Currys Paradoxon

Currys Paradoxon

Currys Paradoxon ist ein Paradoxon, das Haskell Curry 1942 beschrieb; es erlaubt die Ableitung einer beliebigen Aussage aus einem selbstbezüglichen Ausdruck, der seine eigene Gültigkeit voraussetzt, mittels einfacher, allgemeiner logischer Regeln. Er zeigte auf diesem Weg die Inkonsistenz von Axiomensystemen mit solch einem Ausdruck.[1]

Inhaltsverzeichnis

Verbale Fassung

Currys Paradoxon lässt sich verbal durch folgenden selbstbezüglichen Satz ausdrücken und ableiten:

Wenn dieser Satz gilt, dann gilt eine beliebige Aussage A.

Currys Ableitung des Paradoxons wird leicht verständlich, wenn dieser Satz mit S abgekürzt wird. Damit lautet S in Kurzfassung: Wenn S gilt, dann gilt A. Nun gilt selbstverständlich: Wenn S gilt, dann gilt S. Setzt man hier S in der Kurzfassung ein, so ergibt sich: Wenn S gilt, dann gilt „Wenn S gilt, dann gilt A“. Nun kann man aber eine wiederholte Bedingung einfach weglassen ohne Sinnveränderung, so dass sich ergibt: Wenn S gilt, dann gilt A. Das ist genau der Satz S. Damit gilt die Prämisse von S und man kann A folgern. Damit ist eine beliebige Aussage beweisbar, auch wenn man sie absurd wählt.

Sprachliche Voraussetzungen

Currys Paradox kann in jeder Sprache formuliert werden, die folgende Bedingungen erfüllt:[2]

  • Die Sprache erlaubt den Modus ponens: Aus A und „wenn A dann B “ schließt man B:
A, A\to B\vdash B.
  • Die Sprache erlaubt die Kontraktion, nach der eine wiederholte Prämisse ohne Bedeutungsänderung weggelassen werden kann:
A\to (A\to B)\vdash A\to B
  • Die Sprache erlaubt die Tautologie „wenn A, dann A“:
A\to A
  • Die Sprache kann einen Selbstbezug ausdrücken durch eine Aussage S, die eine Formel hat, in der S vorkommt; solch ein Selbstbezug hat demnach folgende Form:
S\iff F(S)

Die klassische Logik und viele nicht-klassischen Logiken, insbesondere intuitionistische Logiken und sogar parakonsistente Logiken erfüllen diese Kriterien, selbstverständlich aber auch die verbale Sprache, die Selbstbezüge mit Pronomen statt Variablen ausdrückt.

Ableitung des Paradoxons

Der spezielle Selbstbezug in Currys Paradoxon lautet  S \iff (S \to A) mit einer freien Variablen \,A für eine beliebige Aussage. Der formale Beweis dieser variablen Aussage lautet dann:

Als Tautologie gilt:

\mbox{(1)  } S \to S

Die Ersetzung der rechten Seite per Selbstbezug ergibt:

\mbox{(2)  } S \to (S \to A )

Daraus folgt per Kontraktion:

\mbox{(3)  } S \to A

Die Ersetzung mit dem Selbstbezug führt zu:

\mbox{(4)  } S \,

Aus (4) und (3) folgt mit dem Modus ponens schließlich:

\mbox{(5)  } A \,

Mit dieser Ableitung ist die Inkonsistenz des Axiomensystems gezeigt, weil alle Aussagen beweisbar sind. Dabei ist zu beachten, dass der Selbstbezug ein Zusatzaxiom ist, das neben den oben genannten sprachlichen Voraussetzungen in der Ableitung zweimal angewandt wird! [3]

Ein Spezialfall des Paradoxons ergibt sich in der klassischen Logik oder intuitionistischen Logik, wenn in die freie Variable ein Widerspruch eingesetzt wird. Dann ist  S \to (X \and \neg X) per Kontraposition und dem Satz vom Widerspruch gleichwertig zu \neg S . Das Paradoxon hat damit die Form S = \neg S und entspricht dem Lügner-Paradoxon in einer präzisierten Formulierung mit Negation. Currys Paradoxon verwendet die Negation weder in der Formulierung noch in der Ableitung, daher existiert es auch in parakonsistenten Logiken, die immun gegen das Lügner-Paradoxon sind.

