Benjamin Ortmeyer

Benjamin Ortmeyer

Benjamin Ortmeyer (* 1952 in Kiel) ist ein deutscher Erziehungswissenschaftler. Er lehrt als außerplanmäßiger Professor im Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ortmeyer beschäftigt sich wissenschaftlich hauptsächlich mit der Pädagogik in der Zeit des Nationalsozialismus. Seine Broschüre Argumente gegen das Deutschlandlied führte zu einer heftigen Auseinandersetzung um die Nationalhymne. Mit seiner Habilitationsschrift Mythos und Pathos statt Logos und Ethos entfachte Ortmeyer eine Diskussion über die Verstrickung des Pädagogen Peter Petersen in nazistische Rassenideologie und über die Umbenennung von Schulen und Straßen, die nach ihm benannt sind.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Ortmeyer war von 1975 bis 2003 Lehrer in Frankfurt am Main. Er unterrichtete in den Fächern Mathematik, Sozialkunde und Musik. 1998 wurde er an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg mit einer Arbeit über die Schicksale jüdischer Schüler in der Zeit des Nationalsozialismus promoviert.[1] 1999 wurde er vom Staatlichen Schulamt für die Stadt Frankfurt am Main von der Frankfurter Frauenhofschule an die Paul-Hindemith-Schule zwangsweise versetzt. Ortmeyer führte deshalb einen Prozess gegen das Land Hessen.[2] Er erhielt dabei Unterstützung von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, für die er bis 2008 Mitglied im Frankfurter Bezirksvorstand war. Die Mehrheit der Elternvertretung hatte sich gegen die Zwangsversetzung ausgesprochen. Aufgrund seiner Abordnung an die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt nahm Ortmeyer die Klage zurück, er ist seit 2003 pädagogischer Mitarbeiter im Fachbereich Erziehungswissenschaft. 2008 habilitierte er sich mit der Schrift Mythos und Pathos statt Logos und Ethos - Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler zur NS-Zeit: Eduard Spranger, Herman Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen. Ortmeyer lehrt seit 2009 als Privatdozent und seit dem 26. Januar 2011 als außerplanmäßiger Professor an der Goethe-Universität.

Auseinandersetzung um die Nationalhymne

Ortmeyer veröffentlichte 1991 die Broschüre „Argumente gegen das Deutschlandlied. Geschichte und Gegenwart eines furchtbaren Lobliedes auf die deutsche Nation“. Seine Kritikpunkte sind unter anderem, dass emotional das Lied für die Verfolgten des NS-Regimes mit den Verbrechen dieses Systems verbunden sei und dass der Verfasser des Liedes antisemitisch und militaristisch, also keinesfalls demokratisch eingestellt gewesen sei. Zudem gebe es bis heute kein Gesetz für dieses Lied als Nationalhymne. Die Broschüre führte zu heftigen Diskussionen in den Massenmedien. Sie wurde vom hessischen Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft während der Fussball-Weltmeisterschaft 2006 als pädagogisches Hilfsmittel neu aufgelegt. Das Vorwort zur Neuauflage hatte der GEW-Bundesvorsitzende Ulrich Thöne gemeinsam mit dem hessischen Landesvorsitzenden Jochen Nagel verfasst. Gegen Ortmeyers Broschüre titelte die Boulevardzeitung Bild: „Lehrer-Gewerkschaft macht unsere Nationalhymne mies – Die Lehrer-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) will uns das Singen der deutschen Nationalhymne vermiesen!..“[3] Auch andere Tageszeitungen übten teilweise heftige Kritik. Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, bezeichnete die Broschüre als skandalös: „Wir freuen uns in ganz Deutschland über den Beginn der Normalität, nur diese Leute bekommen das nicht mit.“[4] Weitere Kritik kam von Politikern der CDU und FDP und aus Teilen der Wissenschaft. Hans Ottomeyer, der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums Berlin, bezeichnete die Argumente der Broschüre als Unfug. Daraufhin zog Ulrich Thöne die Broschüre zurück: „Diese Broschüre kommt aus dem Museum und ist nicht unser aktueller Debattenbeitrag zum Thema Nationalbewusstsein.“[5] Walter Jens erklärte dagegen im Streit um das Deutschlandlied: „Wenn ich an unserem Land etwas auszusetzen habe, dann ist es diese unsägliche Nationalhymne mit dem teilweise unverständlichen Text. Wer weiß denn schon, was ,des Glückes Unterpfand’ ist.“[6] Mit den teilweise heftigen Reaktionen auf die Broschüre Ortmeyers während der Fußball-WM der Männer 2006 befasst sich auch das Buch Irrsinn der Normalität. Aspekte der Reartikulation des deutschen Nationalismus.[7]

Petersen und die Habilitationsschrift

Ortmeyer schildert in seiner Habilitationsschrift „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ unter anderem die gedankliche Nähe des Pädagogen Peter Petersen zum Nationalsozialismus. In einem Artikel über „rassische Hochwertigkeit“ bekämpfte Petersen das liberale „Wahnideal von der Gleichheit der Völker“ und erklärte es zur „Pflicht hochwertiger Völker und Rassen, ihr Erbgut rein zu halten“.[8] In einer Buchrezension aus dem Jahr 1933 für die Zeitschrift Blut und Boden schrieb er: „Weil es dem Juden unmöglich wird, unsre Art innerlich mitzuleben, so wirkt er in allem, das er angreift, für uns zersetzend, verflachend, ja vergiftend und tritt alles in den Dienst seines Machtstrebens.“[9] Ortmeyer bewertet deshalb Petersens Haltung in der Zeit des Nationalsozialismus kritisch:

