Woldemar Voigt

Woldemar Voigt
Woldemar Voigt

Woldemar Voigt [ˈvɔldəmar ˈfoːkt] (* 2. September 1850 in Leipzig; † 13. Dezember 1919 in Göttingen) war ein deutscher Physiker. Er lehrte theoretische Physik an der Georg-August-Universität in Göttingen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Voigt lernte bis 1867 an der Thomasschule zu Leipzig[1] und studierte von 1868 bis 1870 Mathematik und Physik in Leipzig und 1871 bis 1874 in Königsberg, unter anderem bei Franz Neumann. Als 20-Jähriger nahm er an dem Deutsch-französischen Krieg von 1870/71 teil. 1875 promovierte er in Königsberg über das elastische Verhalten von Steinsalz. Von 1875 bis 1883 wirkte er als außerordentlicher Professor in Königsberg. 1883 wurde er Professor für theoretische Physik in Göttingen und Direktor des dortigen Instituts für theoretische Physik, das zuvor neu gegründet worden war. Zweimal wurde er zum Rektor der Georg-August-Universität Göttingen ernannt. Zu seinen bekanntesten Schülern gehörten Paul Drude (1863–1906), Friedrich Pockels (1865–1913), Walter Ritz (1878–1909) und Alfonso Sella (1865–1907). Er war ein begeisterter Musiker, dirigierte Bach-Konzerte und publizierte auch musikwissenschaftliche Abhandlungen[2] (s. auch Weblinks). Voigts Nachlass lagert im Universitätsarchiv der Universität Göttingen (s. Weblinks) und enthält eine Abhandlung über die Transformation der Differentialgleichungen der Bewegung[3].

Werk

1908 stellte Woldemar Voigt mit seinem Buch „Magneto- und Elektrooptik“ [4] eine umfassende Theorie der Magnetooptik im Rahmen der klassischen Elektrodynamik auf[5]. Er ist der Entdecker des Voigt-Effekts (auch magnetischer linearer Dichroismus genannt). 1910 schrieb er mit dem „Lehrbuch der Kristallphysik“ [6] eines der grundlegenden Werke der Kristallographie und insbesondere für den piezoelektrischen Effekt. Der Begriff „Tensor“ wurde zuerst von ihm benutzt. Auf ihn geht die in der Kristallographie gebräuchliche voigtsche Notation zurück, eine praktische Schreibweise für symmetrische Tensoren.

Ein Voigt-Profil ist die Faltung einer Gauß-Kurve mit einer Lorentz-Kurve.

Ab 1878 arbeitete Voigt an den Grundlagen und an der Erweiterung der bis dahin wesentlich von Fresnel geprägten theoretischen Optik. Im Jahr seiner Aufnahme in die Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften, 1883, versuchte er sich an einer konsequenten Weiterentwicklung einer Vakuum-Lichttheorie auf der Basis eines elastischen Lichtäthers. Später gab er mechanische Modellvorstellungen weitgehend auf und bemühte sich um eine phänomenologische Theorie[7]. Deren abschließende Form ist im Band II seines „Kompendiums der theoretischen Physik“ [8] enthalten[9].

Seit etwa 1886 arbeitete Voigt über die Theorie der Optik bewegter Körper, ein damals aktuelles Forschungsgebiet im Vorfeld der modernen Relativitätstheorie, in dem viele Physiker versuchten, Bewegungen gegen den „Äther“ nachzuweisen. Er leitete als Erster Transformationsgleichungen von der Art der Lorentz-Transformation her, die Voigt-Transformationen, und demonstrierte die Invarianz der Wellengleichung unter dieser Transformation[10]. Seine Ausgangspunkte waren eine partielle Differentialgleichung für Transversalwellen und eine allgemeine Form der Galilei-Transformation gewesen. Wie H. A. Lorentz in einer Fußnote auf S. 198 seines Buchs "Theory of Electrons" [11] hervorhob, hat Voigt damit die Lorentz-Transformation vorweggenommen[12]. Bekannt ist auch, dass Voigt mit Lorentz in den Jahren 1887 und 1888 wegen des Michelson-Experiments korrespondiert hatte[13]. Allerdings erklärte Lorentz, dass er Voigts Arbeit von 1887 nicht gekannt hatte, bevor er seine eigenen Arbeiten dazu verfasste. Ob Larmor[14] die Voigt-Transformation bereits gekannt hatte, ist ungewiss. Von den Schöpfern der modernen Relativitätstheorie wird Voigts Pionierarbeit außer von Lorentz nur von Hermann Minkowski in Raum und Zeit erwähnt.

