Recht Italiens

Recht Italiens

Das Recht Italiens bezeichnet die Gesamtheit gerichtlich durchsetzbarer gesellschaftlicher Normen in Italien.

Inhaltsverzeichnis

Rechtsgeschichte

Siehe auch: Römisches Recht

Rechtshistorisch gilt die Wiederentdeckung des römischen Corpus iuris civilis im 12. Jahrhundert als überragende Leistung der italienischen Rechtswissenschaft. Als wissenschaftliche Zentren dieser Zeit gelten Pavia und Bologna. In Pavia lehrte man schon um 1050 das langobardische Recht anhand des Liber Papiensis. Parallel dazu entstand etwas später in Bologna eine Rechtsschule, die anhand der Institutiones Iustiniani und des Codex Iustinianus unter Magister Pepo auf eine Beamtenlaufbahn vorbereitete. Die systematische Aufbereitung anhand der scholastischen Methode und die Lehre der wiederentdeckten Digesten durch Irnerius machten diesen zu einem der wirkmächtigsten Juristen aller Zeiten. Die Verbreitung der Lehre des Irnerius' durch die Quatuor Doctores Bulgarus, Martinus, Jacobus und Hugo machte ab den 1230er Jahren Bologno zum Zentrum der europäischen Rechtswissenschaft; zeitweise studierten bis zu 1000 Ausländer in Bologna und verbreiten die Lehre des Rechtschule von Bologna in ganz Europa. Die dritte Generation der Glossatoren bilden Johannes Bassianus, Azo und Accursius, der die bisherigen Randkommentierungen der Corpus iuris civilis – Glossen genannt – zur Glossa ordinaria zusammenfasste. Auch dem mittelalterlichen Lehnsrecht wandte sich zwischen 1150 und 1250 die wissenschaftliche Aufmerksamtkeit zu: Ergebnis dieser Beschäftigung waren die Libri feudorum, die besonders in Neapel von Carolus de Tocco und Matthaeus de Afflictis erforscht wurden.[1]

Auf Accursius und die Glossatoren folgten in Bologna die Kommentatoren. Ihre Erläuterungen des Corpus iuris erfolgten nicht mehr in Glossen an den Rändern des Originaltextes, sondern in Form fortlaufender Texte. Die wichtigsten Kommentatoren sind Cinus da Pistoia, Bartolus da Sassoferrato und Baldus de Ubaldis. Die Kommentatoren verfassten auch zahlreiche publizierte Rechtsgutachten, sog. Consilia, weshalb sich in der Literatur auch die Bezeichnung Konsiliatoren findet.[1]

Neben dem römischen Recht existierten auch zahlreiche Stadtrechte (Statuten) und ungeschrieben Rechtsregeln (consuetudines), die auf den Geschäftsverkehr der oberitalienischen Städte besser zugeschnitten waren als das römische Recht. Das römische Recht galt als ius commune hier nur subsidiär. Das früheste Statut entstand bereits im 10. Jahrhundert in Genua, 1160 das Constitutum usus in Pisa, 1216 die Consuetudines in Mailand, 1242 die Gesetze des Dogen Tiepolo und 1546 das Stadtrecht von Neapel. Das Stadtrecht wurde grundsätzlich eng ausgelegt, so dass dem römischen Recht dennoch eine wichtige Rolle zukam. Ein wichtiger Beitrag der Kommentatoren in der Geschichte des Internationalen Privatrechts war die Entwicklung des Kollisionsrechts für die Statuten: Die enge wirtschaftliche Verflechtung der oberitalienischen Städte brauchte eine Lösung bei der Kollision verschiedener Stadtrechte. Die Kommentatoren teilten deshalb die Stadtrechte in verschiedene Klassen ein, die jeweils für eine bestimmtes Sachgebiet Anwendung fanden: Die statuta personalia für das Personenrecht, die statuta personalia für unbewegliche Sachen und die statuta mixta für Vertrag und Delikt.[1]

