Kurfürstentum Hessen

Kurfürstentum Hessen
Kurfürstentum Hessen
Wappen Flagge
Kurhessisches Wappen 1818 Flagge von Kurhessen
 
Landeshauptstadt Kassel
Regierungsform Monarchie
Staatsoberhaupt Kurfürst (schon ab 1803)
Dynastie Haus Hessen
Bestehen 1814-1866
Fläche 9.370 km²
Einwohner 754.100 (1865) [1]
Bevölkerungsdichte 81 Einw./km² (1865)
Entstanden aus Landgrafschaft Hessen-Kassel / Königreich Westphalen
Aufgegangen in Preußische Provinz Hessen-Nassau
Karte
Kurhessen mit den Landesteilen Schmalkalden und Schaumburg 1815–1866

Das Kurfürstentum Hessen war ein im Wiener Kongress restituierter Staat im Deutschen Bund. Meist wurde er kurz Kurhessen genannt. Es setzte die vor dem Königreich Westphalen bestehende Landgrafschaft Hessen-Kassel fort, deren Landesherr 1803 zum Kurfürsten erhoben worden war, und wird auch heute noch in der Geschichtswissenschaft Hessen-Kassel genannt. 1866 wurde Kurhessen von Preußen annektiert.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Hessen-Kassel um 1720

Vorgeschichte

Die Landgrafschaft Hessen-Kassel entstand 1567 durch eine Erbteilung der Landgrafschaft Hessen nach dem Tod des Landgrafen Philipp I. von Hessen, des Großmütigen. Der älteste Sohn Philipps, Wilhelm IV., erhielt mit Hessen-Kassel etwa die Hälfte des Territoriums einschließlich der Hauptstadt Kassel. Das Erbe der brüderlichen Linien Hessen-Marburg und Hessen-Rheinfels fiel nach deren Aussterben binnen einer Generation an Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt.

Gleichzeitig mit dem 1803 vollzogenen Reichsdeputationshauptschluss und der Säkularisierung der geistlichen Herrschaften wurde der Landgraf von Hessen-Kassel zum Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation erhoben. Aus dieser Rangererhöhung, die dem neuen Kurfürsten normativ nie einen Nutzen brachte, leitete sich die Bezeichnung Kurhessen oder Kurfürstentum Hessen ab, obwohl bis zum Wiener Kongress das Land selbst weiterhin als Landgrafschaft Hessen-Kassel bezeichnet wurde. Dem durch Napoléon dominierten Rheinbund trat Kurfürst Wilhelm I. nicht bei und versuchte neutral zu bleiben. Daraufhin besetzte Napoléon das Land und schlug es nach dem Frieden von Tilsit 1807 nahezu vollständig dem neu gebildeten Königreich Westphalen seines Bruders Jerome zu.

Kurhessen als Staat des Deutschen Bundes

Nach dem Untergang des napoleonischen Reiches wurde die Landgrafschaft Hessen-Kassel restituiert. Kurfürst Wilhelm I. versuchte auf dem Wiener Kongress vergeblich, den nach dem germanischen Stammesnamen der Urhessen benannten Titel eines „Königs der Chatten” zu erhalten. Allerdings behielt er den Titel „Kurfürst” (Titular-Kurfürst), mit dem persönlichen Prädikat „königliche Hoheit”. Die Landgrafschaft Hessen-Kassel wurde daher in der Folge als „Kurhessen“ bezeichnet bzw. ließ sich „Kurfürstentum Hessen“ nennen, zur Unterscheidung von der durch Napoleon zum Großherzogtum Hessen erhobenen vormaligen Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.

Ab 1815 kam das Territorium des vormaligen Fürstbistums Fulda als Großherzogtum Fulda zum kurhessischen Staat. Die Titular des regierenden Fürsten lautete nunmehr: Kurfürst und souveräner Landgraf von Hessen, Großherzog von Fulda, Fürst zu Hersfeld, Fürst zu Hanau, Fürst zu Fritzlar und Fürst zu Isenburg, Graf zu Katzenelnbogen, Graf zu Dietz, Graf zu Ziegenhain, Graf zu Nidda, und Graf zu Schaumburg, etc., etc.

Kurhessen gehörte ab 1815 dem neu geschaffenen Deutschen Bund an. Zum Gesamtstaat Kurhessen gehörten das Großherzogtum Fulda, hervorgegangen aus dem Fürstbistum Fulda, ferner die Fürstentümer Fritzlar, Hanau und Hersfeld. Weiterhin waren mehrere Exklaven Staatsteil von Kurhessen, so die Grafschaft Schaumburg (um Rinteln) an der Weser (seit 1640) und die Herrschaft Schmalkalden (seit 1360/1583) im heutigen Thüringen.

Kurfürst Wilhelm I. betrieb eine Revisionspolitik, die darauf abzielte, vieles von dem, was in napoleonischer Zeit eingeführt worden war, rückgängig zu machen. Äußeres formales Zeichen dafür war, dass beim Militär und bei Hofe die Perücke mit Zopf wieder eingeführt wurde.

