- Reinhardskirche (Bad Nauheim)
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Die Reinhardskirche in Bad Nauheim wurde in den Jahren 1731-1733 als Kirche für die lutherische Minderheit im Amt Dorheim der überwiegend reformierten Grafschaft Hanau-Münzenberg errichtet. Heute dient sie als russisch-orthodoxe Kirche von Bad Nauheim.
Inhaltsverzeichnis
Lutherische Kirche
Religionspolitischer Hintergrund
Die Kirche verdankt ihre Entstehung der Bikonfessionalität der deutschen Reformation, insbesondere in der Grafschaft Hanau-Münzenberg. Die Grafschaft war seit der Regierung des Grafen Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg reformiert. Als die Grafen von Hanau-Münzenberg 1642 ausstarben, fiel ihr Erbe an den lutherische Grafen Friedrich Casimir von Hanau-Lichtenberg. Dadurch wurde die Grafschaft innerhalb einiger Jahrzehnte faktisch bikonfessionell. Graf Friedrich Casimir und seine Nachfolger förderten die lutherischen Gemeinden in der Grafschaft Hanau-Münzenberg gegen die weiter bestehende reformierte Mehrheit ihrer Untertanen.
Kirchengebäude
Architekt der Kirche war der gräfliche Baumeister Christian Ludwig Hermann. Vorbild war die vom selben Architekten errichtete, allerdings größere Reinhardskirche in Steinau an der Straße. Der Grundstein wurde – nach Vorarbeiten schon im Jahr 1731 – im April 1732 gelegt. Die Reinhardskirche in Bad Nauheim ist ein kleiner Saalbau mit abgerundeten Ecken und Rundbogenfenstern mit gotisierendem, sehr einfach gehaltenen Maßwerk. Der Glockenturm steht an der westlichen Schmalseite und bekrönt zugleich den Haupteingang, über dem sich bis heute das Wappen der Grafen von Hanau befindet. Altar und Kanzel waren wohl ursprünglich an der Ostwand der Kirche angeordnet. Am 4. Oktober 1733 wurde die Kirche in Anwesenheit des Landesherren, des Grafen Johann Reinhard III., eingeweiht.
Pfarrer
Überliefert sind die Namen der lutherischen Pfarrer an der Reinhardskirche von ihrer Erbauung bis zur Auflösung der Bikonfessionalität in der Hanauer Union. Dies waren: Johann Philipp Oberndorfer bis 1735, Johann Philipp Mehrling bis 1738, Johann Ludwig Reinhard Handwerck bis 1743, Johann Philipp Koch bis 1758, Johann Georg Reussner bis 1762, Philipp Christoph Laupus bis 1789, Pflüger bis 1792, Vulpius bis 1797, Johann Peter Emmel bis 1800, Adolf Müller bis 1804.
Reinhardskirche
Nachdem die Hanauer Union 1818 die beiden konfessionsunterschiedlichen evangelischen Gemeinden auch in Nauheim vereinigt hatte, wurde, der konfessionelle Unterschied war ja weggefallen, die ehemals „Lutherische Kirche“ jetzt in „Reinhardskirche“ (nach dem Bauförderer Graf Johann Reinhard) umbenannt, ein in der ehemaligen Grafschaft Hanau-Münzenberg damals übliches Verfahren. Ab 1824/25 wurde die Kirche als Ort für Gottesdienste aufgegeben. 1828/30 bestand bei der Regierung in Hanau sogar die Absicht, die Kirche abzureißen und im nahen Schwalheim wiederaufbauen zu lassen. 1836 wurde sie unter Benutzung alter Fenster der Wilhelmskirche jedoch notdürftig instandgesetzt, um vorübergehend während der Dauer von Bauarbeiten in der Wilhelmskirche wieder benutzt zu werden. Danach stand sie bis 1866 leer.
