- Kurgast
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Kurgast. Aufzeichnungen von einer Badener Kur sind Glossen von Hermann Hesse, 1923 geschrieben und 1925 bei S. Fischer in Berlin erschienen.[1] Hintergrund: 1923 wird Hesse von Maria Bernoulli geschieden. Ab 1923 legt er jedes Jahr - bis 1952 - einen Kuraufenthalt im schweizerischen Baden an der Limmat ein.[2]
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Fürwahr, ein trostloses Bild: Kurgäste „mit schwerfälligem Gebein“, appetitlos, hilfsbedürftig, gelangweilt. Passend dazu - der Autor berichtet über „diese schmählichen Tage“, über „jenen Hesse, der sich in Baden so komisch benahm“. Sein „nervus ischiaticus“ treibt den Schriftsteller für drei Wochen in den Kurort westlich von Zürich. Gicht kommt bei dem neuen Kurgast hinzu, konstatiert der Kurarzt und klassifiziert den Ankömmling sofort als Neurotiker. Also wird jeden Tag etwas dagegen getan: „Bäder, Trinkkur, Diathermie, Quarzlampe, Heilgymnastik“. Aber zu Mittag wird in Baden trotz Stoffwechselkrankheit traditionell geschmaust - und zwar üppig. Schließlich hat keiner das ewige Leben. Im übrigen zehren Bäder. Nach einem der totgeschlagenen Tage sucht Hesse den „Spielsaal“ auf und setzt beim Roulette zwei Franken. Die zahlreich anwesenden Ischiatiker machen als Zaungäste lange Hälse, denn sie kennen den „Spieler“ inzwischen vom Ansehen. Man beobachtet sich unausgesetzt. Hesse verliert und sucht das Weite. Das Geschehen am Spieltisch, bald heranreichend an die „Glückserlebnisse der Kindheit“, ist für den Dichter faszinierend - „das Abbild des Lebens“. Aber eben nur Abbild, das die „eigene Leistung“ niemals ersetzt. Hesse weiß, wovon er redet. Auf dem Gebiet des rein Seelischen ist er ein „gewiegter Fachmann“.
Überhaupt empfindet Hesse sich als Eigenbrötler und somit scheint für ihn seine doch beträchtliche Distanz zum „Durchschnittskurgast“ nur schwer verkürzbar. Das schildert er genauer an seinem Zimmernachbarn, dem lauten Holländer. Hesse kann dessen Getöse rund um die Uhr gar nicht vertragen. Gäste geben sich an der Nachbartür die Klinke in die Hand. Hesse aber braucht dringend Ruhe in seinem Zimmer. Ständig kann der am Schreibtisch heimische Autor dem kommunikativen „Mann aus dem Haag“ nicht ausweichen, z.B. bei schlechtem Wetter. Zudem hat Hesse „scheußliche Schmerzen“ und muss „fast immer“ liegen. Aber der Kurgast Hesse bleibt innerlich von bewundernswerter Heiterkeit; schafft das Werk der christlichen Nächstenliebe im Rahmen seiner „Liebestheorie“ nach dem Neuen Testament: „Liebet eure Feinde“ (Mt 5,44 EU). Der Dichter baut im schmerzlichen Kampf gegen sich selbst das Feindbild vom „Vernichter“ seines „Schlafes“ sukzessive so weit ab, dass er schließlich sagen kann: Nebenan könnte „ganz Holland Kirmes feiern“. Aber als der Christ Hesse sein Bild vom Holländer „umgeschmolzen“, sprich, seinen Hass überwunden hat, reist der Krawallmacher plötzlich ab und mit einem Schlag ist sonntägliche Ruhe auf der Etage. Dabei war doch Hesse nun endlich nach dem eben skizzierten schmerzlichen Prozess bereit zum Gespräch, war mit dem Holländer wirklich „im Innersten verbunden“ (freilich ohne ein einziges Wort mit ihm gewechselt zu haben). Kurz, Ischiatiker Hesse ist über die Abreise des Nachbarn enttäuscht.