In den Jahren 1887 und 1888 legte Voigt eine umfangreiche „Theorie des Lichts für bewegte Medien“ vor, die in zwei Versionen publiziert wurde[15][16][17]. Auf S. 235 der ersten Version urteilte er zunächst, dass das Michelson-Morley-Experiment notwendigerweise ein negatives Resultat zeitigen „müsse“, und zwar unabhängig davon, ob der Lichtäther von der Erde mitgeführt werde oder nicht. In einer Fußnote auf S. 390 der zweiten Version revidiert Voigt diese Aussage jedoch und schreibt: „Daselbst ist allerdings noch vorausgesetzt, dass der Aether an der Bewegung der Erde nicht theilnehme, was nach den neuesten Beobachtungen von H. Michelson [18] nicht richtig zu sein scheint. Die Bedenken, welche ich ehedem gegen eine solche Deutung der Beobachtungen Hrn. Michelson's hatte, kann ich als irrthümlich gegenüber brieflichen Einwänden von Hrn. H. A. Loren(t)z nicht aufrecht erhalten“.

Werke

Weitere Publikationen von Woldemar Voigt:

  1. Elementare Mechanik als Einleitung in das Studium der theoretischen Physik, 1. Aufl. Leipzig 1889, 2. umgearb. Auflage Leipzig 1901.
  2. Kompendium der theoretischen Physik in zwei Bänden, 1. Bd.: Mechanik starrer und nichtstarrer Körper, Wärmelehre. Leipzig, 1895. 2. Bd.: Elektricität und Magnetismus, Optik. Leipzig 1896.
  3. Elemente der Krystallphysik. Die fundamentalen physikalischen Eigenschaften der Krystalle in elementarer Darstellung. Leipzig 1898.
  4. Thermodynamik, II. Band. Leipzig 1904.
  5. Magneto- und Elektrooptik. Leipzig 1908.
  6. Lehrbuch der Kristallphysik. Leipzig 1910.
  7. Erinnerungsblätter aus dem deutsch-französischen Kriege 1879/71. Göttingen 1914.
  8. Die Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachs. Ein Führer bei ihrem Studium und ein Berater für ihre Aufführung. Stuttgart o.J.

Siehe auch

Literatur

  • K. Försterling: Woldemar Voigt zum hundertsten Geburtstage. In: Die Naturwissenschaften 38, Nr. 10, 1951, S. 217–221.
  • Woldemar Voigt: Physikalische Forschung und Lehre in Deutschland während der letzten hundert Jahre. Festrede im Namen der Georg-August-Universität zur Jahresfeier der Universität am 5. Juni 1912, Göttingen 1912.
  • Stefan L. Wolff: Woldemar Voigt (1850 - 1919) und Peter Zeeman (1865 - 1945) - eine wissenschaftliche Freundschaft. In: D. Hoffmann, F Bevilaqua, R. Steuwer (Hrsg.): The Emergence of Modern Physics: Proceedungs of a Conference Commemorating a Century of Physics. Berlin, 22.–24. März 1995; Pavia (Univ. degli Studi) 1996, S. 169–177.
  • Stefan L. Wolff: Woldemar Voigt (1850 - 1919) und seine Untersuchungen der Kristalle. In: Bernhard Fritscher, Fergus Henderson (Hrsg.): Toward a History of Mineralogy, Petrology, and Geochemistry, Proceedings of the International Symposium on the History of Mineralogy, Petrology, and Geochemistry. München, 8.–9. März 1996 (Institut für Geschichte der Naturwissenschaften) 1998, S. 269–280 (Algorismus Heft 23).

