- Die Brück’ am Tay
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Die Brück' am Tay ist eine 1880 geschriebene Ballade von Theodor Fontane, die die Eisenbahnkatastrophe des Zusammenbruchs der Firth-of-Tay-Brücke in Schottland am 28. Dezember 1879 zum Thema hat und als Mahnung vor technikgläubiger Selbstüberhebung gilt.
Fontane, der auch Schottland bereist hatte, bezog neben sehr realistischen Einzelzügen zum Kontrast auch literarische schottische Motive ein, so die Verabredung der Hexen aus Shakespeares Macbeth.
Sein Fazit legt er einer von ihnen in den Mund:
„Tand, Tand, Ist das Gebilde von Menschenhand.“
– Theodor Fontane
Tand steht hier für ein hübsches Ding, das keinen Wert hat, womit in diesem Fall die Brücke gemeint ist, die der Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts entsprach. Die Tay-Bridge wurde 1871–1877 unter enormem Aufwand gebaut, brach aber schon 1879 zusammen. Die Katastrophe war seinerzeit von ähnlicher Rezeption wie später der Untergang der Titanic.
Inhaltsverzeichnis
Werkgeschichte
Fontane schrieb die Ballade von der Brück’ am Tay in wenigen Tagen, so dass sie bereits am 10. Januar 1880, keine zwei Wochen nach dem Unglück in Heft 2 der Zeitschrift "Gegenwart" erscheinen konnte. Er verknüpfte sie mit mythologischen Aspekten in Shakespeares Macbeth. Fontane zeigte dabei deutlich seine skeptische Einstellung gegenüber dem technischen Fortschritt. Am 15. Januar 1880 schrieb Fontane in einem Brief an seine vertraute Briefpartnerin Mathilde von Rohr:
„Letzte Woche hab ich in No. 2 der ‚Gegenwart‘ ein Gedicht publicirt: ‚Die Brück' am Tay‘, in dem ich den furchtbaren Eisenbahnunfall bei Dundee balladesk behandelt habe. […] Es hat hier eine Art Sensation gemacht, vielleicht mehr als irgend was, was ich geschrieben habe. Sonntag über 14 Tage wird es Kahle in einem Singakademie-Concert vortragen.“
– Theodor Fontane: am 15. Januar 1880 an Mathilde von Rohr[1]
Fontanes Quelle über das Unglück waren zwei Berichte der „Zürcherischen Freitagszeitung“ im Januar 1880. Sie lauteten folgendermaßen:
„Während eines furchtbaren Windsturmes brach am 28. Dezember 1879 nachts die große Eisenbahnbrücke über den Taystrom in Schottland zusammen, im Moment, als der Zug darüberfuhr. 90 Personen, nach anderen Angaben 300, kamen dabei ums Leben; der verunglückte Zug hatte sieben Wagen, die fast alle besetzt waren, und er stürzte über 100 Fuß tief ins Wasser hinunter. Alle 13 Brückenspannungen sind samt den Säulen, worauf sie standen, verschwunden. Die Öffnung der Brücke ist eine halbe englische Meile lang. Der Bau der Brücke hat seinerzeit 350 000 Pfund Sterling gekostet, und sie wurde im Frühjahr 1878 auf ihre Festigkeit hin geprüft. Bis jetzt waren alle Versuche zur Auffindung der Leichen vergeblich.
Die Brücke von Dundee in Schottland über die Mündung des Tay war eines der gewagtesten und großartigsten Projekte. Für senkrechten Druck vollständig richtig berechnet, zog sie sich, in ihrer Länge fast wie ein Drahtseil anzusehen, in schwindelnder Höhe über den Wasserspiegel. In der Silvesternacht herrschte ein so furchtbarer Sturm, daß die Anwohner es für eine Vermessenheit hielten, wenn der Edinburgher Zug die Brücke überqueren würde. Er wagte es; aber nach kurzer Zeit sah man einen Kometenschweif ins Meer versinken. Die Brücke war gebrochen, und der ganze Zug verschwand spurlos in der Tiefe; auch nicht eine Seele erreichte das jenseitige Ufer. Selbst später fand man in den Wagentrümmern nur noch eine Leiche, alle anderen waren ins Meer weggespült worden. Offenbar hat der Seitendruck, welchen der Orkan ausübte, die Brücke gebrochen und den Zug ins Wasser geworfen.“– Zürcherische Freitagszeitung vom 2. und 9. Januar 1880: nach Max Eyth: Hinter Pflug und Schraubstock[2]
Inhalt
Es geht in der Ballade um den Zug, der am 28. Dezember 1879 von Burntisland nach Dundee fahren sollte, im Tay versank und alle Zuginsassen in den Tod riss. Fontane kleidet den Bericht über das Unglück in einen Dialog der Hexen, die sich verabreden, um die Brücke einstürzen zu lassen. Dann lässt er mit den Augen der Brücknersleute und des Zugführers das Herankommen des Zuges erleben. Die Hexen treffen einander wieder und sind mit ihrem Vernichtungswerk zufrieden.
