Entwaffnung der deutschen Juden

Entwaffnung der deutschen Juden

Mit der Entwaffnung der deutschen Juden wurde ab 1933 lokal begrenzt begonnen. Ein Schwerpunkt war Berlin, wo durch Großrazzien nach Waffen gesucht wurde. Anfang 1936 wurde auf Weisung der Gestapo den Polizeibehörden untersagt, Waffenscheine an Juden auszustellen[1]. Im November 1938 wurde Juden durch die „Verordnung gegen den Waffenbesitz der Juden“ der Besitz von Schuss-, Hieb- und Stoßwaffen verboten.

Inhaltsverzeichnis

Weimarer Republik

Die rechtlichen Grundlagen, auf die Nationalsozialisten später bei der Entwaffnung der deutschen Juden zurückgriffen, wurden bereits in der Weimarer Republik geschaffen. Mit dem Reichsgesetz über Schusswaffen und Munition vom 12. April 1928 wurden Erwerbsscheine – ähnlich der heutigen Waffenbesitzkarte – vorgesehen, die nur „Berechtigten“ den Erwerb und den Besitz von Schusswaffen erlaubte. Es wurde ein Netz von behördlichen Registrierungspflichten geschaffen, die es dem Staat jederzeit ermöglichten, auf die Waffen der Waffenbesitzer zugreifen zu können. Das Waffengewerbe, also Handel und Herstellung, durfte nur mit behördlicher Genehmigung betrieben werden. Es sollte sichergestellt werden, dass Schusswaffen nur an „zuverlässige Personen“ ausgegeben werden. Ab 1930 wurde auch der Umgang mit Hieb- und Stoßwaffen reglementiert. Für das Tragen von Schusswaffen in der Öffentlichkeit wurde ein Waffenschein erforderlich.

Diese Regelungen waren nicht speziell gegen die jüdische Bevölkerung gerichtet, sondern wurden unter anderem gegen rechtsextreme Gruppen erlassen, wie auch das Republikschutzgesetz von 1922.

Machtübernahme der Nationalsozialisten

Direkt nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde die Waffengesetzgebung der Weimarer Republik genutzt um Juden zu entwaffnen oder unter dem fadenscheinigen Grund „Waffen zu suchen“ Razzien und Hausdurchsuchungen durchzuführen. Da das Waffengesetz von 1928 der Polizeibehörde das Recht zur Erteilung und dem Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis zubilligte, wurden die jüdischen Waffenbesitzer durch Verfügungen der Polizei entwaffnet. Z.B. verfügte der Polizeipräsident von Breslau am 21. April 1933, dass die Juden ihre Waffenscheine und Schützenbewilligungen sofort den Polizeibehörden übergeben müssen. Nachdem die jüdische Bevölkerung als nicht vertrauenswürdig eingestuft wurde, wurden auch keine Waffenscheine an sie ausgestellt.[2]

Großrazzia im Scheunen-Viertel (Berlin 1933). Bei Bewohnern eines Hauses in der Grenadier-Straße werden Waffen gesucht und die Papiere geprüft.

Das Waffengesetz wurde auch für Hausdurchsuchungen und Razzien herangezogen, indem behauptet wurde, dass die Opfer große Mengen an Waffen und Munition lagern würden. Prominentes Beispiel hierfür ist Albert Einstein, dessen Sommerhaus in Caputh am Schwielowsee im Frühjahr 1933 durchsucht wurde. Dabei wurde lediglich ein Brotmesser gefunden.[3] Auch Großrazzien wie am 4. April 1933 im Scheunenviertel in Berlin wurden durchgeführt. Dabei wurden neben vielen Waffen auch regimekritische Schriften aufgefunden. Teilweise wurden auch Juden ohne Aufenthaltsgenehmigung entdeckt und festgenommen.

Ab 1935 wurde von der Gestapo die Ausgabe von Waffenscheinen und Waffenerwerbsscheinen an Juden unterbunden.[2] Die Polizeibehörden als ausführende Behörde hatten dieser Anordnung Folge zu leisten. Der Selbstschutzbereich der Juden war aufgehoben und sie waren der Willkür und dem Terror der Polizeibehörden ausgesetzt, ohne dass es eines neuen oder besonderen Gesetzes dafür bedurfte.

