- Comes litoris Saxonici per Britanniam
-
Der Comes Litoris Saxonici per Britanniam (wörtlich: „Graf der Sachsenküste in Britannien“) war ein hoher Offizier in der spätrömischen Provinzialarmee des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr. in Britannien.
Inhaltsverzeichnis
Definition und Funktion
Der römische Amtstitel Comes bezeichnete in der Spätantike in der Regel die höchste Rangklasse des Adels (vir spectabilis) am kaiserlichen Hof, während beim Militär Abschnittskommandeure den comes-Titel trugen.
Der Comes litoris Saxonici per Britanniam war zusammen mit dem
- Comes Britanniarum, dem Oberbefehlshaber der britischen mobilen Feldarmee, und dem
- Dux Britanniarum, dem Oberbefehlshaber der Nordgrenze am Hadrianswall und seiner Garnisonen,
einer der drei ranghöchsten Offiziere und Unterstatthalter im spätrömischen Britannien. Seine Befehlsgewalt erstreckte sich auf den größten Teil von Kent und der Küsten des südlichen und östlichen Teils der Insel. Sein Amtssitz befand sich wahrscheinlich in der Stadt Camulodunum/Colchester oder in Londinium/London.
Entwicklung
Die Trennung von Zivilverwaltung und Militär im spätrömischen Reich durch Kaiser Diokletian brachte auch für Britannien neue Militärämter. Am Ärmelkanal entstanden eine ganze Reihe von Befestigungen entlang der später so genannten Sachsenküste. An exponierten Abschnitten und Flussmündungen wurden Kastelle teilweise neu errichtet oder schon vorhandene umgebaut, deren Besatzungen die Aufgabe hatten, eventuellen Plünderern und Invasoren den Zugang zum Landesinneren so weit wie möglich zu erschweren. Vollständig abwehren konnten aber auch sie die feindlichen Eindringlinge nicht.
Vermutlich war die Zuständigkeit für die Sicherung der beiden Küsten des Ärmelkanals zuerst in nur einem Kommando vereinigt, dem des Comes Maritimi Tractus. 367 kam es zu einem gemeinsam abgestimmten Einfall mehrerer Barbarenstämme[1] in Britannien, in dessen Verlauf die Provinzstreitkräfte zersprengt und fast aufgerieben wurden; ihre wichtigsten Befehlshaber fanden dabei den Tod, darunter auch Nectaridus, der „Graf der Küstenregionen“. Die regionale Zuständigkeit muss dann im 4. Jahrhundert n. Chr. – spätestens 395 – aufgeteilt worden sein, wohl auch um zu verhindern, dass der jeweilige Amtsinhaber zu viel Macht in seinen Händen hielt, wie man bei der Ursurpation des Carausius schmerzlich erfahren hatte. Im gallischen Teil der Sachsenküste wurden daher zwei neue Dukate geschaffen (Dux Belgicae secundae und Dux tractus Armoricani et Nervicani).
In den Jahren 396 bis 398 führte Stilicho noch einmal Seeoperationen vor Britannien durch. Offensichtlich waren Stilichos Truppen nicht nur in der Lage, die Kontrolle über die Seewege in die nordwestlichsten Provinzen aufrechtzuerhalten, sondern konnten auch noch einige Siege über Sachsen und Scoten erringen. Dies war die Gelegenheit auch gleich die Küstenverteidigung im Südosten Britanniens neu zu reorganisieren, sie erstand nun in der Form, wie sie uns auch in der Endfassung der Notitia Dignitatum überliefert wurde. Es ist möglich, dass der Comes litoris Saxonici auch erst in dieser Zeit eingesetzt wurde, da er vorher nirgendwo erwähnt wird. Das Amt dürfte offiziell bis 410 bestanden haben, nach archäologischen Befunden wurden einige seiner Festungen aber schon vorher aufgegeben.
Als die Römer zu Beginn des 5. Jahrhunderts die letzten Einheiten des Feldheeres abzogen und Britannien aufgaben (siehe dazu Rheinübergang von 406 und Konstantin III.), verschwindet auch der Comes der Sachsenküste aus den zeitgenössischen Quellen.
