Herschel Grynszpan

Herschel Grynszpan
Herschel Feibel Grynszpan nach seiner Festnahme durch die französische Polizei

Herschel Feibel Grynszpan (manchmal auch: Grünspan; * 28. März 1921 in Hannover; verschollen 1942) war ein in der Weimarer Republik geborener und aufgewachsener Jude polnischer Staatsangehörigkeit, der 1942 oder 1943 wahrscheinlich im Zuchthaus Magdeburg ermordet wurde. Am 7. November 1938 verübte er in Paris ein Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath, der zwei Tage später seinen Verletzungen erlag. Diese Tat diente dem nationalsozialistischen Regime als Vorwand für die antijüdischen Novemberpogrome 1938.

Inhaltsverzeichnis

Kindheit

Herschel Grynszpan wurde 1921 in Hannover als Sohn polnisch-jüdischer Eltern geboren und besaß die polnische Staatsangehörigkeit. Der Vater Sendel Grynszpan war Schneider und verheiratet mit Ryfka, geb. Silberberg. Grynszpan hatte zwei Geschwister: Markus (* 29. August 1919) und Esther (* 31. Januar 1916). Die Familie war im April 1911 aus Russisch-Polen nach Hannover umgezogen und wohnte schließlich in der Burgstraße 36. Bis 1935 besuchte Herschel die Volksschule.[1] In Hannover war er Mitglied der Zionistengruppe Misrachi und des Sportclubs Bar Kochba. In den ersten zwei Jahren der Herrschaft des Nationalsozialismus hatte die Diskriminierung der Juden in Deutschland mit dem „Judenboykott“, dem „Berufsbeamtengesetz“, dem Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen und weiteren antisemitischen Gesetzen schon sehr konkrete Formen angenommen. Grynszpan beendete 1935 die Volksschule und besuchte mit Unterstützung seiner Familie und der hannoverschen jüdischen Gemeinde die in der Christgasse 6 gelegene rabbinische Lehranstalt (Jeschiwa) in Frankfurt.[2] Offensichtlich sagte ihm diese Ausbildung nicht zu, denn er brach sie nach elf Monaten wieder ab. In Hannover fand Grynszpan keine Lehrstelle und keine Arbeit. Dann bemühte er sich, nach Palästina auszuwandern, erhielt jedoch aufgrund seines Alters einen vorläufig abschlägigen Bescheid (er sollte sich in einem Jahr wieder bewerben).

Frankreich

Im Juli 1936 reiste Grynszpan im Alter von 15 Jahren mit gültigen Dokumenten (einem polnischen Pass gültig bis zum 1. April 1937 und deutschem Ausreisevisum, das eine Wiedereinreise bis zu diesem Datum erlaubte) zu seinem Onkel Wolf Grynszpan nach Brüssel. Bei ihm war er nicht willkommen. Er verfügte über keine Mittel, durfte offiziell nur 10 Mark ins Ausland mitnehmen und verstand sich außerdem mit seinem Onkel nicht. Er nahm daher das Angebot seines anderen Onkels Abraham Grynszpan aus Paris an, dort zu wohnen. Seine Verwandten schmuggelten ihn illegal über die Grenze nach Frankreich, da sie davon ausgehen mussten, dass ihm auf dem offiziellen Weg die Einreise verweigert würde. Als er ankam, war er krank – er litt unter Magenschmerzen und häufigem Erbrechen. Er wurde von der Familie seines Onkels trotz seines Alters von nunmehr siebzehn Jahren noch wie ein Kind behandelt. Grynszpan war von kleiner Statur, nur 1,54 m groß und wog etwa 45 kg.

Grynszpan war ein orthodoxer Jude und besuchte regelmäßig den Gottesdienst. In der Umgebung der Familie seines Onkels lebten überwiegend Juden. Ihre Hauptsprache war Jiddisch, aber es wurde auch deutsch gesprochen.

Er versuchte über ein Jahr lang vergeblich, in Frankreich eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Seine späteren Bemühungen, zu seiner Familie nach Hannover zurückzukehren, scheiterten am Widerspruch des hannoverschen Polizeipräsidenten, weil seine Papiere „nicht in Ordnung wären“. Im August 1938 wurde Grynszpan schließlich auch noch der Ausweisungsbefehl aus Frankreich zugestellt, sodass er sich in einer ausweglosen Situation wiederfand.

Ausweisung polnischer Juden im Oktober 1938 aus Nürnberg, reichsweit wurden 15.000 Menschen als polnische Juden ausgewiesen.

