitglieder unentgeltlich im „rotierenden System durchgeführt. Heute wird die Gastronomie vom Pächterpaar betrieben.
Waldheim Heslach
Der Heslacher Bürger Karl Oster startete im Jahre 1908 die Initiative, für die arbeitende Bevölkerung einen Erholungsplatz zu schaffen. Viel Mühe und Idealismus waren notwendig, um einen geeigneten Platz zu finden, das Geld für den Kauf des Geländes aufzubringen und einen Verein zu gründen, der die ganze Vorstellung verwirklichen konnte. Im März 1908 fand Karl Oster einen Baumgarten im Heslacher Dachswald. Mit der Ausgabe von Anteilscheinen zu 5,– DM wurde versucht, den Grundstückspreis zu finanzieren. Der zustande gekommene Betrag reichte jedoch nicht aus. Oster gelang es, das notwendige Geld von einem Sponsor zu erhalten.
Viel Initiative erforderte die Gestaltung der erworbenen Grundstücke. An Ostern 1908 konnte das Waldheim eröffnet werden. Der Erste Weltkrieg brachte einen tiefen Einschnitt in das kulturelle und politische Geschehen im Waldheim Heslach, eine Zeit der Polarisierung und Spaltung der Arbeiterbewegung. Das Dritte Reich brachte das Ende des Waldheimvereins. Die Nazis verkauften das Anwesen 1934 an eine Stuttgarter Kirchengemeinde. Diese war jedoch nicht in der Lage, das Waldheim zu unterhalten und zu erhalten. Die Heslacher Arbeiter waren sich einig, das Waldheim nicht mehr zu besuchen. Nach Rückgabe an die Stadt Stuttgart stellte diese das Haus der Hitlerjugend zur Verfügung. Was in dieser Zeit nicht zerstört wurde, fiel den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Nach 1945 fanden sich wieder Heslacher Bürger zusammen, um neu zu beginnen. Am 1. Mai 1953 konnte das Waldheim wieder eingeweiht werden.
Waldheime der Konfessionen
Waldheim Frauenkopf
Das evangelische Waldheim Frauenkopf wurde 1922 von der Evangelischen Kirche gegründet. Eine Vielzahl Kinder besuchten seither jeden Sommer das Waldheim.
Historie
1907 erfolgte die Verpachtung des Waldheimgrundstücks von 40 Ar der Staatsforstverwaltung an den Verschönerungsverein Stuttgart. Dann wurde die Errichtung einer Blockhütte und eines umzäunten Spielplatzes vorgenommen. Kinderprogramme in den Sommerferien gab es erstmals 1922. Bis 1930 wurden verschiedene Erweiterungsbaumaßnahmen durchgeführt. Ab 1931 wurden während des Sommers sonntägliche Frühandachten abgehalten. Im Gegensatz zu den Waldheimen der Arbeiterbewegung resultierten 1933 aus der Machtübernahme der Nationalsozialisten keine wesentlichen politisch-organisatorischen Konsequenzen, der Betrieb ging weiter bis 1944 die vollständige Zerstörung der Waldheimgebäude durch den ersten Luftangriff auf Gablenberg erfolgte. Nach dem Wiederaufbau begann ab 1950 ein ganzjähriger Betrieb. Das Waldheim Frauenkopf wurde zum festen Platz im Leben der kirchlichen Gemeinde, geboten werden unter anderem Mütterfreizeiten, Altennachmittage und Männerrüstzeiten.
Stadtranderholung
Waldheime waren (und sind bis heute) Orte an denen Stadtkinder kostengünstig ihre Ferien verbringen können. Die Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren verbringen dabei die Tage im Waldheim, wo sie auch alle Mahlzeiten einnehmen, übernachten aber Zuhause. Sie werden ihrem Alter entsprechend in Gruppen eingeteilt, die von Jugendlichen betreut werden, die sich ehrenamtlich engagieren. In Stuttgart sind die Träger der Stadtranderholung, die Caritas, die Arbeiterwohlfahrt und der evangelische Kirchenkreis Stuttgart in der Arbeitsgemeinschaft Stuttgarter Waldheime zusammengeschlossen. [2]
Einzelnachweise
- ↑ Clara Zetkin: Über die Bolschewisierung der kommunistischen Parteien
- ↑ http://www.waldheime-stuttgart.de/
Literatur
- Friedrich Westmeyer: Das Stuttgarter Waldheim. Stuttgart 1911.
- Karsten Lukawec: Die Stuttgarter Waldheime im Kontext der Arbeiterbewegung. PH Ludwigsburg 1998.
- Jacob Walcher: Die Sozialdemokratie in Stuttgart von 1906 bis 1914. Unveröffentlichtes Buchmanuskript Bundesarchiv, SAPMO, Nachlass Jacob Walcher SAPMO.
- Waldheim Stuttgart e. V.: 90 Jahre Waldheim Sillenbuch (Clara-Zetkin-Haus). Festschrift, Stuttgart 1999.
Weblinks
- http://www.efwf.de/
- http://www.waldheim-stuttgart.de/index.html
- http://www.waldheim-gaisburg.de/
- http://www.waldheim-heslach.de/
- http://www.waldheim-marienburg.de/
- http://www.teamacademy.de/marienburg.html
48.7454722222229.2058888888889Koordinaten: 48° 44′ 44″ N, 9° 12′ 21″ O
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