Der Rechtsunterricht der Bologneser Schule verbreitete sich zunächst in Italien (Modena 1175, Padua 1222, Neapel 1224) und bald in ganz Europa (Salamanca 1239, Paris 1200, Oxford 1170, Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386, Köln 1388 und Erfurt 1392). Diese Verbreitung des mos italicus wird unter der Bezeichnung Rezeption des römischen Rechts verstanden.[1]

In der Zeit des Humanismus schwand der wissenschaftliche Einfluss Italiens und der Schwerpunkt der humanistischen Jurisprudenz verlagerte sich nach Bourges in Frankreich (sog. mos gallicus). In Italien verlagerte sich das juristische Schrifttum in die Auseinandersetzung mit der Praxis: In großen Monographien wurden die Gerichtsentscheidungen der Obergerichte (decisiones) und Gutachten (consilia) gesammelt, besprochen und systematisiert. Unter dem Einfluss von Giovanni Battista de Luca (Il dottor volgare, 1673) setzte sich nicht nur in Italien die Nationalsprache als Sprache der Rechtswissenschaft gegenüber dem Lateinischen durch.

Während die Führungsrolle Italiens in der Rechtswissenschaft an Frankreich und später an Deutschland verloren ging, konnte sich Italien dennoch im Handelsrecht behaupten: Als Begründer des modernen Handelsrechts gelten Benvenuto Stracca (Tractatus de mercatura et de mercatore, 1553) und Sigismondo Scaccia. Weitere wichtige Beiträge stammen von Raffaele della Torre im Wechselrecht und Giuseppe Lorenzo Maria Casaregi im Seehandelsrecht. Die Strafrechtswissenschaft begann sich zu emanzipieren und erfuhr europaweit Impulse durch Julius Clarus, Tiberio Deciani und Prospero Farinacci (Praxis et theorica criminalis). Demgegenüber fristete das Öffentliche Recht insgesamt noch ein Schattendasein; jedoch legten Niccolò Machiavelli (Il Principe) und Giovanni Botero (La Ragion die Stato) die Fundamente der modernen Staatstheorie.[1]

Im 17. und 18. Jahrhundert traten Aufklärung und Naturrecht an die Stelle des Humanismus. Zentren der Naturrechtsbewegung waren hauptsächlich die Niederlande und Deutschland. Italien blieb auf Rezeption und Kritik dieser Theorien beschränkt. Die geistige Lage im Strome der Gegenreformation verhinderte jedoch, dass die Theorien Grotius, Pufendorfs, Thomasius' und Wolffs in Italien Fuß fassen konnten.[1]

Ab der Zeit des Humanismus nahm die Gesetzgebung in ganz Europa einen zunehmend größeren Raum ein. Beispiele hierfür sind in Italien die Nouve Costitzioni del Dominio di Mailand (1541) unter Karl V. oder die Nouvi Ordini (1561) in Piemont. Die Rechtswissenschaft setzte sich auch mit diesen territorial begrenzten Normen auseinander und setzten somit den Beginn der Nationalisierung der Rechtswissenschaft in Gang. Schon vor den französischen Kodifikationen gab es Bestrebungen, die wachsende Anzahl territorialen Rechts zusammenzufassen, wie der Codice Estense (1771) und das venezianische Strafrecht von 1751 zeigen. Ab der Einführung der Cinque Codes in Frankreich, wurden diese bald auch in zahlreichen italienischen Staaten erlassen: Der Code civil 1804 in Piemont, 1805 in Parma, 1806 im Königreich Italien, 1808 in der Toskana und 1809 in Rom und Neapel. Der Code pénal trat 1810 im Königreich Italien und in Neapel in Kraft. In allen Staaten galten der Code de Procédure Civil und den Code de Commerce. Die Geltung dieser Gesetze war allerdings von kurzer Dauer: Schon bald nach dem Ende der Herrschaft Napoleons wurden sie durch eigene Gesetze und Kodifikationen ersetzt, bei denen jedoch das französische Vorbild klar erkennbar blieb.[1]