Weblinks

 Wikisource: Woldemar Voigt – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Richard Sachse, Karl Ramshorn, Reinhart Herz: Die Lehrer der Thomasschule zu Leipzig 1832–1912. Die Abiturienten der Thomasschule zu Leipzig 1845–1912. B. G. Teubner Verlag, Leipzig 1912, S. 46.
  2. Woldemar Voigt: Die Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachs - Ein Führer bei ihrem Studium und ein Berater für die Aufführung. Stuttgart 1911.
  3. Woldemar Voigt: Transformation der Differentialgleichungen der Bewegung. Universitätsarchiv Göttingen (Inventar-Signatur: SUB.Gött.Cod.Ms.W.Voigt7.)
  4. Woldemar Voigt: Magneto- und Elektrooptik. Leipzig 1908.
  5. vgl. auch: Woldemar Voigt: Elektrooptik. In: L. Graetz(Hrsg.): Handbuch der Elektrizität und des Magnetismus Bd. I, 1914.
  6. Woldemar Voigt: Lehrbuch der Kristallphysik. Leipzig 1910.
  7. Woldemar Voigt: Phänomenologische und atomistische Betrachtungsweise. In: Paul Hinneberg (Hrsg.): Die Kultur der Gegenwart3. Teil, 3. Abteilung, 1. Band: Physik, Berlin/Leipzig 1915, S. 714–731.
  8. Woldemar Voigt: Kompendium der theoretischen Physik, Bd. I: Mechanik und nichtstarre Körper, Wärmelehre, Bd. II: Elektrizität und Magnetismus, Optik, Leipzig 1895-96.
  9. Im Handbuch der Physik, 2. Band, 1. Abteilung, Breslau 1894, S. 657–674. wird die optische Theorie Voigts mit anderen Theorien verglichen.
  10. Woldemar Voigt: Ueber das Doppler’sche Princip. In: Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen. Nr. 8, 1887, S. 41–51.; mit zusätzlichen Kommentaren Voigts nachgedruckt in Woldemar Voigt: Über das Doppler'sche Princip. In: Physikalische Zeitschrift. XVI, 1915, S. 381–396.
  11. H. A. Lorentz: Theory of Electrons. Leipzig 1909.
  12. In seinem Buch Theory of Electrons schreibt H. A. Lorentz in der Fußnote auf S. 198 dazu: "In a paper 'Über das Dopplersche Prinzip' published in 1887 (Gött. Nachrichten p. 41) ... Voigt has applied to equations of the form 6 (§ 3 of this book) [nämlich \Delta \Psi - \frac{1}{c^{2}}\frac{\partial^{2} \Psi}{\partial t^{2}}  =  0  \ ] a transformation equivalent to the formulae (287) and (288) (nämlich der Lorentz-Transformation). The idea of the transformation used above (and in § 44) might therefore have been borrowed from Voigt and the proof that it does not alter the form of the equation for the free ether in his paper."
  13. Die Lorentz-Voigt-Korrespondenz von 1887/88 lagert im Archiv der Bibliothek des Deutschen Museums in München.
  14. Charles Kittel: Larmor and the Prehistory of the Lorentz Transformation. In: American Journal of Physics 42, 1971, S. 726–729.
  15. Woldemar Voigt: Theorie des Lichtes für bewegte Medien. In: Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen. Nr. 8, 1887, S. 177–238.
  16. Woldemar Voigt: Theorie des Lichtes für bewegte Medien. In: Annalen der Physik und Chemie. 35, Nr. 11, 1888, S. 370–396, doi:10.1002/andp.18882711011.
  17. Woldemar Voigt: Theorie des Lichtes für bewegte Medien. In: Annalen der Physik und Chemie. 35, Nr. 13, 1888, S. 524–551, doi:10.1002/andp.18882711111.
  18. A. A. Michelson, E. W. Morley: On the relative motion of the Earth and the luminiferous ether. In: American Journal of Science. 34, Nr. 3, S. 333–345.

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