Einfaches Leben

Einfaches Leben

Einfaches Leben (Simple living), auch Freiwillige Einfachheit (Voluntary Simplicity), Minimalismus oder Downshifting genannt, bezeichnet einen Lebensstil, der sich als Alternative zur konsumorientierten Überflussgesellschaft sieht. Seine Anhänger versuchen, durch Konsumverzicht Alltagszwängen entgegenzuwirken und dadurch ein selbstbestimmteres, erfüllteres Leben zu führen. Gelegentlich wird der Lebensstil auch mit dem Akronym „LOVOS“ abgekürzt (engl. „Lifestyle of Voluntary Simplicity“) – in Anlehnung an LOHAS („Lifestyles of Health and Sustainability“), das für einen Lebensstil bewussten und gezielten Konsumierens steht. Das Einfache Leben stellt kein einheitliches Lebensschema dar, sondern führt zu äußerst unterschiedlichen, sehr individuellen Ausprägungen. Die Spanne reicht vom „Total-Aussteiger“ bis zum lediglich konsumkritischenNormalverbraucher“. Kennzeichnend ist stets eine erhöhte Achtsamkeit und die genauere Beobachtung des eigenen (Konsum)-Verhaltens.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Kritik am Materialismus

Im Einfachen Leben wird darauf geachtet, das eigene Verhalten hinsichtlich Konsum, Besitz und Beziehungen auf Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit zu hinterfragen. Ein Übermaß an Besitz aufgrund von Status- und Prestigestreben wird als hinderlich und belastend betrachtet. „Shopping“ als Unterhaltung oder Freizeitbeschäftigung wird konsequent vermieden. Stattdessen wird planmäßig eingekauft. Die Freizeit genießt eine hohe Wertschätzung. Es wird deutlich zwischen reinem Begehren und echter Notwendigkeit unterschieden. Insofern unterscheidet sich das Einfache Leben klar von der Jagd nach Schnäppchen im Sinne der „Geiz-ist-geil“-Mentalität.

Im Gegenteil ist das grundlegende Ziel, weniger Dinge zu besitzen, um sich mit deren Anschaffung, Bezahlung und Pflege nicht unnötig zu belasten. Aus der Sichtweise des Einfachen Lebens ist es unvernünftig, Lebenszeit gegen Geld einzutauschen, um Dinge in seinen Besitz zu bringen, die man nicht braucht.

Die Eubiotik – die Lehre von der rundum gesunden Lebensführung – nimmt hierbei eine herausragende Stellung ein. Aus eubiotischer Perspektive wird eine am Geld ausgerichtete Lebenseinstellung als ein Irrweg angesehen, der die Hauptursache für zahlreiche – besonders psychische – Störungen im individuellen wie auch im gesellschaftlichen Bereich darstellt. Erfüllung und entspannte Lebensfreude werden in wenigen einfachen, meist kostenlosen Dingen und Betätigungen gesucht.

Kritik an Schnelllebigkeit und Reizüberflutung

Die Anhänger des Einfachen Lebens kritisieren eine Übergewichtung von Geld und Besitz sowie die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit, die oft mit einer Reizüberflutung einhergingen. Dazu zähle auch die Überbeanspruchung des Menschen durch Arbeit (Arbeitsverdichtung) und durch persönliche Termine. Den Medien wird vorgeworfen, den Menschen die Zeit für eigene Gedanken, kritische Fragen (Sinnfrage) und den Sinn für Genuss zu nehmen. Eine grundlegende Maxime des Einfachen Lebens fordert dementsprechend, sich nicht von den in Medien oder Werbung vorgelebten materialistischen Verhaltensmustern manipulieren zu lassen, sondern stattdessen die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Dazu gehöre auch eine klare Strukturierung des Alltags mit geschützten Erholungsphasen.

Ein weiterer Punkt ist die Entschleunigung des eigenen Lebens und der Gewinn von wertvoller Lebenszeit. Der Konsum kurzlebiger, immer wieder neu zu kaufender Wegwerfprodukte wird als unsinnige Zeit- und Geldvergeudung angesehen.