Sowohl Wilhelm I., vor allem aber seine beiden Nachfolger, Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm gerieten mit dem wirtschaftlich erstarkten Bürgertum wiederholt in Auseinandersetzungen. Es kam sowohl 1830 als auch 1848 zu heftigen revolutionären Ausbrüchen – und im Zuge der Julirevolution von 1830 - unter federführender Mitwirkung Sylvester Jordans - zur Kurhessischen Verfassung von 1831: eine der demokratischsten Verfassungen Europas. Ein Kernpunkt war die Schaffung der kurhessischen Ständeversammlung. Beide Male schlugen nach Abklingen der Revolution die Kurfürsten mit einer scharfen Politik der Gegenreaktionen zurück. Die Verfassung wurde gebrochen und außer Kraft gesetzt.

1850 kam es zum Kurhessischer Verfassungskonflikt. Dabei gelang es dem Kurfürsten zwar, die liberale Verfassung wieder außer Kraft zu setzen, allerdings nur um den Preis einer Intervention ausländischer Truppen, da das eigene Militär die Gefolgschaft verweigerte. Darüber hinaus verlor er durch diesen Schritt vollständig das Vertrauen des Bürgertums. Hinzu kamen bei den hessischen Kurfürsten eine für die Verhältnisse bürgerlicher Moral untragbare „Maitressenwirtschaft“ und scharfe Generationenkonflikte, die das Ansehen der Monarchie beschädigten. Wilhelm I. hatte mit mindestens drei Maitressen zahlreiche Kinder. Wilhelm II. hatte seine Frau, die preußische Prinzessin Auguste, verlassen und lebte mit Emilie Ortlöpp (später von ihm zur Gräfin von Reichenbach-Lessonitz erhoben) zusammen. Friedrich Wilhelm hatte eine Gertrude Lehmann geheiratet, die sich seinetwegen hatte scheiden lassen; sie wurde später Gräfin von Schaumburg und Fürstin Hanau von und zu Horowitz.

Annexion durch Preußen

Kurhessen stand im Deutschen Krieg auf österreichischer Seite und gehörte damit zu den Verlierern. Es wurde von Preußen 1866 besetzt und annektiert. Die Bevölkerung leistete dagegen keinen nennenswerten Widerstand. Im Vorfeld hatte es bereits Bestrebungen und Kontakte seitens des hessischen Bürgertums gegeben, um diesen Vorgang zu betreiben, zu unterstützen und den ungeliebten Kurfürsten loszuwerden.

Dieser ging ins Exil nach Böhmen. Preußen annektierte den Kurstaat, das Herzogtum Nassau, den hessen-darmstädtischen Landkreis Biedenkopf (hessisches Hinterland) und die Freie Stadt Frankfurt. Es vereinigte sie nach kleineren Grenzkorrekturen gegenüber dem Königreich Bayern und dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt (beide ebenfalls auf der Verliererseite des Krieges) zur preußischen Provinz Hessen-Nassau, in der das bisherige Kurhessen den Regierungsbezirk Kassel bildete. 1944 wurde aus diesem eine Provinz Kurhessen gebildet, jedoch ohne die Kreise Schmalkalden, Hanau, Schlüchtern und Gelnhausen.

Land Hessen

Am 19. September 1945 ging die ehemalige Provinz Hessen-Nassau im neu gegründeten Land Groß-Hessen auf, das 1946 seinen Namen in Hessen änderte.

Verwaltungsgliederung

Am 21. August 1821 wurde Kurhessen zum Zwecke der Verwaltung in vier Provinzen und 22 Kreise eingeteilt. Die beiden althessischen Provinzen Niederhessen (Hauptstadt: Kassel) und Oberhessen (Marburg) lagen im Nordwesten des Landes. Im Südosten lag die aus dem Fürstbistum Fulda hervorgegangene Provinz Fulda, wiederum südlich an diese anschließend die aus dem ehemaligen Fürstentum Hanau gebildeten Provinz Hanau. Die Kreise der vier Provinzen waren:

Die Kreise Grafschaft Schaumburg und Schmalkalden lagen dabei als Exklaven außerhalb des Hauptterritoriums auf heute niedersächsischem bzw. thüringischem Gebiet.

Am 31. Oktober 1848 wurden die kurhessischen Provinzen und Kreise abgeschafft. An ihre Stelle traten neun Bezirke sowie 21 Verwaltungsämter (auf Grundlage der mittlerweile nur noch 21 Kreise):

  • Eschwege (Verwaltungsämter Eschwege und Witzenhausen)
  • Fritzlar (Fritzlar, Homberg und Ziegenhain)
  • Fulda (Hünfeld und Fulda)
  • Hanau (Gelnhausen, Hanau und Schlüchtern)
  • Hersfeld (Hersfeld, Melsungen und Rotenburg)
  • Kassel (Hofgeismar, Kassel und Wolfhagen)
  • Marburg (Frankenberg, Kirchhain und Marburg)
  • Rinteln (Rinteln, d.h. Schaumburg)
  • Schmalkalden (Schmalkalden)

Zum 15. September 1851 wurde diese Reform rückgängig gemacht und die Verwaltungsgliederung von 1821 wieder hergestellt. Diese Kreiseinteilung blieb auch nach der Annexion durch Preußen erhalten. Die meisten der 1821 geschaffenen Landkreise existierten bis zur Gebietsreform in Hessen in den 1970er Jahren.

