Capsaicinoide

Capsaicinoide
Strukturformel
Molekülstruktur von Capsaicin
Allgemeines
Freiname Capsaicin
Andere Namen
  • (E)-N-(4-Hydroxy- 3-methoxybenzyl)- 8-methyl-6-nonensäureamid
  • trans-8-Methyl-N-vanillyl- 6-nonensäureamid
Summenformel C18H27NO3
CAS-Nummer 404-86-4
ATC-Code
Kurzbeschreibung farblose Kristalle[1]
Eigenschaften
Molare Masse 305,41 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[1]

Schmelzpunkt

65–66 °C[1]

Siedepunkt

210–220 °C bei 1 Pa [2]

Löslichkeit
  • praktisch unlöslich in Wasser
  • löslich in organischen Lösemitteln (Alkohol, Ether, Benzol, Chloroform etc.)
Sicherheitshinweise
Gefahrstoffkennzeichnung [1]
Giftig
Giftig
(T)
R- und S-Sätze R: 24/25
S: 26-36/37/39-45
Bitte beachten Sie die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln
LD50

47,2 mg·kg−1(Maus, peroral)[3]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Capsaicin (CPS) ist ein aus Pflanzen der Gattung Capsicum (Paprika, gehört zur Familie der Nachtschattengewächse Solanaceae) gewonnenes Alkaloid, das nur bei Säugetieren durch Wirkung auf spezifische Rezeptoren einen Hitze- oder Schärfereiz etwa beim Verzehr von Paprika- oder Chilischoten (botanisch richtige Bezeichnung Paprika- oder Chilibeere, siehe: Capsicum) hervorruft. Capsaicin und andere aus Capsicum gewonnene, Schärfe verursachende Stoffe werden als Capsaicinoide bezeichnet. Capsaicinoide sind farblos und können durch Kochen oder Einfrieren nicht zersetzt werden. Capsaicin ist das Vanillylamid der Fettsäure trans-8-Methyl-6-nonensäure.

Inhaltsverzeichnis

Eigenschaften

Capsaicinoide lösen sich in Alkohol und Fett, aber nicht in Wasser. Sie haben eine antibakterielle und fungizide Wirkung und wirken somit konservierend.

Capsaicinoide reizen die Nervenenden bestimmter Nozizeptoren, die normalerweise Schmerzreize bei Einwirkung von Hitze oder chemischer Reizung erkennen. Die Ähnlichkeit der Empfindung von „heiß“ und „scharf“ (engl. beides „hot“) ist bereits auf Rezeptorebene begründet: Capsaicin bindet an den TRP-Kanal TRPV1, der auch durch eine Erhöhung der Temperatur aktiviert wird. Der oft schmerzhaften (aber nur scheinbaren) Erhitzung durch Capsaicin wirkt der Organismus durch vermehrte Durchblutung des Gewebes zum Zweck der Wärmeabfuhr entgegen, dadurch kommt es zu einer lokalen Rötung wie bei einer leichten Verbrennung. Von diesem Umstand leitet sich der Ausdruck „brennen“ ab. Den umgekehrten Effekt gibt es z. B. bei Einwirkung von geringen Konzentrationen von Menthol (Hustenbonbons), die scheinbar kühlen.

Capsaicinoide, die durch Verwendung scharfer Chilifrüchte in relativ hohen Konzentrationen traditionell in der mexikanischen, indischen, indonesischen und thailändischen Küche vorkommen, haben aufgrund ihres Einflusses auf den serotonergen und dopaminergen Haushalt des Nucleus accumbens eine nach dem Abklingen der Schärfeempfindung schmerzlindernde und partiell dämpfende Wirkung. Dadurch kann eine gewisse Toleranzbildung gegenüber scharfen Speisen – nicht nur hinsichtlich der sensorischen Sensibilität – entstehen und damit verbunden eine persönliche Bereitschaft, auch „alltägliche“ Speisen überdurchschnittlich scharf zu würzen.

Umgang

Die durchblutungssteigernde Wirkung wird auch in der (Tier-)Medizin (etwa bei Wärmepflastern) eingesetzt. Vorsicht ist beim Kontakt der bloßen Haut mit Capsaicinoiden, zum Beispiel beim Verarbeiten von Chilischoten, geboten. Vor allem sollte man darauf achten, sich nach Kontakt mit den Händen nicht die Augen zu reiben. Daher ist es sinnvoll, Handschuhe zum Schutz der Haut zu tragen. Hat man daran nicht gedacht, ist es hilfreich, die Hände vor dem Waschen erst einzufetten, um das Capsaicin zu lösen, und anschließend gründlich zu waschen.

