Hans Joachim Beyer

Hans Joachim Beyer

Hans Joachim Beyer, auch Hans Beyer (* 14. Juni 1908 in Geesthacht/Lauenburg; † 25. August 1971 in Hamburg), war ein deutscher Historiker, nationalsozialistischer Volkstumsforscher und SS-Hauptsturmführer. In den 1950er Jahren war er an der Pädagogischen Hochschule Flensburg für die akademische Ausbildung von Geschichtslehrern zuständig.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schule, Studium, erste Berufszeit

Hans Joachim Beyer, Sohn eines Mittelschullehrers, wuchs in einer deutschnational-protestantisch geprägten Familie auf. Nach seinem Abitur 1926 an einer Hamburger Oberrealschule arbeitete er eineinhalb Jahre in einem Exportgeschäft. Danach studierte er Geschichte, Rechtswissenschaft und Anthropologie in Graz, Königsberg und Hamburg und promovierte 1931 im Fach Geschichte an der Universität Hamburg mit einer Arbeit über die Außenpolitik Eduards VII.[1] Anschließend war er zunächst als freier Journalist tätig und erhielt erst 1933 eine Anstellung im Preußischen Kultusministerium als Referent für das neu einzurichtende Aufgabengebiet „Landjahr“ sowie als Sachbearbeiter für Büchereifragen.[2][3]

Zeit des Nationalsozialismus

Beyer trat im Juli 1933 in die SA[4] und später in die NSDAP ein.[3] 1934 wurde er Dozent der Hochschule für Lehrerbildung in Danzig.[5] Ein Jahr nach seiner Berufung beklagte er in seiner Schrift Aufbau und Entwicklung des ostdeutschen Volksraums die „Vermischung“ deutscher Siedler im Osten mit Slawen, so dass es perspektivisch darum gehe, Böhmen als traditionelles deutsches Siedlungsgebiet von seiner vorwiegend tschechischen Besiedlung zu befreien.[4] Ab Mai 1936 arbeitete Beyer an der „Mittelstelle für auslandsdeutsche Volksforschung“, fungierte ab 1937 als Herausgeber der Zeitschrift Volksdeutsche Volksforschung[5] und wurde im September 1939 hauptamtlicher Mitarbeiter im Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS.[4] Im Reichssicherheitshauptamt arbeitete er unter der Leitung von Franz Alfred Six als Bibliotheksreferent im Bereich „Gegnerforschung“ und sammelte Material zur Schließung missliebiger, NS-kritischer Einrichtungen; so wurde zum Beispiel aufgrund Beyers Materialsammlung das von Georg Schreiber geleitete Doppelinstitut für Auslands- und Volkskunde in Münster liquidiert.[6] Am 20. April 1940 wurde er zum SS-Untersturmführer befördert.[6]

Auch als Beyer 1940 im Alter von 32 Jahren Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin wurde, arbeitete er „nebenher weiterhin für Heydrichs Reichssicherheitshauptamt“[4] und wurde am 20. April 1941 zum SS-Obersturmführer befördert.[7] Er hatte den Lehrstuhl für „Volksforschung mit besonderer Berücksichtigung Osteuropas“ am neu gegründeten „Auslandswissenschaftlichen Institut“ der Universität inne und hielt unter anderen Vorlesungen zu den Themen „Rasse, Volk, Raum“ und „Ostjudentum“ sowie Seminare zu den Themen „Die besetzten Ostgebiete“ und die „Geschichtliche Entwicklung der deutschen, englischen und französischen Ostideologie“.[8] Zudem schrieb er für das von Franz Alfred Six herausgegebene „Jahrbuch der Weltpolitik“ Beiträge über die Entwicklung in der Slowakei, im Generalgouvernement und im Protektorat Böhmen und Mähren.[8]

Im Juni 1941 wurde Beyer beurlaubt, um nach Beginn des Unternehmens Barbarossa im Juli 1941 „als volkstumspolitischer Berater“ mit der SS-Einsatzgruppe C in Lemberg einzumarschieren. Deren Einsatzkommando 4a ermordete viele polnische Intellektuelle, „deren Namen auf einer von Beyer zusammengestellten Fahndungsliste standen“.[4] Schon im September 1941 wurde er Heydrichs Chefberater in Bevölkerungsfragen und Direktor des „Instituts für europäische Anthropologie und Volkspsychologie“, der späteren „Reinhard-Heydrich-Stiftung“ zur bevölkerungspolitischen Erforschung Ost- und Südosteuropas.[4] 1942 avancierte er zum SS-Hauptsturmführer.[5] Nach Heydrichs Tod erhielt Beyer 1943 an der Deutschen Karls-Universität Prag die Professur für „Volkslehre und Nationalitätenkunde Osteuropas“.[5]

