Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition

Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition
Julius von Payer (li.) mit Carl Weyprecht (re.) auf der Titelseite des "Illustrierten Wiener Extrablattes" am 25. September 1874

Die Österreichisch-Ungarische Nordpolarexpedition (von Julius Payer Österreich-Ungarische Nordpolexpedition und volkstümlich auch Payer-Weyprecht-Expedition bezeichnet) startete 1872 unter der Leitung von Carl Weyprecht und Julius Payer und endete 1874. Sie wurde auf Initiative und mit finanzieller Förderung von Hans Graf Wilczek durchgeführt, um das Nördliche Eismeer näher zu erkunden. Zu den weiteren Finanziers gehörte Friedrich Schey von Koromla. Die Besatzung der Expedition wurde aus ganz Österreich-Ungarn rekrutiert, speziell aber aus Istrien und Dalmatien.

Inhaltsverzeichnis

Verlauf der Reise

Die S/X Admiral Tegetthoff vom Eis besetzt

Das Expeditionsschiff S/X Admiral Tegetthoff war ein Segelschiff mit Hilfsmotor und verließ mit einer 24-köpfigen Besatzung im Juli 1872 den norwegischen Hafen Tromsø. Ende August blieb es nördlich von Nowaja Semlja auf 79°51′ im Eis stecken und wurde in bis dato nur Robbenjägern und Walfängern bekannte Polarregionen abgetrieben. Auf dieser Drift entdeckte die Expedition am 30. August 1873 die nur bei einigen norwegischen Fischern als Rönnebeck-Land bekannte Inselgruppe, die sie nach Kaiser Franz Joseph I.Franz-Joseph-Land“ benannte; die erste Insel, die die Expedition betrat, benannte sie nach ihrem Sponsor Graf Wilczek Wilczek-Insel. Die Forscher unternahmen auf der Inselgruppe zahlreiche Schlittenreisen und Expeditionen zu Fuß, um das Gebiet zu kartieren. Zwei Winter verbrachten die Expeditionsteilnehmer an Bord des eingeschlossenen Schiffes.

Im Frühjahr 1874 beschloss die Expeditionsleitung, das Schiff im Packeis zurückzulassen. Während die übrige Mannschaft an Bord ausharrte, machte sich Payer mit einigen Begleitern auf den Weg nach Norden, um den 82. Breitengrad zu erreichen und den fast 50 Jahre alten Rekord des britischen Polarforschers James Clark Ross zu brechen, der diesen bisher als einziger erreicht hatte. Nach einem Marsch von 17 Tagen erreichten Payer und seine Begleiter Schiffsfähnrich Eduard Orel und Matrose Antonio Zaninovich am 12. April 1874 den nördlichsten Punkt des Archipels auf 82°50′ nördlicher Breite und nannten ihn Kap Fligely. Dann hatten sie 300 km Rückweg zum Schiff zu bewältigen. (Payer hat auf der Inselgruppe mehr als 800 km zurückgelegt.)

Wenige Tage nach Payers Rückkehr verließ die Expedition am 20. Mai die Tegetthoff und begann auf Schlitten und Booten den Rückweg über das Eis. Fünf der Boote wurden auf Schlitten verpackt. Alle Instrumente, alle Aufzeichnungen, die Weyprecht und seine Offiziere während des zweijährigen Aufenthaltes im Eis anfertigten, wurden wasser- und stoßsicher verpackt. Die Schlitten wurden über die von unzähligen Blöcken, Höckern, Rissen und Spalten zerfurchte Eis- und Schneewildnis gezogen, um nach Wochen festzustellen, dass durch ungünstige Winde aus Süden eine Norddrift die Eismassen und mit ihnen die ermattete Mannschaft wieder zurückgetragen hatte. So befanden sie sich am 15. Juli wieder fast auf Höhe des verlassenen Schiffes und konnten dieses sogar sehen. Einige wollten in ihrer Panik und Verzweiflung wieder zurück an Bord, um mit dem Leben abzuschließen. Weyprecht schaffte es jedoch, mit der Bibel in der Hand, die ausgelaugte, hungernde und demoralisierte Mannschaft zum rettenden Weitermarsch in Richtung Süden zu bewegen. Diese Szene hielt Payer später in dem monumentalen Ölgemälde „Nie zurück!“, welches sich heute im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien befindet, fest.

