Ravensbrück-Prozesse

Ravensbrück-Prozesse
Richtertisch im 1. Ravensbrück-Prozess (1947)
Angeklagte im 1. Ravensbrück-Prozess (1947)

Die Ravensbrück-Prozesse umfassen eine Reihe von Gerichtsverfahren, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges unter britischer und französischer Gerichtsbarkeit eröffnet wurden. Angeklagt waren Angehörige aus dem Lagerpersonal des Konzentrationslagers Ravensbrück. Dieses ist als das große Frauenlager der Nationalsozialisten bekannt, in Ravensbrück wurden aber auch Männer und Jungen inhaftiert und ermordet. Ein weiterer Prozess um das KZ Ravensbrück fand 1966 vor dem Bezirksgericht Rostock in der DDR statt.

Inhaltsverzeichnis

Die Prozesse unter britischer Gerichtsbarkeit

Die britischen Behörden führten in ihrer Besatzungszone im vormaligen Deutschen Reich sieben Ravensbrück-Verfahren durch. Hierzu wurde ein Militärgericht eingerichtet. Als Richter wurden zwischen drei und fünf britische Offiziere berufen, denen ein Justitiar assistierte. Der Kreis der Angeklagten setzte sich aus allen Rangstufen des Lagerpersonals zusammen: Lagerführer, Ärzte, Aufseherinnen und Aufseher und auch ehemalige Gefangene, die andere Häftlinge misshandelt hatten. Insgesamt wurden 38 Personen vor Gericht gestellt, unter ihnen 21 Frauen.

Alle Prozesse fanden im Hamburger Curiohaus im Rahmen der Curiohaus-Prozesse statt.

Erster Ravensbrück-Prozess

Dauer: 5. Dezember 1946 bis 3. Februar 1947

Den Tatkomplex des Verfahrens bildeten Kriegsverbrechen, Misshandlungen und Mord an Häftlingen, wobei Straftaten gegen deutsche Staatsangehörige in diesem Verfahren nicht berücksichtigt wurden. Den Vorsitz führte der Major-General Westropp, dem fünf beisitzende Offiziere der British Army sowie ein polnischer Major zur Seite standen. Die Anklage führte Major Stewart und als Justiziar war ein Mister Stirling anwesend. Die Angeklagten hatten Strafverteidiger ihrer Wahl zur Verfügung. Bei dem ersten Ravensbrück-Prozess waren offizielle Prozessbeobachter aus zehn Nationen, Presseberichterstatter und Vertreter der deutschen Justiz anwesend. Insgesamt mussten sich 16 Angeklagte vor Gericht verantworten, die allesamt bei Prozessbeginn auf "nicht schuldig" plädierten.[1]

Angeklagte(r) Funktion im Lager Urteil
Johann Schwarzhuber Schutzhaftlagerführer, Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück Tod durch den Strang
Gustav Binder stellvertretender Betriebsleiter der Texled GmbH Tod durch den Strang
Heinrich Peters Kompanieführer des SS-Wachbattalions 15 Jahre Haft, freigelassen am 18. Mai 1955
Ludwig Ramdohr Kriminalsekretär, Leiter des Vernehmungsdienstes in der Politische Abteilung (KZ) Tod durch den Strang
Martin Hellinger Zahnarzt 15 Jahre Haft, am 14. Mai 1955 freigelassen
Rolf Rosenthal SS-Standortarzt Tod durch den Strang
Gerhard Schiedlausky SS-Standortarzt Tod durch den Strang
Percival Treite SS-Standortarzt Tod durch den Strang, verübte am 8. April 1947 Suizid
Adolf Winkelmann SS-Standortarzt starb während des Prozesses am 1. Februar 1947
Dorothea Binz Weibliches Gefolge der Waffen-SS, Stellvertretende Oberaufseherin und Leiterin des Zellenbaus Tod durch den Strang
Grete Bösel Weibliches Gefolge der Waffen-SS, Arbeitsdienstführerin im Arbeitseinsatzbüro Tod durch den Strang
Margarete Mewes Weibliches Gefolge der Waffen-SS, Leiterin des Zellenbaus 10 Jahre Haft, am 26. Februar 1952 freigelassen
Elisabeth Marschall Oberschwester, NS-Reichsbund deutscher Schwestern Tod durch den Strang
Carmen Mory KZ-Gefangene, Blockälteste im Krankenrevier, Häftlingsspitzel für die Politische Abteilung, Vernehmungsdienst [2] Tod durch den Strang; verübte am 9. April 1947 Suizid
Vera Salvequart KZ-Gefangene, Häftlingskrankenschwester im Sterbe- und Selektionslager Uckermark Tod durch den Strang, hingerichtet am 2. Juni 1947
Eugenia von Skene KZ-Gefangene, Blockälteste im Siemens-Lager und Lagerläuferin des Arbeitseinsatzbüros 10 Jahre Haft, am 21. September 1951 freigelassen.