Die subjektiv erlebte Lebensqualität steht im Vordergrund – jenseits eines oberflächlichen, auf materialistische Konsum-Kategorien beschränkten Hedonismus. Dieser materiell bewusst reduzierte Lebensstil weist asketische Züge auf, unterscheidet sich aber auf Grund seiner durchaus weltlichen Ausrichtung von der zumeist weltabgewandten Askese.

Praxis

Viele Menschen, die ein einfaches Leben begonnen haben, berichten von einem starken Bedürfnis, ihr bisheriges Leben neu zu ordnen, um eine größere innere Erfüllung zu erlangen. Die Motivation dazu kann aus innerer Unzufriedenheit entstehen, basierend beispielsweise auf dem Gefühl, ständig überlastet oder nicht bei sich selber zu sein; oder aber aus äußeren Umständen erwachsen, häufig zum Beginn einer neuen Lebensphase, eingeleitet beispielsweise durch die Gründung einer Familie oder krisenhafte Einschnitte, die – oft mit schmerzlichen Verlusten einhergehend – eine Neubewertung materieller und immaterieller Werte nach sich ziehen. In vielen Fällen ist dabei die Entrümpelung des eigenen Lebensumfeldes und dessen einfachere Organisation ein grundlegender erster Schritt. Ein weiterer wichtiger Punkt kann eine stärkere Konzentration auf eine unkomplizierte, naturnahe, auf sich und die Menschen im nächsten Umfeld bezogene Lebensweise sein, bei der Eigenleistungen im Sinne einer Selbstversorgung gegenüber Fremdleistungen deutlich in den Vordergrund rücken. Dies betrifft vor allem die Bereiche Ernährung (Gartenbau, selber Kochen, mit Hang zum Vegetarismus) und Handwerk (Tischlern, Klempnern, Maurerarbeiten und Kunsthandwerk), seltener Bekleidung und Energieversorgung. Weiterhin werden die häuslichen Einsparpotenziale, z. B. bei Wasser, Strom, Energie und Entsorgung bewusster genutzt. Nicht selten geht mit der Umstellung der Wertesysteme auch eine spirituelle Neuorientierung einher, oftmals in Annäherung an fernöstliche Philosophien wie den Buddhismus.

Der Einfluss der Werbung wird sehr kritisch betrachtet, da diese durch beständiges Wecken neuer Begierden eine andauernde latente Unzufriedenheit erzeugt. Im einfachen Leben versucht man, sich diesem künstlich geschürten, frustrierenden Kreislauf bewusst zu entziehen, indem man beispielsweise TV- und Rundfunkgeräte oder Zeitungen in vermindertem Umfange nutzt oder völlig darauf verzichtet. Im Gegenzug werden mehr persönliche Kontakte unterhalten und das Internet als überregionale Plattform für Informationsbeschaffung und Austausch mit Gleichgesinnten genutzt.

Als körperliche Aktivitäten im Sinne des einfachen Lebens erfreuen sich das Wandern oder auch das Barfußlaufen wachsender Beliebtheit. Auch die Freikörperkultur wird als eine Ausdrucksform für Einfachheit gesehen.

Die konsequent durchgeführte Einschränkung des persönlichen Konsums kann zusammen mit einer erhöhten Sparquote und bedachter Kalkulation des verfügbaren Budgets trotz verringertem Erwerbseinkommen zu einer relativen finanziellen Unabhängigkeit führen. Dies dient dazu, vermehrt seinen persönlichen Neigungen nachzugehen und nur noch wenig Lebenszeit mit der erheblichen äußeren Zwängen unterliegenden Erwerbsarbeit zu verbrauchen. Familie, Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliche Tätigkeiten treten im einfachen Leben oftmals stärker in den Vordergrund, da Fürsorge, soziales Engagement und Solidarität geschätzte Ideale darstellen, denen ein großer Teil der freigewordenen Zeit gewidmet wird.