In den Aufzeichnungen findet neben Lachhaftem, Heiterem, Komischem, ja Schwarzem Humor sogar das Erhabene seinen Platz. Beispiel: Hesses ganz spezielle Psychologie basiert auf dem Glauben an Gott. Jenes höhere Wesen setzt der Autor mit der Einheit gleich. Diese wiederum kann „auf dem Weg der Gnade“ jedenfalls „wieder hergestellt werden“.[3] Tröstlich - jeder Kranke „könnte“ danach in praxi „durch den Tod zum Leben eingehen“.[3] Bedenklich, der Dichter schreibt „könnte“. Tröstlich auch das noch: „Gnade“ ist „nur dem Sünder erlebbar“.[4] Und „neunundneunzig Gerechte vor Gott“ sind „weniger als ein Sünder im Augenblick der Umkehr“.[5] Der Dichter verliert zwar in Baden sein Gleichgewicht, findet es zum Glück dort aber auch wieder.
Poesie in Prosa: Hesse streut immer einmal Anmerkungen zur Dichtkunst in seinen Text ein.
- Gewisse alte Bäume haben mitunter die „magische Schönheit“ an sich, „die aus unserer Seele kommt.“[6]
- Schreiben macht Sinn, weil der „Wille zur Wahrheit“ dahintersteht.[7]
- „Das Schreiben“ ist „immer wieder eine tolle, erregende Sache, ein Fahrt im kleinsten Kahn auf hoher See.“[8]
Zitat
„Das Leben ist keine Rechnung,… sondern ein Wunder.“[9]
Rezeption
- „Ein wenig neigt er [Kurgast Hesse] auch zur Streitsucht.“[10]
- Ball entdeckt - anknüpfend an die Reverenz Hesses im Text gegenüber Jean Paul[11] - Analogien zwischen dem „Kurgast“ und „Dr. Katzenbergers Badereise“.[12]
- Hesse behandelt das Thema „Neurose des modernen Künstlers.“[13]
- Hesse befasst sich in seinem Werk zeitlebens mit Dichotomien: Im „Kurgast“ sind Geist und Natur die beiden Pole des Lebens.[14]
- Als Hesses zweite Ehefrau Ruth Wenger im März 1927 die Scheidung anstrengt, habe sie Trennungsgründe aus dem „Kurgast“ abgeschrieben. Diese seien vom Richter im Großen und Ganzen akzeptiert worden.[15]
Literatur
- Quelle
- Volker Michels (Hrsg.): Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Band 11. Autobiographische Schriften I. S. 37–127. Suhrkamp 2003 (1. Aufl.). 788 Seiten, ISBN 3-518-41111-X
- Ausgaben
- Hermann Hesse: Kurgast. Aufzeichnungen von einer Badener Kur. Insel Verlag, 1. Aufl. 19. Mai 1999. 132 Seiten, ISBN 978-3-458-34086-7
- Hermann Hesse: Kurgast. Aufzeichnungen von einer Badener Kur. Suhrkamp, 16. Aufl. 27. Oktober 2003. 144 Seiten, ISBN 978-3-518-36883-1
- Sekundärliteratur
- Hugo Ball: Hermann Hesse. Sein Leben und sein Werk. S. 173-176. (S. Fischer Berlin 1933) suhrkamp taschenbuch 385 (1.Aufl. 1977), ISBN 3-518-36885-0
- Joseph Mileck: Hermann Hesse. Dichter, Sucher, Bekenner. Eine Biographie. Aus dem Amerikanischen von Jutta und Theodor A. Knust (Original: Hermann Hesse: Life and Art. 1978. Deutsche Erstausgabe: München 1979). suhrkamp taschenbuch 1357, Frankfurt/M. 1987. 441 Seiten, ISBN 3-518-37857-0
- Gisela Kleine: Zwischen Welt und Zaubergarten – Ninon und Hermann Hesse: Ein Leben im Dialog. Frankfurt/M. 1988. suhrkamp taschenbuch 1384. 643 Seiten, ISBN 3-518-37884-8
- Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A - Z. S. 271. Stuttgart 2004. 698 Seiten, ISBN 3-520-83704-8
Einzelnachweise
- ↑ Michels S. 781
- ↑ Kleine S. 525
- ↑ a b Michels S. 104
- ↑ Michels S. 116
- ↑ Michels S. 126
- ↑ Michels S. 53
- ↑ Michels S. 54
- ↑ Michels S. 81
- ↑ Michels S. 122
- ↑ Ball S. 173, 2. Z.v.u.
- ↑ Michels S. 40, 2. Z.v.u.
- ↑ Ball S. 174
- ↑ Ball S. 176
- ↑ Mileck S. 190
- ↑ Kleine S. 221, 4. Z.v.u. bis S. 222, 4. Z.v.o.
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