Römisch-Katholische Kirche
1866 verfügte die Regierung des Kurfürstentums Hessen-Kassel, zu dem Bad Nauheim damals gehörte, die leihweise Überlassung der Reinhardskirche an die Katholiken des Ortes. Im gleichen Jahre jedoch fiel Nauheim infolge der politischen Veränderungen nach dem Deutschen Krieg an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, so dass die Verfügung vorerst nicht wirksam wurde. Erst am 21. Juni 1868 wurde die Reinhardskirche durch Pfarrer Helferich als katholische Kirche zu Ehren des Heiligen Alban von Mainz geweiht und der erste römisch-katholische Gottesdienst in ihr gefeiert. Die Kirche wurde zuerst für zwanzig Gulden pro Jahr angemietet. Die Gemeinde unterstand der Gemeinde Nieder-Mörlen, gehörte aber zur Pfarrei Hanau im Bistum Fulda. Im Februar 1869 wurde Nauheim der neu gegründeten Pfarrei Friedberg zugeteilt. Die Gottesdienste hielten jetzt Pfarrer Gabel, später Pfarrer Bauer und Pfarrer Thöbes. Als die römisch-katholische Gemeinde 1905 für sich die Bonifatiuskirche errichtete, benötigte sie die Reinhardskirche nicht mehr.
Orthodoxe Kirche
Seit 1905 mietete die Russisch-Orthodoxe Kirche Gemeinde die Reinhardskirche. Damals besuchten viele russische Kurgäste Bad Nauheim, und es war geplant, das Gotteshaus solange zu mieten, bis im Kurpark eine damals geplante russisch-orthodoxe Kapelle zu Ehren der heiligen Olga errichtet würde. Die Federführung des Projekts oblag Erzpriester Alexej Maltzew aus Berlin. Als die Spendensammlungen hierfür ins Stocken gerieten, entschloss sich die russische Gemeinde zum Kauf der Reinhardskirche. 1907 wurde das Gebäude an den russisch-orthodoxen Kirchenverein „Bruderschaft des heiligen Fürsten Wladimir Bratstwo“ verkauft, dem das Gotteshaus bis heute gehört. 1907/1908 wurde der Innenraum umgestaltet, Emporen, Altar und Kanzel sowie die gesamte barocke Ausstattung entfernt und eine Ikonostase aus der Hospitalkirche des Klosters Sarow eingefügt, eine Stiftung des Bischofs Innokentij (Beljaew) von Tambow, der seit 1902 dem Baukomitee zur Errichtung einer russisch-orthodoxen Kirche in Bad Nauheim vorgestanden hatte. Am 21. Juli 1908 wurde die Kirche von Bischof Wladimir (Putjata) von Kronstadt als orthodoxes Gotteshaus zu Ehren der Heiligen Seraphim von Sarow und des Heiligen Innozenz von Irkutsk geweiht.
Während ihres Aufenthaltes auf der benachbarten Burg Friedberg 1910 besuchte die russische Zarenfamilie hier den Gottesdienst. Zarin Alexandra Feodorowna war eine Schwester des damaligen Landesherren von Bad Nauheim, des Großherzogs Ernst Ludwig und mit dem letzten russischen Zaren, Nikolaus II., verheiratet.
Während des Ersten Weltkrieges stand die Kirche unter Zwangsverwaltung. Bedingt durch das Ausbleiben russischer Kurgäste infolge der Russischen Revolution fanden Gottesdienste danach nur noch unregelmäßig während einiger Sommermonate statt, zelebriert von den Priestern Aleksandr Awaew (1922), Ioann Leontschukow (1923, 1924), Bischof Tichon (Ljaschtschenko) (1926) und Erzpriester Aleksandr Schabaschew aus Brüssel (1933, 1939, 1943). Ab 1944 diente die Kirche als Lagerraum für Gegenstände aus ausgebombten Gebäuden. Am 27. April 1945 wurde sie wieder für Gottesdienste geöffnet. Unter den Priestern Wasilij Winogradow (1945-1947) und Arkadij Szepuro (1947-1951) bestand eine gemischte russisch-griechische Kirchengemeinde. 1951-1974 war Erzpriester Leonid Graf Ignatiew (ein Enkel des russischen Diplomaten Nikolai Pawlowitsch Ignatjew) Vorsteher der russisch-orthodoxen Gemeinden in Frankfurt am Main, Bad Homburg vor der Höhe und Bad Nauheim. Seit 1974 übt sein Sohn, Erzpriester Dimitri Graf Ignatiew, dieses Amt aus.
