Bronisław Wildstein

Bronisław Wildstein
Bronisław Wildstein

Bronisław Wildstein (* 11. Juni 1952 in Olsztyn, Polen) ist ein ehemaliger polnischer Oppositioneller, Journalist und Schriftsteller. Vom 11. Mai 2006 bis zum 27. Februar 2007 war er Geschäftsführer des öffentlich-rechtlichen Fernsehen (Telewizja Polska) in Polen.

Landesweit bekannt wurde er Ende Januar 2005, als er eine Liste mit den Namen von ehemaligen Mitarbeitern und Opfern des polnischen Stasi-Gegenstücks Służba Bezpieczeństwa (SB, „Sicherheitsdienst“) aus dem Institut für Nationales Gedenken (vgl. Gauck-Behörde) entwendete und in Umlauf brachte.

Wildstein studierte von 1971 bis 1980 polnische Philologie an der Jagiellonen-Universität in Krakau. In den 1970er Jahren war er Mitglied des oppositionellen Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) und 1977 Mitbegründer des Krakauer Studentischen Solidaritätskomitees (Studencki Komitet Solidarności). Seit 1980 lebte er in Frankreich, wo er unter anderem als Redakteur der polnischen Monatszeitschrift Kontakt und Korrespondent von Radio Free Europe arbeitete.

Nach der „Wende“ kehrte er nach Polen zurück und war von 1994 bis 1996 Mitarbeiter der traditionsreichen Warschauer Tageszeitung Życie Warszawy. Anschließend folgte er zunächst Tomasz Wołek als stellvertretender Chefredakteur (bis 1997) zur konservativen Tageszeitung Życie und war zuletzt fester Mitarbeiter der Tageszeitung Rzeczpospolita.

Inhaltsverzeichnis

Wildstein und der Streit um die „Durchleuchtung“ der polnischen Gesellschaft

Hintergrund

In seinen Beiträgen und Büchern tritt Wildstein vehement für eine in Polen nach der „Wende“ bisher nicht erfolgte, rigorose Abrechnung mit der kommunistischen Vergangenheit ein, insbesondere für eine Offenlegung aller Personen mit Kontakten zum damaligen Sicherheitsdienst SB. Die so genannte lustracja – d.h. eine „Durchleuchtung“ von Personen des öffentlichen Lebens auf Kontakte zum kommunistischen Sicherheitsapparat – hatte bis dahin nur punktuell und wenig konsequent stattgefunden. Die lustracja ist seit Ende des Kommunismus ein zentrales Thema der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen zwei Lagern, die aus der ehemaligen antikommunistischen Opposition im KOR und der Solidarność hervorgegangen sind: Der linksliberale, intellektuelle Flügel, insbesondere vertreten durch Adam Michnik und dessen Gazeta Wyborcza, der größten polnischen Tageszeitung, befürworten eine gesellschaftliche Aussöhnung zwischen ehemaligen Funktionären und Gegnern der Volksrepublik, die auf einem Verzicht auf eine umfassende „Durchleuchtung“ und auf politische Rache beruhen soll. Diese Haltung wird auch mit dem Schlagwort vom „dicken Schlussstrich“ (gruba kreska) unter die Vergangenheit bezeichnet, das seinerzeit der erste nichtkommunistische Premierminister Tadeusz Mazowiecki geprägt hatte. Der rechtskonservative, populistische Flügel kritisiert diese Position als versöhnlerisch, vertritt demgegenüber einen moralischen Rigorismus und fordert die kompromisslose „Durchleuchtung“ aller vor 1972 geborenen Personen, die Führungspositionen in Politik, Wirtschaft oder Medien innehaben oder anstreben. Angestrebt wird damit letztlich eine dichotome Kategorisierung von Personen in „Unbescholtene“ und „Kollaborateure“, unabhängig von deren Verhalten nach 1989. In der Auseinandersetzung um die „Durchleuchtung“ war Wildstein einer der prominentesten Gegner der „Schlussstriches“ und Verfechter einer rücksichtslosen Abrechnung, auch wenn diese auf Kosten des gesellschaftlichen Friedens gehe.