Zur gleichen Zeit waren seine Eltern und Geschwister (noch polnische Staatsbürger, obwohl die Familie schon seit 27 Jahren in Deutschland lebte) in der sogenannten Polenaktion aus Hannover an die Grenze nach Polen abgeschoben worden. Von dieser Massenabschiebung waren etwa 15.000 Juden betroffen. Die völlig unvorbereiteten Menschen wurden von Polen zurückgewiesen und mussten sich wochenlang im Niemandsland zwischen der deutschen und polnischen Grenze im Freien aufhalten. Darüber war auf der ganzen Welt und auch in der Pariser Presse berichtet worden.[3] Grynszpan erhielt eine Postkarte von seiner Schwester Esther, in der sie ihm schilderte, dass die ganze Familie überfallartig ohne weitere Vorbereitungen und ohne jegliche Mittel unter Zurücklassung von allem Hab und Gut von der Polizei abtransportiert worden war. Sie bat ihren Bruder Herschel dringend um Geldmittel. Später im November hatte Grynszpans Familie das Glück, in die Grenzstadt Zbąszyń (Bentschen) in Polen einreisen zu können. Das wusste der junge Grynszpan aber nicht, als er die Karte seiner Schwester erhielt und selbst in größter Not war.

Das Attentat

Herschel Grynszpan nach seiner Festnahme

Grynszpan erhielt die Post seiner Schwester am 3. November, einem Donnerstag. Am 6. November bat er seinen Onkel darum, sofort Geld zu seinen Eltern zu schicken. Abraham wollte aber erst einmal die weitere Entwicklung abwarten, zumal es einerseits nahezu unmöglich und illegal war, Geld nach Deutschland an einen Juden zu schicken, und andererseits völlig unklar war, wo sich Sendel Grynszpan mit seiner Familie aufhielt. Es kam zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf Grzynspan die Familie seines Onkels verließ, vorher aber 300 Franc erhalten hatte. Grzynspan übernachtete in einem billigen Hotel und schrieb einen Abschiedsbrief an seine Eltern, den er in seine Tasche steckte. Am 7. November 1938 kaufte er in einem Waffengeschäft einen Revolver[4] für 235 Franc. Danach ging er zur deutschen Botschaft im Palais Beauharnais und verlangte einen Botschaftsbeamten zu sprechen. Er wurde von Botschaftssekretär vom Rath empfangen, der der jüngere der beiden zu diesem Zeitpunkt diensthabenden Beamten war. Grynszpan schoss sofort mit seiner Waffe fünfmal auf vom Rath und verletzte ihn so schwer, dass dieser zwei Tage später seinen Verletzungen erlag. Nach dem französischen Polizeiprotokoll beschimpfte er vom Rath dabei als un sale boche – als dreckigen Deutschen und rief, dass er im Namen von 12.000 verfolgten Juden handele. Ähnlich äußerte er sich in dem bei ihm gefundenen Abschiedsbrief an seine Eltern: Sein Herz habe geblutet, als er von ihrem Schicksal hörte, er müsse protestieren, so dass die ganze Welt davon höre. Grynszpan flüchtete nicht, sondern ließ sich verhaften und begründete auch gegenüber dem französischen Untersuchungsrichter seine Tat in diesem Sinn. Da Grynszpan zum Tatzeitpunkt minderjährig war, wurde er in das Jugendgefängnis Fresnes bei Paris überstellt.[5]