Truppen
Laut der ND unterstanden ihm neben einem Verwaltungsstab (Officium) und Einheiten des Landheeres (7 Infanterie- und 2 Kavallerieverbände) auch bis zum Jahr 400 große Teile der Kanalflotte (Classis Britannica), um germanische Plünderer und Invasoren von seinen Küsten fernzuhalten. Im betreffenden Teil der Notitia Dignitatum[2] werden allerdings nur neun Kastelle an der Sachsenküste aufgelistet, obwohl nachweislich elf davon am Wash-Solent-Limes standen.
Offiziere und Garnisonstruppen:
Sub dispositione viri spectabilis comitis litoris Saxonici per Britanniam („zur Verfügung des höchst ehrenwerten Grafs der Sachsenküste in Britannien“).
- Praepositus numeri Fortensium, Othonae
- Praepositus militum Tungrecanorum, Dubris
- Praepositus numeri Turnacensium, Lemannis
- Praepositus equitum Dalmatarum Branodunensium, Branoduno
- Praepositus equitum stablesianorum Gariannonensium, Gariannonor
- Tribunus cohortis primae Baetasiorum, Regulbio
- Praefectus legionis secundae Augustae, Rutupis
- Praepositus numeri Abulcorum, Anderidos
- Praepositus numeri exploratorum, Portum Adurni
Es scheint, dass einige der Einheiten des Comes litoris Saxonici von anderen Feldarmeen abkommandiert wurden.
- Die Männer unter dem Praepositus militum Tungrecanorum waren vielleicht einmal Teil der Latini des Comes Illyrici.
- Die milites Tungricani könnten eine Vexillation der cohors primae Tungri unter dem Dux Britanniarum oder noch wahrscheinlicher der cohors secundae Tungri sein, ebenfalls in Britannien stationiert, sie sind in der Notitia Dignitatum sonst nirgendwo anders erwähnt.
- Die Männer unter dem Praepositus Equitum stablesianorum Gariannonensium sind wohl Angehörige der Gardereiterei (Comitatenses) der Equites stablesiani, die in der Notitia Dignitatum auch unter dem Befehl des Comes Britanniarum stehend verzeichnet werden.
- Die Angehörigen des numerus Abulcorum stammen ursprünglich wohl aus Abula in der Provinz Tarraconensis, das u.a. in den Geographica des Claudius Ptolemäus erwähnt wird. Heute ist diese Stadt unter den Namen Avila, nahe Madrid, im zentralen Hochland Spaniens bekannt. Es könnte sich bei dieser Einheit aber auch um Angehörige eines nur wenig bekannten germanischen Stammes gehandelt haben.
- Die Männer unter dem Praefectus legionis secundae Augustae waren Angehörige einer Vexillation von einer der alten Stammlegionen Britanniens, der Legio II Augusta. Bis in das frühe 3. Jahrhundert in Isca Silurum stationiert, lag sie nun bei Richborough in Kent; es könnte dieselbe Einheit sein, die als Secundani iuniores beim Comes Britanniarum (und als Secundani Britones/Britannica beim Magister Peditum/Equitum) als Comitatenses verzeichnet sind.
Einzelnachweise
Literatur
- Thomas S. Burns: Barbarians within the gates of Rome. Indiana University Press, Bloomington 1994, ISBN 0-253-31288-4.
- Alexander Demandt: Geschichte der Spätantike: Das Römische Reich von Diocletian bis Justinian 284-565 n. Chr. München 1998, ISBN 3-406-57241-3 (Beck Historische Bibliothek).
- Nic Fields: Rome’s Saxon Shore Coastal Defences of Roman Britain AD 250–500. Osprey Books, 2006, ISBN 978-1-84603-094-9 (Fortress 56).
- Adrian Goldsworthy: Die Legionen Roms. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2004, ISBN 3-86150-515-0.
- Arnold Hugh Martin Jones: The Later Roman Empire, 284-602. A Social, Economic and Administrative Survey. 2 Bde., Johns Hopkins University Press, Baltimore 1986, ISBN 0-8018-3285-3
- Simon MacDowall: Late Roman Infantryman, 236-565 AD. Weapons, Armour, Tactics. Osprey Books, 1994, ISBN 978-1-85532-419-0 (Warrior 9).
Weblinks
Kategorien:- Militärgeschichte (Spätantike)
- Römische Militärgeschichte
Wikimedia Foundation.