Wilhelm Grau

Wilhelm Grau

Wilhelm Grau (* 4. August 1910 in Straubing; † 9. Oktober 2000 in Alzey) war ein deutscher Historiker, Ethnologe und Verleger.

Inhaltsverzeichnis

In der Weimarer Republik

Als Jugendlicher war Grau Mitglied des katholischen Jugendbundes Neudeutschland. Im Sommersemester 1930 begann Wilhelm Grau mit einem Studium in der Universität Frankfurt, wobei er unter anderen Vorlesungen von Ludwig Bergsträsser, Paul Tillich und Walter Platzhoff besuchte. Während dieser Zeit verschaffte ihm Reinhold Lindermann, der bei der Rhein-Mainischen Volkszeitung als Theaterkritiker arbeitete und bei dem Grau zur Untermiete wohnte, ein Volontariat in der Redaktion. Das Klima an der Frankfurter Universität empfand er indessen als „zu intellektuell“; im Wintersemester 1931 zog es ihn nach München.[1]

Im Nationalsozialismus

1934 promovierte Wilhelm Grau mit einer Arbeit über Antisemitismus im Mittelalter bei dem Münchner Neuhistoriker Karl Alexander von Müller. Er konnte sich dabei im Wesentlichen auf Quellen stützen, die der jüdische Historiker Raphael Straus aus Augsburg gesammelt und 1932 dem jungen, vorgeblich demokratisch gesinnten, Wissenschaftler in großzügiger Weise zur Verfügung gestellt hatte. Am 27. Juni 1937 wurde er mit dem bereits vorliegenden Buch über Wilhelm von Humboldt habilitiert, obwohl selbst Gesinnungsfreunde Zweifel an seiner Qualifikation äußerten.

Grau trat am 1. Mai 1937 in die NSDAP ein (Mitglieds-Nr. 5951121).[2] Er wurde Geschäftsführer der „Forschungsabteilung Judenfrage“ im 1935 in München gegründeten, von Walter Frank geleiteten nationalsozialistischen „Reichsinstitut für Geschichte des Neuen Deutschlands“. Im Gegensatz zu seinen wissenschaftlichen Fähigkeiten wurde seine konkrete Arbeit durchaus anerkannt. Eine der ersten Aufgaben des Instituts war die Sammlung von Unterlagen zur Personen- und Familiengeschichte der Juden. So erstellte z.B. ab Februar 1937 Franz Stanglica für Grau Regesten in Österreich und beschäftigte dabei illegal die Nationalsozialisten Kurt Zeilinger und Walter Messing. Es wurde auch mit dem Aufbau einer Spezialbibliothek begonnen, die bei Kriegsende etwa 35.000 Titel umfasste.[3]

Sein Ehrgeiz brachte ihn in Konflikt mit Walter Frank. Als dieser auch noch mit seinem Projekt in der Auseinandersetzung mit Alfred Rosenberg zum Projekt einer Schule des Außenpolitischen Amtes der NSDAP unterlag, wechselte Grau am 26. März 1941 nach Frankfurt als Leiter des „Instituts zur Erforschung der Judenfrage“.[4] Im Oktober 1942 wurde Grau in diesem Institut auf Druck von Martin Bormann entlassen.[5] Von 1942 bis 1945 war er zur Luftwaffe eingezogen.

In der Bundesrepublik Deutschland

Seit 1951 war Grau Eigentümer und Leiter einer Verlagsdruckerei in Alzey. 1964 war er Mitgründer der Alzeyer Geschichtsblätter.

Schriften (Auswahl)

In der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt
[6]
  • Antisemitismus im späten Mittelalter: Das Ende der Regensburger Judengemeinde 1450-1519. Duncker & Humblot, Berlin 1934. - 2., erw. Aufl. 1939
  • Wilhelm von Humboldt und das Problem des Juden. Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1935
  • Die Judenfrage als Aufgabe der neuen Geschichtsforschung. ebd. 1935. - 2., mit einem Nachwort versehene Aufl.
  • Die Judenfrage in der deutschen Geschichte. Teubner, Leipzig 1937. - 4. u. 5. durchges. u. erg. Aufl. 1942 [1934]
  • Die Erforschung der Judenfrage. Aufgabe und Organisation. Hoheneichen-Verlag, München 1943 (Kleine Weltkampfbücherei 3)
  • Die geschichtlichen Lösungsversuche der Judenfrage. ebd. 1943 (Kleine Weltkampfbücherei 4)

Literatur

  • Matthias Berg: „Können Juden an deutschen Universitäten promovieren?“ Der „Judenforscher“ Wilhelm Grau, die Berliner Universität und das Promotionsrecht für Juden im Nationalsozialismus, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 11, 2008, S. 213 - 227
  • Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg 2004, S. 63.
  • Patricia von Papen-Bodek: Judenforschung und Judenverfolgung. Die Habilitation des Geschäftsführers der Forschungsabteilung Judenfrage, Wilhelm Grau, an der Universität München 1937. In: Elisabeth Kraus Hg.: Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze. Bd. 2. Utz, München 2006. (Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München Bd. 4) ISBN 978-3-8316-0727-3, S. 209 - 264
  • Dirk Rupnow: ‘Arisierung’ jüdischer Geschichte. Zur nationalsozialistischen „Judenforschung“, in: Leipziger Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur, 2. Universitätsverlag Lpz. 2004, S. 349 - 367
    • dsb: "Judenforschung" an der Universität Leipzig. in Stephan Wendehorst Hg.: Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig. Lpz. Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur, 6. Universitätsverlag Lpz. 2006 ISBN 3865831060 S. 345 - 376

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Dieter Schiefelbein: Das „Institut zur Erforschung der Judenfrage Frankfurt am Main“. Vorgeschichte und Gründung 1935-1939. Frankfurt a.M. 1993, S. 26, ISBN 3-88270-803-4. (Quelle: Heiber, S. 404.)
  2. Dieter Schiefelbein: Das „Institut zur Erforschung der Judenfrage Frankfurt am Main“. Frankfurt 1993, S. 27. (Quelle: Personalakte Grau, Lebenslauf, S. 4.)
  3. http://bibliotheksdienst.zlb.de/2003/03_08_05.pdf
  4. Über die Bibliothek hat er selber berichtet: Der Aufbau der Bibliothek zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt a. Main. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 59 (1942), 11/12, S. 484-494.
  5. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer TB, Frankfurt 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 197.
  6. http://www.polunbi.de/bibliothek/1946-nslit-g.html

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