Von französischen Behörden wurde ein Prozess gegen Grynszpan eingeleitet; auch von deutscher Seite bereitete man sich auf den Prozess vor. Goebbels ernannte schon am 8. November den Fachmann für schwierige Propagandaaufgaben und Rechtsberater des Reiches, den Juristen Friedrich Grimm, zum Vertreter des Deutschen Reiches, er solle die Interessen des Deutschen Reiches in Sachen des Mordes an vom Rath wahren.[6] Am 9. November 1938 gab das Deutsche Nachrichtenbüro (DNB) einen Rundruf an die Presse heraus, in dem gefordert wurde, darauf zu achten, dass der Name Grynszpan in deutschen Zeitungen nicht mit „y“ geschrieben wird. Für den 11. November 1938 initiierte Goebbels das Treffen einer Prozessplanungsgruppe im Propagandaministerium unter der Leitung des Regierungsrates Wolfgang Diewerge. Teilnehmer waren Vertreter des Auswärtigen Amtes, der NSDAP/Auslands-Organisation und Friedrich Grimm. Grimm referierte, dass eine Auslieferung Grynszpans nicht erwartet werden könne und der Prozess auf jeden Fall in Frankreich stattfinden werde. Auf der Sitzung wurde beschlossen, dass Grimm den Prozess beeinflussen solle und als Nebenklägervertreter die Interessen der Eltern und des Bruders vom Rath vertreten solle. Das ging nur mit französischen Anwälten zusammen, mit deren Auswahl Grimm beauftragt wurde. Goebbels hatte in dem Attentatsfall interveniert, da er aus diesem Prozess eine Propagandaschlacht für Deutschland machen wollte. Es sollte nachgewiesen werden, dass eine jüdische Weltverschwörung gegen Deutschland Krieg führe und auch das Attentat organisiert habe. Die deutsche antijüdische Politik sollte als Abwehr des jüdischen Angriffs auf der ganzen Welt verstanden werden. So sollten in Deutschland und auch im Ausland Verständnis für die Vorgänge der Reichspogromnacht und die weitere Unterdrückung der Juden in Europa entstehen. Grynszpan sei von dieser „Jüdischen Weltverschwörung“ gelenkt. Diese stecke nach der Propaganda der Nationalsozialisten auch hinter der französischen liberalen demokratischen Presse, die den jugendlichen Grynszpan indoktriniert habe. Mit dem Attentat habe, so die nationalsozialistische Propaganda, auch das deutsch-französische Verhältnis beschädigt werden sollen. Zu dem Zeitpunkt war das französisch-deutsche Verhältnis gespannt, denn das Münchner Abkommen war gerade etwa einen Monat alt. Grimm fuhr umgehend nach Paris. Dort bekam er den Hinweis, dass der Verteidiger Grynszpans, Maître Vincent de Moro-Giafferi, von der französischen Liga gegen den Antisemitismus, der Ligue Internationale Contre l'Antisémitisme (LICA), die Eltern Grynszpans aus Polen zum Prozess habe einladen wollen, um sie über die deutschen antijüdischen Aktionen aussagen zu lassen. Grimm intervenierte in Polen, so dass die polnische Regierung, selbst antisemitisch eingestellt, den Eltern die Ausreise untersagte. Grimm pendelte zu Vorbereitung des Prozesses ständig zwischen Frankreich und Deutschland hin und her und nahm Einfluss auf die Vorbereitung des Prozesses.

Der Prozessbeginn verzögerte sich, bis mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 eine völlig neue Situation geschaffen wurde. Aufgrund des Stimmungsumschwunges in der Bevölkerung hätte die französische Justiz Grynszpan wohl freigesprochen, zumal Deutschland als Kriegsgegner nicht hätte am Prozess teilnehmen können. Grimm machte sich gegenüber dem Propagandaministerium aber anheischig, den Prozess vom neutralen Ausland aus zu manipulieren. Mit dieser Aufgabe betraut, begab er sich während des Sitzkrieges für einige Monate an die Deutsche Botschaft nach Bern und hielt über die Schweiz und den Anwalt Guinand Kontakt zu den französischen Untersuchungsbehörden. Dafür wurde er sogar zum Generalkonsul des Deutschen Reiches ernannt. Es gelang Grimm trotz des Kriegszustandes, für diesen Anwalt und die Bestellung zum Vertreter des Deutschen Reiches für den geplanten Prozess bei dem französischen Generalkonsul in Bern ein Visum zu erhalten. Der Anwalt Guinand wurde in Paris sogar auf Befehl des verhinderten Justizminister Bonnet vom stellvertretenden Justizminister empfangen. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war, dass der Prozess sistiert wurde, aber Grynszpan im Gefängnis blieb.[7]

Das Attentat wurde in großen Teilen der jüdischen Gemeinschaft, auch in Frankreich, nicht zuletzt aus den durch die Ereignisse bestätigten Befürchtungen, es würde von den Nationalsozialisten als Vorwand für eine Vergeltung genutzt werden, negativ aufgenommen.[8] Man versuchte von jüdischer Seite, Grynszpan als verrückt hinzustellen, eine Haltung, die noch lange nachwirkte und sich beispielsweise noch in entsprechenden Äußerungen von Hannah Arendt in ihrem Buch Eichmann in Jerusalem von 1963 wiederfindet.