Hat man scharfe Speisen zu sich genommen und das Brennen im Mund wird unerträglich, dann helfen ölhaltige und fetthaltige Emulsionen, wie Joghurt, Milch und Käse. Wasser lindert die Schmerzen nicht. Festgestellt wurde auch, dass eine zehnprozentige Zuckerlösung genauso effektiv ist wie Milch. Zucker oder Tomatensaft in scharfen Speisen reduzieren die Schärfe ebenfalls. Brennen der Haut kann durch Einreiben mit Alkohol gestoppt werden. Bei Reizung empfindlicher Körperteile (Geschlechtsteile, Augen) hilft etwas Speiseöl.

Die Produktion des Capsaicins findet vor allem in der Plazenta und den Samenscheidewänden der Schoten statt, sie sollten also besonders gemieden werden. Entgegen der weitverbreiteten Meinung enthalten die Samenkörner deutlich weniger Capsaicin, die Konzentration ist abhängig von der Nähe zu Plazenta und Samenscheidewand. Die Aussage, kleine Chilischoten seien besonders scharf, trifft nur begrenzt zu. Auch kann die Intensität bei Schoten der gleichen Sorte und sogar bei Schoten, die von derselben Pflanze zur selben Zeit geerntet wurden, variieren.

Evolutionäre Entwicklung der Capsaicinproduktion

Eine Möglichkeit der Entstehung der Capsaicinproduktion ist ein evolutionärer Vorteil der sich auf die Fortpflanzung und Verbreitung des Erbguts bezieht, denn Capsaicinoide sind nur für Säugetiere scharf, nicht aber für Vögel, deren Nervenzellen etwas anders aufgebaut sind. Hierin liegt ein wichtiger Selektionsfaktor für die Pflanzen: Indem sie Säugetiere abschrecken, werden ihre Früchte vermehrt von Vögeln gefressen. Vögel legen im Durchschnitt weitere Strecken zurück als Säugetiere und können die Samen der Pflanze dadurch effektiver verbreiten. Zudem zermahlen die Vögel beim Verzehr der Früchte die Samen nicht, wie es Säugetiere beim Kauen tun. Die Samen werden also unverdaut wieder ausgeschieden und zudem noch durch den Vogelkot gedüngt.

Eine weitere Möglichkeit wurde von den Ökologen und Evolutionsbiologen Joshua J. Tewksbury und Douglas Levey[4] beschrieben. Diese untersuchten die Verbreitung der Pflanzen in Bolivien und besonders die Konzentration der in den Chilischoten vorhandenen Capsaicinoide in Zusammenhang mit den ökologischen Gegebenheiten im Verbreitungsgebiet und stellte einen direkten Zusammenhang zwischen dem Vorkommen der Schnabelkerfen und dem Pilzbefallrisiko fest. So besitzen die Chilischoten in den Gegenden mit einem erhöhten Befallsrisiko für Pilze, insbesondere der Gattung Fusarium, einen erhöhten Gehalt des fungiziden Capsaicins, wodurch ein Überleben der Früchte auch in diesen Gegenden gewährleistet wird. Dies ist eine Folge der Selektion, da nur Früchte mit einem erhöhten Capsaicingehalt überleben können. Andere Arten, deren Capsaicingehalt nicht so hoch ist, setzen sich dagegen nur in Gegenden mit einem geringeren Befallsrisiko durch.

Einen weiteren Zusammenhang stellten die Evolutionsbiologen mit den im Verbreitungsraum vorhandenen Schnabelkerfen fest. So waren die Chilifrüchte der Pflanzen in einem Areal mit einem erhöhten Vorkommen der Insekten, welche die Früchte bei der Nahrungssuche anstechen und damit den Schimmelpilzen den Weg ins Innere der Früchte ebnen, besonders scharf. Das Vorhandensein nur dieser scharfen, eben mit einem erhöhten Capsaicingehalt ausgestatteten Früchte, ist eine direkte Folge der Selektion, da hier nur Pflanzen mit einem wirksamen Schutz gegen den Befall der Schimmelpilze überlebensfähig sind.[5][6][7] So dient das Capsaicin nicht allein nur dem Abschrecken von Fraßfeinden sondern vielmehr auch dem Überleben der Früchte und deren Samen gegen Schimmelpilze so wie der eigentlichen Verbreitung durch Vögel.

Capsaicinoide

Die Capsaicinoide Capsaicin und Dihydrocapsaicin sind die beiden Hauptbestandteile in Chilischoten, die beide ungefähr doppelt so scharf sind wie die in geringerer Menge vorhandenen Capsaicinoide Nordihydrocapsaicin, Homodihydrocapsaicin und Homocapsaicin.