Alle zum Tode Verurteilten – ausgenommen Vera Salvequart, Carmen Mory und Percy Treite – wurden zwischen dem 2. und 3. Mai 1947 in Hameln von Albert Pierrepoint gehängt.

Zwei weitere Angeklagte, Lagerkommandant Fritz Suhren und Arbeitsführer Hans Pflaum, waren vor Prozessbeginn aus der Haft geflohen und mit Hilfe falscher Namen untergetaucht. Sie wurden jedoch 1949 erneut verhaftet und den französischen Besatzungsbehörden übergeben, die in Rastatt einen weiteren Ravensbrück-Prozess eröffnet hatten. Beide Angeklagten wurden dort zum Tode verurteilt und am 12. Juni 1950 erschossen.

Zweiter Ravensbrück-Prozess

Dauer: 5. November bis 27. November 1947

In diesem Verfahren wurde nur gegen einen Angeklagten verhandelt. Es handelte sich um Friedrich Opitz, dem die Fabrik innerhalb des Lagers unterstand. Vor Beginn des ersten Ravensbrück-Prozesses war Opitz die Flucht gelungen.

Angeklagte(r) Funktion im Lager Urteil
Friedrich Opitz Werksleiter der Texled GmbH Tod durch den Strang, hingerichtet am 26. Februar 1948

Dritter Ravensbrück-Prozess

Dauer: 14. April bis 27. April 1948 (auch Uckermark-Prozess genannt)

Verhandelt wurde gegen fünf weibliche Lagerverantwortliche des Vernichtungslagers KZ Uckermark wegen folgender Anklagepunkte:

  • Misshandlung alliierter Häftlinge
  • Teilnahme an der Selektion alliierter Häftlinge für die Gaskammer dieser beiden Lager

Nur etwa anderthalb Kilometer entfernt vom Lager Ravensbrück befand sich das Lager Uckermark. Seit seiner Eröffnung im Mai 1942 wurden darin Mädchen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren inhaftiert. Sie galten als kriminell oder schwer erziehbar. Mit Überschreiten der Altersgrenze von 21 Jahren wurden die Häftlinge nach Ravensbrück gebracht. Beide Lager standen unter einheitlicher Verwaltung. Seit Januar 1945 wurden in Uckermark keine Jugendliche mehr inhaftiert. Doch in der Folgezeit diente die Infrastruktur des Lagers noch zur Ermordung kranker, nicht mehr arbeitsfähiger Frauen, die älter als 52 Jahre waren.

Angeklagte(r) Funktion im Lager Urteil
Lotte Toberentz Leiterin des Jugendlagers freigesprochen
Johanna Braach stellvertretende Leiterin des Jugendlagers freigesprochen
Elfriede Mohneke Aufseherin im Vernichtungslager 10 Jahre Haft, am 14. Juni 1952 freigelassen
Margarete Rabe Aufseherin im Vernichtungslager lebenslange Haft, 1950 in eine 21-jährige Haftstrafe umgewandelt, freigelassen am 16. Juni 1959
Ruth Neudeck Oberaufseherin des Vernichtungslagers Tod durch den Strang, am 29. Juli 1948 hingerichtet

Braach und Toberentz wurden freigesprochen, weil während ihrer Tätigkeit in Uckermark nur das Jugendlager für deutsche Gefangene bestand, in dem keine Frauen alliierter Nationalität inhaftiert waren. Das Schicksal der deutschen Häftlinge war nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Vierter Ravensbrück-Prozess

Dauer: Mai bis 8. Juni 1948

Alle Angeklagten gehörten zum medizinischen Personal des KZ Ravensbrück, darunter eine Gefangene, die als Krankenschwester eingesetzt wurde. Die Anklage konzentrierte sich auf Misshandlungen, Folter und Ermordung alliierter Häftlinge in den Gaskammern.

Angeklagte(r) Funktion im Lager Urteil
Benno Orendi Lagerarzt unter Percy Treite Tod durch den Strang, hingerichtet am 17. September 1948
Walter Sonntag Zahnarzt Tod durch den Strang, hingerichtet am 17. September 1948
Martha Haake Krankenschwester 10 Jahre Haft, am 1. Januar 1951 aus gesundheitlichen Gründen entlassen.
Liesbeth Krzok Krankenschwester 4 Jahre Haft; am 3. Februar 1951 freigelassen
Gerda Ganzer Lagerinsassin und Krankenschwester Tod durch den Strang, in Haftstrafe umgewandelt

Ganzer war schon vor einem russischen Militärgericht angeklagt und freigesprochen worden. Das nunmehr über sie verhängte Todesurteil wurde später in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt, die man schließlich bis auf 12 Jahre verminderte. Am 6. Juli 1961 wurde sie aus der Haft entlassen.