Da die örtliche russisch-orthodoxe Gemeinde heute klein ist, finden Gottesdienste heute nur in größerem Abstand statt. Seit 2003 unterstützt der aus einheimischen Bürgern bestehende „Förderverein Russische Kirche/Reinhardskirche Bad Nauheim e.V.“ die Gemeinde beim Erhalt der Kirche. Am 1. Oktober 2006 erhielt die Verwalterin der Kirche, Brigitta Gebauer, für ihre langjährige Betreuung der Reinhardskirche den „Preis der Bürgerstiftung – für bürgerschaftliches Engagement in Bad Nauheim“.
Literatur
- Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler – Hessen II. Regierungsbezirk Darmstadt. (Bearb.: Folkhard Cremer u. Tobias Michael Wolf), 3. Aufl., München 2008, S. 43f.
- Heinrich Görnert: Die Namen der Bad Nauheimer Straßen. Wetterauer Geschichtsblätter 10, 1961.
- Caroline Grottker: Lutherische Kirchen in der Grafschaft Hanau-Münzenberg unter Graf Johann Reinhard III. (1712-1736) [unveröffentlichte Magisterarbeit am Fachbereich Philologie und Kunstwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main]. Frankfurt 1984, S. 72-76.
- Monika Gräfin Ignatiew: Russische Kirchen in deutschen Bädern, Begleitschrift zur Ausstellung 1989—1990 im Gotischen Haus Bad Homburg, Bad Homburg 1989.
- Hermann Knott: Die Reinhardskirche zu Bad Nauheim. Bad Nauheimer Jahrbuch 2/1913.
- L. Kraft: Wetterauer Dorfkirchen. Beiträge zur Geschichte des Kirchenbaus im Kreis Friedberg. Diss. Darmstadt 1919.
- Alfred Martin: Die Einweihung der evangelisch lutherischen, der späteren Reinhardskirche in Bad Nauheim im Jahre 1733. Bad Nauheimer Jahrbuch 12 u. 13, 1934.
- Gleb Rahr: Zur Geschichte der Russischen Orthodoxen Kirche in Bad Nauheim und ihrer historischen Ikonostase. Vortrag vom 3. Juli 1991. Stadtarchiv Bad Nauheim.
- Dimitrij Rahr: Kurze Geschichte der Reinhardskirche/Russischen Kirche zu Bad Nauheim. Vortrag vom 21. Juli 2008. Stadtarchiv Bad Nauheim.
- Irene von Schweder: Die Russische Orthodoxe Kirche zu Bad Nauheim, Reinhardstraße 14. Begleitschrift für Kirchenführungen. Bad Nauheim 1972; Stadtarchiv Bad Nauheim.
- Inge Wolf: Christian Ludwig Hermann. Baudirektor am Hanauer Hof. In: Hanauer Geschichtsblätter 30 (1988), S. 445ff (486-490).
Weblinks
- Bratstwo-Website
- Kurze Geschichte der russ. Kirche in Bad Nauheim
- Zur Geschichte der russ. Kirche in Bad Nauheim
- Kurzfilm über die Sarower Ikonostase in der russ. Kirche in Bad Nauheim
50.3642998.737103Koordinaten: 50° 21′ 51″ N, 8° 44′ 14″ OKategorien:- Kulturdenkmal in Bad Nauheim
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