Capsaicinoid Abkürzung Typischer Anteil Scoville-Einheiten Chemische Strukturformel
Capsaicin C 69 % 16.000.000 Chemical structure of capsaicin
Dihydrocapsaicin DHC 22 % 16.000.000 Chemical structure of dihydrocapsaicin
Nordihydrocapsaicin NDHC 7 % 9.700.000 Chemical structure of nordihydrocapsaicin
Homodihydrocapsaicin HDHC 1 % 9.170.000 Chemical structure of homodihydrocapsaicin
Homocapsaicin HC 1 % 9.170.000 Chemical structure of homocapsaicin

Messung des Capsaicin-Schärfegehalts

Die Schärfe von Chilischoten wird in Scoville-Einheiten (SCU = [engl.] Scoville unit) gemessen. Die von Wilbur L. Scoville beschriebene Skala geht dabei von 0 SCU (keine Schärfe vorhanden) bis maximal 16 Millionen SCU (reines Capsaicin in kristalliner Form). Scoville bemisst die vorhandene Schärfe einer „Substanz“ (i. e. S. der Chili-Schote oder des Extraktes) durch ihre Neutralisierung. Das Mengenverhältnis des zur Verdünnung einer Substanz bis zur Neutralisation ihrer Schärfe unter die Wahrnehmbarkeitsgrenze ergibt den Scoville-Wert. Braucht man z. B. 234.000 Tropfen Wasser, um einen Tropfen einer Sauce geschmacklich zu neutralisieren, dann hat die Sauce einen Schärfegrad von 234.000 SCU. Diese Maßeinteilung wird noch heute verwendet, auch wenn der Capsaicin-Gehalt durch die genauere HPLC-Methode bestimmt wird.

Extreme Schärfegrade auf der Basis von Capsaicin-Extraktion (z. B. die Sauce „Da' Bomb Final Answer“ mit 1,5 Mio. SCU), die mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit i. d. R. nicht mehr nur auf rein pflanzlichem Weg erzeugt werden, fangen bereits ab ca. 100.000 SCU an (z. B. mit dem Zusatz „pepper enhanced extracts“). Durch Verwendung purer Habanero-Chilis sind bereits ultrascharfe Extrakte möglich (100.000 bis 350.000 SCU). Mit der schärfsten Chilisorte der Welt, den indischen Naga Jolokias mit einem empirischen Durchschnittswert von ca. 850.000 bis 1.050.000 SCU sind rein pflanzlich hergestellte Würzextrakte, Quellprodukte denkbar, herstellbar und online zu erwerben.

Reines, näherungsweise kristallines Capsaicin (16 Mio. SCU - vgl. Blair’s 16 Million Reserve) herzustellen, ist sehr aufwendig und das Produkt dementsprechend teuer.

Verwendung als Reizstoff

Der Chiliextrakt Oleoresin capsicum (OC) findet auch in Pfeffersprays Verwendung, wobei der Reizstoff als „Waffe“ bei der Selbstverteidigung gegen Menschen und Tiere eingesetzt wird. In Nordamerika werden Capsaicin-haltige Sprays zum Beispiel zur Verteidigung bei Angriffen durch dort verbreitete Braunbären empfohlen.

Der medizinische Wirkmechanismus von Oleoresin capsicum beruht auf der heftigen Stimulation von Chemonozizeptoren (schmerzempfindende Zellen) in afferenten Nervenzellen. Die Ausschüttung von Substanz P (Neurotransmitter) führt akut zu einer Membrandepolarisation.

Verwendung im Reitsport

Bei den Olympischen Spielen 2008 in China wurden vier Springreiter von den Spielen suspendiert, darunter auch der deutsche Christian Ahlmann nach positivem Dopingtest auf das im Reitsport verbotene Capsaicin.[8] Die Anwendung von Capsaicin an den Vorderbeinen der Pferde macht diese schmerzempfindlicher und damit vorsichtiger beim Sprung über die Hindernisse. Dies wird auch als chemisches Barren bezeichnet[9] und als Doping gewertet.

Synthetische Analoga

Als synthetischer Ersatz steht Pseudocapsaicin (INN: Nonivamid) zur Verfügung. Ein weiteres Capsaicin-Analogon ist Capsazepin (CAS-Nummer 138977-28-3), das als spezifischer Capsaicin-Antagonist eingesetzt wird.

Quellen

  1. a b c d Herstellerangaben der Firma EMD Biosciences: http://www.merckbiosciences.co.uk/msds/German/211274German.pdf. 28. Apr. 2007
  2. The Merck Index. An Encyclopaedia of Chemicals, Drugs and Biologicals. 14. Auflage, 2006, S. 286, ISBN 978-0-911910-00-1.
  3. Capsaicin bei ChemIDplus
  4. http://news.ufl.edu/2008/08/11/peppers-2/
  5. http://www.pnas.org/content/early/2008/08/08/0802691105.abstract
  6. http://www.wissenswerkstatt.net/2008/08/20/die-wunderbare-schaerfe-der-chilis-capsaicin-als-antwort-auf-die-konzertierten-attacken-von-insekten-und-pilzen-werkstattnotiz-111/
  7. http://esciencenews.com/articles/2008/08/11/bugs.put.heat.chili.peppers
  8. Deutscher Springreiter wegen Dopingverdachts gesperrt, abgerufen am 21. August 2008
  9. Barren mit Chemie, abgerufen am 22. August 2008

Weblinks

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