Auslieferung nach Deutschland

Grynszpan blieb trotz seiner Jugend ohne Prozess rund 20 Monate inhaftiert, bis die Deutschen Frankreich erobert hatten. Die Franzosen hatten sein Gesuch abgelehnt, auf Seite Frankreichs gegen die Deutschen kämpfen zu dürfen. Sobald der künftige Botschafter Otto Abetz mit seiner Mannschaft, zu der auch der Rechtsprofessor Friedrich Grimm gehörte, am 19. Juni 1940 mit den deutschen Truppen nach Paris kam, wurde nach Grynszpan gefahndet, denn schon einen Tag vor Ankunft der Botschaftsmitarbeiter war eine Gestapoeinheit unter Dr. Helmut Knochen nach Paris gekommen. Ein Sturmbannführer dieser Einheit, Karl Bömelburg, war gleichzeitig Leiter einer Gruppe der Geheimen Feldpolizei. Bömelburg und Grimm hatten nun den Auftrag, Herschel Grynszpan gefangenzunehmen.[9] Dazu ließ Grimm am nächsten Tag durch die Geheime Feldpolizei Polizei- und Gerichtsdienststellen durchsuchen und alle Verfahrensakten beschlagnahmen. Alle jüdischen Organisationen und alle Anwaltskanzleien, die mit Grynszpan zu tun gehabt hatten, wurden durchsucht. Grimm eignete sich sogar die Handakten Moro-Giafferis, des Verteidigers von Grynszpan, an.[10]

Am 19. Juni meldete Grimm an das Außenministerium, dass Grynszpan „illegal“ aus dem Gefängnis in Paris entfernt worden sei. In der Tat war Grynszpan vorher mit anderen Gefangenen in den unbesetzten Süden geschickt worden und kam bei einer Bombardierung des Zuges zunächst frei. Er konnte – mittellos und ohne ausreichende Sprachkenntnisse – die Chance unterzutauchen nicht wahrnehmen, sondern stellte sich erneut den französischen Behörden, zuerst im Gefängnis von Bourges, wo ihn ein Staatsanwalt laufen ließ, und dann in Toulouse.

Grimm machte Grynszpan in Südfrankreich ausfindig und ersuchte den französischen Justizminister, ihn auszuliefern[11]. Am 18. Juli 1940 wurde Grynszpan von den Franzosen an Deutschland übergeben und nach Berlin in das Gestapogefängnis im Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße 8 gebracht. Diese Auslieferung verstieß gegen den Waffenstillstandsvertrag und die Bestimmungen des Völkerrechts, denn Grynszpan hatte keine deutsche Staatsbürgerschaft und die Tat war vor dem Einfall der Deutschen auf französischem Boden begangen worden.

Dem lange von Joseph Goebbels erhofften Schauprozess, in dem er die Existenz der „Jüdischen Weltverschwörung“ beweisen wollte und der unter maßgeblicher Beteiligung Grimms geplant wurde, stand eigentlich nichts mehr im Weg. Grynszpan sagte jetzt allerdings aus, das Opfer vom Rath aus der Pariser Homosexuellenszene zu kennen.[12] Damit durchkreuzte er die Strategie der Nationalsozialisten. Möglicherweise bediente sich Grynszpan damit einer Verteidigungstaktik seines Pariser Anwalts. Die Ankläger mussten nun befürchten, dass Grynszpan in dem geplanten Prozess die angebliche Homosexualität vom Raths und eventuell anderer Nationalsozialisten in Paris zur Sprache bringe. Auch habe Grynszpan die „Rechtmäßigkeit seiner Auslieferung in Zweifel ziehen“[12] können. Auf Befehl Hitlers wurde der Prozess im Juli 1942 abgesetzt. Grynszpan kam zunächst ins KZ Sachsenhausen. Um den 26. September 1942 wurde er in das Zuchthaus Magdeburg verbracht.[13] Was danach mit ihm geschah, ist nicht genau geklärt. Auf jeden Fall wurde er – vermutlich noch 1942 oder Anfang 1943 – ermordet.[14]

Seine Eltern und sein Bruder überlebten den Holocaust. Nachdem sie 1938 nach Polen abgeschoben worden waren, konnten sie später in die Sowjetunion flüchten. Sie wanderten nach dem Krieg nach Israel aus. Grynszpans Vater und sein Bruder sagten 1961 im Eichmann-Prozess aus.[1]

Herschel Grynszpan wurde 1960 in der Bundesrepublik von einem Gericht auf Antrag der Eltern offiziell für tot erklärt. Zuvor war in einigen Zeitungsmeldungen[15] und in einer Untersuchung des Historikers Helmut Heiber zu lesen, Grynszpan habe den Krieg überlebt und lebe unter anderem Namen in Paris.[16] 1981 gab Heiber allerdings gegenüber dem Historiker Ron Roizen an, dass er mittlerweile vom Tod Grynszpans vor Ende des Krieges ausgehe. Grynszpans letzte Erwähnung in deutschen Akten datiert von September 1942.