Nie zurück! (Heeresgeschichtliches Museum Wien)

Nach einem Monat Marsch in südlicher Richtung, die Eisdrift hörte in der Zwischenzeit auf, erreichte die Expedition am 14. August 1874 schließlich wieder das offene Meer. Dazu kam eine gehörige Portion Glück, denn die Eisgrenze war in diesem Jahr weit nach Norden gewandert. Nach sechs Tagen des Ruderns wurden sie von zwei russischen Transchonern, die an der Küste von Nowaja Semlja in der Mündung des Puhova-Flusses mit Lachsfischerei und Rentierjagd beschäftigt waren, an Bord genommen und nach zähen Verhandlungen (die Fischer sollten drei Boote, zwei Lefaucheux-Gewehre und 1200 Silberrubel erhalten) zum norwegischen Hafen Vardø gebracht.

Am 25. September 1874 kam das Expeditionsteam, das durch Krankheit und Tod nur ein Mitglied, Otto Krisch, verloren hatte, in Wien auf dem Nordbahnhof an und wurde auf der Fahrt ins Stadtzentrum bejubelt: Nur Schritt für Schritt konnten die Wagen vorwärts aus dem Nordbahnhofe […] gelangen. […] Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn man annimmt, daß eine Viertelmillion Menschen an dem Empfang theilnahm.[1]

Julius Payer wurde in der Folge von Kaiser Franz Joseph I. in den erblichen Adelsstand erhoben.

Späte Ankunft der Flaschenpost

Carl Weyprecht schrieb 1874, als er die Mannschaft zum durchhalten bewegte eine Flaschenpost, in der er die Ereignisse beschrieb, und übergab sie auch zu diesem Zeitpunkt dem Meer. Diese Flasche wurde 104 Jahre später, im Jahr 1978 von einem russischen Forscher, Wladimir Serow, auf der Insel Lamont im Franz-Josefs-Land gefunden. Sie kam auf diplomatischen Weg im Jahr 1980 nach Wien und befindet sich heute im Besitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.[2][3]

Bedeutung der Entdeckung

Kap Tegetthoff auf der von der Österreich-Ungarischen Nordpolexpedition entdeckten Insel Ostrow Gallja (Hall-Insel)

Die Landentdeckung und die Erfahrungen der Expedition waren ein wesentlicher Beitrag zur Polarforschung, besonders zur Entdeckung der Nordostpassage durch Adolf Erik Nordenskiöld. Sie gaben auch den Anstoß zu den Internationalen Polarjahren. Damit wurde der Weg vom sportlichen Wettlauf einzelner Expeditionen zu weltweiter wissenschaftlicher Zusammenarbeit bei der Erforschung der Polargebiete gewiesen. Des Weiteren hatten Payer/Weyprecht mit Kap Fligely den nördlichsten Punkt Eurasiens erstmals betreten und mit ihrer Expedition die Theorie vom eisfreien Nordpolarmeer widerlegt.

Die wissenschaftlichen Resultate der Nordpolexpedition (meteorologische, astronomische, geodätische, magnetische und Polarlichtbeobachtungen sowie zoologische Ergebnisse) wurden 1878 in einer Denkschrift der Akademie der Wissenschaften veröffentlicht. Darüber hinaus verfasste Julius Payer das Werk österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition in den Jahren 1872–74, erschienen 1876, und schuf Gemälde, die einzigen, die je ein Polarforscher selbst von seiner Expedition gemalt hat. Das bekannteste ist das Bild „Nie zurück!“; es zeigt, wie die Matrosen von den Expeditionsleitern nach Beginn des äußerst mühsamen Rückmarsches davon abgehalten wurden, zum verlassenen Schiff zurückzukehren.

Literarisch verarbeitet wurde die Expedition in Christoph Ransmayrs 1984 erschienenem Roman Die Schrecken des Eises und der Finsternis.