Geschichte

Einige Religionen sehen die Einfachheit als erstrebenswertes Ziel oder als einzigen Weg zur Erfüllung. In den christlichen, hinduistischen und buddhistischen Bettelorden spielt der Verzicht auf die Anhäufung materieller Güter eine wichtige Rolle – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Weltliche Ansätze zum einfachen Leben lassen sich bis in die Antike zu den Stoikern und Kynikern (Diogenes von Sinope) oder beispielsweise dem griechischen Philosophen Platon zurückverfolgen.

Spätestens seit Henry David Thoreau und Ralph Waldo Emerson um 1845 das einfache Leben favorisierten und idealisierten, gelten sie in den USA als fester Bestandteil der Subkultur. Ein weiterer, einflussreicher Vertreter in den USA war Scott Nearing. In Deutschland ist insbesondere Friedrich Nietzsche in seiner strikten Ablehnung eines sinnentleerten Materialismus ein rigoroser Verfechter eines materiell einfachen Lebens zum Zwecke der Steigerung der spirituellen Kräfte des Menschen. Als eine Metapher hierfür schuf Nietzsche den Typus des „Zarathustra“ als den schöpferischen Überwinder jener Form des Nihilismus, die einen Mangel an nicht-materialistischen Lebenszielen mit dem Streben nach materiellen Gütern zu kompensieren versucht.

Als ideelle Vorläufer werden in den USA häufig auch religiös orientierte Gruppen wie die Quäker oder die Amischen als Verfechter des einfachen Lebens genannt. In Deutschland finden sich Vorläufer in der Wandervogel-Bewegung, die dem autoritären Druck der Gesellschaft entgehen wollte, den Hippies in den 1960er Jahren sowie der daraus hervorgegangenen Alternativbewegung. Literarischen Ausdruck fand dieser Lebensstil unter anderem im Roman Das einfache Leben von Ernst Wiechert (1939).

Die neuere Verwendung des amerikanischen Ausdrucks „voluntary simplicity“ für Einfaches Leben geht auf einen Text des US-Sozialwissenschaftlers Duane Elgin von 1981 zurück, in welchem er das Augenmerk auf einen einfachen, genügsamen und ausgewogenen Lebensrhythmus abseits des konsumorientiertenAmerican way of life“ richtete. Elgins nimmt wesentliche Anregungen von Richard Gregg auf, die dieser bereits 1936 in einem grundlegenden Artikel zur „Voluntary Simplicity“ formuliert hatte.

Siehe auch

Literatur

  • Bill Jensen: Radikal vereinfachen. Den Arbeitsalltag besser organisieren und sofort mehr erreichen. Campus Verlag, Frankfurt am Main u. a. 2004, ISBN 3-593-37557-5.
  • Stephen R. Covey: Die sieben Wege zur Effektivität. Prinzipien für privaten und beruflichen Erfolg. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe, 2. Auflage. GABAL Verlag GmbH, Offenbach 2005, ISBN 3-89749-573-2 (GABAL Management).
  • Werner Tiki Küstenmacher, Lothar J. Seiwert: Simplify your life. Einfacher und glücklicher leben. 10. Auflage. Campus Verlag, Frankfurt am Main u. a. 2005, ISBN 3-593-36818-8.
  • Anne Donath: Wer wandert, braucht nur, was er tragen kann. Bericht über ein einfaches Leben. Piper Verlag u. a., München 2006, ISBN 3-89029-310-7.
  • Tom Hodgkinson: Die Kunst, frei zu sein. Handbuch für ein schönes Leben. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2007, ISBN 978-3-8077-1025-9 (Originalausgabe „How to be free“ 2006 bei Penguin Books)
  • Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern. Diogenes Verlag, Zürich 2007, ISBN 978-3-257-20019-5 (Diogenes-Taschenbuch 20019).

Weblinks


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