In der naiven Mengenlehre entsteht ein weiterer Spezialfall des Paradoxons bei folgender Klasse:

C \ \stackrel{\mathrm{def}}{=}\  \left\{ x | x \in x \to A \right\}.

Aus ihr ergibt sich bei Anwendung der Abstraktion für Mengen folgender Selbstbezug:

C \in C \iff ( C \in C \to A )

Aus diesem Selbstbezug lässt sich die Aussage A\, wie oben beweisen und damit die Inkonsistenz dieses Selbstbezugs nachweisen.

In der klassischen oder intuitionistischen Logik ist der Fall  \left\{ x | x \in x \to ( Y \wedge \neg Y ) \right\} äquivalent zu  \left\{ x | x \notin x \right\} , der Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, so dass die Russellsche Antinomie entsteht.

Russells Lösung

Russells Typentheorie, die er zur Vermeidung des Lügner-Paradoxons und der Russellschen Antinomie und anderer Widersprüche entwickelte, verhindert auch Currys Paradoxon. Sie kann nämlich keinen Selbstbezug mehr ausdrücken, da in ihr Aussagen hierarchisch geordnet sind, so dass in eine Aussage nur eine Aussage niederer Ordnung eingesetzt werden kann, was beim Selbstbezug nicht möglich ist, weil die Formel F(S) eine höhere Ordnung als S hat.[4] Er löste also derartige Paradoxone, indem er selbstbezügliche Aussagen syntaktisch ausschloss. Seine Lösung ist aber umstritten, da sein Verbot selbstbezüglicher Sätze viel vom Sprachreichtum gängiger Logiken nimmt und nicht der üblichen Intuition entspricht.

Typenfreie Lösung

Sowohl die Aussagenlogik, die Currys Paradoxon zugrunde liegt, als auch die Mengenlehre werden heute typenfrei praktiziert. Daher sind dort die sprachlichen Voraussetzungen für das Paradoxon objektiv gegeben. Für die (klassische und intuitionistische) Aussagenlogik, die allgemeine Mengenlehre (ohne Unendlichkeitsaxiom) und die Klassenlogik sind Widerspruchsfreiheitsbeweise längst erbracht. Hier führt daher Currys Ableitung nicht zu einem Widerspruch, sondern beweist jeweils, dass der als zusätzliches Argument eingesetzte Selbstbezug falsch ist: Er ist kein erlaubtes Zusatzaxiom zu den dort gültigen Axiomensystemen (es ist nicht relativ konsistent zu ihnen). Für die Mengenlehre und Klassenlogik bedeutet dies, dass es sich bei der Klasse C\, nicht um eine Menge handelt, sondern um eine sogenannte echte Klasse, und dass die freie Abstraktion, mit der aus der Klassendefinition der Selbstbezug folgt, nicht gelten kann, sondern nur eine gebundene, quantifizierte Abstraktion für Mengen.

Löbs Anwendung

Currys Paradoxon wurde 1955 von Martin Hugo Löb angewandt, um zu zeigen, dass Sätze, die ihre eigene Beweisbarkeit behaupten, wahr sein müssen.[5] Daher wird es in der Literatur zuweilen als Löbs Paradoxon bezeichnet.

Einzelnachweise

  1. Curry, H.: The inconsistency of certain formal logics, in: Journal of Symbolic Logic 7 (1942), pp. 115–117.
  2. Curry, H.: The inconsistency of certain formal logics, in: Journal of Symbolic Logic 7 (1942), p. 115, dort aber mit Tippfehler im Reflexivgesetz, korrekt im anderen Aufsatz von Curry in der selben Zeitschrift p. 62.
  3. Voraussetzung im Lemma p. 115 in: Curry, H.: The inconsistency of certain formal logics, in: Journal of Symbolic Logic 7 (1942)
  4. Russell/Whitehead: Principia Mathematica, 1910, Kap. II,VIII The Contradictions, S. 65(1)
  5. Löb, Martin Hugo: ”Solution of a Problem of Leon Henkin“, Journal of Symbolic Logic 20 (1955), 115–118, Paradoxon S. 117

Weblinks


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