Regenten

Tabelle der hessischen Kurfürsten
Regierungszeit Herrscher Bemerkung
1785–1821 Wilhelm IX./I. Regierte bereits seit 1760 in der Grafschaft Hanau, bis 1764 durch seine Mutter, Landgräfin Maria als Vormund. Er erhielt 1803 mit dem Reichsdeputationshauptschluss die Kurfürstenwürde und wurde Kurfürst Wilhelm I. Musste von 1806 bis 1814 dem napoleonischen Königreich Westphalen weichen.
1821–1847 Wilhelm II. Floh 1831 aus Kassel und überließ seinem Sohn die Regierungsgeschäfte. 
1847–1866 Friedrich Wilhelm Er regierte bereits für seinen Vater ab 1831 und ging nach der preußischen Annexion 1866 ins Exil. Dort starb er 1875 ohne einen thronberechtigten Erben zu hinterlassen.

Wappen

Das kurhessische Wappen in einem Stich von 1843.

Blasonierung: Das Große Wappen des Kurfürstentums Hessen zeigt einen zweimal gespaltenen und zweimal geteilten Schild, dessen zweites und achtes Feld nochmals quergeteilt ist. Die Felder enthalten folgende Wappen

1. Großherzogtum Fulda (1815 von Preußen erhalten): in Silber ein facettiertes, schwarzes Kreuz

2a. oben - Fürstentum Hanau (1736 erhalten nach Aussterben der Grafen von Hanau): das Feld ist geviert und mit einem Mittelschild belegt. Der Mittelschild, von Rot über Gold geteilt, ist das Wappen der Herrschaft Münzenberg. Das erste und vierte Quartier zeigt das Wappen der Grafschaft Hanau: in Gold drei rote Sparren übereinander. Das zweite und dritte Quartier zeigt das Wappen der Grafschaft Rieneck: achtfach von Rot und Gold quer gestreift.

2b. unten - Grafschaft Katzenelnbogen (1479 an Hessen): in Gold ein blau gekrönter, roter Löwe.

3. Fürstentum Hersfeld (ehemalige Abtei, 1648 an Hessen): in Silber ein rotes Patriarchenkreuz.

4. Grafschaft Ziegenhain (1450 an Hessen): von Schwarz über Gold geteilt, oben ein sechsstrahliger, facettierter silberner Stern.

5. Landgrafschaft Hessen: in Blau ein von Silber und Rot zehnfach quergestreifter, gekrönter, goldbewehrter Löwe.

6. Grafschaft Nidda (1450 an Hessen): von Schwarz über Gold geteilt, oben zwei achtstrahlige, facettierte silberne Sterne.

7. Fürstentum Fritzlar (vormals Kurmainzische Enklaven, 1803 an Hessen): in Blau ein schwebendes goldenes Hochkreuz.

8a. oben - Grafschaft Diez (1479 an Hessen): in Rot zwei goldene Leoparden übereinander.

8b. unten - Grafschaft Schaumburg (1648 an Hessen): In Rot ein von Silber über Rot quergeteiltes Schildchen umgeben von einem silbernen Zackenrand (Nesselblatt).

9. Fürstentum Isenburg (1816 an Hessen): in Silber zwei schwarze Querbalken.

Auf dem von zwei königlich gekrönten, vorwärtssehenden, einschwänzigen, goldenen Löwen gehaltenen Schild ruht eine Königskrone (seit 1815). Den Schild umzieht die Kette des goldenen Löwenordens (seit 1821).

Orden

Fortbestand der Bezeichnung Kurhessen

Die Bezeichnung "Kurhessen" wird bis heute als regionale Bezeichnung weiter verwandt, so in der Bezeichnung Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, die in etwa das alte Territorium Kurhessens einschließlich der Exklave Schmalkalden umfasst, Diakonisches Werk in Kurhessen-Waldeck oder Kurhessenbahn.

Siehe auch

Literatur

  • Karl E. Demandt: Geschichte des Landes Hessen. Bärenreiter Verlag, Kassel 1972, ISBN 3-7618-0404-0
  • Ewald Grothe: Kurfürstentum. In: Kassel Lexikon. Hrsg. v. der Stadt Kassel, Bd. 1, euregio Verlag, Kassel 2009, S. 360-362.
  • Harald Höffner: Kurhessens Ministerialvorstände der Verfassungszeit 1831 - 1866. Dissertation. Gießen 1981. S. 88ff.
  • Carl Renouard: Die Kurhessen im Feldzuge von 1814: Ein Beitrag zur hessischen Kriegsgeschichte. Hugo Scheube, Gotha 1857.
  • Christian Starck: Die Kurhessische Verfassung von 1831 im Rahmen des deutschen Konstitutionalismus; kassel university press; Kassel 2007; ISBN 9783899582550. Volltext

Weblinks


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