- Chromatik
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Chromatik (griechisch “χρώμα”, Farbe‘) bezeichnet in der zentraleuropäischen Musik die "Umfärbung" der Tonstufen einer diatonischen Skala durch Erhöhen oder Erniedrigen (Hoch- bzw. Tiefalteration) um einen Halbton. Die chromatischen Varianten z. B. zu f sind fis und fes. [1]
Bewegt sich eine Stimme zwischen zwei Varianten desselben Tons (z.B. f-fis, fis-f, f-fes), so spricht man von chromatischen Fortschreitungen im Unterschied zu diatonischen (e-f oder fis-g). Äußerlich erkennt man den Unterschied zwischen einem diatonischen und einem chromatischen Tonschritt daran, dass bei chromatischen Schritten die Namen der beteiligten Töne gleiche, bei diatonischen Schritten dagegen verschiedene Anfangsbuchstaben haben. (Einzige Ausnahme: h-b ist auch ein chromatischer Schritt.)
Im Notenbild erkennt man diatonische Tonschritte daran, dass eine Fortschreitung zur benachbarten Position im Liniensystem erfolgt, während die Position bei chromatischen Schritten gleich bleibt.In der heute bei Tasteninstrumenten üblichen gleichstufigen Stimmung ist der Unterschied zwischen chromatischen und diatonischen Fortschreitungen nur noch theoretischer Natur, da alle Halbtonschritte gleich groß sind. Der Unterschied zwischen Chromatik und Diatonik existiert sozusagen nur noch in der Vorstellung, die allerdings oft zum vollen Verständnis musikalischer Abläufe (vor allem bei klassischer Musik) wichtig sein kann. Bei reiner Intonation und Verwendung reiner Stimmungen jedoch existiert auch ein physikalisch realer und messbarer Unterschied zwischen chromatischen und diatonischen Schritten.
Inhaltsverzeichnis
Die chromatische Tonleiter
Ordnet man abwechselnd diatonische und chromatische Töne stufenmäßig an, so erhält man eine chromatische Tonleiter:
Hörbeispiel: Chromatische Tonleiter von c aus: volle Oktave auf- und absteigend Abspielen?/i.Bei der Notation ist es üblich, die aufsteigende Tonleiter mit Kreuzen, die absteigende mit b-Vorzeichen zu notieren. Würde man anders verfahren, hätte dies den Nachteil, dass man zusätzlich noch Auflösungszeichen verwenden müsste.
Die chromatische Tonleiter hat keinen Grundton und kann deshalb auf jeder beliebigen Stufe beginnen. Sie ist in erster Linie eine Materialtonleiter, aus der Gebrauchstonleitern durch Auswahl gewonnen werden können. Sie kann aber auch direkt als Gebrauchstonleiter fungieren.
So wird sie z.B. vor allem in der Instrumentalmusik gerne als Element virtuosen Laufwerks verwendet, weshalb das Spiel der chromatischen Tonleiter zur technischen Grundausbildung jedes Instrumentalisten gehört.
In der freien Tonalität und der atonalen Zwölftonmusik tritt sie als Gebrauchstonleiter an die Stelle der diatonischen Dur- und Molltonleitern.
Diatonische und chromatische Tonstufen im Notenbild
Ob eine Tonstufe diatonisch oder chromatisch ist, hängt nicht vom notenmäßigen Erscheinungsbild ab, sondern vom tonalen Zusammenhang. So ist der Ton f nicht automatisch diatonisch, ebenso wenig wie fis chromatisch sein muss. In einer C-Dur-Umgebung ist f diatonisch und fis chromatisch, in einer D-Dur-Umgebung ist fis (als Bestandteil der D-Dur-Skala) diatonisch und f chromatisch.
Selbst doppelt erhöhte oder erniedrigte Töne müssen nicht zwangsläufig chromatisch sein. So ist zum Beispiel fisis die leitereigene, also diatonische siebte Stufe von Gis-Dur. Solche Extremfälle sind zwar eher selten, da man meist mittels enharmonischer Verwechslung einfachere Schreibweisen wählt, können aber durchaus vorkommen, z.B. bei dem modulationsfreudigen Schubert, der sich gerne auch in entlegenere Tonarten "verirrt".
Diatonische und chromatische Halbtöne
→ Tabellarische Übersicht über Halbtonvarianten im Artikel Halbton
Im Folgenden wird die Verwendung von natürlichen, in der Obertonreihe vorkommenden Intervallen vorausgesetzt.
