Rastatter Prozesse

Rastatter Prozesse

Die Rastatter Prozesse waren etwa 20 große Strafverfahren mit zusammen mehr als 2000 Angeklagten, die zwischen 1946 und 1954 in der französischen Besatzungszone auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 gegen Verantwortliche des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus durchgeführt wurden.

Inhaltsverzeichnis

Das Gericht

Gerichtssaal im Schloss Rastatt während der Eröffnung der Verhandlung zu einem Kriegsverbrecherprozess 1946

Die französische Militärverwaltung (Gouvernement Militaire français) richtete am 2. März 1946 in Rastatt ein Tribunal Général ein, das auf Grund seiner Statuten zugleich als erstinstanzliches Gericht, Berufungsgericht, Kassationshof und Internationaler Gerichtshof für den gesamten Bereich der französischen Besatzungszone fungierte. Es hatte diese Funktion bis zur feierlichen Schließung am 5. März 1956 inne.[1]

Solange die französische Besatzungszone dem Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) unterstand, wurden die Gerichtshöfe noch mit Offizieren der alliierten Nationen besetzt. Nachdem gemäß Berliner Erklärung vom 5. Juli 1945 Frankreich die Verwaltungshoheit von den britischen und amerikanischen Alliierten übernommen hatte, war der Gerichtshof ausschließlich mit französischen Richtern besetzt, die von der Militärverwaltung der Besatzungszone ernannt wurden. Die Verteidigung übernahmen überwiegend deutsche Rechtsanwälte, unter ihnen Otto Kranzbühler. Die Angeklagten hatten das Recht, sich auch von französischen Anwälten verteidigen zu lassen, wovon beispielsweise Kranzbühlers Mandant Hermann Röchling Gebrauch machte.[2]

Die Prozesse

Die Angeklagten im Kriegsverbrecherprozess in Rastatt, Dezember 1946

Die Kammern des Rastatter Gerichts (Tribunal Général, Tribunal Supérieur) verhandelten Anklagen wegen Kriegsverbrechen, wegen Verbrechens gegen den Frieden und Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Verhandelt wurden unter anderem:

Bedeutung

Die Rastatter Prozesse erfassten die Verbrechen an Fremdarbeitern und Gefangenen in etlichen der kleineren Lager des nationalsozialistischen Lagersystems vor allem in Südwestdeutschland, die von anderen Gerichtshöfen der Alliierten nicht behandelt wurden. "Klassische" Kriegsverbrechen wurden demgegenüber praktisch kaum behandelt, so dass die Bezeichnung Kriegsverbrecherprozess eigentlich nicht gerechtfertigt ist[11]. Die Verfahrensweise der französischen Richter nahm Impulse aus den zuvor im amerikanischen Sektor bereits abgeschlossenen Dachauer Prozesse auf[12]. Die Prozessführung war Ausdruck der politik- und sozialwissenschaftlich gestützten Überzeugung, dass die historische Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen nicht nur bei einer kleinen Clique ideologischer Überzeugungstäter, sondern darüber hinaus bei breiten gesellschaftlichen Trägergruppen lag, insbesondere bei den nationalsozialistischen Funktionseliten.

Die Rastatter Prozesse wurden von der Wissenschaft bisher weitgehend vernachlässigt[13], was möglicherweise auf die 100jährige Sperrfrist für französische Militärprozessakten zurückzuführen ist. Die in den Archives de l´Occupation française en Allemagne et en Autriche des französischen Außenministeriums in Colmar vorhandenen Prozessakten waren 1999 noch ungeordnet und für eine wissenschaftliche Analyse nicht erschlossen[14]. Wesentliche Quellen sind bisher lediglich die zeitgenössischen Berichte der Tageszeitungen oder Hinweise von Zeitzeugen. Im Bundesarchiv in Koblenz befindet sich nur ein geringer Bestand mit lediglich 30 Zentimetern Schriftgut zum Rastatter Geschehen[15]. 2011 erhielt das Kreisarchiv Rastatt insgesamt 23 Leitzordner mit Prozessunterlagen als Teilnachlass der Juristin Helga Stödter, die als junge Frau von 1946 bis 1950 (unter ihrem Familiennamen Helga Kloninger) als Pflichtstrafverteidigerin in 295 Fällen am Tribunal Général tätig war[16].

Literatur

Einzelnachweise

  1. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 13-29
  2. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 33-38
  3. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 155-164
  4. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 181-209
  5. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 210-212
  6. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 167-170
  7. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 171-180
  8. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 51-55
  9. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 271-277
  10. Pendaries (1995): Les Procès de Rastatt (1946-1954), S. 278-290
  11. Moisel (2006): Résistance und Repressalien, S. 264-265
  12. Thalhofer (2007): Dachau in Rastatt, S. 203-205
  13. Priemel (2007): Rezension zu: Weinke, Annette: Die Nürnberger Prozesse München 2006
  14. Thalhofer (2007): Dachau in Rastatt, S. 205-206
  15. Bundesarchiv: Französische Prozesse in Deutschland (zuletzt geprüft am 9. Oktober 2011)
  16. Landkreis Rastatt: „Wissenschaftliche Sensation“ – Kreisarchiv erhält Unterlagen zu den Rastatter Kriegsverbrecherprozessen (zuletzt geprüft am 9. Oktober 2011)

Weblinks


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