Bis zum Inkrafttreten des Codice civile 1866 blieben die regionalen Zivilgesetzbücher in Geltung. Der Codice civile war laizistisch-liberalen Charakters, wie die Einführung der obligatorischen Zivilehe zeigt. Wie der maßgeblich von Giuseppe Pisanelli erarbeitete Codice civile standen auch andere Reformen dieser Zeit unter französischem Einfluss: Ein (1882 schon wieder abgelöstes) Handelsgesetzbuch, ein Codice di procedura civile, eine Strafprozessordnung und ein Gerichtsverfassungsgesetz. Etwas später trat 1889 ein Strafgesetzbuch nach Vorarbeiten von Enrico Pessina. Die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts war in Italien wenig innovativ und stand in der ersten Hälfte unter französischem Einfluss, in der zweiten Hälfte unter dem Einfluss der deutschen Pandektenwissenschaft in der Tradition Friedrich Carl von Savignys. Als bedeutende Vertreter des Zivilrechts sind besonders Frederico Paolo Sclopis de Salerano, Carlo Fadda und Vittorio Scialoja, der Savignys System ins Italienische übersetzte (Sistema di diritto Romano attuale, 1886–1898). Die Grundlagen der modernen Prozessrechtswissenschaft in Italien legten Giuseppe Pisanelli, Stanislao Pasquale Mancini und Antonio Scialoja (Commentario al Codice di Procedura Civile degli Stati Sardi). Ludovico Barassi gilt gemeinhin als Vater des italienischen Arbeitsrechts. Im Bereich des Strafrechts sind Arturo Rocco und Vincenzo Manzini, im Bereich des öffentlichen Rechts Gian Domenico Romagnosi, Santi Romano, Vitorio Emanuele Orlando und Costantino Mortati zu nennen. In methodischer Hinsicht liegen in der Zeit des Königreichs die Ursprünge der modernen Rechtsvergleichung (besonders bei Emerico Amari) und der anthropolischen Strafrechtswissenschaft (bei Cesare Lombroso).[1]

Führende italienische Rechtswissenschaftler begrüßten den antiliberalen und antikapitalistischen italienischen Faschismus. Der neue Korporatismus fand seinen Niederschlag in der Charta der Arbeit von 1927. 1942 trat nach Vorarbeiten Vittorio Scialoja ein neuer Version des Codice civile in Kraft, der nach schweizerischem Vorbild auch das Handels- und Gesellschaftsrecht und daneben auch das Arbeitsrecht umfasste. Ideologisch gelang durch Vermittlung Emilio Bettis ein Kompromiss zwischen faschistisch-korporatistischer Reform und rein technischer Überarbeitung. Ebenfalls 1942 trat die neue Zivilprozessordnung in Kraft, die auf Arbeiten Giuseppe Chiovendas, Piero Calamandreis, Enrico Redentis und Antonio Segnis beruhte.[1]

1948 ersetzte eine neue Verfassung die (formal nie aufgehobene) Verfassung des Königreichs Italien. Nach dieser Verfassung ist Italien eine „Republica democratica fondata sul lavoro“. Das Privatrecht blieb von dieser Verfassung nicht unberührt: 1975 reformierte man das Familien- und Erbrecht des Codice civile entsprechend den Vorgaben der neuen Verfassung und beseitigte Ungleichbehandlungen von Ehegatten und unehelichen Kindern. Die Möglichkeit der Scheidung bestand bereits seit 1970. Die Bedeutung der Kodifikationen ist insgesamt gesunken. Zahlreiche Einzelgesetze wurden ihnen zur Seite gestellt. Natalino Irti nannte die Decodificazione. Die Gründe hierfür liegen im wachsenden Einfluss philosophischer und soziologischer Strömungen auf das Recht im Gefolge Norberto Bobbio.[1]

Privatrecht

Gesellschaftsrecht

Öffentliches Recht

Verfassungsrecht

Steuerrecht

Literatur

Einführung

Verfassungsrecht

  • Roberto Bin und Giovanni Pitruzzella: Diritto costituzionale. 11. Auflage. Giappichelli, Turin 2010, ISBN 978-88-348-1481-9.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j Klaus Luig: Italienische Rechtsgeschichte – eine Übersicht. In: Stefan Grundmann und Alessio Zaccaria (Hrsg.): Einführung in das italienische Recht. Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-8005-1331-4, S. 1–20.

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