Die Ballade beginnt mit den drei Hexen aus Shakespeares Macbeth:[3]
„Wann treffen wir drei wieder zusamm?“
- „Um die siebente Stund, am Brückendamm.“
- „Am Mittelpfeiler.“
- „Ich lösche die Flamm.“
- „Am Mittelpfeiler.“
- „Ich mit“
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- „Ich komme vom Norden her.“
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- „Und ich vom Süden.“
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- „Und ich vom Meer.“
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- „Und der Zug, der in die Brücke tritt Um die siebente Stund?“
- „Muß mit.“
Fontane stellt als Motto die Hexenfrage aus Macbeth voran, und stellt damit die Worte der ersten Hexe in Macbeth “When shall we three meet again / In thunder, lightning, or in rain?” in direkten Bezug auf dieses Ereignis, und variiert dann über den Shakespeareschen Eingangstrilog (“That will be ere the set of sun.” und “Where the place? / Upon the heath.”). Die Hexen sollen wie in Shakespeares Drama als personifizierte Naturgewalten im Sinne der Erinyen verstanden werden, die ein weiteres Mal ihre Pläne verfolgen, die des Menschen Werk zunichtemachen.
Die Brückenwärter erwarten sorgenvoll den Zug aus Edinburgh, denn es tobt gerade ein starker Sturm. Sie erwarten sehnsüchtig ihren Sohn Johnie, den Lokführer, der sie heute, drei Tage nach Weihnachten, besuchen will.
Und die Brücknersleut, ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu,
Sehen und Warten, ob nicht ein Licht,
Übers Wasser hin „Ich komme“ spricht,
„Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
Ich, der Edinburger Zug.“Diese Worte, dem Edinburgher Zug in den Mund gelegt, drücken den Hochmut der Technik aus, und auch Johnie glaubt an den Segen des Fortschritts und die Macht der Errungenschaften, die des Menschen Willen, sich „die Erde untertan zu machen“, verwirklichen sollen:
Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
Die bleiben Sieger in solchem Kampf,
Und wie’s auch rast und ringt und rennt,
Wir kriegen es unter: das Element.Er ist voll Stolz auf die Leistung seiner modernen Lokomotive und denkt an die mühsamen Zeiten, als die Brücke noch nicht stand, nicht an Gefahr:
Und unser Stolz ist unsre Brück;
Ich lache, denk ich an früher zurück,
An all den Jammer und all die Not
Mit dem elend alten Schifferboot;Doch Johnies Eltern müssen mit ansehen, wie der Zug letztlich ins Meer stürzt:
Denn wütender wurde der Winde Spiel,
Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel‘,
Erglüht es in niederschießender Pracht
Überm Wasser unten… Und wieder ist Nacht.Fontane bleibt lapidar in der Schilderung des Unglücks (er beschränkt sich auf die Textstelle „nach kurzer Zeit sah man einen Kometenschweif ins Meer versinken“ des Zeitungsartikels vom 9. Januar) und verliert kein Wort mehr darüber, sondern lässt stattdessen die Ballade wiederum im Gespräch der Hexen ausklingen, die sich auf ein weiteres Treffen verabreden.
Text
Wikisource: Die Brück’ am Tay – Quellen und Volltexte- Theodor Fontane: Die Brück am Tay. (28. Dezember 1879). In: Ders.: Gedichte I. 2. durchges. u. erw. Aufl. 1995 (Grosse Brandenburger Ausg.), S. 153-155.
Literatur
- Karl Hotz (Hrsg.): Gedichte aus sieben Jahrhunderten - Interpretationen. 1. Auflage. Buchner, Bamberg 1987, ISBN 3-7661-4311-5.
- Edgar Neis: (Hrsg.): Interpretationen von 66 Balladen, Moritaten und Chansons. Analysen und Kommentare. 1. Auflage. Bange, Hollfeld 1978, ISBN 3-8044-0590-8.
Medien
- Gerd Bessler (Dirigent), Oakmusic Ensemble (Orchester); Otto Sander (Hrsg.): Ritter und Raben. Balladen. Patmos, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-491-91238-0 (Audio-CD).
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Zit. nach Lit. Hotz: Gedichte aus sieben Jahrhunderten.
- ↑ Zit. nach Lit. Neis: Interpretationen von 66 Balladen, Moritaten und Chansons
- ↑ Zeno.org
Werke von Theodor FontaneRomane, Novellen, Erzählungen und andere Prosa: Aus England | Jenseit des Tweed | Wanderungen durch die Mark Brandenburg | Der Schleswig-Holsteinsche Krieg im Jahre 1864 | Der Deutsche Krieg von 1866 | Kriegsgefangen | Der Krieg gegen Frankreich 1870–71 | Vor dem Sturm | Grete Minde | Ellernklipp | L’Adultera | Schach von Wuthenow | Graf Petöfy | Christian Friedrich Scherenberg und das litterarische Berlin von 1840 bis 1860 | Unterm Birnbaum | Cécile | Irrungen, Wirrungen | Stine | Quitt | Unwiederbringlich | Frau Jenny Treibel | Meine Kinderjahre | Effi Briest | Die Poggenpuhls | Der Stechlin | Von Zwanzig bis Dreißig | Mathilde Möhring
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