Fünfter Ravensbrück-Prozess

Dauer: 16. Juni bis 29. Juni 1948; Urteilsverkündung am 15. Juli 1948.

Angeklagt waren drei Mitglieder der SS, denen zu Last gelegt wurde, Häftlinge ermordet zu haben.

Angeklagte(r) Funktion im Lager Urteil
Arthur Conrad SS-Aufseher Tod durch den Strang, hingerichtet am 17. September 1948
Heinrich Schäfer SS-Aufseher 2 Jahre Haft, am 28. Oktober 1949 freigelassen
Walter Schenk SS-Aufseher 20 Jahre Haft, am 3. August 1954 freigelassen

Sechster Ravensbrück-Prozess

Dauer: 1. Juli bis 26. Juli 1948

Den beiden Angeklagten wurde die Misshandlung alliierter Häftlinge im KZ Ravensbrück zur Last gelegt.

Angeklagte(r) Funktion im Lager Urteil
Kurt Lauer SS-Aufseher 15 Jahre Haft, am 7. Mai 1955 freigelassen
Kurt Rauxloh SS-Aufseher 10 Jahre Haft, am 26. September 1954 aus gesundheitlichen Gründen freigelassen

Siebter Ravensbrück-Prozess

Dauer: 2. Juli bis 21. Juli 1948

In diesem letzten Verfahren wurden sechs Aufseherinnen angeklagt, und zwar wegen der Misshandlung alliierter Häftlinge und Selektionen von Gefangenen für die Gaskammer.

Angeklagte(r) Funktion im Lager Urteil
Luise Brunner Oberaufseherin 3 Jahre Haft
Anna Friederike Mathilde Klein Oberaufseherin Freispruch wegen Mangels an Beweisen
Emma Zimmer Oberaufseherin Tod durch den Strang, hingerichtet am 20. September 1948
Christine Holthöwer Aufseherin Freispruch wegen Mangels an Beweisen
Ida Schreiter Aufseherin Tod durch den Strang, hingerichtet am 20. September 1948
Ilse Vettermann Aufseherin 12 Jahre Haft

Die Prozesse unter französischer Gerichtsbarkeit

Die Angeklagten im Kriegsverbrecherprozess in Rastatt, Dezember 1946

1949 bis 1950 fanden Prozesse gegen Angehörige des Lagerpersonals vor dem französischen Militärgericht in Rastatt statt.

Am 10. März 1950 verurteilte das Gericht den ehemaligen Lagerkommandanten Fritz Suhren und den Arbeitseinsatzleiter Hans Pflaum zum Tode. Beide hatten ursprünglich im ersten britischen Ravensbrück-Prozess angeklagt werden sollen. Ihnen gelang jedoch am 16. November 1946 die Flucht aus dem britischen Internierungslager im ehemaligen KZ Neuengamme. Nach ihrer erneuten Festnahme im März 1949 wurden sie von den Amerikanern an die Franzosen ausgeliefert und in Rastatt wegen vielfachen Mordes vor ein Militärgericht gestellt und am 10. März 1950 zum Tode verurteilt. Das am 13. Mai 1950 bestätigte Urteil wurde am 12. Juni 1950 durch Erschießen von Pflaum und Suhren vollstreckt.

Literatur

  • Anette Kretzer: NS-Täterschaft und Geschlecht. Der erste britische Ravensbrück-Prozess 1946/47 in Hamburg, Metropol, Berlin, 2009, ISBN 978-3-940938-17-6; Rezension dazu: hsozkult, Kommunikation und Fachinformation für die Geschichtswissenschaften, [1]
  • Angelika Ebbinghaus: Opfer und Täterinnen. Frauenbiographien des Nationalsozialismus. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-596-13094-8.
  • Silke Schäfer: Zum Selbstverständnis von Frauen im Konzentrationslager. Das Lager Ravensbrück. Berlin 2002 (Dissertation als pdf)

Weblinks

Referenzen

  1. vgl. Claudia Taake: Angeklagt: SS-Frauen vor Gericht Universität Oldenburg 1998, S. 70ff.
  2.  : vgl. Caterina Abbati: Ich, Carmen Mory. Das Leben einer Berner Arzttochter und Gestapo-Agentin (1906-1947). Chronos, Zürich 1999, S. 175:

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