Wird z.B.zwischen f und g eine chromatische Zwischenstufe (fis) eingeschoben, so spaltet sich der Ganzton f-g in einen chromatischen (f-fis) und einen diatonischen Halbton (fis-g) auf, wobei die Größe dieser Halbtöne vom jeweils zugrunde gelegten Stimmungssystem abhängt.
pythagoräisch
Bei der pythagoräischen Stimmung, die nur den großen Ganzton (Frequenzverhältnis 9:8) kennt, wird dieser in einen chromatischen Halbton mit dem Frequenzverhältnis 2187/2048 (entspricht ca. 113,69 Cent) und einen diatonischen Halbton mit dem Frequenzverhältnis 256/243 (ca. 90,22 Cent) unterteilt. Der pythagoräische chromatische Halbton wird auch Apotome, der diatonische Limma genannt.
Da in der pythagoräischen Stimmung der chromatische Halbton größer als der diatonische ist, liegt hier z.B fis höher als ges.
rein gestimmt
Während die pythagoräische Stimmung alle Töne (auch den großen Ganzton) nur durch Kombination der beiden ersten Intervalle der Obertonreihe, Oktave und Quinte gewinnt, orientiert sich die reine Stimmung auch an höheren Bereichen der Obertonreihe und bezieht neben der Quarte (4/3) auch die reine große Terz (5/4) ein, die eine Oktave höher als Intervall zwischen dem achten und zehnten Teilton wiederkehrt und dort die Summe aus dem großen (Frequenzverhältnis 9/8)und kleinen Ganzton (10/9) bildet. Der diatonische Halbton der reinen Stimmung ist das Überbrückungsintervall zwischen großer Terz (5/4) und Quarte (4/3). Sein Frequenzverhältnis errechnet sich zu 16/15, was ca. 112 Cent entspricht. Der große Ganzton lässt sich jetzt in den diatonischen Halbton und den großen chromatischen Halbton mit 125/128 (ca. 92 Cent) aufspalten und der kleine Ganzton in den diatonischen Halbton und den kleinen chromatischen Halbton mit 25/24 (ca. 71 Cent).
Im Gegensatz zur pythagoräischen Stimmung sind also hier die chromatischen Halbtöne beide kleiner als der diatonische Halbton, so dass jetzt z.B. fis tiefer als ges ist.
Geschichte
Chromatik wird in der Musikgeschichte oft als Gegenpol zur Diatonik (der „normalen“ Tonleiter) eingesetzt, um religiöse, metaphysische oder mystische u. a. Inhalte zu vermitteln. Sie gilt aber auch als Durchbruch zur Auflösung der (diatonischen) Tonalität an der Wende zum 20. Jahrhundert
Schon in der Renaissancemusik verwendeten Komponisten, wie zum Beispiel Carlo Gesualdo, chromatische Folgen von einigen Halbtönen, um intensive Empfindungen auszudrücken.
Im Barock findet man dann an manchen Stellen schon die vollständige Folge von zwölf Tönen. Besonders beliebt war die absteigende Chromatik, die in Opern oft den Gang in den Hades oder ähnlich tragische Situationen beschreibt (solche absteigenden Tonleitern werden als Passus duriusculus bezeichnet). Auch bei klassischen und romantischen Komponisten findet man Chromatik in ähnlicher Funktion. Besonders in der Klaviermusik werden Halbtonleitern nun (vor allem seit Beethoven) als subtil gleitender Weg von einem wichtigen Ton zum nächsten verwendet.
In Wagners Oper Tristan und Isolde schließlich erreicht (einigen Musikologen zufolge) die Chromatik in der tonalen Musik ihren Höhepunkt, da sich hier aus chromatischer Führung der Stimmen völlig neuartige Harmonien ergeben. Anderen Musikologen zufolge war Liszt der erste, der durch Chromatik das Dur-Moll-System reformierte. Da die beiden befreundet waren, ist es eine naheliegende Vermutung, dass sie musiktheoretische Fragen besprochen haben.
Die Herausbildung der Chromatik hängt eng mit der Entwicklung temperierter Instrumente, wie Orgel, Cembalo und Klavier sowie der temperierten Stimmung zusammen.
In der Zwölftonmusik (Dodekaphonie) werden diese zwölf Töne gleichwertig behandelt und stellen das Ausgangsmaterial aller Kompositionen tendenziell ohne tonales Zentrum dar.
Einzelnachweise
- ↑ Riemann Musiklexikon, Mainz 1967, Sachteil, S. 172
Siehe auch
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