Museale Rezeption

Im Marinesaal des Wiener Heeresgeschichtlichen Museums ist Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition im Detail dokumentiert. Zu sehen sind u. a. zahlreiche Gemälde von Julius Payer, darunter das Monumentalgemälde „Nie zurück“, das die Dramatik der Situation widerspiegelt, als die Besatzung auf das im Eis eingeschlossene Schiff zurückwollte, was den sicheren Tod bedeutet hätte. Weiters sind Schiffsmodelle ausgestellt, die im Zusammenhang mit der Expedition stehen und die berühmte „Schlange“ des Julius von Payer. Es handelt sich dabei um Reflexionen, die Payer kurz vor seinem Tod zu Papier brachte und die über sein Leben berichten. Die Zettel wurden später aneinandergeklebt und ergaben insgesamt 24 Rollen, die mit der Bezeichnung „Die Schlange“ versehen wurden. Mehrere Fotografien veranschaulichen zusätzlich das Geschehen und runden die Ausstellung ab.[4]

Ehrungen

In Wien erinnern die Nordpolstraße im 2. Bezirk Leopoldstadt, die Payergasse und die Weyprechtgasse im 16. Bezirk Ottakring sowie die Julius-Payer-Gasse im 22. Bezirk Donaustadt an die Expedition. Auch in Mödling bestehen eine Pajergasse und eine Weyprechtgasse. Im 14. Bezirk befindet sich auch die Vega-Payer-Weyprecht-Kaserne des Bundesheeres.

In Graz gibt es eine Payer-Weyprecht-Straße.

Franz Magenschein beschilderte sein am Kaiserwasser, einem Donau-Altarm, gelegenes Wirtshaus, von dem aus man den Ruderern auf der Alten Donau zuschauen konnte, 1874 zu Ehren der Polarforscher Franz-Josefs-Land; 1876 wurde auch der umliegende, heute nicht mehr bestehende Auwald an der Kagraner Reichsstraße (der heutigen Wagramer Straße), in dem das Wirtshaus zum Nordpol lag, so benannt und entwickelte sich zu einem „kleinen Prater[5].

Auch in Wr. Neustadt gibt es eine Weyprechtgasse und eine quer dazu verlaufende Krischgasse.

Einzelnachweise

  1. Tageszeitung Neue Freie Presse, Wien, 26. September 1874, zitiert nach Ransmayr, a.a.O., S. 254
  2. Carl Weyprecht-Ausstellung abgerufen am 5. November 2011
  3. Weyprecht Ausstellung Flyer zum 125. Jahrestag Weyprechts von 2006 abgerufen am 5. Oktober 2011
  4. Manfried Rauchensteiner, Manfred Litscher (Hg.): Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien. Graz, Wien 2000 S. 89.
  5. Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Band 2, Kremayr & Scheriau, Wien 1993, ISBN 3-218-00544-2, S. 369; Abbildung von Magenscheins Gastwirtschaft in: Edith Mühlbauer, Mathilde Lengheim, Josef Stupka: Bezirksmuseum Donaustadt, Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 3 / 2005, Hrsg. Verein für Geschichte der Stadt Wien, Wien 2005, S. 25

Literatur

  • Julius Payer: Die österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition in den Jahren 1872–1874, nebst einer Skizze der zweiten deutschen Nordpol-Expedition 1869–1870 und der Polar-Expedition von 1871. Mit 146 Illustrationen (Holzstichen) und 3 (gefalteten) Karten. Hölder, Wien 1876. CIV, 696 S.
  • Andreas Pöschek: Geheimnis Nordpol. Die Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition 1872–1874, Wien 1999 (als PDF zum Herunterladen)
  • Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Christian Brandstätter Verlag, Wien 1984, ISBN 3-596-25419-1
  • Christoph Höbenreich: Expedition Franz Josef Land. In der Spur der Entdecker nach Norden, Expeditionsbildband über die Payer-Weyprecht-Gedächtnisexpedition 2005, die österreichisch-ungarische Nordpolarexpedition 1872–1874, die Polarreise des Eisbrechers Kapitan Dranitsyn 2006 und einer umfassenden Expeditionschronik; Verlag Frederking-Thaler, 2007, ISBN 978-3-89405-499-1
  • Ursula Rack: Sozialhistorische Studie zur Polarforschung anhand von deutschen und österreich-ungarischen Polarexpeditionen zwischen 1868-1939, in: Berichte zur Polar- und Meeresforschung, Vol. 618, Bremerhaven 2010.

Dokumentation


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