„Petersens Unterstützung des NS-Staats, sein ausgewiesener Rassismus, seine klare Ausrichtung auf Militarismus und deutschen Nationalismus stehen nicht allein. Petersens manipulative schulpädagogische Technik der "Führungslehre" wird als Vorbereitung auf Befehl und Gehorsam und Führerauslese eingepasst in die nazistische Vorstellung von Führertum.“

Benjamin Ortmeyer[10]

Jürgen John, emeritierter Professor für Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, kritisiert das methodische Vorgehen Ortmeyers und seine Gesamtsicht auf Petersen.[11] Ortmeyer versuche, Petersen eine reaktionäre Grundausrichtung und einen durchweg antidemokratisch-autoritären Erziehungsstil zu unterstellen. Das verführe ihn dazu, Denkmuster rückzuprojizieren, früheren Schriften gelegentlich einen anderen Sinn zu unterlegen und mitunter recht willkürlich mit Textauszügen umzugehen, um seine Thesen zu stützen. Ortmeyer entwickle ein Zerrbild Petersens, wenn er ihn weitgehend auf die Rolle eines NS-Propagandisten reduziere.[12] Matthias Schwarzkopf, Lehrbeauftragter und Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaft in Jena, widerspricht der Einschätzung Ortmeyers mit der Begründung, dass das Schulkonzept Petersens nicht zu den Ideen der Nationalsozialisten passe. Hartmut Draeger, Vizepräsident der Gesellschaft für Jenaplan-Pädagogik, hält Petersen trotz umstrittener Äußerungen für einen Reformpädagogen, der selbst unter der Diktatur versucht habe, sein humanistisches Schulkonzept aufrechtzuerhalten.[13] Trotz teilweise kritischer Einschätzung der wissenschaftlichen Leistung Ortmeyers sind sich alle Wissenschaftler einig darin, dass die Verstrickung Peter Petersens mit dem nationalsozialistischen Regime nicht beschönigt werden dürfe.

Ehrungen

Publikationen

  • Argumente gegen das Deutschlandlied, 1991
  • Berichte gegen Vergessen und Verdrängen - Der Weg zur Schule war eine tägliche Qual, 1994
  • Schulzeit unterm Hitlerbild, 1996
  • Jiddische Lieder gegen die Nazis, 1996
  • Die GEW und die Nazi-Zeit, 1999
  • Dokumentation ad fontes, 2008
    • Dokumentation ad fontes I: Eduard Sprangers Schriften und Artikel in der NS-Zeit. Dokumente 1933-1945
    • Dokumentation ad fontes II: Hermann Nohls Schriften und Artikel in der NS-Zeit. Dokumente 1933-1945
    • Dokumentation ad fontes III: Erich Wenigers Schriften und Artikel in der NS-Zeit. Dokumente 1933-1945
    • Dokumentation ad fontes IV: Peter Petersens Schriften und Artikel in der NS-Zeit. Dokumente 1933-1945
  • Forschungsberichte über die Dokumentation ad fontes, 2008
    • Eduard Spranger und die NS-Zeit. Forschungsbericht, Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft 7.1. Frankfurt am Main, 2008
    • Herman Nohl und die NS-Zeit. Forschungsbericht, Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft 7.2. Frankfurt am Main, 2008
    • Erich Weniger und die NS-Zeit. Forschungsbericht, Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft 7.3. Frankfurt am Main, 2008
    • Peter Petersen und die NS-Zeit. Forschungsbericht, Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft 7.4. Frankfurt am Main, 2008
  • Mythos und Pathos statt Logos und Ethos. Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit: Eduard Spranger, Herman Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen, 2009

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Benjamin Ortmeyer, Schicksale jüdischer Schülerinnen und Schüler in der NS-Zeit - Leerstellen deutscher Erziehungswissenschaft? Bundesrepublikanische Erziehungswissenschaften (1945/49 - 1995) und die Erforschung der nazistischen Schule, Diss. Heidelberg 1998
  2. Pressespiegel und Chronologie der Zwangsversetzung
  3. Bild-Zeitung am 15. Juni 2006
  4. Süddeutsche Zeitung vom 15. Juni 2006
  5. Frankfurter Rundschau vom 22. Juni 2006
  6. Süddeutsche Zeitung vom 15. Juni 2006
  7. Rhein, Katharina: Jetzt kommen die Miesmacher. Zur Bedeutung der Fußballweltmeisterschaft der Männer 2006 für die Reartikulation nationaler Identität in Deutschland am Beispiel der Debatte um die Deutschlandliedbroschüre. In: Projektgruppe Nationalismuskritik (Hrsg.): Irrsinn der Normalität. Aspekte der Reartikulation des deutschen Nationalismus. Münster, 2009, S. 128-145
  8. Peter Petersen, Es gibt rassische Hochwertigkeit. Sie verpflichtet!, in: Heimat und Arbeit. Monatshefte für pädagogische Politik, 14. Jg. (1941), Heft 2, S. 38 ff.
  9. Peter Petersen, Rezension von Karl Beyer: Jüdischer Intellekt und deutscher Glaube (Leipzig 1933), in: Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, deutsche Wesensart und nationale Freiheit, 5. Jg. (1933), Heft 6, S. 285 ff.
  10. Benjamin Ortmeyer, Mythos und Pathos statt Logos und Ethos, 2009, S. 312
  11. Anlass war eine Podiumsdiskussion in Jena am 5. und am 26. Oktober 2009, bei der die Umbenennung des Petersenplatzes in Jena erörtert wurde.
  12. Thüringische Landeszeitung vom 4. November 2009
  13. Frankfurter Rundschau, fr-online vom 5. Dezember 2009

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