So trug er 2001 zur Enttarnung eines prominenten ehemaligen Spitzels des polnischen Sicherheitsdiensts SB bei: Lesław Maleszka, früher ein enger Studienfreund Wildsteins, heute Mitarbeiter der linksliberalen Gazeta Wyborcza, hatte als „IM Ketman“ das Krakauer Studentische Solidaritätskomitee (Studencki Komitet Solidarności) observiert, das er selbst zusammen mit Wildstein und anderen 1977 gegründet hatte.

„Wildsteins Liste“

Durch aktive Beteiligung Wildsteins erreichte der Streit um die „Durchleuchtung“ schließlich Anfang 2005 einen Höhepunkt: Unter bisher nicht genau geklärten Umständen entwendete Wildstein aus dem Institut für Nationales Gedenken (IPN), das – analog der deutschen Gauck-Behörde – auch die Aktenbestände des kommunistischen Sicherheitsdienstes verwaltet, eine Inventarliste mit den Namen von, wie inzwischen präzisiert, 162.617 Personen, über die im IPN eine Akte (polnisch teczka) aus den Beständen des kommunistischen Apparates vorhanden ist.

Wildstein brachte die Daten auf CD-ROM in die Redaktion seines Arbeitgebers Rzeczpospolita und verteilte sie anschließend an befreundete Journalisten, woraufhin sie wenig später über Privatpersonen auch ins Internet gestellt wurden (und dort bis heute abrufbar sind [1]).

Die öffentliche Debatte begann, als die Gazeta Wyborcza am 29. Januar 2005 die Entwendung und Verbreitung der als „Wildsteins Liste“ bezeichneten Daten öffentlich machte und kritisierte. Für Irritationen sorgt insbesondere die Tatsache, dass die (unvollständige) Liste ausschließlich Namen von Personen enthält, über die eine Akte vorhanden ist, jedoch keinerlei Angaben darüber, ob es sich um ständige bzw. gelegentliche Mitarbeiter oder um Observierte handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Praxis totalitärer Apparate eine faktisch und ethisch einwandfreie nachträgliche Unterscheidung von Tätern und Opfern in vielen Fällen erschwert oder unmöglich macht. Weiterhin erschweren häufige Namensgleichheiten den Umgang mit der Liste. Wildstein selbst erklärte, er habe die Liste lediglich als Arbeitsinstrument für investigativen Journalismus an sich gebracht und weitergegeben. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass er mit stillschweigendem Einverständnis oder aktiver Mithilfe von einem oder mehreren Mitarbeitern des IPN gehandelt hat; dazu laufen ein internes Untersuchungsverfahren sowie eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung.

Während einige im Vorgehen Wildsteins eine Ursache für ein Klima gegenseitiger Verdächtigung und eine unverantwortliche Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens sehen, betrachten es andere als einen mutigen Akt, der durch Schaffung vollendeter Tatsachen eine überfällige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erzwingt, die von kommunistischen Seilschaften in Politik und Wirtschaft sowie wertrelativistischen liberalen Meinungsführern in den Medien bisher verschleppt worden sei.

Am 31. Januar – zwei Tage, nachdem die Gazeta Wyborcza sein Vorgehen publik gemacht hatte – wurde Wildstein vom Chefredakteur der Rzeczpospolita entlassen; er soll jedoch weiterhin als freier Mitarbeiter Beiträge verfassen dürfen. Mit diesem Schritt versuchte das Blatt, das einen eher trockenen Stil pflegt, sich von den radikalen Befürwortern der „Durchleuchtung“ zu distanzieren und sich selbst aus der Debatte herauszuhalten. Am folgenden Tag (1. Februar) bot das neoliberale bzw. -konservative größte polnische Nachrichtenmagazin Wprost Wildstein demonstrativ einen Arbeitsplatz an und erklärte, es würde die Liste auch selbst veröffentlichen, wenn dies „technisch möglich“ sei[2]. Für Wildstein sprachen sich auch zahlreiche andere Journalisten sowie Personen des öffentlichen Lebens aus (unter anderem Józef Glemp).

Verweise

Literatur

  • FAZ-Artikel vom 7. Februar 2005

Weblinks

 Commons: Bronisław Wildstein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Ausgangsfassung (polnisch); Ausgangs- und erweiterte Fassung (polnisch/englisch)
  2. http://www.wprost.pl/ar/?O=72801

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