Volksabstimmung (Deutschland)

Volksabstimmung (Deutschland)

Der Begriff Volksabstimmung wird in Deutschland in zweifacher Bedeutung verwendet. In der Umgangssprache sowie auch im allgemeinen politischen Diskurs wird der Begriff Volksabstimmung heute undifferenziert für jede Form von direkter Abstimmung der Wahlbevölkerung über einen politischen Gegenstand (z. B. Referenden, Volksentscheide, Volksbefragungen) verwendet. Im politikwissenschaftlichen und verfassungsrechtlichen Vokabular bezeichnet der Begriff Volksabstimmung in Deutschland allerdings ganz konkret die Reihe von aufeinander aufbauenden Instrumenten der direkten Demokratie, mit denen eine aus dem Volk initiierte Abstimmung über eine Vorlage ausgestaltet ist.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsverwendung vor 1933

Im Jahr 1919 wurden die Referenden im Zusammenhang mit den neuen Grenzen des Deutschen Reiches auch offiziell Volksabstimmungen genannt.

Der Begriff Volksabstimmung kommt in der Weimarer Reichsverfassung nur in Art. 43 Abs. 2 Satz 1 WRV vor (zur Absetzung des Reichspräsidenten).[1] Im Zusammenhang mit der Gliederung des Reichs in Länder ist in Art. 18 Abs. 4 WRV davon die Rede, dass der „Wille der Bevölkerung […] durch Abstimmung festzustellen“ sei.[2] Hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens ist in den Artikeln 73 bis 76 WRV ausschließlich von Volksentscheiden die Rede.[3] Die erste demokratische Volksabstimmung fand am 30. November 1919 im damaligen Freistaat Coburg statt und entschied über den Anschluss Coburgs an Bayern.

Begriffsverwendung in der Gegenwart

Verwendung in Politikwissenschaft und Verfassungsrecht

In der deutschen Politikwissenschaft und im Verfassungsrecht bezeichnet die Volksabstimmung das in Deutschland gängige Verfahren der dreistufigen Volksgesetzgebung, bestehend aus:

Seltener wird der Begriff auch für die auf kommunaler Ebene in Deutschland geltende zweistufige Volksgesetzgebung, bestehend aus

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sieht in Art. 20 Abs. 2 GG „Abstimmungen“ durch „das Volk“ vor. Auf Bundesebene wird diese Generalklausel allerdings nur durch zwei Artikel konkretisiert, und zwar durch Art. 29 Abs. 2 GG, der den Fall einer Neugliederung des Bundesgebietes regelt, und durch Art. 146 GG, der dann anzuwenden ist, wenn das Grundgesetz durch eine Verfassung ersetzt werden soll. Für beide Fälle ist ein Obligatorisches Referendum vorgesehen.

Ausnahmen im Landesrecht

Die Verfassung des Landes Hessen konnte erst nach einer Volksabstimmung in Kraft treten. Auch verfassungsändernde Gesetze bedürfen einer Bestätigung durch Volksabstimmung. Ferner ist im Landesrecht von Baden-Württemberg von Volksabstimmungen die Rede.

Umgangssprachliche Verwendung

Die ungenaue Verwendung des Begriffs Volksabstimmung im heutigen Deutschland ist zum einen durch die Wortwahl des Grundgesetzes zu erklären, die ihrerseits an die Wortwahl der Weimarer Reichsverfassung anknüpft. Zum anderen spielt hier die vergleichsweise geringe Bedeutung direktdemokratischer Verfahren in der Ausgestaltung der bundesrepublikanischen Demokratie eine Rolle. In anderen deutschsprachigen Ländern, vor allem in der Schweiz, nehmen direktdemokratische Verfahren eine wesentlich bedeutsamere Rolle in der Politik ein (siehe → Volksabstimmung (Schweiz)). Auf Grund der regelmäßigen Anwendung direktdemokratischer Verfahren wird dort sorgfältiger mit dem Wortfeld Volksabstimmung umgegangen als in Deutschland.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Artikel 43 der Weimarer Reichsverfassung
  2. Artikel 18 der Weimarer Reichsverfassung
  3. Art. 73 bis 76 der Weimarer Reichsverfassung

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