Folgen des Attentats in Deutschland

Grynszpans Attentat war in Deutschland auf Geheiß von Joseph Goebbels Aufmacher in allen Zeitungen und wurde als Vorwand für einige der schlimmsten bis dahin in Deutschland inszenierten Pogrome benutzt, die Novemberpogrome 1938 (so genannte „Reichskristallnacht“).[17] Einige Stunden nach Bekanntwerden des Todes vom Raths am Abend des 9. November gingen NSDAP und SA in einer konzertierten, vorbereiteten Aktion gegen jüdische Bürger und deren Besitztümer vor: Trupps von zivil gekleideten SA-Leuten und Parteiangehörigen waren unterwegs, ausgerüstet mit Stangen, Messern, Dolchen, Revolvern, Äxten, großen Hämmern und Brechstangen. Sie brachen in die Synagogen ein, steckten sie in Brand und zerschlugen mit Stangen die Schaufenster jüdischer Läden. Dann brachen sie plündernd und zerstörend in die Geschäfte ein. In gleicher Brutalität gingen Schläger-Trupps gegen Juden in ihren Wohnungen vor. Sie wurden, sofern nicht geöffnet wurde, gewaltsam aufgebrochen und verwüstet. Vorgefundenes Geld wurde konfisziert, Sparbücher und Wertpapiere wurden mitgenommen. Die Juden wurden misshandelt und gedemütigt, auch die Frauen und Kinder. Insgesamt wurden etwa 400 Menschen ermordet (hinzu kamen die Selbsttötungen), ca. 30.000 männliche Juden wurden in KZs eingeliefert. Rund 7.500 Geschäfte und fast alle Synagogen (ca. 1.400) wurden niedergebrannt oder auf andere Weise zerstört. Zum Hohn für die Pogromopfer wurden die Juden in einer am 12. November 1938 erlassenen Verordnung über die „Sühneleistung“ auch noch gezwungen, zusätzlich eine „Kontributionszahlung“ in Höhe von einer Milliarde Reichsmark zu leisten.

Erinnerung und Bezüge zur Kunst

Herschel Grynszpan wurde in Hannover geboren und lebte in der Stadt bis 1936. Sein Name findet sich unter den Tausenden von eingravierten Namen am Mahnmal für die deportierten jüdischen Bürger am Opernplatz in Hannover. Dort wird er als verschollen aufgeführt. Am 22. März 2010 verlegte Gunter Demnig in Hannover je einen Stolperstein für Herschel Grynszpan und seine Schwester Esther Grynszpan. Die Verlegung erfolgte am letzten Wohnsitz der Familie Grynszpan in der Altstadt. Das frühere Wohnhaus in der Burgstraße 36 ist nicht mehr vorhanden. An seinem ursprünglichen Ort befindet sich heute das Historische Museum.

Die Ereignisse um Herschel Grynszpan inspirierten den englischen Komponisten Michael Tippett zu seinem Oratorium A Child of Our Time.