Waffengesetz von 1938

Im Jahr 1938 wurde das Waffenrecht von den Nationalsozialisten umfassend neu geregelt. Dieses neue Waffengesetz vom 18. März 1938 (RGBl I, 265) wird heute oftmals als Lockerung der bestehenden Vorschriften angesehen, kam aber vor allem den Funktionären der NSDAP und ihrer angeschlossenen Organisationen zu Gute.[4] Das Waffengesetz untersagte „Zigeunern“ den Waffenbesitz sowie allen Personen, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt waren oder die unter Polizeiaufsicht standen. Zu letzteren gehörten auch wegen Homosexualität Vorbestrafte. Juden wurde über die „Verordnung gegen den Waffenbesitz der Juden“ (RGBl. I, 1573) der Schusswaffenbesitz verboten.

„(§ 1) Juden (§ 5 der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, Reichsgesetzbl. I S 1333) ist der Erwerb, der Besitz und das Führen von Schußwaffen und Munition sowie von Hieb- oder Stoßwaffen verboten. Sie haben die in ihrem Besitz befindlichen Waffen und Munition unverzüglich der Ortspolizeibehörde abzuliefern.
(§ 2) Waffen und Munition, die sich im Besitz eines Juden befinden, sind dem Reich entschädigungslos verfallen. …“

Verordnung gegen den Waffenbesitz der Juden vom 11. November 1938

Für bestimmte Gruppen innerhalb der NSDAP war mit diesem Waffengesetz kein Waffenschein mehr zum Führen einer Waffe erforderlich. Dazu zählten Unterführer der NSDAP ab Ortsgruppenleiter, der Sturmabteilung, der Schutzstaffel, des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps und auch der Hitlerjugend ab Bannführer aufwärts, denen das Recht zum Führen einer Waffe verliehen wurde.

Während also Juden, Homosexuelle und als Staatsfeinde bezeichnete gesellschaftliche Gruppen komplett entwaffnet wurden, rüstete der Staat seine angeschlossenen Organisationen umfangreich mit Waffen aus. Die Möglichkeit, sich gegen staatliche und staatlich geduldete Repressionen mit Waffengewalt zur Wehr zu setzen, war nicht nur für Juden sondern für alle oppositionellen Gruppen faktisch nicht mehr vorhanden.

Novemberpogrome

Die Ermordung des deutschen Diplomaten Ernst Eduard vom Rath durch den Juden Herschel Grynszpan am 7. November 1938 diente dem NS-Regime als Vorwand für die Novemberpogrome 1938. In der Nacht vom 9. November auf 10. November, der sogenannten Reichskristallnacht, begann der vom Regime gelenkte Gewaltausbruch gegen die jüdische Bevölkerung. Am 9. November um 23:55 Uhr wurde von Heinrich Müller, damals stellvertretender Chef des Amtes Politische Polizei im Hauptamt Sicherheitspolizei, ein Fernschreiben mit folgendem Inhalt an alle Leitstellen der Staatspolizei weitergeleitet:

„ Dieses FS ist sofort auf dem schnellsten Wege vorzulegen.
1. Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden, insbesonders gegen deren Synagogen, stattfinden. Sie sind nicht zu stören. Jedoch ist im Benehmen mit der Ordnungspolizei sicherzustellen, dass Plünderungen und sonstige besondere Ausschreitungen unterbunden werden können.
2. Sofern sich in Synagogen wichtiges Archivmaterial befindet, ist dieses durch eine sofortige Massnahme [sic] sicherzustellen.
3. Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa 20-30000 Juden im Reiche. Es sind auszuwählen vor allem vermögende Juden. Nähere Anordnungen ergehen im Laufe dieser Nacht.
4. Sollen [sic] bei den kommenden Aktionen Juden im Besitz von Waffen angetroffen werden, so sind die schärfsten Massnahmen durchzuführen. Zu den Gesamtaktionen können herangezogen werden Verfügungstruppen der SS sowie Allgemeine SS. Durch entsprechende Massnahmen ist die Führung der Aktionen durch die Stapo auf jeden Fall sicherzustellen. [...]
Gestapa II Mueller - Dieses FS ist geheim.[5]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Uwe Dietrich Adam: Judenpolitik im Dritten Reich. Unv. Nachdr. Düsseldorf 2003, ISBN 3-7700-4063-5, S. 109 mit Anm. 47.
  2. a b Stephen P. Halbrook: Das Nazi-Waffengesetz und die Entwaffnung der deutschen Juden. In: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift, Nr. 12, Dezember 2001, S. 3 f
  3. Dennis Brian: Einstein - Sein Leben. Wiley-VCH 2005, S. 392. ISBN 978-3527405626
  4. Joachim Steindorf: Kurzkommentar zum Waffenrecht, Verlag C.H. Beck 1999. ISBN 3-406-44254-4.
  5. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Band 2: Deutsches Reich 1938 - August 1939. München 2009, ISBN 978-3-486-58523-0, S. 366

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