Jahrestage (Roman)

Jahrestage (Roman)
Original-Verlagsumschläge der Erstdrucke

Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl ist der Titel des vierbändiges Hauptwerks von Uwe Johnson, erschienen zwischen 1970 und 1983 im Suhrkamp-Verlag.

Die Romanfolge, vor allem in Mecklenburg und New York spielend, ist tief geprägt vom Problem der deutschen Teilung. Der zeitliche Bogen des 1891 Seiten umfassenden Romans spannt sich vom Ende der Weimarer Republik (der Machtergreifung Hitlers) über die Anfänge der DDR bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

In 366 Tageseinträgen vom 21. August 1967 bis zum 20. August 1968 wird das Leben der Gesine Cresspahl erzählt, im Rückblick auch das ihrer Familie. Gesine Cresspahl ist aus der DDR geflüchtet und lebt als alleinerziehende Mutter in New York. Sie wünscht sich einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, wie ihn die Aktivisten des Prager Frühlings unter der Führung von Alexander Dubček anstreben wollten. Der Roman endet mit einem Tagebucheintrag am 20. August 1968 – dem Tag der gewaltsamen Niederschlagung der Bewegung durch die Truppen des Warschauer Pakts. Ob Gesine ihre Reise nach Prag fortsetzt, bleibt offen. Die Handlung kontrastiert Erinnerungen an die mecklenburgische Kleinstadt, in der Gesine Cresspahl aufgewachsen ist, mit dem Leben in der Metropole New York. Eine große Rolle spielt auch der Vietnamkrieg.

Stilistisches

Sprachlich erinnert der Roman in vieler Hinsicht an Thomas Mann, speziell an die Buddenbrooks und an Joseph und seine Brüder, nur ist der Stil moderner[1]  und zum Teil drastischer, aber in ähnlicher Weise stark von Ironie geprägt, die allerdings durch die Erfahrungen der deutschen Geschichte seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der kommunistischen Diktatur der DDR nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen bitteren Charakter bekommt.

Es werden in sehr eingehender Weise die Alltagsdialoge und die Alltagssprache der Akteure wiedergegeben. Dabei wird in ein und demselben vierbändigen Roman neben dem gegenwärtigen Leben der Gesine Cresspahl mit ihrer Tochter Marie in New York (1967 und 1968, vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges und des Prager Frühlings) gleichzeitig auch das Leben ihres Vaters, des Tischlermeisters Cresspahl, in Richmond bei London unmittelbar vor und während der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland, dessen Heirat mit Lisbeth Papenbrock in der fiktiven Kleinstadt „Jerichow“[2] (erkennbar der Ort Klütz zwischen Lübeck und Wismar) in Mecklenburg im beginnenden Nationalsozialismus und das Leben Gesines und ihrer Eltern in Jerichows unmittelbarer Umgebung während der NS-Zeit und der beginnenden DDR dargestellt.

Die „sprachliche Polyphonie“ ist fast noch ausgeprägter als in Thomas Manns Erstroman: Natürlich sind Uwe Johnsons Jahrestage auf Hochdeutsch verfasst, aber mit vielen Einblendungen auf Niederdeutsch, Englisch, Dänisch, Russisch und Tschechisch. Zusätzlich enthält das Werk Eigenwilligkeiten in Sprache und Grammatik, die weder der alten noch der neuen deutschen Rechtschreibung entsprechen, sondern zu den „Markenzeichen“ des Autors gehören. Gerade weil er sich über den offiziellen Regeln stehend wähnte, wirkte er „sprachprägend“. Ein typisches Beispiel für Johnsons kapriziösen Satzbau ist das Schreiben in Parataxen.

Auch in der Länge des Romans (vier Teile) konkurriert der Autor mit Thomas Mann (T. M., Josephsroman, ebenfalls vier Teile).

Erzählstrategie

Die Erzählsituation gestaltet sich wie folgt: Gesine erzählt ihrer Tochter Marie in Form von Dialogen und Tonbandaufzeichnungen die Geschichte ihrer Familie, wobei sie bis in das Jahr 1888 (Geburtsjahr ihres Vaters) zurückgreift. Auffällig ist, dass es sich hier nicht nur um eine herkömmliche Familienchronik mit Themen wie Geburt, Heirat und Tod handelt, sondern dass alle handelnden Figuren mehr oder minder in den Sog der Zeitgeschichte geraten und sich auf die eigene Art zu behaupten versuchen.

Johnson betrachtet die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts immer auch „von unten“, indem er das Schicksal des "kleinen Mannes" im Schatten der großen machtpolitischen Ereignisse mitthematisiert.

Gleichzeitig wird chronikartig Gesines Leben in New York von Tag zu Tag erzählt. Jedem Tageseintrag sind einige Zitate aus der New York Times vorangestellt.

Die zwei großen Handlungsebenen „New York“ und „Deutschland“ wechseln sprunghaft, nicht selten sogar von einem Satz auf den nächsten, sodass es für den Leser anfangs nicht immer leicht ist, die Orientierung zu behalten. Häufig geht ein solcher Wechsel vor sich, indem Gesine sich in der New Yorker Gegenwart aufgrund von Assoziationen, die aus ihrem Alltag oder aus der Lektüre der New York Times herrühren, an Ereignisse aus ihrer Vergangenheit erinnert. Jedoch ist der Roman derart komplex aufgebaut, dass die Erzählsituation zwischen Mutter und Tochter zurückzutreten scheint hinter dem Versuch des Autors, Gesines gesamtes Bewusstsein darzustellen.

So wie sich daher die unterschiedlichsten Erfahrungs-, Berichts- und Erinnerungsebenen ineinandermischen, reihen sich auch Gedachtes (z. B. Gespräche mit Toten) wie tatsächlich Gesprochenes und auch Schriftdokumente scheinbar nahtlos in einen Erzähltext ein, der sowohl mit der auktorialen als auch mit der personalen Erzählperspektive spielt. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch Johnsons eigensinniges Spiel mit der Erzähleridentität, indem suggeriert wird, dass er selbst und seine Figur Gesine im Dialog miteinander stehen und das vorliegende Werk gemeinsam produziert haben. Er tritt ein in die Romanfiktion als „Genosse Schriftsteller“ und erklärt, er handle in Gesines Auftrag.

Verfilmung

Siehe auch

  • Mutmassungen über Jakob, einen Roman über den Vater von Marie, der auf dramatische, nicht ganz durchsichtige Weise ums Leben kommt. Johnson schrieb diesen ebenfalls vor dem Hintergrund der deutschen Teilung.

Literatur

  • Michael Bengel (Hrsg.): Johnsons 'Jahrestage'. Suhrkamp Taschenbuch Materialien, Frankfurt: Suhrkamp 1985. ISBN 3-518-38557-7
  • Sarah Till: Erzählen gegen das Vergessen. Über die erzählende Reflexion von Geschichte in Uwe Johnsons "Jahrestage" und Einar Schleefs "Gertrud". Grin 2009 ISBN 978-3640321841

Weblinks

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. Johnsons direkte Einfluesse und Paten sind u. a. im nouveau roman und bei Schriftstellern wie William Faulkner, James Joyce, Bert Brecht und Alfred Döblin zu suchen.
  2. nicht zu verwechseln mit dem realen Jerichow bei Magdeburg
  3. Ausführliche Vorstellung des Filmes von Margarethe von Trotta auf monstersandcritics.de

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