Christian Mergenthaler

Christian Mergenthaler
Christian Mergenthaler als Abgeordneter der NSFP im Reichstag 1924

Christian Julius Mergenthaler (* 8. November 1884 in Waiblingen; † 11. September 1980 in Bad Dürrheim), war ein nationalsozialistischer Politiker, Mitglied des württembergischen Landtags, des Reichstags sowie württembergischer Ministerpräsident und Kultminister.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Christian Mergenthaler wurde in Waiblingen als Sohn eines Bäckermeisters geboren, besuchte von 1894 bis 1898 die Lateinschule und die Realschule in Waiblingen, ab 1898 die Realschule in Cannstatt, die er 1902 abschloss. Nach einem Studium in Stuttgart, Tübingen und Göttingen legte er 1907 die erste Dienstprüfung für das höhere Lehramt ab, leistete von 1908 bis 1909 Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger und wurde nach der zweiten Dienstprüfung 1911 Oberlehrer in der Latein- und Realschule Leonberg. Er nahm als Offizier einer Artillerieeinheit am gesamten Ersten Weltkrieg teil, die meiste Zeit davon an der Front.

Nach einem Zwischenspiel in Stuttgart wurde er 1920 Gymnasialprofessor in Schwäbisch Hall. Eine konservativ-deutschnationale, antisemitische Prägung, das radikalisierende Kriegserlebnis sowie sein angebliches Empfinden für soziale Fragen führten Mergenthaler politisch in die extreme Rechte. In Schwäbisch Hall war er 1922 ein Mitbegründer der NSDAP-Ortsgruppe, für die er sich als Redner stark engagierte. Nach dem Verbot der NSDAP wirkte er ab 1923 als Mitglied der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung. Für sie saß er ab 1924 im württembergischen Landtag; im selben Jahr kurzzeitig sogar im Reichstag. 1927 trat er nach dem Niedergang der NSFB erneut in die NSDAP ein, weil er die Alleinherrschaft Adolf Hitlers in der Partei für schädlich hielt. Er scheiterte den Posten des Gauleiters der NSDAP zu übernehmen und musste sich seinem Rivalen Wilhelm Murr geschlagen geben, woraus massive Spannungen mit diesem bis 1945 resultierten. Ein Amt in der NSDAP bekleidete Mergenthaler nicht, sondern nur in der SA, wo der den Rang eines Obergruppenführers innehatte. Bei öffentlichen Anlässen trug er stets diese Uniform. Von 1928 bis 1932 vertrat er als einziger Abgeordneter der NSDAP die Ziele seiner Partei im württembergischen Landtag und zeigte sich hierbei – wie schon während seiner Zeit in Schwäbisch Hall – als aggressiver Antisemit. 1929 versetzte man ihn von Schwäbisch Hall nach Stuttgart-Cannstatt an das dortige Gymnasium.