Siehe auch

Literatur

  • Hans-Jürgen Döscher: „Reichskristallnacht“. Die Novemberpogrome 1938. 3. Auflage. Econ-Ullstein-List-Verlag, München 2000, ISBN 3-612-26753-1 (Propyläen-Taschenbuch 26753).
  • Helmut Heiber: Der Fall Grünspan. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 5, 1957, S. 134-172, vermutlich erste Abhandlung nach Ende des Dritten Reiches, stützt sich stark auf Angaben von Personen, die direkt oder indirekt ideologisch zum Holocaust beitrugen wie z. B. Friedrich Grimm. Der Antisemitismus dieser Personen schimmert in Heibers Darstellung durch.
  • Karl Jonca: Die Radikalisierung des Antisemitismus. Der Fall Herschel Grynszpan und die „Reichskristallnacht“. In: Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke, Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Deutschland zwischen Krieg und Frieden. Beiträge zur Politik und Kultur im 20. Jahrhundert. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1990, ISBN 3-89331-091-6, S. 43 (Bundeszentrale für Politische Bildung, Schriftenreihe 295).
  • Friedrich Karl Kaul: Der Fall des Herschel Grynszpan. Akademie-Verlag, Berlin (Ost) 1965.
  • Michael Robert Marrus: The Strange Story of Herschel Grynszpan. In: The American Scholar. Vol. 57, No. 1, Winter 1987/1988, ISSN 0003-0937, S. 69–79.
  • Ron Roizen: Herschel Grynszpan: the fate of a forgotten assassin. In: Holocaust and Genocide Studies. Vol. 1, No 2, 1986, ISSN 8756-6583, S. 217–228, online einsehbar.
  • Gerald Schwab: The Day the Holocaust began. The Odyssey of Herschel Grynszpan. Praeger, New York NY u. a. 1990, ISBN 0-275-93576-0.
  • Klaus Urner: Der Schweizer Hitler-Attentäter. Drei Studien zum Widerstand und seinen Grenzbereichen: systemgebundener Widerstand, Einzeltäter und ihr Umfeld, Maurice Bavaud und Marcel Gerbohay. Buchclub Ex Libris, Zürich 1982, Grynszpan hauptsächlich auf den Seiten 101 bis 111 abgehandelt.
  • Hartmut Wrede: Der Fall Grynszpan und die Reichskristallnacht. Eine historische Rekonstruktion. Verlag der Blauen Bücher, Hamburg 1988.
  • Peter Schulze: Grünspan, Herschel, in: Stadtlexikon Hannover, S. 238f.
  • ders.: Grünspan, Herschel als Auszug aus dem Stadtlexikon Hannover in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 14. Oktober 2009, zuletzt abgerufen am 10. Oktober 2011

Film

  • Das kurze, mutige Leben des Herschel Grünspan. (OT: Livrez-nous Grynszpan.) Dokumentation und Doku-Drama, Frankreich, 2007, 76 Min., Regie: Joël Calmettes, Produktion: arte, Produktion: Septembre, deutsche Erstausstrahlung: 29. Oktober 2008. Arte-Programmhinweis

Weblinks

 Commons: Herschel Grynszpan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Klaus Mlynek: Die „Reichskristallnacht“, in: Historisches Museum am Hohen Ufer (Hrsg.): Reichskristallnacht in Hannover. Eine Ausstellung zur 40. Wiederkehr des 9. November 1938, Hannover 1978, S. 58
  2. Friedrich Karl Kaul, Der Fall des Herschel Grynszpan, … S. 12
  3. Artikel Massenaustreibungen polnischer Juden aus Deutschland, in: Pariser Zeitung vom 29. Oktober 1938 – S -1, nachzulesen in Digitalpresse- Exil der DNB über deposit.ddb.de
  4. Klaus Mlynek: Die „Reichskristallnacht“, in: Historisches Museum am Hohen Ufer (Hrsg.): Reichskristallnacht in Hannover. Eine Ausstellung zur 40. Wiederkehr des 9. November 1938, Hannover 1978, S. 59
  5. Tabellarischer Lebenslauf von Ernst vom Rath im LeMO (DHM und HdG)
  6. Friedrich Karl Kaul, Der Fall des Herschel Grynszpan, … S. 45
  7. Friedrich Karl Kaul, Der Fall des Herschel Grynszpan, … S. 107ff.
  8. David H. Weinberg A community on trial: the jews of Paris in the 1930s, Chicago University Press 1977
  9. Gerald Schwab: The Day The Holocaust began: The Odyssey of Herschel Grynszpan; New York 1990; S. 124f
  10. Friedrich Karl Kaul: Der Fall des Herschel Grynszpan, S. 59
  11. Gerald Schwab: The Day The Holocaust began: The Odyssey of Herschel Grynszpan; New York 1990; S. 128
  12. a b Hans-Jürgen Döscher, „Reichskristallnacht“: die Novemberpogrome 1938; München 20003; ISBN 3-612-26753-1; S. 165
  13. Gerald Schwab: The Day The Holocaust began: The Odyssey of Herschel Grynszpan; New York 1990; S. 184
  14. Siehe die in der Literaturliste angegebenen Untersuchungen von Döscher, Jonka, Roizen, Schwab und Urner u. a.
  15. Kurt R. Grossmann: Herschel Gruenspan lebt! In: Aufbau vom 10. Mai 1957, S. 1 u. 5 f.
  16. Heiber, Der Fall Grünspan, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1957 Heft 2, S. 172
  17. s. Pariser Tageszeitung vom 11. November 1938, Nr. 839, S. 1, als Beispiel einer deutschen Zeitung, DNB-Projekt Exilpresse Digital Pariser Zeitung

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