Die Ballade vom Nachahmungstrieb

Die Ballade vom Nachahmungstrieb

Die Ballade vom Nachahmungstrieb ist der Titel eines Gedichts von Erich Kästner, das erstmals am 24. März 1931 in der Zeitschrift Die Weltbühne erschienen ist.[1]

Gegenstand des Gedichts ist eine von Kindern gespielte Hinrichtung, die tödlich endet.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Kinder beschließen beim Spielen im Hinterhof den kleinen Fritz Naumann aufzuhängen, so wie sie es aus der Zeitung von der Hinrichtung von Verbrechern kennen. Fritzchen wird kurzerhand zum Räuber erklärt und sein Kopf durch eine Schlinge gesteckt. Er wehrt sich anfänglich nicht, erst als sie ihn an der Teppichstange hochziehen, fängt er an sich zu sträuben. Doch da ist es schon zu spät. Er zuckt noch ein bisschen. Ein Mädchen zwickt ihm – wie zur Kontrolle – ins Bein. Als die sieben beteiligten Kinder erkennen, dass Fritzchen tot ist, laufen sie weg, ohne jemanden zu Hilfe zu rufen.

Erst eine ältere Frau entdeckt ihn zufällig und dann kommt auch um 18.00 Uhr die Polizei. Fritzchens Mutter fällt in Ohnmacht, aber Karl, einer der beteiligten Jungen, sagt kalt: „Wir haben es nur wie die Erwachsenen gemacht.“

Hintergrund

In einer Anmerkung zum Gedicht verwies Kästner auf einen Pressebericht aus dem Jahr 1930, dessen Geschehen dem Gedicht zugrundeliege. Im Deutschen Literaturarchiv Marbach konnte der Zeitungsbericht in Kästners Nachlass allerdings bislang nicht gefunden werden, so dass der zugrundeliegende Pressebericht noch unbekannt ist.[2]

Interpretation

Durch die Erwähnung des „Nachahmungstriebs“ bereits im Titel sowie durch den ersten Vers („Es ist schon wahr: nichts wirkt so rasch wie Gift!“) legt Kästner sein Thema dar: Kinder vollziehen das falsche Verhalten von Erwachsenen unreflektiert nach. Ihre Gewalt werde erlernt, sie eignen sie sich durch Vorbilder an.

Für Stefan Neuhaus thematisierte Kästner in seiner Ballade vom Nachahmungstrieb die gesellschaftlichen Verwerfungen der Weimarer Republik und die aus ihnen entstandene soziale Kälte. Damit verknüpft sei eine Kritik an der Rezeption der Medien, in der die Kinder auf groteske Art nachahmen, was ihnen die Zeitungen vorgeben.[3] Andreas Douve betonte, dass Kästners Ballade die Zustände nur feststelle, ohne einen Impuls zu ihrer Änderung zu geben. In Kästners Weltsicht drücken sich Ratlosigkeit und Fatalismus aus.[4]

Für Remo Hug war Die Ballade vom Nachahmungstrieb, in der bereits in der ersten Strophe eine Moral von der Geschicht vornan gestellt werde, Kästners düsterstes Gedicht. Die Lakonie des Kästnerschen Tons und der Schrecken des Inhalts kontrastieren stark miteinander, die Sachlichkeit und fehlende Empörung des Autors steigere die Wirkung des Gedichts umso eindringlicher. Insgesamt passe die Ballade wenig zum Bild des Autors, der gerne als ein die Jugendzeit verklärender Kinderfreund wahrgenommenen werde. Deswegen sei sie in der Sekundärliteratur auch oft übergangen worden.[5]

Literatur

  • Karl Moritz: Deutsche Balladen. Analyse für den Deutschunterricht. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1972. ISBN 3-506-72814-8
  • Rolf Köhlers: Deutsche Balladen. Von Matthieas Claudius bis Wolf Biermann.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Abdruck der Ballade vom Nachahmungstrieb in Die Weltbühne vom 24. März 1931.
  2. Erklärung zu einer Anfrage beim Deutschen Literaturarchiv auf rechtsgelehrter.de
  3. Stefan Neuhaus: Realistisches Schreiben bei Toller, Kästner und Tucholsky. In: Sabine Kyora, Stefan Neuhaus (Hrsg.): Realistisches Schreiben in der Weimarer Republik. Band 5 von Schriften der Ernst-Toller-Gesellschaft. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 978-3-8260-3390-2, S. 112.
  4. Andreas Drouve: Erich Kästner, Moralist mit doppeltem Boden. Tectum, Marburg 1999, ISBN 978-3-8288-8038-2, S. 67
  5. Remo Hug: Gedichte zum Gebrauch. Die Lyrik Erich Kästners. Besichtigung, Beschreibung, Bewertung. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 978-3-8260-3311-7, S. 112.

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