Nachkriegszeit

Nachdem Beyer „reibungslos entnazifiziert“ worden war, machte ihn die evangelische Landeskirche Schleswig-Holsteins zu ihrem Pressesprecher.[9] 1951 wurde Beyer Professor für Geschichte und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Flensburg, wo er bis zu seinem Ausscheiden aus dem universitären Betrieb 1961 den Lehrernachwuchs ausbildete.[5][3] Dem Flensburger Historiker Gerhard Paul zufolge hatte sich vor allem der damalige Schulreferent der EKD und spätere Kultusminister Edo Osterloh für Beyers akademische Karriere eingesetzt.[10] Obwohl schon ab 1953 Zeitungsberichte auf Beyers SS-Vergangenheit aufmerksam gemacht hatten, „nahm Kultusminister Osterloh ihn erst 1961 aus der Schusslinie der Kritik und stellte ihn mit vollen Bezügen ‚für Forschungsarbeiten frei’“. [11]

Beyer betätigte sich zusätzlich als Kirchenhistoriker, betrieb im Kontext des Landesarchivs Schleswig regionalgeschichtliche Studien und gehörte der „Südostdeutschen Historischen Kommission“, dem damaligen Münchner und heute in Regensburg befindlichen „Osteuropa- bzw. Südostinstitut“ sowie dem „Ostdeutschen Kulturrat“ unter dessen Vizepräsidenten Wilhelm Weizsäcker an.[9]

Für den Verlag Moritz Diesterweg bearbeitete Beyer Mitte der 1950er Jahre Lehrwerke für den Geschichtsunterricht, die den Schülern Quellen zur europäischen Politik seit 1919 präsentierten.[12] 1971 verstarb Hans Joachim Beyer im Alter von 63 Jahren in Hamburg.[5]

Schriften

  • Aufbau und Entwicklung des ostdeutschen Volksraums. Danziger Verlagsgesellschaft, Danzig 1935.
  • Das Schicksal der Polen. Rasse – Volkscharakter – Stammesart. Teubner, Leipzig 1942.
  • Die Mittelmächte und die Ukraine 1918. Isar Verlag, München 1956.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Karl Heinz Roth: Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen: Der Fall Hans Joachim Beyer. In: Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Frankfurt am Main 1997, S. 262–342, hier S. 271.
  2. Karl Heinz Roth: Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen: Der Fall Hans Joachim Beyer. In: Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Frankfurt am Main 1997, S. 262–342, hier S. 272 f.
  3. a b c Hans Joachim Beyer – „Ideologischer Einpeitscher, Planer und Vollstrecker“. In: NS-Rassenideologe als Flensburger Professor. Hans Joachim Beyer. Geschichtswerkstatt Flensburg 2011.
  4. a b c d e f Robert Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. Siedler, München 2011, S. 305 f.
  5. a b c d e f Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2003, S. 46 f.
  6. a b Karl Heinz Roth: Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen: Der Fall Hans Joachim Beyer. In: Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Frankfurt am Main 1997, S. 281.
  7. Karl Heinz Roth: Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen: Der Fall Hans Joachim Beyer. In: Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Frankfurt am Main 1997, S. 285.
  8. a b Karl Heinz Roth: Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen: Der Fall Hans Joachim Beyer. In: Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Frankfurt am Main 1997, S. 287.
  9. a b Karl Heinz Roth: Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen: Der Fall Hans Joachim Beyer. In: Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Frankfurt am Main 1997, S. 315.
  10. Gerhard Paul: Flensburger Kameraden . In: Zeit Online, 1. Februar 2001
  11. Gerhard Paul: Flensburger Kameraden. In: Zeit Online, 1. Februar 2001
  12. Fritz Seelig, Hans Joachim Beyer (Bearb.): 1919 bis 1955. Quellen zur europäischen Politik. Diesterweg, Frankfurt am Main 1955 (Wege der Völker. Ausgabe E, Heft 11: Europa im Wandel). Fritz Seelig, Hans Joachim Beyer (Bearb.): Zeitgeschichte. Teil 1. Quellen zur europäischen Politik seit 1919. Diesterweg, Frankfurt am Main 1958 (Geschichtliche Quellenhefte, Heft 11A).

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