Nach dem „Erdrutschsieg“ der NSDAP 1932 wurde er Landtagspräsident, 1933 württembergischer Ministerpräsident und Kultminister.[1] Da das erstere Amt aufgrund der Gleichschaltung der Länder gegenüber dem Gauleiter und Reichsstatthalter Murr erheblich an Bedeutung verlor, spielte die Funktion als Kultminister die wichtigere Rolle. In seine Zeit als Minister fallen die Abschaffung der Bekenntnisschulen, die Gründung einer Lehrerhochschule für die Volksschullehrerausbildung, die Einführung von Aufbauschulen für begabte Volksschüler auf dem Land sowie die Erweiterung des schulischen Angebots im Bereich der Berufsbildung. Begleitet wurden diese Reformen durch eine strikte Durchsetzung nationalsozialistischen Gedankenguts in der Schulverwaltung. Mergenthaler griff im Sinne der NS-Ideologie rücksichtslos gegen missliebige Lehrer und Schulleiter durch, die er versetzte oder aus ihren Ämtern entfernte. Junge Lehrer wurden unter massiven Druck gesetzt, in die NSDAP einzutreten und sich darin aktiv zu betätigen. Heftige Auseinandersetzungen führte Mergenthaler mit den Kirchen, insbesondere der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und deren Landesbischof Theophil Wurm. Hierbei nutzte er die Schulverwaltung gezielt als Waffe im „weltanschaulichen Kampf“. Mergenthaler, der selbst 1941 aus der Kirche austrat, griff massiv in die Lehrpläne des Religionsunterrichts ein, verbot die Behandlung bestimmter Teile der Bibel, da sie dem „sittlichen Empfinden der germanischen Rasse“ widersprächen, kürzte Staatsbeiträge an die Kirchen, verbot Pfarrern, die das Treuegelöbnis auf Hitler nicht ablegten, die Erteilung des Religionsunterrichts und ordnete schließlich 1939 die Einführung eines nationalsozialistisch gefärbten „Weltanschaulichen Unterrichts“ an Stelle des Religionsunterrichts an. Mit seinem harten Vorgehen gegen die Kirchen schadete er seiner Sache mehr, als er nutzte, und stiftete Verwirrung und Unfrieden, so dass er teilweise durch den Gauleiter und die NS-Reichsregierung gebremst wurde. Auf lokaler Ebene führten seine Maßnahmen oft zu bitteren Konflikten zwischen den Vertretern der Kirche und denjenigen der NSDAP und der Schulbürokratie, die in der kirchlich stark gebundenen Bevölkerung Württembergs teilweise eine erkennbare Entfremdung gegenüber Partei und Behörden bewirkten.

Von 1945 bis 1949 war Mergenthaler im Internierungslager Balingen in Haft, in seinem Spruchkammerverfahren wurde er 1948 als „Hauptschuldiger“ verurteilt, wogegen er keinen Widerspruch einlegte. Nach seiner Entlassung aus dem Lager lebte er zurückgezogen in seinem ihm belassenen Haus in Korntal-Münchingen und trat öffentlich nicht mehr auf. Ab 1951 erhielt er eine Unterhaltsbeihilfe, ab 1953 auf dem Gnadenweg die Pension eines Studienrats. 1980 starb er in Bad Dürrheim.

Anmerkung

  1. Die offizielle Schreibweise für den heute üblichen Begriff Kultusminister war in Württemberg früher Kultminister.

Literatur

  • Rudolf Kieß: Christian Mergenthaler. Württembergischer Kultminister 1933-1945, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 54 (1995), S. 281-332.
  • Rudolf Kieß: Mergenthaler, Christian Julius, Physik- und Mathematiklehrer an höheren Schulen, MdL, MdR - NSDAP, Württembergischer Ministerpräsident und Kultminister, in: Bernd Ottnad (Hrsg.): Baden-Württembergische Biographien, Bd. 2, Stuttgart 1999, S. 317-320.
  • Rudolf Kieß: Christian Mergenthaler (1884-1980), in: R. Lächele, J. Thierfelder (Hrsgg.): Wir konnten uns nicht entziehen. Dreißig Porträts zu Kirche und Nationalsozialismus in Württemberg, Stuttgart 1998, S. 159-174
  • Michael Stolle: Der schwäbische Schulmeister Christian Mergenthaler, Württembergischer Ministerpräsident, Justiz- und Kulturminister, in: M. Kießener, J. Scholtyseck (Hrsg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg, S. 445-477.
  • Martin Schumacher, Katharina Lübbe, Wilhelm Heinz Schröder: M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3. Auflage. Droste, Düsseldorf 1994, ISBN 3-7700-5183-1. 
  • Erich Stockhorst: 5000 Köpfe – Wer war was im Dritten Reich. Arndt, Kiel 2000, ISBN 3-88741-116-1. 
  • Frank Raberg: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815–1933. Kohlhammer, Stuttgart 2001, ISBN 3-17-016604-2, S. 562. 

Siehe auch

Weblinks


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